21.10.2021

Kommunikation und Neutralitätspflicht des Arbeitgebers bei Betriebsratswahlen

Die Betriebsratswahl ist Aufgabe der Belegschaft und nicht des Arbeitgebers – dieser Grundsatz ist nicht nur Faustregel, sondern im Betriebsverfassungsrecht auch gesetzliches Gebot. Eine rechtswidrige Einmischung des Arbeitgebers kann weitreichende Folgen haben, weshalb Arbeitgeber gut beraten sind, bestimmte Verhaltensregeln einzuhalten.

Hintergrund

Die Organisation und Durchführung von Betriebsratswahlen obliegt den Beschäftigten. Im Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) ebenso wie in der Wahlordnung (WO) finden sich nur sehr vereinzelt Regelungen zur Beteiligung des Arbeitgebers im Rahmen der Betriebsratswahlen. § 2 Abs. 2 WO etwa regelt bestimmte Auskunftspflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Wahlvorstand für die Anfertigung der Wählerliste; § 20 Abs. 3 Satz 1 BetrVG statuiert die Kostentragungspflicht des Arbeitgebers. Kurz: Der Arbeitgeber wird nur dort eingebunden, wo seine Mitwirkung unabdingbar ist.

Behinderungs- und Einmischungsverbot

Allerdings finden sich im BetrVG eine Reihe von Ge- und Verboten gerichtet an den Arbeitgeber. Die Wahl des Betriebsrats darf nicht behindert werden (§ 20 Abs. 1 BetrVG), insbesondere darf kein Arbeitnehmer in der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts beschränkt werden. Dieses Verbot schützt die äußere Wahlhandlung, also die Kandidatur, das Aufstellen der Wahlvorschläge, das Sammeln von Stützunterschriften, das Werben und die Stimmabgabe. Weiter darf die Wahl des Betriebsrats nicht beeinflusst werden (§ 20 Abs. 2 BetrVG). Die Betriebsratswahl soll also nicht durch Manipulationen bei der der Wahlhandlung vorgelagerten Willensbildung des Wählers beeinflusst werden.

Obwohl beide Regelungen so formuliert sind, dass sie sich an jede beliebige Person oder Stelle – Vorgesetzte, Wahlbewerber, Gewerkschaftsvertreter – richten, betreffen die Verbote tatsächlich vor allem das Verhalten und die Kommunikation des Arbeitgebers.

Neutralitätspflicht

Neben diesen ausdrücklichen Verboten gehen Rechtsprechung und Literatur – unabhängig von deren Herleitung – übereinstimmend von einer grundsätzlichen Neutralitätspflicht des Arbeitgebers aus. Diese Neutralitätspflicht soll eine Chancengleichheit für alle an der Wahl teilnehmenden Kandidaten schaffen. Allerdings unterliegt der Arbeitgeber keinem strikten Neutralitätsgebot im Zusammenhang mit Betriebsratswahlen. Untersagt ist nicht jede Handlung oder Äußerung, die geeignet sein könnte, die Wahl zu beeinflussen. Die Beeinflussung muss vielmehr durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen erfolgen (BAG, Beschluss vom 25. Oktober 2017 – 7 ABR 10/16, 458 ff.). Der Arbeitgeber fungiert als eine Art „Schiedsrichter“ bei der Betriebsratswahl; er hat diese zu überwachen; er darf einer bestimmten Gruppe von Kandidaten keine Vorteile gewähren oder sie einer anderen versagen, und er darf auch ansonsten keine Ungleichbehandlung vornehmen. Das Neutralitätsgebot soll der Integrität der Wahl dienen und verhindern, dass der Arbeitgeber die Wahl gerade der Gremien beeinflusst, die ihn (später) kontrollieren sollen.

