07.04.2022
Gegenstand dieses Leitfadens ist eine Darstellung wesentlicher Anpassungsmöglichkeiten zur Berücksichtigung aktueller Baupreissteigerungen und Lieferverzögerungen infolge des Ukraine-Kriegs mit einer kurzen Erläuterung der rechtlichen Eckpunkte und Hintergründe. Ergänzend sind eine Musterklausel sowie Checklisten aufgenommen.
1.
Für die Aufnahme von Stoffpreisgleitklauseln in neue und bestehende Verträge gelten gemäß BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 und BMVI-Rundschreiben vom 25.03.2022 im Bereich der beiden Ministerien (Bundesbauverwaltung, Fernstraßen- und Autobahnbau) befristet bis zum 30.06.2022 folgende Sonderregelungen:
1.1
Für die Produktgruppen Stahl und Stahllegierungen, Aluminium, Kupfer, Erdölprodukte (Bitumen, Kunststoffrohre, Folien und Dichtbahnen, Asphaltmischgut), Epoxidharze, Zementprodukte, Holz und Gusseiserne Rohre sind Stoffpreisgleitklauseln in Verträgen vorzusehen, da diese Baustoffe Preisveränderungen in besonderem Maße ausgesetzt sind und ein nicht kalkulierbares Preisrisiko für diese Stoffe zu erwarten ist.
1.2
Das Formblatt 225 des VHB ist anzuwenden, dessen Anwendungsrichtlinien dahingehend modifiziert werden, dass es ausreicht, wenn (i) zwischen Angebotsabgabe und Lieferung/Fertigstellung mehr als ein Monat liegt und (ii) der betroffene Stoffkostenanteil mehr als ein Prozent der Nettoauftragssumme beträgt.
1.3
In Stoffpreisgleitklauseln sind eine Bagatellklausel und eine Selbstbeteiligung des Auftragnehmers aufzunehmen. Letztere beträgt für neue Verträge 10 Prozent und bei Klauseln für bestehende Verträge 20 Prozent.
1.4
Vertragsfristen sind der aktuellen Situation angepasst zu vereinbaren. Vertragsstrafen sind nur in begründeten Ausnahmefällen vorzusehen.
1.5
Haushaltsrecht und Vergaberecht (§ 58 BHO und
§ 132 GWB) stehen all dem nicht entgegen.
1.6
Diese Regelungen gelten für neue und laufende Vergabeverfahren sowie für laufende Verträge auf Anfrage der Auftragnehmer. Soweit die Angebote noch nicht geöffnet wurden, sind Stoffpreisgleitklauseln nachträglich einzubeziehen und Ausführungsfristen an die aktuelle Situation anzupassen. Die Angebotsfrist ist ggf. zu verlängern. Ist die Angebotsöffnung bereits erfolgt, ist das Vergabeverfahren zur Vermeidung von Streitigkeiten bei der Bauausführung in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, um Stoffpreisgleitklauseln einzubeziehen und ggf. Ausführungsfristen verlängern zu können.
1.7
Bieteranfragen zur Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel ist zu folgen.
1.8
Es ist zu erwarten, dass zeitnah die Landesbauverwaltungen und andere öffentliche Auftraggeber gleichlautende Vorgaben für ihren jeweiligen Verantwortungsbereich erlassen werden.
2.
Für die Aufnahme von Stoffpreisgleitklauseln in neue und bestehende Verträge zwischen Privaten gibt es einen vergleichbaren Anspruch nicht. Dennoch ist die Aufnahme vertragsspezifischer Stoffpreisgleitklauseln für beide Vertragsparteien sinnvoll, um die unstreitig bestehenden Marktrisiken angemessen zu regeln.
2.1
Es sollte für die betroffenen Stoffe eine eigene Leistungsverzeichnis-Position geschaffen werden, da andernfalls eine nachvollziehbare Kalkulation und die prüfbare Abrechnung erheblich erschwert werden.
2.2
Private sind hierbei nicht auf die im BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 benannten Produktgruppen beschränkt, weshalb die genaue Definition, der von einer Preisgleitung erfassten Kostenelemente umso wichtiger ist.
2.3
Ob eine Bagatellklausel und eine Selbstbeteiligung angemessen sind, sollten die Parteien im Einzelfall festlegen. Eine Bagatellklausel ist vor allem unter Praktikabilitätsgesichtspunkten gerechtfertigt. Sie kann vernünftig aber nur im Einzelfall von den Parteien in Relation zur Auftragssumme festgelegt werden. Eine Selbstbeteiligung könnte vorsehen, dass die festgestellten Preissteigerungen in einem bestimmten Verhältnis geteilt werden („Risksharing“) oder Mehrkosten im Umfang von 10 Prozent bzw. 20 Prozent nicht gefordert werden können (so das Modell der öffentlichen Hand).
2.3
Indexierungs- und Abrechnungszeitpunkte sind sinnvoll zu wählen und zu verhandeln. Für die Berechnung einer Preissteigerung erscheint die Spanne zwischen dem Vertragsschluss und dem tatsächlichen Einkauf (verbindliche Bestellung, Auftragsbestätigung o. ä.) vermittelnd und angemessen.
