13.01.2021
Autoren: Laura Peters und Sebastian Wuschka LL.M. (Geneva MIDS)
Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem EU-Binnenmarkt, der Zollunion sowie allen internationalen Übereinkünften der EU beginnt ein neues Kapitel in der rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Geschichte Europas. Auch der Schutz von ausländischen Investoren etwa vor Enteignungen oder anderen schädigenden Maßnahmen ist angesichts des Brexits neu zu bewerten.
Das nun vorläufig in Kraft getretene Handels- und Kooperationsabkommen („EU-UK-Abkommen“, nachlesbar hier) zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich regelt den Freihandel, zum Investitionsschutz geht es allerdings einen anderen Weg als vergangene EU-Abkommen. So enthalten bspw. das europäisch-kanadische Abkommen CETA und die flankierend zu den Freihandelsverträgen mit Singapur (dazu hier), Vietnam und Mexiko vereinbarten Investitionsschutzverträge eine Vielzahl an Schutzstandards für ausländische Investoren. Zudem etablieren sie auf prozessualer Ebene Investitionsgerichtshöfe. Das EU-UK-Abkommen sieht einen wesentlich eingeschränkteren Investorenschutz vor.
Auf materieller Ebene garantiert das EU-UK-Abkommen u.a. den Marktzugang (Artikel SERVIN 2.2), Inländerbehandlung (Artikel SERVIN 2.3) und Meistbegünstigung (Artikel SERVIN 2.4). Entgegen der üblichen Standards für Investitionsschutz enthält das EU-UK-Abkommen aber weder eine Regelung zu unfairer bzw. unbilliger Behandlung noch zu Enteignungen.
Für die Streitbeilegung ist in Teil 6 des EU-UK-Abkommens statt der im Investitionsschutz üblichen direkten Klagerechte für Investoren ausschließlich (Artikel INST.11) ein Staat-zu-Staat-Mechanismus vor Schiedsgerichten vorgesehen. Insbesondere stellt das EU-UK-Abkommen klar, dass seine Meistbegünstigungsklausel nicht als Basis dienen kann, direkte Klagerechte für Investoren aus anderen Verträge „zu importieren“ (Artikel SERVIN 2.4 Abs. 4). Auch sind die Gerichte der Vertragsparteien ausdrücklich nicht zur Beilegung von Streitigkeiten nach dem EU-UK-Abkommen berufen (Artikel INST.29 Abs. 4a). Investoren sind daher darauf angewiesen, dass ihre Heimatstaaten oder die EU für sie aktiv werden. An dem Verfahren können Private selbst nur über die Bereitstellung von „geeigneten Informationen“ im Rahmen von Amicus curiae-Schriftsätzen teilnehmen (Artikel INST.26).
Dass dieser lediglich fragmentarische Schutz, welchen Investoren nur unter Mithilfe ihrer Heimatstaaten oder der EU erhalten, im Rahmen von Anpassungen durch das EU-Parlament oder die Vertragsparteien substantiell ausgebaut wird, ist nicht zu erwarten. Für Investoren sowohl auf kontinentaleuropäischer als auch auf Seite des Vereinigten Königreichs ist es daher in erhöhtem Maße von Bedeutung, wie ihre Investitionen über das EU-UK-Abkommen hinaus geschützt sind.
Investitionsschutz in der EU war in jüngerer Zeit ein politisch und rechtlich heikles Thema. Nichtsdestoweniger existiert noch eine Vielzahl von bilateralen Investitionsschutzverträgen (BITs) zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten der EU. Auch das Vereinigte Königreich unterhält solche Abkommen mit anderen europäischen Staaten (Bulgarien, Kroatien, Tschechische Republik, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Malta, Rumänien, Slowakei und Slowenien – ein weiteres Abkommen mit Polen wurden von polnischer Seite aus unilateral gekündigt). Mit politisch zentralen EU-Staaten wie Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Belgien, Spanien und Italien hingegen hat das Vereinigte Königreich hingegen keine BITs.
