22.02.2021
Autoren: Shpetim Bajrami und Sebastian Wuschka, LL.M.
Am 3. Februar 2021 erklärte sich der Internationale Gerichtshof (IGH) im Hinblick auf eine Klage des Iran gegen die USA für zuständig. Der Rechtsstreit wirft viele interessante Fragen auf. Insbesondere wird sich der IGH in der nun anstehenden Verfahrensphase zum ersten Mal detailliert mit Wirtschaftssanktionen auseinandersetzen. Daraus könnten auch Implikationen für die Auslegung von gängigen investitionsschutzrechtlichen Konzepten – insbesondere dem Standard der billigen und gerechten Behandlung – folgen.
Die Wurzeln des Rechtsstreits liegen in den nuklearen Abrüstungsverpflichtungen des Iran aus dem Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT) von 1968. Über Jahrzehnte ist der Iran seinen Verpflichtungen, die von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) vorgesehenen Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten, nicht nachgekommen. In der Folge forderte der UN-Sicherheitsrat den Iran in diversen Resolutionen (siehe insbesondere Resolution 1737 (2006)) dazu auf, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um seinen nuklearbezogenen Pflichten gerecht zu werden. Im Jahr 2015 wurde zwischen den fünf Vetomächten, Deutschland und dem Iran mit Unterstützung der EU der „Joint Comprehensive Plan of Action“ (JCPOA) vereinbart. Dieser verpflichtet den Iran im Wesentlichen – unter Einhaltung eines gewissen Zeitrahmens – seine völkerrechtlichen Abrüstungspflichten umzusetzen. Im Gegenzug werden in mehreren Phasen die nuklearbezogenen wirtschaftlichen Sanktionen des UN-Sicherheitsrates, der EU und der USA gegen den Iran aufgehoben. Ob der JCPOA einen verbindlichen völkerrechtlichen Vertrag darstellt, ist umstritten. Seine rechtlichen, politischen und wirtschaftlichen Erfolgsaussichten sind hingegen weitreichend anerkannt. Auch kam der Iran seinen JCPOA-Verpflichtungen nach IAEA-Berichten nach. Gleichwohl zogen sich die USA unter Präsident Trump im Mai 2018 aus dem JCPOA zurück und belegten den Iran erneut mit Sanktionen. Diese sind Gegenstand des Verfahrens vor dem IGH.
Der rechtliche Anknüpfungspunkt für die Klage des Iran mag vor diesem Hintergrund überraschen: Obwohl das Verfahren (vordergründig) den Ausstieg der Trump-Administration aus dem JCPOA und die damit verbundenen Sanktionen betrifft, beruft sich der Iran – wie auch im beim IGH parallel anhängigen Certain Iranian Assets-Fall – auf den „Treaty of Amity, Economic Relations, and Consular Rights“ von 1955 (Treaty of Amity). Eine andere Möglichkeit, das Handeln der USA vor ein internationales Gericht zu bringen, blieb dem Iran schlicht nicht. Keiner der beiden Staaten hat sich der Gerichtsbarkeit des IGH – oder eines anderen Forums – generell unterworfen und auch der JCPOA enthält keine Streitbeilegungsklausel.
Erwartungsgemäß bestritten die USA die Zuständigkeit des IGH auf Grundlage des Treaty of Amity und rügten zudem die Klage auf der Zulässigkeitsebene als rechtmissbräuchlich. Erstens gehe es in der Sache um eine Streitigkeit bezüglich des JCPOA, nicht um die Auslegung oder Anwendung des Treaty of Amity, an die seine Streitbeilegungsklausel anknüpft. Zudem fielen die von Iran beanstandeten US-Sanktionen nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des Treaty of Amity, sondern beträfen in erster Linie den Handel und Transaktionen zwischen dem Iran und Drittländern oder deren Unternehmen und nicht das Verhältnis zwischen den USA und dem Iran selbst (sog. „Third Country Measures“). Dass der Iran über den Treaty of Amity versuche, die verhängten Sanktionen anzugreifen, ohne gleichzeitig seinen Verpflichtungen nach dem JCPOA nachzukommen, bildete sodann die Basis des Arguments hinsichtlich Rechtsmissbrauchs.
Der IGH wies mit seinem Urteil nun all diese Einwände – bezüglich seiner Zuständigkeit auch einstimmig – zurück. Hinsichtlich des ersten Zuständigkeitsarguments liege es in der Entscheidungsgewalt des Gerichts, den Streitgegenstand objektiv zu identifizieren, wobei es die Parteianträge – insbesondere des Klägers – zu berücksichtigen hat (so schon IGH, Fisheries Jurisdiction, ICJ Reports 1998, S. 447 ff.). Die Begründung des Gerichts ist recht schnörkellos: Nach der Streitbeilegungsklausel des Treaty of Amity fällt jeder Streit über die Anwendbarkeit und Auslegung des Vertrags in die Zuständigkeit des IGH. Da im vorliegend Fall gerade eine Streitpartei den Vertrag für einschlägig erachte und die andere nicht, sei die Zuständigkeitsvoraussetzung grundsätzlich erfüllt. Dass der Rechtsstreit in einem anderen, aktuellen (politischen) Kontext auftrete, ändere daran nichts.
