08.06.2020
Zum ersten Mal seit der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/2009 sehen sich zahlreiche Arbeitgeber in großem Umfang mit Kurzarbeit konfrontiert. Wie damals auch, stellt sich Arbeitgebern die Frage, was zu tun ist, wenn die Krise anhält und aus einem vorübergehendem Arbeitsmangel ein dauerhafter Zustand wird. Das Thema betriebsbedingte Kündigungen rückt dann schnell in greifbare Nähe. Doch lassen sich während der Kurzarbeit überhaupt betriebsbedingte Kündigungen erklären? In diesem Beitrag soll daher das Verhältnis von Kurzarbeit und betriebsbedingter Kündigung näher beleuchtet werden.
Der Arbeitgeber kann grundsätzlich trotz Kurzarbeit betriebsbedingte Kündigungen aussprechen, sofern dringende betriebliche Erfordernisse vorliegen, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen. Dabei muss beachtet werden, dass ein nur vorübergehender Arbeitsmangel – wie ihn die Kurzarbeit gerade voraussetzt – nicht ausreicht, um eine betriebsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen. Nach der Rechtsprechung des BAG dient der Umstand, dass im Betrieb Kurzarbeit geleistet wird, sogar als Indiz dafür, dass der Beschäftigungsbedarf nicht dauerhaft gesunken, sondern nur vorübergehend ist. Dennoch kann trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung vorliegen, wenn der Beschäftigungsbedarf für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer auf Grund weiterer, später eingetretener Umstände dauerhaft entfällt. Die Indizwirkung der Kurzarbeit kann somit vom Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräftet werden.
Dabei muss der Arbeitgeber jedoch erst alle Möglichkeiten zur Reduzierung der geschuldeten Arbeitszeit, die ihm die Regelungen zur Kurzarbeit bieten, in vollem Umfang ausgeschöpft haben. Nur wenn dann noch ein Beschäftigungsüberhang besteht, kann eine betriebsbedingte Kündigung gerechtfertigt sein.
Der Arbeitgeber muss im Kündigungsschutzprozess darlegen und beweisen, warum entgegen der Indizwirkung der Kurzarbeit nun doch von einem dauerhaftem Arbeitsausfall einzelner von der Kurzarbeit betroffener Arbeitnehmer auszugehen ist. Die Kündigung kann also nicht aus denselben Gründen gerechtfertigt werden, wie sie für die Einführung der Kurzarbeit angeführt wurden.
Nach der Rechtsprechung des BAG muss der Arbeitgeber die Tatsachen näher darlegen, aus denen sich ergibt, dass zukünftig auf Dauer mit einem reduzierten Arbeitsvolumen und Beschäftigungsbedarf zu rechnen ist. Dabei reicht beispielsweise ein bloßer Hinweis auf auslaufende Aufträge und das Fehlen von Anschlussaufträgen in der Regel nicht aus. Der Arbeitgeber muss anhand seiner Auftrags- und Personalplanung im Einzelnen darlegen, warum nicht nur eine kurzfristige Auftragsschwankung vorliegt, sondern ein dauerhafter Auftragsrückgang zu erwarten ist. Das Vorliegen von möglicherweise nur kurzfristigen Produktions- oder Auftragsschwankungen muss ausgeschlossen sein. Der Arbeitgeber muss den dauerhaften Rückgang des Arbeitsvolumens nachvollziehbar darstellen, indem er die einschlägigen Daten aus repräsentativen Referenzperioden miteinander vergleicht. Dieser erhöhten Darlegungslast muss der Inhalt und die Substanz des Sachvortrags Rechnung tragen. Der Arbeitgeber muss deshalb konkret erläutern, in welchem Umfang und auf Grund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss die Auswirkungen seiner unternehmerischen Vorgaben und Planungen auf das erwartete Arbeitsvolumen anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, wie die anfallenden Arbeiten vom verbliebenen Personal – im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit – erledigt werden können.
Ob die Einschätzung des Arbeitgebers über die Entwicklung des Arbeitskräftebedarfs arbeitsgerichtlich auf ihre inhaltliche Richtigkeit überprüft oder nur einer Willkürkontrolle unterzogen werden kann, hängt von der Natur der unternehmerischen Entscheidung ab, auf der diese Einschätzung beruht.
