21.11.2019

Klimawandel – Einzug in die deutsche Zivilrechtsprechung

Am 30. November 2017 legte das OLG Hamm in einem Beschluss den ersten Grundstein in der deutschen Rechtsprechung für eine mögliche zivilrechtliche Haftung von Großunternehmen für Klimaschäden. „Dürfen wir die Menschen, die von den Folgen des Klimawandels betroffen sind, damit alleine lassen, wenn wir die Emissionen produzieren?“ fragte der 5. Zivilsenat des OLG Hamm. Die nicht unumstrittene These eines anthropogen verursachten Klimawandels hat viele Facetten. Eine davon ist die Frage der möglichen Entschädigung für behauptete Klimaschäden: Wie ist haftungsrechtlich umzugehen mit einem Wirkungskomplex, bei dem die Verbrennung von Braunkohle in Europa schwerwiegende Folgen für Menschen auf der anderen Seite der Erdkugel zur Folge haben soll? Zunehmend sind es nun die Gerichte, die im Wege von „Klimaklagen“ dazu angehalten werden, eine Antwort auf diese Frage zu geben.

Hintergrund

I.  Hintergrund

Im Jahr 1941 brach ein Moränendamm, der den oberhalb der Andenstadt Huaraz gelegenen Palcacocha-See staute, und eine Flutwelle ergoss sich in Form einer Schlammlawine ins Tal. Bei der Katastrophe kamen über 5.000 Menschen ums Leben. Über 70 Jahre nach dem Unglück reichte ein peruanischer Landwirt mithilfe der deutschen Umweltorganisation Germanwatch beim Landgericht Essen Klage gegen das deutsche Energieversorgungsunternehmen RWE AG ein. Der Kläger ist Miteigentümer eines Hausgrundstücks in Huaraz und verlangt die teilweise Kostenübernahme für Schutzmaßnahmen zugunsten seines Grundstücks. Er behauptet, dass der Wasserpegel des Palcacocha-Sees einen bedrohlichen Stand erreicht habe und die Gefahr einer neuerlichen Überflutung bestehe. Der Kläger begründet die Forderung gegen die RWE AG damit, dass das Unternehmen als Konzernmutter für 0,47 % der Treibhausgase seit 1898 verantwortlich sei. Dadurch habe die RWE AG zur Erderwärmung beigetragen, welche wiederrum dazu führe, dass Gletscher abschmelzen und der Wasserspiegel des Sees erhöht werde. Bisher getroffene Schutzmaßnahmen würden eine mögliche erneute Flutwelle nicht ausreichend abwehren, sondern die Wassermengen würden ungebremst ins Tal rauschen.

Nach der Darstellung von Klaus Milke, Ehrenvorsitzender von Germanwatch und wichtiger Unterstützer des Klägers, habe man dem Kläger die RWE AG als einer der größten Emittenten der Welt gezielt für eine „Musterklage“ vorgeschlagen. Man will durch diesen Präzedenzfall auf die internationale Klimaverhandlungen Einfluss nehmen.

Der konkrete Streitwert beträgt dabei lediglich 17.000 Euro. Doch sofern der Landwirt mit seiner Klage Erfolg haben sollte, könnte womöglich auch den anderen 120.000 Einwohnern von Huaraz Schadensersatz zustehen – und das nicht nur von der RWE AG, sondern ebenso von anderen vergleichbaren Großemittenten in Deutschland. Die Brisanz des Verfahrens liegt somit auf der Hand.

 

II.  Entwicklung

In erster Instanz war dem Kläger erwartungsgemäß aber kein Erfolg beschieden. Das Landgericht Essen wies die Klage mit Urteil[1] von 2016 ab. Es begründete dies damit, dass Emissionen eines einzelnen großen Treibhausgasemittenten nicht für allgemein verursachte Vorgänge wie den Klimawandel und individuelle Folgen verantwortlich gemacht werden können.

Das in der Berufungsinstanz vom Kläger angerufene Oberlandesgericht Hamm jedoch vertritt nach vorläufiger Betrachtung eine andere Ansicht als das Landgericht. In einem Hinweis- und Beweisbeschluss teilt das Oberlandesgericht mit, dass es der gesetzlichen Systematik der § 14 Satz 2 BImSchG und § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB entspreche, dass auch derjenige, der rechtmäßig handelt, für die von ihm verursachten Eigentumsbeeinträchtigungen haften muss. Dieser Rechtsgedanke sei auch im Rahmen von §§ 1004, 1011 BGB anwendbar. Dies stehe auch nicht im Widerspruch zur sonstigen insbesondere öffentlich-rechtlichen Rechtsordnung, denn dem Kläger gehe es weder um eine Einschränkung der Tätigkeit der Beklagten, noch um eine Stilllegung eines Kraftwerkes.

Zu mehreren Gesichtspunkten soll daher durch klimawissenschaftliche Sachverständigengutachten Beweis erhoben werden. Ist das unterhalb der Gletscherlagune liegende Wohnhaus des Klägers durch eine Überflutung und/oder einer Schlammlawine ernsthaft infolge der erheblichen Zunahme der Ausbreitung und des Wasservolumens der Lagune bedroht? Sollte dies positiv beantwortet werden, stellt sich die Frage, inwieweit der Klimawandel und die von der RWE AG und ihren Tochtergesellschaften freigesetzten CO2-Emissionen zu dieser Beeinträchtigung beigetragen haben.