Im Zuge ihrer Anstrengungen, der schiedsgerichtlichen Beilegung von Investitionsstreitigkeiten Einhalt zu gebieten und stattdessen staatliche Gerichte und die europäischen Binnenmarktvorschriften zu stärken, erklärte die EU-Kommission BITs innerhalb der EU allerdings bereits vor einiger Zeit für obsolet und drängte die Mitgliedstaaten zu ihrer Kündigung. In der Folge erklärte auch der EuGH in seiner Achmea-Entscheidung Schiedsklauseln wie die in dem niederländisch-slowakischen BIT, der dem Verfahren zugrunde lag, als nicht mit dem Europarecht vereinbar. Die EU-Mitgliedstaaten reagierten auf diese Entscheidung mit drei Erklärungen im Januar 2019, wobei das Vereinigte Königreich zu dem Zeitpunkt noch die Haupterklärung von 22 Mitgliedstaaten mitzeichnete und sich u.a. zur Kündigung seiner BITs mit anderen EU-Mitgliedsstaaten verpflichtete. Dabei handelte es sich aber nur um eine politische Verpflichtung. Dem in der Folge zwischen einer Vielzahl von EU-Mitgliedsstaaten geschlossenen Termination Agreement in Bezug auf die Intra-EU-BITs schloss sich das Vereinigte Königreich – ebenso wie Österreich, Finnland, Irland und Schweden – bereits nicht mehr an.
Zwar läuft hinsichtlich der ungekündigten BITs gegen das Vereinigte Königreich derzeit ein von der EU-Kommission vor dem Brexit angestrengtes Vertragsverletzungsverfahren über das der EuGH selbst nach dem Brexit nach den Regelungen des Withdrawal Agreements noch entscheiden könnte. Angesichts des inzwischen vollzogenen Brexits werden sich dessen Konsequenzen aber in einem engen Rahmen bewegen. So könnte der EuGH möglicherweise feststellen, dass das Vereinigte Königreich während seiner Mitgliedschaft gegen EU-Recht verstieß, indem es dem Termination Agreement nicht zustimmte. Eine Verpflichtung zur Kündigung der noch bestehenden BITs ist jedoch nach völkerrechtlichen Grundsätzen abwegig. Zu erwarten ist allerdings, dass das Argument, die Verträge hätten aufgehoben werden müssen, auch während kommender Schiedsverfahren und auf der Ebene der Vollstreckung etwaiger Schiedssprüche erneut von EU-Mitgliedstaaten vorgebracht werden wird.
Im Ergebnis bleiben die bestehenden BITs mit dem Vereinigten Königreich jedoch – sollten sie nicht von den EU-Mitgliedstaaten gekündigt werden – weiter in Kraft. Im Falle einer einseitigen Kündigung dieser Verträge greifen zudem deren sogenannte Sunset Clauses, welche eine zeitlich begrenzte Anwendbarkeit des Vertrages auch über dessen Kündigung hinaus garantieren. Dies trifft bereits auf den BIT zwischen dem Vereinigten Königreich und Polen zu, welcher 2019 gekündigt wurde, aber dank einer Sunset Clause noch 15 Jahre ab Kündigung fort gilt.
Anders liegt die Sache bezüglich des Energiecharta-Vertrags (ECT), dem die EU selbst und über 50 Staaten weltweit beigetreten sind. Unter diesen sind alle europäischen Mitgliedsstaaten bis auf Italien, welches 2016 aus dem Vertrag austrat. Durch den ECT werden zwar sektoral diverse großvolumige Energieinvestitionen abgedeckt, in der Summe kommt er aber nur wenigen Investoren zugute. Mit dem Schutzniveau eines gesamteuropäischen Investitionsschutzabkommens ist er daher nicht vergleichbar.
Im Gegensatz zu BITs ist der ECT nicht von der Achmea-Entscheidung bzw. dem Termination Agreement betroffen. Zwar argumentiert die EU-Kommission seit einer Weile, der ECT dürfe nicht innerhalb der EU gelten, sondern müsse und könne nur auf Investitionen aus bzw. in Staaten außerhalb der EU Anwendung finden. Diese Position wurde jedoch bislang von Schiedsgerichten stets zurückgewiesen. Nach dem Brexit dürfte sie auch hinsichtlich der Investitionsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich kaum noch von Belang sein, handelt es sich bei diesen doch nun schlicht nicht mehr um Intra-EU-Beziehungen.
