11.02.2020
Der Rechtsdienstleister Financialright, vertreten von der US Kanzlei Hausfeld, verliert in einem beachtenswerten Präzedenzfall vor dem Landgericht München I. Financialright hatte für mehr als 3.000 Spediteure Kartellschadensersatzansprüche gegen europäische LKW-Hersteller aus abgetretenem Recht in einer Größenordnung von 600 Millionen Euro nebst Zinsen geltend gemacht, nachdem die Europäische Kommission in 2016 kartellrechtswidrige Preisabsprachen für Lastkraftwagen festgestellt hatte (sog. „LKW Kartell“). Das Verfahren trifft den Nerv der Zeit: Im Vordergrund steht die Frage, ob Legal-Tech-Startups über Plattformen Ansprüche sammeln und als Inkassounternehmen geltend machen dürfen, oder ob dies gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz verstößt.
Mit Urteil vom 7. Februar 2020 (Az. 37 O 18934/17) hat die 37. Zivilkammer des Landgerichts München I die Klage abgewiesen. Die Kammer begründet ihre Entscheidung im Wesentlichen mit der fehlenden Aktivlegitimation des Rechtsdienstleisters. Die Abtretungen seien aus mehreren Gründen wegen Verstoßes gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz („RDG“) nichtig, welches die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen schütze. Daher sei der klagende Rechtsdienstleister nicht Inhaber der eingeklagten Ansprüche geworden.
Zwar verfüge der Rechtsdienstleister über eine Inkassoerlaubnis nach dem RDG. Da die Rechtsdienstleistungen nach dem Gesamteindruck der Kammer von vornherein nicht auf eine außergerichtliche Inkassotätigkeit, sondern (allein) auf eine gerichtliche Tätigkeit unter Beteiligung an einer Sammelklage angelegt gewesen seien, sei diese Inkassoerlaubnis aber überschritten worden. Die in diesem Zusammenhang erbrachten Rechtsdienstleistungen seien daher rechtswidrig gewesen mit der Folge, dass die im Zusammenhang erfolgten Abtretungen unwirksam seien.
Die Kammer sieht zudem eine Interessengefährdung u.a. in der Bündelung verschiedener Ansprüche, da solche mit besseren Erfolgsaussichten das Risiko weniger aussichtsreicher Ansprüche mittragen müssen, z.B. durch eine geringere Vergleichszahlung. Deren Auszahlung erfolge nach den AGB der Klägerin quotal und erfolgsunabhängig, obwohl die Erfolgsaussichten in der Regel wesentliche Verhandlungsgrundlage für einen solchen Vergleich seien.
Auch könnten durch die Einschaltung eines Prozessfinanzierers und die damit verbundene Kostenfreistellung kostenauslösende Schritte für die Klägerin an Bedeutung verlieren. Vielmehr könnten sachfremde Erwägungen des Prozessfinanzierers die Rechtsdurchsetzung entgegen einzelner Kundeninteressen bestimmen, weil die Klägerin wirtschaftlich von dem Prozessfinanzierer abhängig sei.
Das Landgericht sieht insbesondere auch keinen Widerspruch zur jüngsten Entscheidung des BGH i.S. „www.wenigermiete.de / lefox“, in der der BGH die erbrachten Rechtsdienstleistungen als von der Inkassoerlaubnis gedeckt angesehen hatte (BGH, Urteil vom 27.11.2019 - VIII ZR 285/18). Denn aus dem Urteil des BGH folge lediglich die Erforderlichkeit einer am Schutzzweck des RDG orientierten Würdigung der Umstände des Einzelfalles, die die Kammer hier vorgenommen habe.
Nach der aktuellen Entscheidung des Landgerichts München I ergibt sich somit aus der Tätigkeit als Inkassounternehmen nicht per se ein „Safe harbour“ für Legal-Tech-Startups, die im Zusammenhang mit dem Einsammeln von Ansprüchen (auch) rechtsberatend tätig werden können. Vielmehr kommt es stets auf eine Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles an. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Es bleibt daher abzuwarten, wie die Entscheidung in der nächsten Instanz und ggf. die Reaktion des Gesetzgebers ausfallen. Letztere könnte allerdings wohl nur zukünftige Fälle regeln.
Zukünftige Schadenersatzkläger dürften daher gut beraten sein, Abtretungsmodelle, die allein auf einer Inkassoerlaubnis beruhen, jedenfalls in der Übergangszeit bis zu einer höchstrichterlichen Entscheidung sorgfältig zu prüfen. Die vermeintlich aus Kundensicht besonders attraktiven Abtretungsmodelle haben zwar den Vorteil, nicht mit einem eigenen Kostenrisiko belastet zu sein – wie es die plakative Werbung des Inkassounternehmens hervorgehoben hatte („Schadenersatz bis zu 20% vom Kaufpreis, „vollverzinst“ und „ohne Risiko“). Die Kehrseite dieses Modells kann aber das erhebliche Risiko sein, aufgrund zusätzlicher prozessualer oder zivilrechtlicher Hürden gänzlich leer auszugehen. Denn: Sollte die Entscheidung des Landgerichts bestätigt werden, können die aus abgetretenem Recht eingeklagten Ansprüche der Kläger ggf. später nicht mehr geltend gemacht werden. Schließlich hemmt die Klage durch einen zur Klage im Ergebnis nicht befugten Inkassodienstleister die Verjährung nicht.
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https://www.bundesgerichtshof.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/2019153.html?nn=11918200
Anne Caroline Wegner, LL.M. (European University Institute)
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