Basiert der Rückgang des Arbeitskräftebedarfs auf einer im Betrieb tatsächlich umgesetzten unternehmerischen Organisationsentscheidung, erfolgt die Entscheidung also aus innerbetrieblichen Gründen, kann das Gericht nur überprüfen, ob die Entscheidung offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Die unternehmerische Entscheidung kann in diesem Fall nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder Zweckmäßigkeit hin überprüft werden. Beruht der Personalabbau hingegen allein auf außerbetrieblichen Umständen (z.B. Auftragsrückgänge, Lieferengpässe, Absatzprobleme, Marktveränderungen) ohne dass der Arbeitgeber eine unternehmerische Organisationsentscheidung getroffen hat, kann das Gericht hingegen in vollem Umfang nachprüfen, ob die außerbetrieblichen Umstände für die Kündigung tatsächlich vorlagen und ob sie zu einem dauerhaften Rückgang des Beschäftigungsvolumens geführt haben.
Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Kurzarbeitergeld entfällt grundsätzlich mit dem Zugang der betriebsbedingten Kündigung ohne Rücksicht auf die Kündigungsfrist. Der Anspruch steht unter der Bedingung, dass der Arbeitnehmer die persönlichen Voraussetzungen des § 98 Abs. 1 SGB III erfüllt. Mit dem Zugang der Kündigung entfällt die Voraussetzung des § 98 Abs. 1 Nr. 2 SGB III, wonach das Arbeitsverhältnis nicht gekündigt oder durch Aufhebungsvertrag aufgelöst sein darf.
Vereinzelt wird unter Bezugnahme auf die Geschäftsanweisungen (GA) Kurzarbeitergeld der Bundesagentur für Arbeit vom Juli 2009 vertreten, dass bei Erhebung einer Kündigungsschutzklage für die Zeit nach dem Zugang der Kündigung weiterhin ein Anspruch auf die Gewährung von Kurzarbeitergeld bestehe, wenn noch offen sei, ob der Arbeitsplatz ggf. erhalten bleibt. Aus der aktuellen GA Kurzarbeitergeld (Stand 20.12.2018) lässt sich dies jedoch nicht mehr herleiten.
Überdies hielt das BAG in einem Urteil aus dem Jahr 2009 dieser Ansicht entgegen, dass sie nicht mit dem gesetzlichen Wortlaut zu vereinbaren sei, da dieser allein auf die Tatsache der Kündigung abstelle und nicht darauf, ob diese noch gerichtlich überprüft werden müsse.
Der Arbeitnehmer steht im Falle einer Kündigung trotzdem nicht ganz ohne Anspruch auf Ersatz seines Verdienstausfalls dar. In Höhe des Kurzarbeitergeldes lebt das Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers wieder auf, sodass der Arbeitnehmer gegenüber dem Arbeitgeber einen Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls geltend machen kann.
Wir würden daher empfehlen, vorab zu diesem Punkt Rücksprache mit der zuständigen Agentur für Arbeit zu halten, falls es zum Ausspruch von betriebsbedingten Kündigungen während des Zeitraums von Kurzarbeit kommt.
Rücken aufgrund der anhaltenden Krise zunehmend einschneidende Umstrukturierungspro-gramme und Entlassungen in den Blickpunkt, muss der Arbeitgeber bei Bestehen eines Betriebsrats die möglicherweise gegebene Interessenausgleichs- und Sozialplanpflicht beachten. Dabei stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Aufnahme von Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen auf den Bezug von Kurzarbeitergeld haben kann.
Die Bundesagentur für Arbeit vertritt hierzu in ihrer aktuellen GA Kurzarbeitergeld (Stand 20.12.2018) die Ansicht, dass im Falle der Entscheidung des Arbeitgebers, einen Betrieb oder Teile eines Betriebes stillzulegen oder einen erheblichen, d.h. massenentlassungsanzeigepflichtigen, Personalabbau durchzuführen, der Anspruch auf Kurzarbeitergeld entfällt, sobald konkrete Umsetzungsschritte erfolgen. „Konkret“ i.d.S. sollen die Umsetzungsschritte dann sein, wenn z.B. Kündigungen ausgesprochen werden oder ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen wird. Hintergrund hierfür ist, dass sich bei Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste die Betriebsparteien bereits konkret darauf verständigt haben, welche Mitarbeiter von dem beabsichtigten Personalabbau betroffen sein sollen und eine Kündigung erhalten werden. Die in Aussicht stehende Beendigung des einzelnen Arbeitsverhältnisses manifestiert sich bei Abschluss eines Interessenausgleichs mit Namensliste daher in vergleichbarer Weise, als würden bereits Kündigungen ausgesprochen.
Die bloße Aufnahme von Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen dürfte hingegen noch nicht zu einem Wegfall des Anspruchs auf Kurzarbeitergeld führen, da es noch an einer konkreten Umsetzung der Maßnahme fehlt. Es empfiehlt sich gleichwohl dies mit der Agentur für Arbeit im Vorfeld abzustimmen.
Achim Braner
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