23.05.2017
23.05.2017
Nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen richtet sich der Blick auf die Bundestagswahlen im September diesen Jahres. Politisch scheint dabei Merkel-Herausforderer Martin Schulz von der SPD derzeit ins Hintertreffen geraten zu sein. Der eine oder andere politische Beobachter munkelt aber, Schulz habe noch eine Option in der Tasche, um CDU/CSU politisch in die Defensive zu drängen: Den Sturz der Kanzlerin durch eine Auflösung der großen Koalition und die eigene Wahl zum Bundeskanzler noch vor der parlamentarischen Sommerpause. Rein zahlenmäßig ist ein derartiges Szenario denkbar: Zusammen verfügen SPD, Grüne und Linke über eine Mehrheit von 320 der 630 Bundestagssitze. Ist es aber auch verfassungsrechtlich möglich, immerhin ist Martin Schulz derzeit noch kein Bundestagsmitglied?
Sturz der Bundeskanzlerin durch konstruktives Misstrauensvotum
Nach Art. 67 Abs. 1 Grundgesetz kann die Bundeskanzlerin jederzeit durch ein konstruktives Misstrauensvotum gestürzt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass der Bundestag mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, die Bundeskanzlerin zu entlassen.
Wählbarkeitsvoraussetzungen
Das Grundgesetz und auch das sonstige Bundesrecht schweigen dabei aber zu den Wählbarkeitsvoraussetzungen des (neuen) Bundeskanzlers. Der Bundeskanzler muss demnach kein Mitglied des Bundestages sein. Voraussetzung ist nach dem Grundgesetz lediglich, dass der Kanzlerkandidat die für das passive Wahlrecht eines Abgeordneten im Bundestag geltenden Anforderungen erfüllt. Bundeskanzler kann danach werden, wer mindestens 18 Jahre alt ist und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. So war Georg Kiesinger (1966 bis 1969) Bundeskanzler, ohne gleichzeitig auch dem Deutschen Bundestag anzugehören. Nach der Verfassungstradition des Bundes ist die gleichzeitige Zugehörigkeit des Regierungschefs zum Parlament aber der Regelfall.
Damit unterscheidet sich die verfassungsrechtliche Lage auf Bundesebene deutlich von derjenigen, die kürzlich vor dem Hintergrund der nordrhein-westfälischen Landtagswahlen die Pressemeldungen füllte. Denn in Nordrhein-Westfalen schreibt die Landesverfassung nach ihrem Art. 52 Abs. 1 vor, dass der Landtag den Ministerpräsidenten „aus seiner Mitte“ wählt. In der Wahlnacht sah es dabei für einige Stunden so aus, als werde CDU-Spitzenkandidat Armin Laschet nicht direkt in den Landtag einziehen. Seine Wählbarkeit zum Ministerpräsidenten hätte dann nur durch den Rückzug eines anderen erfolgreichen CDU-Wahlkreiskandidaten hergestellt werden können.
Fehlende Parlamentszugehörigkeit kein Hindernis für die Wahl zum Bundeskanzler
Martin Schulz könnte daher aus verfassungsrechtlicher Sicht im Rahmen eines konstruktiven Misstrauensvotums auch ohne Parlamentsmandat zum Bundeskanzler gewählt werden. Genug Raum somit für politische Gedankenspiele in einem spannenden Wahljahr.
Dr. Stefan Altenschmidt, LL.M. (Nottingham) |
Dr. Adina Sitzer
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