11.12.2018
11.12.2018
Am 29. November 2018 fand der erste Verhandlungstag im Verfahren gegen den Textildiscounter KiK vor dem Landgericht Dortmund statt. Das Landgericht hat über Schmerzensgeldforderungen aus dem größten Industrieunglück in der Geschichte Pakistans zu entscheiden.
Von den insgesamt 1.000 bis 1.200 Arbeiterinnen und Arbeitern im betroffenen Gebäude verbrannten mehr als 250 -- zum Teil bis zur Unkenntlichkeit. Viele weitere wurden schwer verletzt. Brände in der Textilproduktion sind keine Seltenheit, die hohe Opferzahl jedoch schon. Drei Hinterbliebene und ein Überlebender des Brandes fordern jeweils 30.000 Euro Schmerzensgeld von der KiK Textilien und Non-Food GmbH, die nach eigenen Angaben Hauptkunde der Firma Ali Enterprises, der Betreiberin des abgebrannten Gebäudes, war.
Bei dem Verfahren handelt es sich um den ersten Fall, in dem etwaige Menschenrechtsverletzungen durch deutsche Unternehmen im Ausland vor einem deutschen Gericht verhandelt werden, die Sorgfaltspflichten entlang der Lieferkette und damit die Frage der Haftung von KiK für den Brand im Fabrikgebäude einer Subunternehmerin zu prüfen sind. In der mündlichen Verhandlung ging es gleichwohl zunächst ausschließlich um die Frage, ob etwaige Ansprüche der Kläger verjährt sind. KiK hatte zunächst einen Verjährungsverzicht erklärt, dann das Gericht auf die nach pakistanischem Recht zwingende Verjährung aufmerksam gemacht.
Auf die Frage der Verjährung ist gemäß Artikel 15 h) der Rom-II-Verordnung, die verbindlich das bei grenzüberschreitenden Sachverhalten anwendbare Deliktsrecht regelt, das auf den Anspruch selbst anwendbare Recht anwendbar. Dieses ist gemäß Artikel 4 Absatz 1 der Rom-II-Verordnung pakistanisches Recht als Recht des Ortes, an dem die unerlaubte Handlung begangen wurde. Artikel 15 h) der Rom-II-Verordnung sorgt damit für einen Gleichlauf des auf den Anspruch materiell anwendbaren Rechts mit den entsprechenden Verjährungsfragen, gleichgültig ob das anwendbare Recht Fragen der Verjährung als prozessual oder materiell qualifiziert.
Nach dem Brand organisierten sich Überlebende und Hinterbliebene in der Baldia Factory Fire Affectees Association und verhandelten mit KiK über Schmerzensgeld und Schadensersatz. Ihnen ging es neben der Kompensation des dauerhaften Verdienstausfalls der Haupternährer vieler Familien auch um Verbesserungen beim Brandschutz und Arbeitsrechte. KiK zahlte unmittelbar nach dem Brand Soforthilfe in Höhe von insgesamt einer Millionen US-Dollar. Im Dezember 2014 legte KiK ein Angebot vor, das Schmerzensgeld weiterhin ausdrücklich ausschloss und erklärte zugleich, auf die Erhebung der Einrede der Verjährung bis Ende des Jahres 2016 verzichten zu wollen. Im März 2015 machten vier Mitglieder der Baldia Factory Fire Affectees Association die Klage beim Landgericht Dortmund anhängig. Nachdem das Landgericht Dortmund sich im Sommer 2016 für zuständig erklärte und Prozesskostenhilfe bewilligte (wir berichteten im Blog), bewegte sich KiK in den zur selben Zeit laufenden Verhandlungen bei der International Labour Organisation und verpflichtete sich zur Zahlung von insgesamt 5,15 Millionen Euro Schadensersatz. Auch hier schloss KiK ausdrücklich die Zahlung von Schmerzensgeld aus.
KiK sieht sich an den im Dezember 2014 erklärten Verjährungsverzicht nicht mehr gebunden. Nach dem auf die Frage der Verjährung anwendbaren pakistanischen Recht bzw. nach dem Common Law verjähren Ansprüche wegen Körper- und Personenschäden innerhalb eines Jahres. Zum Zeitpunkt der Erklärung wären etwaige Ansprüche also bereits verjährt gewesen. Im Common Law ist die Verjährung auch nicht als Einrede, sondern vom Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen. Ein Verjährungsverzicht ist nach pakistanischem Recht nicht möglich. KiK behauptet, nach pakistanischem Recht wirkten sich Verhandlungen nicht auf die Verjährung aus. Einzige Ausnahmen hiervon seien die Anerkennung der Haftung oder die arglistige Hinderung an der Geltendmachung von Ansprüchen.
Nach Ansicht der Kläger ist in der im Dezember 2014 im Rahmen der Verhandlungen um die Entschädigung erklärten Verzichtserklärung eine Teilrechtswahl nach Artikel 14 Rom-II-Verordnung zu sehen. Die Anwälte KiKs erklärten „schließlich verzichtet unsere Mandantin […] zunächst auf die Einrede der Verjährung bis Ende 2016“. Nach Artikel 14 der Rom-II-Verordnung ist eine (Teil )Rechtswahl sowohl ausdrücklich als auch konkludent möglich. Hierfür erforderlich ist, dass die (Teil-)Rechtswahl „sich mit hinreichender Sicherheit aus den Umständen des Falles“ ergibt. Für die Annahme einer Teilrechtswahl betreffend die Frage der Verjährung spricht den Klägern zufolge, dass in dieser Erklärung auf Aspekte Bezug genommen wird, die nur nach deutschem, nicht aber nach dem unstreitig anwendbaren pakistanischen Recht eine Rolle spielen. Nach diesem handelt es sich nämlich nicht um eine Einrede und eine solche Erklärung würde auch unter dem Aspekt, dass nach pakistanischem Recht Ansprüche bereits verjährt wären, keinen Sinn machen.
Auch die Frage, wie Fragen der Verjährung in der Praxis des Common Law gehandhabt werden, wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung besprochen. So sollen Gerichte insbesondere bei sehr kurzen Verjährungsfristen regelmäßig davon ausgehen, dass Verhandlungen die Verjährung für die Dauer der Verhandlung unterbrechen, da andernfalls ein Verhandeln kaum möglich wäre. Eine weitere Frage war, ob der ordre public-Vorbehalt in Artikel 26 der Rom II Verordnung nicht gegen die Annahme der Verjährung nach pakistanischem Recht innerhalb eines Jahres spricht. Artikel 26 Rom-II-Verordnung schließt die Anwendung des eigentlich anwendbaren Rechts aus, wenn die Anwendung „mit der öffentlichen Ordnung ("ordre public") des Staates des angerufenen Gerichts offensichtlich unvereinbar ist“. Unter praktischen Gesichtspunkten wird es ausländischen Klägern häufig nur schwerlich möglich sein, innerhalb so kurzer Zeit eine Klage vor deutschen Gerichten anhängig zu machen.
Das Gericht scheint die Klage nunmehr aufgrund der Verjährung abweisen zu wollen. Im Rahmen der Güteverhandlung ging der Vorsitzende Richter ausführlich darauf ein, wie kost- und zeitspielig eine Beweisaufnahme zum Brandhergang und der Frage, warum so viele Menschen nicht aus der Fabrik entkommen konnten, wäre. Eine Entscheidung wird im Januar 2019 erwartet.
Michaela Julia Streibelt |