24.07.2019

Keine zwingende telefonische Erreichbarkeit für Onlinehändler (Urteilsbesprechung EuGH C-649/17 v. 10. Juli 2019)

Der Betreiber einer Online-Plattform ist nicht verpflichtet, dem Verbraucher ein bestimmtes Kommunikationsmittel (z.B. Telefonnummer) zur Kontaktaufnahme zur Verfügung zu stellen. Es muss jedoch ein Kommunikationsmittel bereitstehen, über das schnell und effizient mit dem Betreiber kommuniziert werden kann.

Hintergrund

Auf den Punkt

Der Betreiber einer Online-Plattform ist nicht verpflichtet, dem Verbraucher ein bestimmtes Kommunikationsmittel (z.B. Telefonnummer) zur Kontaktaufnahme zur Verfügung zu stellen. Es muss jedoch ein Kommunikationsmittel bereitstehen, über das schnell und effizient mit dem Betreiber kommuniziert werden kann.

 

Hintergrund

Geklagt hatte der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. (Bundesverband) gegen den Plattformbetreiber Amazon EU S.à.r.l. (Amazon), welcher unterschiedliche Waren auf www.amazon.de anbietet. Amazon hat für die Kommunikation mit Verbrauchern unter anderem einen Rückrufservice eingerichtet. Hiergegen richtete sich der Bundesverband. Dieser wollte festgestellt wissen, dass Amazon gegen seine gesetzliche Verpflichtung verstoße, dem Verbraucher ein verständliches und zugängliches Mittel zur Kontaktaufnahme bereitzustellen. Der Verbraucher müsse für den Rückrufservice von Amazon erst eine Vielzahl von Schritten durchlaufen (u. a. Klicks auf Unterwebseiten), um einen Ansprechpartner zu erreichen. Amazon verstoße damit gegen deutsches Recht. Denn nach Art. 246a § 1 Abs. 1 Nr. 2 EGBGB in Verbindung mit § 312d Abs. 1 BGB ist ein Unternehmer im Fernabsatzverkehr verpflichtet, dem Verbraucher seine Identität, beispielsweise seinen Handelsnamen sowie die Anschrift seiner Niederlassung, seine Telefonnummer und gegebenenfalls seine Telefaxnummer und E-Mail-Adresse […] anzugeben. Nach europäischen Recht gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83/EU ist der Unternehmer hingegen verpflichtet, die Anschrift des Ortes, an dem der Unternehmer niedergelassen ist, und gegebenenfalls seine Telefonnummer, Faxnummer und E‑Mail-Adresse […] anzugeben hat.

Im Unterschied zur Richtlinie wäre der Unternehmer nach deutschem Recht verpflichtet, vor Abschluss eines Vertrags mit einem Verbraucher im Fernabsatz oder außerhalb von Geschäftsräumen stets eine Telefonnummer anzugeben.

Vor diesem Hintergrund wollte der BGH von dem EuGH wissen, ob die Richtlinie über die Rechte der Verbraucher einer solchen nationalen Regelung entgegensteht und ob der Unternehmer verpflichtet ist, einen Telefon- oder Telefaxanschluss bzw. ein E-Mail-Konto neu einzurichten, damit die Verbraucher mit ihm in Kontakt treten können. Zugleich wollte der BGH wissen, ob ein Unternehmer auch auf andere Kommunikationsmittel zurückgreifen könne.
 

Die Entscheidung

Kernpunkt der Entscheidung des EuGH ist die Auslegung des Begriffs „gegebenenfalls“ in Art. 6 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2011/83. Der EuGH geht zunächst von zwei Interpretationsmöglichkeiten aus. Einerseits könnte diese Bestimmung so verstanden werden, dass sie den Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher über seine Telefonnummer und seine Telefaxnummer zu informieren, wenn der Unternehmer über solche Nummern verfügt. Andererseits könnte der Unternehmer hierzu nur verpflichtet sein, wenn er Telefon und Telefax auch ausdrücklich im Kontakt mit den Verbrauchern benutzt.

Welche Interpretation einschlägig ist, beurteilt der EuGH auf Grundlage des Sinn und Zwecks der Richtlinie. Danach ist ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen sicherzustellen. Es gelte auch die unternehmerische Freiheit des Unternehmers, wie sie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewährleistet wird, zu wahren.

Daher kommt der EuGH zu dem Schluss, dass die Richtlinie der deutschen Regelung entgegensteht und der Unternehmer nach der Richtlinie nicht verpflichtet ist, einen Telefonanschluss oder Telefaxanschluss bzw. ein E-Mail-Konto neu einzurichten. Die Richtlinie verpflichtet nur zur Übermittlung von Telefonnummern und E-Mail-Adressen, wenn der Unternehmer über diese Kommunikationsmittel mit den Verbrauchern bereits verfügt.

Darüber hinaus verpflichtet die Richtlinie einen Unternehmer aber auch dazu, den Verbrauchern ein Kommunikationsmittel zur Verfügung zu stellen, das eine direkte und effiziente Kommunikation gewährleistet, wobei der Unternehmer bezüglicher der Wahl des Mittels grundsätzlich frei ist. Die Einhaltung dieser Kriterien des Kommunikationsmittels, obliegt insoweit der Überprüfung durch die nationalen Gerichte. Der Gerichtshof hat lediglich angedeutet, dass der Umstand, dass eine Telefonnummer erst nach einer Reihe von Klicks erreichbar ist, nicht gegen eine klare und verständliche Weise im vorliegenden Fall spricht.
 

Unser Kommentar

Der EuGH stellt mit seiner Entscheidung einen angemessenen Ausgleich von Verbraucher- und Unternehmerbelangen her. Dabei eröffnet er den Unternehmen die Möglichkeit auch solche Kommunikationsmittel in ihre Unternehmensstruktur zu implementieren, welche nicht ausdrücklich in der Richtlinie verankert sind. Insbesondere dürften Chat- und Rückrufsysteme als mögliche Konzepte nunmehr als anerkannt gelten, sofern sie klar und leicht zugänglich sind. Ob dies auch für Chat-Bots gilt ist jedoch fraglich, da bei diesen Systemen wohl keine hinreichende Kommunikation mit dem Unternehmen(-smitarbeiter) gewährleistet ist.

Folglich sind Unternehmen gerade auf Grund des Urteils angehalten, weiterhin ein klares Konzept für die Kommunikation mit Verbrauchern zu entwickeln und bereitzustellen. Das Urteil entbindet nicht davon, bereits bestehende Kundenkommunikationsmittel, so auch per Telefon, weiterhin in klarer und verständlicher Weise auszuweisen. Insbesondere ist das Urteil keine „Einladung“ dazu, bereits bestehende Telefonanschlüsse aufzukündigen, da das Urteil nur auf neu einzurichtende Kommunikationsmittel Bezug nimmt.

 

 

Lutz Keller
Rechtsanwalt
Associate
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Essen
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