2.4
Vertragsfristen sollten Mechanismen für deren Verlängerung bereits im Vertrag vorgeben, vgl. § 6 Abs. 1 bis 4 VOB/B.
2.5
Vertragsstrafen wegen Verzugs erscheinen – nicht zuletzt aufgrund des Verschuldenserfordernisses – weder zweckdienlich noch wirklich umsetzbar, wenn sich die derzeitigen Risiken auf einen Vertrag auswirken. Denn eine Vertragsstrafe setzt zwingend Verschulden voraus, welches bei kriegsbedingten Lieferengpässen und Materialpreiserhöhungen vom Auftragnehmer widerlegt werden kann.
3.
Ein Anspruch auf Fristverlängerung kann sich nur aus einer vertraglichen Vereinbarung oder der VOB/B (soweit vereinbart) ergeben.
3.1
Nach dem System des BGB kommt der Auftragnehmer nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Das hat der Auftragnehmer zu beweisen, §§ 286 Abs. 4, 280 Abs. 1 S. 2 BGB.
3.2
Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B werden Ausführungsfristen verlängert, soweit eine Behinderung durch höhere Gewalt oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände verursacht ist. Der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 bejaht einen Fall der höheren Gewalt bzw. ein anderes nicht abwendbares Ereignis, soweit Materialien aus den dort genannten Produktgruppen nachweislich nicht oder vorübergehend nicht, auch nicht gegen höhere Einkaufspreise als kalkuliert, durch den Auftragnehmer beschaffbar sind. Diese Auffassung wird teilweise mit dem Argument abgelehnt, dass sich auch hier das Materialbeschaffungsrisiko des Auftragnehmers verwirklicht hätte.
3.3
Auch wenn man höhere Gewalt bejaht, ist Voraussetzung für die Geltendmachung eines Anspruchs gemäß § 6 Abs. 1 VOB/B, dass eine Behinderungsanzeige des Auftragnehmers vorliegt oder die Behinderung für den Auftraggeber auch in ihren Auswirkungen offenkundig ist. Darüber hinaus muss der Auftragnehmer die Auswirkung auf den Bauablauf konkret nachweisen. Hierzu ist ein störungsmodifizierter Ist-Bauablauf darzustellen und dem vertraglichen Soll-Ablauf gegenüberzustellen.
3.4
Als Rechtsfolge wird nach § 6 Abs. 4 VOB/B die Ausführungsfrist verlängert um die Dauer der Nichtlieferbarkeit der Stoffe zuzüglich eines angemessenen Aufschlags für die Wiederaufnahme der Arbeiten.
3.5
Zu beachten ist, dass der Auftragnehmer gemäß § 6 Abs. 3 VOB/B verpflichtet ist, alles zu tun, was ihm billigerweise zugemutet werden kann, um die Weiterführung der Arbeiten zu ermöglichen.
3.6
Nach Ansicht des BGH besteht über die Fristverlängerung hinaus nach den Maßstäben der VOB/B kein Anspruch auf Ersatz etwaiger Stillstandskosten oder Mehrkosten auch nicht nach § 642 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 20.04.2017 – VII ZR 194/13, „nur Zeit kein Geld“). Demgegenüber postuliert der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022, dass der Auftragnehmer das (finanzielle) Beschaffungsrisiko trage, aber nicht in Fällen höherer Gewalt, weshalb dann ein Anspruch nach § 313 BGB in Betracht käme.
4.
Eine Vergütungsanpassung nach § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage setzt voraus, dass (i) sich bestimmte Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind („Geschäftsgrundlage“), nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag bei Vorhersehung dieser Umstände nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten sowie (ii) einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
4.1
Nach dem BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 würde der Bauvertrag das Materialbeschaffungsrisiko zwar grundsätzlich der Sphäre des Auftragnehmers zuweisen. Das gelte jedoch nicht in Fällen höherer Gewalt. Deshalb sind die Kriegsereignisse grundsätzlich geeignet, die Geschäftsgrundlage des Vertrages im Sinne von § 313 BGB zu stören.
Ob Gerichte dem folgen werden, muss abgewartet werden. Insoweit besteht eine erkennbare Parallele zur Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. Für diese Fälle wurde die Möglichkeit der höheren Gewalt bzw. des unabwendbaren Ereignisses im Ausgangspunkt bejaht, für die Anspruchsberechtigung dann aber entscheidend auf die Zumutbarkeit und Interessenabwägung im Einzelfall verwiesen.
4.2
Entscheidend ist deshalb für die Anwendung des
§ 313 BGB, ob dem Auftragnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Die Prüfung dieser Voraussetzung erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände.
4.3
Schematische Grundsätze oder eine feste Grenze bestehen für diese Einzelfallbetrachtung nicht. Der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 zieht eine Analogie zum Pauschalierungsrisiko nach § 2 Abs. 7 VOB/B mit Spannen zwischen 10 Prozent und 29 Prozent heran, wobei sich der Maßstab nach dem finanziellen Gesamtergebnis des Vertrags richtet. Andere Stellungnahmen verweisen auf die Rechtsprechung des BGH zum Pauschalvertrag. Hier ging die Rechtsprechung von niedrigeren Schwellen aus und hält auch eine Anpassung wegen der Störung einer einzelnen Leistungsverzeichnis-Position für möglich.
