29.09.2020
Als Ursula von der Leyen am 16. September 2020 vor der Europäischen Kommission ihre erste große Rede zur Lage der Union hielt, stand nicht nur die Corona-Krise im Mittelpunkt. Von der Leyen setzte auch einen Schwerpunkt beim Klimaschutz und bei der Bekämpfung der Erderwärmung. Die Kommissionspräsidentin bekräftigte das Ziel, im Jahr 2050 die Treibhausgasneutralität in Europa erreichen zu wollen. Das Zwischenziel für das Jahr 2030 verschärfte von der Leyen sogar. Um mindestens 55 Prozent in Vergleich zum Jahr 1990 solle der Treibhausgasausstoß in den nächsten zehn Jahren gesenkt werden, anstelle der bisher vorgesehenen 40 Prozent.
Dabei hob die Kommissionspräsidentin die Bedeutung des Europäischen „Green Deals“ besonders hervor. "Der Europäische 'Green Deal' ist unsere Blaupause für den Übergang. Der Kern ist, dass wir bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent werden. Da müssen wir schneller und besser werden.", erklärte von der Leyen. Es handelt sich bei dem Deal um einen Fahrplan für eine nachhaltige EU-Wirtschaft, der im Dezember 2019 von der Europäischen Kommission verabschiedet wurde. Der „Green Deal“ umfasst auch einen Aktionsplan und eine Vielzahl an Maßnahmen, die zum Erreichen der europäischen Klimaziele beitragen sollen.
Ein Instrument, das der „Green Deal“ vorsieht, ist die Einführung eines CO2-Grenzausgleichssystems. Von der Leyen bekräftigte in ihrer Rede, diese geplante CO2-Grenzsteuer nun zeitnah ausarbeiten und in der Europäischen Union einführen zu wollen.
„Die EU wird nicht akzeptieren, dass Waren, die nicht den Umweltstandards entsprechen, auf unfaire Weise mit europäischen Produkten konkurrieren und gleichzeitig unseren Planeten schädigen,“ erklärte EU-Ratspräsident Charles Michel am 8. September 2020 auf dem Brüsseler Wirtschaftsforum und fasste damit bereits den Grundgedanken der CO2-Grenzsteuer ganz gut zusammen.
Waren, die außerhalb der Europäischen Union hergestellt werden, müssen nicht die strengen europäischen Umweltstandards einhalten. Dadurch droht das sogenannte „Carbon Leakage“. Dieser Begriff bezeichnet die Verlegung von Produktionsstätten in Länder außerhalb der Europäischen Union mit weniger strengen Emissionsreduktionszielen. Ebenso entsteht die Gefahr, dass EU-Erzeugnisse durch eingeführte CO2-intensivere Erzeugnisse ersetzt werden, da diese in der Herstellung günstiger sind und deshalb zu geringeren Kosten angeboten werden können. Diese Effekte möchte die Europäische Union verhindern.
Das CO2-Grenzausgleichssystem soll genau an dieser Stelle ansetzen. Der Preis von eingeführten Waren soll den CO2-Gehalt des Produkts widerspiegeln. Somit entsteht letztlich auch ein Preis auf CO2-Emissionen, die außerhalb der Europäischen Union entstehen, aber der Produktion von Waren entstammen, die auf dem europäischen Markt verkauft werden. Die geplante CO2-Grenzsteuer verfolgt damit gleich zwei Ziele: einerseits soll die Steuer dem Klimaschutz dienen, andererseits aber auch einen handelspolitischen Schutz bezwecken.
Wie das CO2-Grenzausgleichssystem konkret ausgestaltet werden soll, wird noch diskutiert. Zur Diskussion stehen vier verschiedene Optionen.
1. CO2-Grenzsteuer
Eine Möglichkeit ist die Erhebung einer Steuer an der EU-Grenze auf die Einfuhr von Produkten, die in Sektoren mit einem erhöhten Risiko der Verlagerung von CO2-Emissionen hergestellt werden. Hierbei könnte es sich um eine Grenzsteuer oder einen Zoll auf bestimmte CO2-intensive Produkte handeln.
2. Ausdehnung des EU-Emissionshandelssystems
Eine weitere Option ist die Ausdehnung des EU-Emissionshandelssystems auf Einfuhren. Diese Lösung erfordert den Kauf von Emissionszertifikaten im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems durch ausländische Hersteller oder Einführer.
3. Emissionszertifikate außerhalb des Europäischen Emissionshandels
Zudem könnte auch die Verpflichtung eingeführt werden, Zertifikate von einem spezifischen, für Einfuhren geltenden Pool außerhalb des europäischen Emissionshandelssystems zu erwerben, in dem sich der Emissionshandelssystem-Preis widerspiegeln würde.
4. CO2-Steuer auf Verbraucherebene
Schließlich wird die Option diskutiert, eine CO2-Steuer (z. B. Verbrauchssteuer oder eine Art Mehrwertsteuer) auf Verbraucherebene auf bestimmte Produkte mit Herstellung in Sektoren, die dem Risiko einer Verlagerung von CO2-Emissionen unterliegen, zu erheben. Im Rahmen dieser Option wäre die Steuer auf die Produktion in der EU und Einfuhren anwendbar.
Die Europäische Kommission hat eine öffentliche Konsultation eingeleitet. Noch bis zum 28. Oktober 2020 können Interessierte ihre Ansicht zu der geplanten CO2-Grenzsteuer darlegen und sich für eine der dargestellten Optionen aussprechen.
Dazu stehen auf der Seite der Kommission Fragebögen bereit. Die Konsultation richtet sich ausdrücklich an nationale und nachgeordnete Verwaltungen in der EU und in der übrigen Welt, Unternehmen, Wirtschaftsverbände, Nichtregierungsorganisationen, Bürgerinnen und Bürger, Arbeitnehmerverbände und Gewerkschaften, Beratungsfirmen, Denkfabriken sowie Forschungs- und Hochschuleinrichtungen.
Im zweiten Quartal 2021 will die Kommission auf Grundlage der eingeholten Konsultationen den Entwurf einer Richtlinie zur CO2-Grenzsteuer vorlegen.
Dr. Gernot-Rüdiger Engel: „Das CO2-Grenzausgleichssystem wird kommen – in welcher Form ist jedoch noch vollkommen offen. Betroffene Unternehmen sollten die Chance nutzen, sich am Konsultationsverfahren zu beteiligen und der Kommission ihre Sichtweise darzulegen.“
Dr. Gernot-Rüdiger Engel
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