11.10.2021
Das LAG München hatte sich aktuell mit der Einsetzung einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand "Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung" auseinanderzusetzen und entschieden, dass der Betriebsrat eine solche verlangen kann (Beschl. v. 10.08.2021 – 3 TaBV 31/21). Die Einigungsstelle sei laut Entscheidung des LAG München nicht "offensichtlich unzuständig".
Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, mitbestimmungspflichtig. Darunter fällt auch der Einsatz elektronischer Zeiterfassungsgeräte, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber die Überwachung seiner Arbeitnehmer beabsichtigt.
Das BAG hat sich in seiner Entscheidung vom 28.11.1989 erstmals mit der Frage des Bestehens eines Initiativrechts auseinandergesetzt und ein solches bei Fragen der Einführung technischer Überwachung abgelehnt (1 ABR 97/88). Nach Auffassung des BAG soll ein Initiativrecht lediglich bei der Anwendung technischer Überwachungen einschränkungslos gelten, wohingegen ein solches bei der Einführung technischer Überwachungen vollständig ausgeschlossen sein soll. Begründet wurde dies mit dem Schutzzweck der Norm, wonach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG die Arbeitnehmer vor den Gefahren schützen soll, die von technischen Überwachungseinrichtungen ausgehe. Demnach sei § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein reines Abwehrrecht, weshalb es dem Schutzzweck der Norm widerspreche, wenn der Betriebsrat die Einführung technischer Überwachung durch ein Initiativrecht verlangen könnte.
Diese Grundsätze der BAG - Entscheidung wurden seitdem teilweise von der unterinstanzlichen Rechtsprechung bestätigt, erfuhren aber auch teilweise beachtliche Kritik. Zuletzt hatte das LAG Hamm entschieden, dass der Betriebsrat die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Einführung einer elektronischen Zeiterfassung verlangen kann (Beschl. v. 04.06.2019 – 7 TaBV 93/18).
Nunmehr hat auch das LAG München in dem zugrundeliegenden Fall entschieden, dass eine Einigungsstelle hinsichtlich der "Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung" nicht offensichtlich unzuständig ist.
Der Antragsteller ist der Betriebsrat für den gemeinsamen Betrieb der zu einem Medienkonzern gehörenden Arbeitgeberinnen, die gemeinsam etwa 1.000 Arbeitnehmer beschäftigen. Laut Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1997 ist nur für einen begrenzten Kreis der Beschäftigten eine elektronische Zeiterfassung vorgesehen. Für die nicht unter den Geltungsbereich der Betriebsvereinbarung fallenden Arbeitnehmer gibt es keine Arbeitszeiterfassung. Die Arbeitgeberseite vertritt die Auffassung, dass sie zur Einführung einer solchen nicht verpflichtet sei und dem Betriebsrat in dieser Angelegenheit auch kein Initiativrecht aus § 87 Abs.1 Nr. 6 BetrVG zukomme.
Das Arbeitsgericht München hat durch Beschluss entschieden, dass die Einigungsstelle nicht offensichtlich unzuständig sei, weil gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG der Betriebsrat in Angelegenheiten zur Regelung über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen habe. Die Arbeitszeiterfassung sei im Anschluss an die Entscheidung des EuGH vom 14.05.2019 - C-55/18 - eine Angelegenheit des Gesundheitsschutzes. Die dagegen einlegte Beschwerde beim LAG München blieb ohne Erfolg. Das LAG München führt zur Begründung aus, dass eine offensichtliche Unzuständigkeit nur dann anzunehmen sei, wenn ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats in der fraglichen Angelegenheit unter „keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt in Frage kommt“. Ist dem Betriebsrat zu einer Rechtsfrage höchstrichterlich kein Mitbestimmungsrecht zugesprochen worden, so ist die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig, wenn diese Rechtsprechung als gefestigt angesehen werden kann und keine Anhaltspunkte für eine Abweichen erkennbar sind.
In der Begründung bezieht sich das LAG München auf die Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1989 und führt weiter aus, dass soweit die Entscheidung des BAG ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung einer elektronischen Zeiterfassung nicht einräumt, weil es sich bei diesem Mitbestimmungsrecht um ein Abwehrrecht handele, allein wegen der inzwischen eingetretenen anderen Besetzung des Senats keine gefestigte Rechtsprechung vorliege. Vor dem Hintergrund der abweichenden Beurteilung in dieser Frage durch die verschiedenen Landesarbeitsgerichte (vgl. etwa LAG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.01.2015 – 10 TaBV 1812/14), könne ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG nicht mehr ohne Weiteres aus offensichtlichen Gründen verneint werden.
Im Übrigen sieht das LAG München die Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung aus dem Blickwinkel des Gesundheitsschutzes (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) und greift damit bekannte Literaturstimmen auf, die bei Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung zur Vermeidung von Gesundheitsschäden der Arbeitnehmer oder zur Vermeidung einer Selbstausbeutung dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zusprechen.
Achim Braner
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