4.4
Weitere im Raum stehende Aspekte, wie etwa die Berechnung von Zuschlägen für Gemeinkosten, eine Selbstbeteiligung oder Höchstgrenzen für die Erstellung von Mehrkosten werden von der Rechtsprechung ebenfalls nicht holzschnittartig („50:50“) gelöst, sondern im Rahmen der Einzelfallbetrachtung berücksichtigt. Demgegenüber soll es nach dem BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 keinen Anspruch auf Zuschläge für BGK, AGK, Wagnis und Gewinn geben. Der Auftraggeber muss maximal die Hälfte der Mehrkosten erstatten.
4.5
Eine Preisanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage erfolgt nicht automatisch, sondern muss verlangt werden. Wer sich hierauf beruht, trägt insoweit auch die Darlegungs- und Beweislast. Begehrt der Auftragnehmer eine Preisanpassung, muss er also insbesondere die ursprüngliche Berücksichtigung der Baustoffe in der Kalkulation und die Kostensteigerungen nachweisen, um so die Unzumutbarkeit als Anspruchsvoraussetzung darzustellen. Das erfordert eine Darstellung der Urkalkulation/Preisblätter, den Nachweis der tatsächlichen Einkaufskosten einschließlich etwaiger Rückvergütungen oder Nachlässe des Baustofflieferanten sowie den Nachweis zur Marküblichkeit der tatsächlichen Einkaufspreise, so der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022.
4.6
Soweit wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB dem Auftragnehmer ein Festhalten an den alten Preisen nicht zumutbar ist, muss auch geprüft werden, ob dem Vertragspartner das Festhalten an einem geänderten Vertrag, also mit erhöhten Preisen zumutbar wäre; insbesondere bei Verträgen mit Verbrauchern. Dieser Aspekt ist entweder bereits im Rahmen der Frage der Rechtsfolge – Anpassung oder Vertragsbeendigung – der Störung der Geschäftsgrundlage zu berücksichtigen. Oder aber man gewährt auch dem anderen Vertragspartner ein Recht zur Lösung vom Vertrag, beispielsweise nach § 313 Abs. 3 BGB ein Recht zum Rücktritt bzw. zur Kündigung nach § 648a BGB. Die bis dahin erbrachten Leistungen wären von den Vertragsparteien zu vergüten. Ein Anspruch des Auftragnehmers auf eine Entschädigung wegen der nicht mehr zu erbringenden Leistungen besteht nicht. Auch scheiden darüber hinaus für beide Parteien Schadensersatzansprüche im Ergebnis aus, da infolge der höheren Gewalt kein Verschulden einer der Vertragsparteien vorliegt. Das Durchsetzen einer Preisanpassung kann so zum Pyrrhussieg werden.
A. Hintergrund
I. Tatsächlicher Hintergrund: angespannte Wirtschaftslage und Preisexplosion
II. Rechtlicher Hintergrund: Preisklauselgesetz
B. Neue Verträge mit Preisanpassungsklauseln
I. Verträge der Öffentlichen Hand
1. Formblatt 225 des VHB auch bei Betriebsstoffen anzuwenden
2. Nicht kalkulierbares Preisrisiko zu bejahen
3. Bagatellklausel
4. Selbstbeteiligung
5. Umsetzung
6. Vereinbarung von Vertragsfristen
II. Verträge der Privatwirtschaft
1. Stoffpreisgleitklausel
2. Termine und Vertragsfristen
C. Nachträgliche Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel für bestehende Verträge
I. Verträge der Öffentlichen Hand
1. Voraussetzungen
2. Umsetzung
3. Vergaberecht
II. Verträge der Privatwirtschaft
D. Ansprüche wegen Lieferverzögerungen und Baupreissteigerungen
I. Anspruch auf Fristverlängerung
II. Vergütungsanpassung nach § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage
1. Störung der großen Geschäftsgrundlage
2. Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag
3. Nachweisführung
E. Kritischer Ausblick
F. Musterklausel und Checklisten
I. Muster Stoffpreisgleitklausel
II. Checkliste Stoffpreisgleitklausel Neuvertrag
III. Checkliste Nachträgliche Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel
IV. Checkliste Terminfortschreibung
V. Checkliste Preisanpassung nach § 313 BGB
I. Tatsächlicher Hintergrund: angespannte Wirtschaftslage und Preisexplosion
Aufgrund des Kriegs in der Ukraine, der weltweiten Sanktionen gegen Russland und der Reaktion der Märkte hierauf sind die Preise vieler Baustoffe zum Teil extrem gestiegen und es kommt zu erheblichen Lieferverzögerungen. Diese Entwicklungen waren bereits infolge der Corona-Pandemie zu verzeichnen und werden durch den Krieg in der Ukraine verschärft, nicht zuletzt, weil in Deutschland viele Baustoffe wie etwa Baustahl, Roheisen, Nickel und Titan aus Russland, der Ukraine und Weißrussland importiert werden. Aufgrund der weltweiten Reaktion der Märkte sind zudem die Preise für Energie und Kraftstoffe (bzw. Betriebsstoffe) erheblich gestiegen.
Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen („BMWSB“) hat hierauf mit dem Erlass BWI7-70437/9#4 – „Lieferengpässe und Preissteigerungen wichtiger Baumaterialien als Folge des Ukraine-Kriegs“ am 25.03.2022 („BMWSB-Erlass“) reagiert und für den Bereich der Bundesbauverwaltung Sonderregelungen, zunächst befristet bis zum 30.06.2022, vorgegeben. Mit nahezu identischem Wortlaut hat auch das Bundesministerium für Digitales und Verkehr („BMVI“) ebenfalls mit Datum vom 25.03.2022 für die obersten Straßenbaubehörden der Länder und die Autobahn GmbH des Bundes ein entsprechendes Rundschreiben versandt. Soweit zur Vereinfachung nachfolgend auf den BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 Bezug genommen wird, gelten die jeweiligen Ausführungen auch für das Rundschreiben des BMVI.
II. Rechtlicher Hintergrund: Preisklauselgesetz
Der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 bezieht sich auf die „Grundsätze zur Anwendung von Preisvorbehalten bei öffentlichen Aufträgen vom 2. Mai 1972 – W/I B 1 – 24 00 61; W/I B 3 – 24 19 22“, die bis heute für den Bereich der öffentlichen Hand vorgeben, ob und wie Preisvorbehalte bei öffentlichen Aufträgen angewendet werden können. Nur vor dem Hintergrund dieser Grundsätze sind die Regelungen des BMWSB-Erlasses vom 25.03.2022 verständlich.
Grundlegend ist bei der Verwendung von Preisgleitklauseln – auch zwischen Privaten – das Gesetz über das Verbot der Verwendung von Preisklauseln bei der Bestimmung von Geldschulden (Preisklauselgesetz „PrKlG“) zu beachten.
Die bei Bauaufträgen üblichen Preisgleitklauseln (sog. Spannungsklauseln und Kostenelementeklauseln) sind grundsätzlich zulässig, da diese Klauseln nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 PrKlG nicht vom Preisklauselverbot des § 1 Abs. 1 PrKlG umfasst sind.
Bei Spannungsklauseln nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 PrKlG sind die in ein Verhältnis zueinander gesetzten Güter oder Leistungen im Wesentlichen gleichartig oder zumindest vergleichbar. Bei sog. Kostenelementeklauseln nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 PrKlG wird der geschuldete Betrag insoweit von der Entwicklung der Preise oder Werte für Güter oder Leistungen abhängig gemacht wird, als diese die Selbstkosten des Gläubigers bei der Erbringung der Gegenleistung unmittelbar beeinflussen.
Vereinfacht gesagt, beziehen sich sog. Spannungsklauseln auf eine Indexveränderung von Stoffen/Gütern und Kostenelementeklauseln auf tatsächliche Preisänderungen, etwa für Lohn.
Typisch sind Stoffpreisgleitklauseln in Form sog. Spannungsklauseln nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 PrKlG, da das Betriebsentgelt an die Preisentwicklung von im Wesentlichen gleichartigen und vergleichbaren Gütern und Leistungen anhand eines Index angebunden wird. Gesetzliche Voraussetzung für eine solche Klausel ist, dass die Gleichartigkeit/Vergleichbarkeit des gewählten Indizes mit den mit den konkreten Leistungen bzw. Baustoffen, deren Preise angepasst werden sollen, gegeben ist. Das ergibt sich aus der Formulierung „gleichartig oder zumindest vergleichbar“ in § 1 Abs. 2 Nr. 2 PrKlG.
Wenn die Gleichartigkeit oder Vergleichbarkeit nicht gegeben ist, liegt keine Klausel i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 2 PrKlG vor, sodass das grundsätzliche Verbot nach dessen Abs. 1 wieder greift. Das Merkmal der Gleichartigkeit/Vergleichbarkeit ist erfüllt, wenn die Bezugsgröße im Wesentlichen gleichartige oder vergleichbare Leistungen betrifft (Grüneberg in: Grüneberg BGB, Anh. zu § 245, PrKlG 1, Rn. 4). Dennoch wurde beispielsweise von der Rechtsprechung die Bindung des Baupreises an den Baukostenindex gebilligt (OLG Koblenz, Urteil vom 20.08.1975 - 1 U 554/74 = DB 1975, 1842).
Selbst wenn eine unwirksame Klausel vereinbart wird, tritt die Unwirksamkeit nach § 8 PrKlG aber erst zum Zeitpunkt des rechtskräftig festgestellten Verstoßes ein; die Rechtswirkungen der Preisklausel bleiben bis zum Zeitpunkt der Unwirksamkeit unberührt.