In Bezug auf das zweite Argument differenzierten die USA im Hinblick auf die Rechtsfolgen der in Rede stehenden Sanktionsmaßnahmen. Deren überwiegende Mehrheit beträfe den Handel oder die Transaktionen des Iran (bzw. seiner Unternehmen und Staatsangehörigen) mit dritten Staaten (oder deren Unternehmen und Staatsangehörigen). Insbesondere die erneute Aufnahme bestimmter Personen in die „Specially Designated Nationals and Blocked Persons List" (SDN-Liste) des US-Finanzministeriums habe letztlich vor allem für Unternehmen aus Drittstaaten (die auch in den USA tätig sind) das Verbot von Handlungsbeziehungen mit gelisteten Personen zur Folge, tangiere aber gerade nicht das iranisch-amerikanische Rechtsverhältnis. Der IGH erkannte zwar an, dass nicht alle Sanktionen unmittelbar den iranischen Staat adressieren. Gleichwohl zielten alle Maßnahmen darauf ab, die iranische Wirtschaft zu schwächen. Im Ergebnis, so der IGH, berühre der zweite Einwand der USA folglich die Reichweite der gerügten, materiellen Verpflichtungen aus dem Treaty of Amity. Eine Entscheidung darüber könne deshalb nur zusammen mit der Frage der Begründetheit der Ansprüche getroffen werden. Diese Herangehensweise wurde von IGH-Richter Tomka kritisiert.
Auch das Argument des Rechtsmissbrauchs blieb erfolglos. Lediglich der von den USA benannte ad hoc-Richter stimmte hier in ihrem Sinne. Die Mehrheit des Gerichtshofs sah die an einen solchen Vortrag zu stellenden hohen Anforderungen nicht als gegeben an. Insbesondere sei nicht ersichtlich, inwieweit sich der Iran aus einer Klage auf Basis des Treaty of Amity – selbst wenn sie auch den JCPOA betreffe – illegitime Vorteile verschaffen könne.
Die ökonomischen und rechtlichen Folgen des Rechtsstreits sind bedeutend. In Folge des US-Ausstiegs aus dem JCPOA sind mehr als 400 iranische Privatpersonen und Unternehmen neu oder wieder auf die SDN-Liste aufgenommen worden. Als Konsequenz der Sanktionen und ihrer indirekten Wirkung für Drittstaatsan- bzw. -zugehörige haben europäische Unternehmen, aber auch Unternehmen aus Russland, China und dem weiteren asiatischen Raum den Wirtschaftsverkehr mit dem Iran eingestellt, um ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in den USA nicht zu gefährden. Dabei betreffen die im IGH-Verfahren gegenständlichen, durch Executive Order 13846 erlassenen bzw. wiedereingesetzten Wirtschaftssanktionen vor allem den Öl-, Gas- und Energiesektor sowie die maritime Wirtschaft.
Der IGH muss sich nun unter anderem mit der Frage befassen, ob diese Wirtschaftssanktionen, wie vom Iran vorgetragen, den Standard der billigen und gerechten Behandlung des Treaty of Amity verletzen. Die Entscheidung des IGH könnte somit auch von Bedeutung für die Beteiligten an Investitionsschiedsverfahren sein, in denen dieser Standard der derzeit am häufigsten angeführte ist.
In der Sache begehrt der Iran vor dem IGH, die USA zu verpflichten, die streitgegenständlichen Sanktionen aufzuheben und Schadensersatz für die Folgen der völkerrechtlichen Pflichtverletzung zu leisten. Bereits im Oktober 2018 hatte der IGH die USA im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes dazu verpflichtet, eine gewisse Anzahl der Sanktionen zurückzunehmen. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache bleiben aber vorerst ungewiss. Der IGH könnte weiterhin noch entscheiden, dass die „Third Country Measures“ – zumindest teilweise – nicht in den Regelungsbereich des Treaty of Amity fallen. Abseits davon ist durch den neuen US-Präsidenten Biden ein Wiedereintritt in den JCPOA angekündigt und damit ggfs. eine außergerichtliche Beilegung des Streits sowie ein investitionsfreundlicheres Klima im Iran wieder in Reichweite. Es zeigt sich an diesem Fall aber auch, dass sich die USA einer internationalen Überprüfung der Konsequenzen der Außenpolitik unter Präsident Trump, die sich vor allem prominent im Widerspruch zu modernen völkerrechtlichen Grundwerten der Zusammenarbeit positionierte, nicht in jeglicher Hinsicht entziehen können.
Sebastian Wuschka LL.M. (Geneva MIDS)
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