Es ist aber nicht absolut, das Grundrecht der Meinungsfreiheit gilt selbstverständlich auch für den Arbeitgeber. Die Grenzen, wie weit der Arbeitgeber gehen darf, sind fließend. Klar ist, dass Äußerungen, die (konkludente) Androhung von konkreten Nachteilen oder das Versprechen von konkreten Vorteilen enthalten, unzulässig sind. Verboten sind selbstverständlich auch allgemein strafbare Handlungen – also Beleidigungen u. ä. Nicht unter die Meinungsfreiheit fallen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und Schmähkritik, sodass der Arbeitgeber sich dieser ebenfalls enthalten sollte. Die Neutralitätspflicht greift schon vor den Verboten aktiver Handlungen ein. Die Pflicht kann bereits durch ein Untätigsein des Arbeitgebers verletzt werden. Die Unterscheidung ist vor allem für potenzielle Sanktionen bzw. Rechtsfolgen entscheidend: Während Verstöße gegen § 20 Abs. 1 und 2 BetrVG strafrechtlich durch § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG abgesichert sind, führt eine Verletzung des Neutralitätsgebots „allenfalls“ zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl, wenn diese auch unter § 20 BetrVG oder andere wesentliche Wahlvorschriften
iSd § 19 Abs. 1 BetrVG fällt.

Fallgruppen

Eine unzulässige Wahlbehinderung liegt vor, wenn die Einleitung oder Durchführung der Wahl erschwert oder unmöglich gemacht wird. Dabei muss die Wahl nicht verhindert werden, es genügt bereits ihre mehr als nur unerhebliche Störung oder Erschwerung. Ein unzulässiges Verhalten des Arbeitgebers liegt bspw. vor, wenn dieser Arbeitnehmer anweist, nicht zur Wahl zu gehen oder nicht zu kandidieren, Wahlplakate abnimmt oder Abmahnungen wegen einer Wahlwerbung ausspricht. Weitere Beispiele sind die Weigerung, die erforderlichen Unterlagen zur Erstellung der Wählerliste zu überlassen, Mitglieder des Wahlvorstands von der Arbeitsleistung zu befreien oder Arbeitnehmern absichtlich Aufträge zu erteilen, um sie von der Wahlausübung abzuhalten.

Keine Wahlbehinderung liegt hingegen vor, wenn sich der Arbeitgeber weigert, einen Wahlkandidaten zur Sammlung von Unterschriften für seinen Wahlvorschlag freizustellen oder, wenn er einen leitenden Angestellten unverbindlich auf seinen Status als leitender Angestellter hinweist, ohne ein bestimmtes Verhalten von diesem zu erwarten.

Fälle einer unzulässigen Einmischung liegen nach der Rechtsprechung vor, wenn der Arbeitgeber etwa einer Gruppe von Kandidaten bei der Herstellung einer Wahlzeitung die Hilfe seiner PR-Abteilung anbietet oder ein leitender Angestellter auf Geheiß des Arbeitgebers für einen Kandidaten im Betrieb Stützunterschriften sammelt. Einmischungshandlungen des Arbeitgebers in die Betriebsratswahl liegen bspw. ebenso vor, wenn der Arbeitgeber für ein bestimmtes Verhalten in Bezug auf die Wahl eine Beförderung oder ihre Versagung zusagt, den Entzug von freiwillig gewährten Leistungen ankündigt oder androht, den Arbeitnehmer auf einen schlechteren Arbeitsplatz zu versetzen. Hingegen ist der Hinweis auf die Bedeutung der Wahl zulässig, da der Arbeitgeber für die Wahl und nicht für den zu Wählenden wirbt.

Ebenso unzulässig ist es nicht nur, einem Mitarbeiter individuell Nachteile im Fall einer Kandidatur in Aussicht zu stellen, sondern auch Nachteile allgemeiner Natur, wie zum Beispiel, dass beim Sieg einer bestimmten Liste Kündigungen oder eine Betriebsschließung zu erwarten sind, anzukündigen. Allerdings muss die Drohung über eine Warnung hinausgehen, also künftige Übel in Aussicht stellen, auf deren Eintritt der Arbeitgeber tatsächlich selbst Einfluss hat oder zumindest vorgibt zu haben.

Folgen für die Praxis

Arbeitgebern ist dringend zu raten, besonders vorsichtig bei der Gewährung von Sonderleistungen zu sein. Es sollte Sorge dafür getragen werden, dass sämtliche Pflichten nach der WO rechtzeitig und vollumfänglich erfüllt werden. Von Aussagen zu Kandidaten oder Leistungen sollten Geschäftsführer und leitende Angestellte gänzlich absehen bzw. sehr sorgfältig unterscheiden, ob es sich um die rechtmäßige Äußerung einer Meinung handelt.

Autor/in
Katharina Müller, LL.M. oec.

Katharina Müller, LL.M. oec.
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