I. Verträge der Öffentlichen Hand
1. Formblatt 225 des VHB auch bei Betriebsstoffen anzuwenden
Nach dem BMWSB-Erlass (dort I., Seite 2) darf bei maschinenintensiven Gewerken vom Formblatt 225 des VHB Gebrauch gemacht werden und ausnahmsweise eine Stoffpreisgleitklausel auch für Betriebsstoffe vereinbart werden, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind:
Erstens müssen die Verträge (bzw. die Leistungsverzeichnisse) für eine indexbasierte Preisgleitung geeignet sein, weil für den betreffenden Betriebsstoffe eine eigene Ordnungsziffer vorhanden ist. Diese Voraussetzung schließt eine Anwendung beispielsweise auf Betriebsmittel wie Dieselkraftstoff aus, wenn diese nicht mit einer eigenen LeistungsverzeichnisPosition (nachfolgend „LV-Position“) versehen werden.
Zweitens muss der Wert der Betriebsstoffe ein Prozent der geschätzten Auftragssumme übersteigen.
2. Nicht kalkulierbares Preisrisiko zu bejahen
a) Preisrisiko bei bestimmten Baustoffen
Das BMWSB stellt auf Seite 2 unter II. seines Erlasses fest, dass die Voraussetzungen der Nummer 2.1 a) der Richtlinie zum Formblatt 225 VHB für die folgenden Stoffe erfüllt sind:
Damit wird verbindlich ministeriell festgestellt, dass diese Stoffe in besonderem Maße Preisveränderungen ausgesetzt sind und ein nicht kalkulierbares Preisrisiko für diese Stoffe zu erwarten ist.
Diese Feststellungen des Bundesbauministerium sind über ihren formellen persönlichen Anwendungsbereich in der Bundesbauverwaltung von allgemeiner Bedeutung. Es ließe sich schwer argumentieren, dass für andere Bereiche öffentlicher oder privater Auftraggeber diese stoff- und marktbezogen begründeten Risiken nicht gelten sollen, obwohl das Bundesbauministerium diese deutschlandweit bejaht.
b) Zeitfaktor: Kalkulationsrisiko besteht mehr als einen Monat
Der BMWSB-Erlass stellt als weitere Voraussetzung auf, dass der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Lieferung bzw. Fertigstellung mindestens einen Monat beträgt. Das ist eine erhebliche Abweichung von Nummer 1d) der „Grundsätze zur Anwendung von Preisvorbehalten bei öffentlichen Aufträgen“ vom 4. Mai 1972, die mindestens zehn Monate vorsehen und eine Verkürzung auf sechs Monate nur bei einem besonders hohen Wagnis im Einzelfall zulassen.
Für die Praxis bedeutsam ist auch, dass die öffentliche Hand hier nicht etwa auf den Kauf des Stoffes abstellt, sondern auf die Lieferung bzw. die Fertigstellung der Leistung, was den Anwendungsbereich der Klausel erheblich erweitert. Analog zu den Maßstäben für eine geänderte/zusätzliche Leistung wäre es beispielsweise auch denkbar, Bietern das Preisrisiko bis zum Vertragsschluss (der in offener Bindefrist erfolgen muss) aufzuerlegen und Steigerungen nur bis zum tatsächlich erfolgten Einkauf auszugleichen. Demgegenüber wenden das Formblatt 225 des VHB und das BMWSB eine typisierende Betrachtung an, die wohl die Praktikabilität der Preisgleitung fördern soll.
3. Bagatellklausel
Nach Nummer 2c) der „Grundsätze zur Anwendung von Preisvorbehalten bei öffentlichen Aufträgen“ vom 4. Mai 1972 müssen Preisgleitklauseln grundsätzlich vorsehen, dass sie erst ab einem bestimmten Mindestbetrag der Kostenänderung gelten (sog. Bagatellklausel). Diese Grenze wird vom BMWSB-Erlass mit 1 Prozent Stoffkostenanteil von der Auftragssumme festgesetzt (dort unter II., Seite 2). Der wertmäßige Anteil ist aus den Kostenanteilen der zu gleitenden Stoffmengen der betroffenen LV-Positionen in der Leistungsbeschreibung und den marktüblichen Preisen vom Auftraggeber zu ermitteln.
4. Selbstbeteiligung
Nach Nummer 2d) der „Grundsätze zur Anwendung von Preisvorbehalten bei öffentlichen Aufträgen“ vom 4. Mai 1972 ist der Auftragnehmer in der Regel in einer im Vertrag festzulegenden Höhe an den Mehrkosten angemessen zu beteiligen. Entsprechendes gilt bei Kosteneinsparungen. Anders als bei einer nachträglichen Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln macht der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 hier keine Vorgaben zur Höhe der Selbstbeteiligung. Auszugehen ist deshalb von Ziffer 4 der Vorgaben zum Formblatt 225 des VHB, wonach die Selbstbeteiligung 10 Prozent der Mehr- oder Minderaufwendungen beträgt, mindestens aber die Höhe der Bagatellgrenze.