Das OLG Hamm hat die Auswahl der Gutachter für die Beweisaufnahme selbst vorgenommen. Zwar ist es grundsätzlich die Aufgabe der Parteien, sich auf Gutachter zu einigen – dies ist jedoch gescheitert. 2019 stellte das OLG Hamm ein Ersuchen an den Staat Peru, die Örtlichkeiten in Huaraz in Augenschein nehmen zu dürfen. Dass das Gericht damit selbst infolge der notwendigen Flüge zur Freisetzung von Kohlendioxid und damit nach seiner eigenen Logik zur vermeintlichen Schädigung der Rechtsgüter des Klägers beitragen würde, ist nur eine Randfacette dies bemerkenswerten Rechtsstreits.

 

III. Mögliche Konsequenzen und Ausblick

Wie das OLG Hamm nach der Beweisführung entscheiden wird, ist offen. Ein Schadensersatzanspruch erscheint aus heutiger Sicht ausgehend von den erteilten richterlichen Hinweisen nicht ausgeschlossen, doch bleibt fraglich, ob die Voraussetzungen hierfür tatsächlich vorliegen.

Schwierigkeiten bereitet insbesondere der Nachweis der Verletzungskausalität: Schon der RWE AG einen mess- und berechenbaren Anteil von 0,47 % der Treibhausgasemissionen seit 1898 zuzuschreiben, erweist sich als problematisch. Selbst wenn sich dieser Wert als korrekt herausstellen würde, steht nicht automatisch fest, dass die RWE AG auch mit diesem Anteil für einen etwaigen konkreten Schaden verantwortlich wäre. Viele Klimaforscher meinen, jede Emission von Treibhausgasen wirke sich auf das Klima aus. Jeder Mensch ist aber letztlich ein Emittent etwa von Kohlendioxid. Bei solchen so genannten summierten Immissionen können meist einzelne Schäden nicht individuell einem Emittenten zugeordnet werden. Nach den Grundsätzen der kumulativen Kausalität darf aber kein Verursachungsbeitrag eines Emittenten hinweggedacht werden, ohne dass der Schaden, hier die Flutgefahr des Gletschersees, entfiele. Es dürfte eher abwegig sein, davon auszugehen, dass die Emissionen des Kraftwerksbetreibers RWE derart wesentlich sind, als dass die von vielen Wissenschaftlern behauptete Erderwärmung und die damit vermeintlich einhergehende Flutgefahr in Peru bei Wegdenken seiner Emissionen nicht bestehen würde.

Zudem ist dem deutschen Recht eine Ewigkeitshaftung wesensfremd, die es hier erlauben würde, bei der RWE AG für Emissionen von 120 Jahren Rückgriff zu nehmen. Zu der Frage der Verjährung wandte das OLG Hamm jedoch bereits ein, dass die RWE AG trotz ihrer emittierenden Betriebe es stets unterlasse und unterlassen habe, notwenige Vorkehrungen zu treffen, die eine Flutgefahr in Peru zumindest reduzieren. Deshalb könne gegen eine Verjährungsproblematik sprechen, dass die Beeinträchtigung ohne Durchführung von Schutzmaßnahmen dauernd aufrechterhalten wird.

Sollte der Kläger letztinstanzlich Recht behalten, wird Handlungsbedarf für den Gesetzgeber entstehen. Auf lange Sicht erscheint es nicht zielführend, die Durchsetzung von Klimaschutz in die Hände von Privaten zu legen, die gegen große Unternehmen vor Gericht ziehen. Das Übereinkommen von Paris (2015) formuliert allgemeine Vorgaben für die Bewältigung des Klimawandels. Auch das Kooperationsprinzip – der wichtigste Grundsatz des Umweltrechts – verlangt bei der Bewältigung von Umweltproblemen die Zusammenarbeit von Staat und Gesellschaft. Die internationalen Ansätze müssen jedoch von den Vertragsstaaten weiterentwickelt und konkretisiert werden, sodass sie sich in Maßnahmen niederschlagen, die über das Wirken Einzelner hinausgehen. Es besteht zudem Einigkeit, dass ein etwaiger Klimawandel nicht auf das Handeln einzelner Emittenten von CO2 zurückzuführen ist. Ob dies nach deutschem Recht jedoch für Großemittenten dazu führt, dass sie wegen wechselbezüglicher Verweisung auf Mitemittenten von einer Haftung ausgenommen sind, bleibt bis auf Weiteres offen.

Autor/in
Dr. Stefan Altenschmidt, LL.M. (Nottingham)

Dr. Stefan Altenschmidt, LL.M. (Nottingham)
Partner
Düsseldorf
stefan.altenschmidt@luther-lawfirm.com
+49 211 5660 18737

Erik von Kügelgen, M. Iur.

Erik von Kügelgen, M. Iur.
Senior Associate
Köln
erik.von.kuegelgen@luther-lawfirm.com
+49 221 9937 22732