Energieinvestitionen im Verhältnis EU und Vereinigtes Königreich sind somit derzeit solide abgesichert. Der ECT befindet sich darüber hinaus allerdings in einem aufwändigen Modernisierungsprozess, dessen Ende noch nicht absehbar ist. Möglicherweise wird aber das Schutzniveau für Investoren im Rahmen der Modernisierung weiter abgesenkt – zumindest entspräche dies der Verhandlungsstrategie der EU-Kommission.
Die derzeitige Situation offenbart Schutzlücken – gerade auch für Investitionen aus bzw. in Deutschland und anderen westlichen EU-Mitgliedstaaten. Europäische Investoren im Vereinigten Königreich und UK-Investoren in der EU sind derzeit – mangels eines verlässlichen Investitionsschutzes im EU-UK-Abkommen – lediglich durch die beschriebenen BITs oder durch den ECT geschützt. Während die BITs nur vereinzelte Mitgliedsstaaten betreffen, wirkt der ECT ausschließlich sektoral für Energieinvestitionen.
Weshalb das EU-UK-Abkommen keine umfassenderen Regelungen zum Investitionsschutz enthält, kann nur spekuliert werden. Als Ursache denkbar ist zum einen politischer Druck, angefeuert durch den in den letzten Jahren noch vertieften Imageschaden von Investitionsschutzabkommen und -schiedsgerichten. Darüber hinaus dienen Investitionsschutzabkommen oft auch der Angleichung von rechtsstaatlichen Gefällen zwischen verschiedenen Mitgliedsstaaten bzw. der EU und nicht-europäischen Staaten. Das Vereinigte Königreich belegt jedoch auf dem EU-Justizbarometer seit Jahren Bestplätze und wurde zuletzt auf Platz 13 des Rule of Law Index 2020 des World Justice Projects gerankt (Deutschland belegte Platz 6). Die Absicherung von Investoren wurde daher eventuell als nicht zwingend angesehen. Stattdessen könnten die Unterhändler den Investitionsschutz bewusst den Gerichten im Vereinigten Königreich überlassen haben. UK-Investitionen gerade in östlichen EU-Mitgliedstaaten, die häufig schlechtere Platzierungen im EU-Justizbarometer und dem Rule of Law Index erreichen, bleiben zudem durch BITs abgedeckt. Dass ein solcher Schutz weiter notwendig ist, zeigt auch die jüngst bekannt gewordene Schiedsgerichtsentscheidung in Sachen Manchester Securities aus dem Jahr 2018, in der das Schiedsgericht Polen wegen Rechtsverweigerung (Denial of Justice) durch seine Gerichtsbarkeit zu Schadensersatz verurteilte.
Eine völkerrechtliche Alternative zu BITs bietet noch der Eigentumsschutz nach dem 1. Zusatzprotokoll zur EMRK. Einen Verweis hierauf enthält auch das EU-UK-Abkommen. Allerdings sieht der EGMR wirtschaftliche Streitigkeiten nicht als sein Hauptspielfeld an und erscheint somit nicht als wirkliche Alternative zu Schiedsgerichten nach BITs. Zudem gilt im Rahmen der EMRK auch die Local Remedies Rule, nach der vorrangig innerstaatliche Rechtsbehelfe erschöpft werden müssen, bevor auf den EGMR zurückgegriffen werden kann.
Aus Investorensicht kann es als klares Versäumnis angesehen werden, dass das EU-UK-Abkommen den Investitionsschutz nicht generell und solide regelt. Die Absicherung von Investitionen im Verhältnis zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich bleibt so in jedem Einzelfall detailliert zu prüfen. In vielen Fällen dürfte es für Investoren zur prozessualen Absicherung ihrer Rechte wieder sinnvoll werden, an den Abschluss von State Contracts mit dem Gaststaat ihrer Investition inklusive direkter Schiedsabrede zu denken bzw. Investitionsstrukturen im Lichte der Anwendbarkeit von BITs zu planen.
Sebastian Wuschka LL.M. (Geneva MIDS)
Of Counsel
Hamburg
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