5. Umsetzung
a) Berechnung
Der BMWSB-Erlass schreibt für die Umsetzung die Verwendung des Formblatts 225 des VHB vor. Das Formblatt ist bei Einbeziehung in die Vergabeunterlagenauszufüllen. Für den sog. „Basiswert 1“ als Stoffpreis zum Zeitpunkt des Versands der Vergabeunterlagen kann hierbei auf Angebote vorausgegangener Ausschreibungen oder auf Erfahrungswerte zurückgegriffen werden, die unter Umständen mit einem Zuschlag versehen und bei Erfordernis während des Vergabeverfahrens anzupassen sind.
b) Laufende Vergabeverfahren
Soweit die Angebote noch nicht geöffnet wurden, sind nach dem BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 Stoffpreisgleitklauseln nachträglich einzubeziehen und Ausführungsfristen an die aktuelle Situation anzupassen. Die Angebotsfrist ist ggf. zu verlängern. Bieteranfragen zur Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel ist zu folgen.
Ist die Angebotsöffnung bereits erfolgt, ist das Verfahren zur Vermeidung von Streitigkeiten bei der Bauausführung in den Stand vor Angebotsabgabe zurückzuversetzen, um Stoffpreisgleitklauseln einzubeziehen und unter Umständen Ausführungsfristen verlängern zu können.
Bemerkenswert ist die vom Ministerium durchgängig verwendete Formulierung im Indikativ, die Gestaltungsspielräume für die Verwaltung ausschließt. Den Vorgaben des BMWSB ist nachzukommen.
6. Vereinbarung von Vertragsfristen
Insoweit schreibt der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 vor, dass Vertragsfristen der aktuellen Situation angepasst zu vereinbaren sind und Vertragsstrafen nur in begründeten Ausnahmefällen zu vereinbaren sind.
II. Verträge der Privatwirtschaft
1. Stoffpreisgleitklausel
Naturgemäß besteht kein Anspruch auf Aufnahme von Stoffpreisgleitklauseln in Verträgen zwischen Privaten. Insoweit sind alle Akteure mehr als gut beraten, zumindest die Grundsätze der öffentlichen Hand zu berücksichtigen.
Danach sind die benannten Baustoffe Preisveränderungen in besonderem Maße ausgesetzt. Es ist ein nicht kalkulierbares Preisrisiko für diese Stoffe zu erwarten. Dieses Risiko indiziert die Vereinbarung von Stoffpreisgleitklauseln, deren Ausgestaltung vertragsspezifisch erfolgen sollte.
Private sind hierbei nicht auf die im BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 benannten Produktgruppen beschränkt, weshalb die genaue Definition der von einer Preisgleitung erfassten Kostenelemente umso wichtiger ist.
Analog zum Formblatt 225 des VHB sollte für die betroffenen Stoffe eine eigene LV-Position geschaffen werden, da andernfalls weder eine Kalkulation noch eine genaue Abrechnung möglich sind und auch ein Verstoß gegen § 1 PrKlG nahe läge.
Inwieweit die für den Bereich der öffentlichen Hand vorgegebenen Abrechnungszeitpunkte, eine Bagatellklausel und auch eine Selbstbeteiligung angemessen sind, sollten die Parteien im Einzelfall festlegen. Hierzu:
Für die Berechnung der Preissteigerung erscheint die Spanne zwischen dem Vertragsschluss und dem tatsächlichen Einkauf (verbindliche Bestellung, Auftragsbestätigung o. ä.) der betroffenen Baustoffe als vermittelnde und angemessene Lösung.
Eine Bagatellklausel ist vor allem unter Praktikabilitätsgesichtspunkten gerechtfertigt. Denn hinter ihr steht letztlich der Gedanke, dass eine signifikante Auswirkung auf den Vertrag nicht gegeben ist. Die konkrete Höhe einer solchen Klausel kann nur im Einzelfall von den Parteien in Relation zur Auftragssumme festgelegt werden.
Eine Selbstbeteiligung könnte vorsehen, dass die festgestellten Preissteigerungen in einem bestimmten Verhältnis geteilt werden („Risksharing“) und nicht wie bei der öffentlichen Hand im Umfang von 10 bzw. 20 Prozent nicht gefordert werden können und danach voll vom Auftraggeber zu erstatten sind.
2. Termine und Vertragsfristen
Auch insoweit besteht in der Privatwirtschaft kein Anspruch auf die Vereinbarung von angepassten Vertragsfristen und den Ausschluss von Vertragsstrafen. Dennoch gilt auch hier, dass von vornherein risikobehaftete und kaum einzuhaltende Vereinbarungen von Vertragsterminen den Projekterfolg nicht fördern und gegebenenfalls schlichtweg infolge einer Unmöglichkeit nach § 275 BGB unwirksam sind. Auch Vertragsstrafen wegen Verzugs erscheinen – nicht zuletzt aufgrund des Verschuldenserfordernisses – weder zweckdienlich noch wirklich umsetzbar, wenn sich die derzeitigen Risiken auf einen Vertrag auswirken.
I. Verträge der Öffentlichen Hand
1. Voraussetzungen
Nach dem BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 setzt die Aufnahme einer Stoffpreisgleitklausel in bestehende Verträge voraus, dass in der Gesamtabwägung des Einzelfalls die Voraussetzungen des § 313 BGB oder § 58 BHO erfüllt sind und deshalb der Vertrag wegen einer Störung der Geschäftsgrundlage anzupassen ist. Die Anpassungsmöglichkeit soll aber nur für solche Verträge in Betracht kommen, bei denen bisher höchstens die Hälfte der Leistungen aus den betroffenen Baustoffen ausgeführt wurden und auch nur für noch nicht erbrachte Leistungsteile.
2. Umsetzung
Die öffentliche Hand soll nach dem BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 analog zum Formblatt 225 des VHB vorgehen, also eine betreffende Position im Leistungsverzeichnis ermitteln, für diese eine GP-Nummer und der Abrechnungszeitpunkt festgelegen, sowie auf dieser Basis zunächst der sogenannte Basiswert 2 als Preis zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung sowie im Anschluss als sogenannter Basiswert 3 der Preis im Monat des Abrechnungszeitpunkts berechnen. Für die Ermittlung der Mehr-/Minderkosten ist die Differenz aus Basiswert 3 und Basiswert 2 mit der ausgeführten Menge zu multiplizieren. Anstelle der im Formblatt 225 festgelegten Selbstbeteiligung von 10 Prozent ist eine Selbstbeteiligung in Höhe von 20 Prozent zu vereinbaren.
All diese Punkte stellen eine Übertragung der für neue Verträge aufgestellten Grundsätze auf bestehende Verträge dar, wobei die erhöhte Selbstbeteiligung wohl analog der vom BMWSB festgelegten Grenzen für die Übernahme eines Risikos bei Pauschalverträgen mit 20 Prozent festgesetzt wurde.
Bemerkenswert ist die letzte Einschränkung des BMWSB auf Seite 6 des Erlasses vom 25.03.2022:
„All das gilt nur für noch nicht erbrachten Teilleistungen, deren Ausführung in die Laufzeit des Erlasses fällt.“
Denn die Laufzeit des Erlasses ist gemäß dessen Ziffer V. bis zum 30.06.2022 befristet. Nimmt man den Erlass wörtlich, können keine Preisgleitklauseln für Leistungen vereinbart werden, die ab dem 01.07.2022 zu erbringen sind. Das ist angesichts der aktuellen Situation schwer nachvollziehbar. Gegebenenfalls geht das BMWSB ohnehin von einer Verlängerung aus oder aber es liegt ein Redaktionsversehen vor und man meinte eigentlich, dass bis zum 30.06.2022 die entsprechenden Klauseln in die Verträge aufgenommen werden sollen und auch danach zur Anwendung kommen können. Formuliert ist es aber nicht so.
3. Vergaberecht
Nach § 132 Abs.1 GWB erfordern wesentliche Änderungen eines öffentlichen Auftrags während der Vertragslaufzeit ein neues Vergabeverfahren, bspw. wenn mit der Änderung das wirtschaftliche Gleichgewicht des öffentlichen Auftrags zugunsten des Auftragnehmers in einer Weise verschoben wird, die im ursprünglichen Auftrag nicht vorgesehen war. Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift scheint eröffnet zu sein, weil eine Vereinbarung zu Preisen getroffen wird. Jedoch bestehen schon grundsätzlich erhebliche Zweifel, ob die Vertragsumsetzung eine Vertragsänderung im Sinne des
§ 132 GWB ist. Die Vereinbarung und Anwendung von Stoffpreisgleitklauseln gemäß § 313 BGB dient ja gerade dazu, das ursprüngliche wirtschaftliche Gleichgewicht des Vertrages wiederherzustellen bzw. aufrecht zu erhalten, womit es nicht zugunsten des Auftragnehmers verschoben wird (vgl. BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 Seite 6 unter IV.6.). Klare Positionierungen in Literatur oder Rechtsprechung zur Frage, ob § 132 Abs. 1 GWB im Fall einer nach § 313 BGB vereinbarten Stoffpreisgleitklausel unter den Anwendungsbereich des § 132 Abs. 1 GWB fällt bestehen zurzeit noch nicht.
Selbst wenn man den Anwendungsbereich bejaht, ist nach
§ 132 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 GWB eine wesentliche Auftragsänderung zulässig, wenn die Änderung aufgrund von Umständen erforderlich geworden ist, die der öffentliche Auftraggeber im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht nicht vorhersehen konnte, und sich aufgrund der Änderung der Gesamtcharakter des Auftrags nicht verändert. Das sind nach Erwägungsgrund 109 der RL 2014/24/EU Umstände, „die auch bei einer nach vernünftigem Ermessen sorgfältigen Vorbereitung der ursprünglichen Zuschlagserteilung durch den öffentlichen Auftraggeber unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Mittel, der Art und Merkmale des spezifischen Projekts, der bewährten Praxis und der Notwendigkeit, ein angemessenes Verhältnis zwischen den bei der Vorbereitung der Zuschlagserteilung eingesetzten Ressourcen und dem absehbaren Nutzen zu gewährleisten, nicht hätten vorausgesagt werden können”. Diese Umstände sind zu bejahen, da die Kriegsereignisse in der Ukraine und ihre Folgen für den Auftraggeber in gleicher Weise unvorhersehbar waren wie für den Auftragnehmer (vgl. BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 Seite 6 unter IV.6). Der Preis darf in diesem Fall aber um nicht mehr als 50 Prozent des Wertes des ursprünglichen Auftrags erhöht werden, hiervon ausgenommen sind Sektorenauftraggeber gemäß § 154 Nr. 3 GWB. Eine solche Vertragsänderung wäre im Amtsblatt der Europäischen Union bekannt zu machen.
Ungeachtet dieser Ausnahme sind ohnehin nach § 132 Abs. 3 GWB Änderungen möglich, wenn die Änderung bei Bauaufträgen nicht mehr als 15 Prozent des ursprünglichen Auftragswertes beträgt (und sich der Gesamtcharakter des Auftrags nicht ändert und der Wert der Änderung den jeweiligen Schwellenwerte nicht übersteigt). In diesem Fall bedarf es auch keiner Bekanntmachung der Änderung.
II. Verträge der Privatwirtschaft
Im Unterschied zu öffentlichen Aufträgen gibt es für Verträge der Privatwirtschaft wiederum keine zwingenden Vorgaben zur Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel. Wie bei Verträgen mit der öffentlichen Hand ist eine solche Vereinbarung letztlich als Ausfluss der Grundsätze des § 313 BGB sinnvoll und zu empfehlen. Ohne die Vereinbarung einer solchen Klausel bleibt dem Auftragnehmer nur die nachträgliche Durchsetzung eines Anspruchs nach § 313 BGB, mit allen Aufwänden und Risiken für beide Vertragsparteien. Dem greift eine Vertragsklausel interessengerecht vor. Zu beachten ist insoweit aber der ohnehin bereits aus dem Preisklauselgesetz ausfließende Grundsatz, dass Preisklauseln nur dann angemessen sind, wenn sie beiden Parteien das Recht zur Preisanpassung geben, also auch das Recht zur Preissenkung, vgl. § 3 Abs. 3 PrKlG.
Grundsätzlich sind bestehende Verträge einzuhalten. Auch obliegt grundsätzlich dem Auftragnehmer eines Bauvertrags die Pflicht, benötigtes Personal, Maschinen und Geräte sowie vor allem Material zur Erfüllung seiner Leistungen zu beschaffen und das gegebenenfalls auch mit anderen Aufwendungen höheren Preisen als zunächst kalkuliert. Ungeachtet dessen können Materialengpässe und Preissteigerungen als Behinderung der Bauausführung ein Anspruch auf Fristverlängerung gemäß § 6 Abs. 2 VOB/B begründen oder zu einer Preisanpassung nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB führen.
I. Anspruch auf Fristverlängerung
Gemäß § 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B werden Ausführungsfristen verlängert, soweit eine Behinderung durch höhere Gewalt oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände verursacht wird.
Höhere Gewalt liegt nach der Rechtsprechung des BGH vor, wenn ein von außen auf den Betrieb einwirkendes außergewöhnliches Ereignis vorliegt, das unvorhersehbar ist und selbst bei Anwendung äußerster Sorgfalt ohne Gefährdung des wirtschaftlichen Erfolges des Unternehmens nicht abgewendet werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit von Betriebsunternehmern in Rechnung zu stellen und mit in Kauf zu nehmen ist (ständige Rspr., BGH Urteil vom 23.10.1952 – III ZR 364/51, Urteil vom 15.03.1988 – VI ZR 115/87).
Der Begriff der „anderen unabwendbaren Umstände“ in
§ 6 Abs. 2 Nr. 1 c) VOB/B ist weiter und erfasst Ereignisse, die „nach menschlicher Einsicht und Erfahrung in dem Sinne unvorhersehbar sind, dass sie oder ihre Auswirkungen trotz Anwendung wirtschaftlich erträglicher Mittel durch die äußerste nach Sachlage zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet und in ihren Wirkungen bis auf ein erträgliches Maß unschädlich gemacht werden können“ (BGH, Urteil vom 12.07.1973 - VII ZR 196/72). Ein unabwendbarer Umstand kann beispielsweise in einer die weitere Bauausführung hindernden Materialknappheit liegen (Zanner, VOB Kommentar, 7. Aufl. 2020, § 6 Rn. 34).
Der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 bejaht einen Fall der höheren Gewalt bzw. ein anderes nicht abwendbares Ereignis im Sinne von § 6 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe c) VOB/B soweit Materialien aus den genannten Produktgruppen nachweislich nicht oder vorübergehend nicht, auch nicht gegen höhere Einkaufspreise als kalkuliert, durch das Unternehmen beschaffbar sind. Teilweise wird dies mit dem Argument verneint, dass sich auch hier das Beschaffungsrisiko des Auftragnehmers verwirklicht hätte.
Voraussetzung für die Geltendmachung eines Anspruchs gemäß § 6 Abs. 1 VOB/B ist, dass eine Behinderungsanzeige des Auftragnehmers vorliegt oder die Behinderung für den Auftraggeber auch in ihren Auswirkungen offenkundig ist. Darüber hinaus muss der Auftragnehmer die Auswirkung auf den Bauablauf konkret nachweisen. Hierzu ist ein störungsmodifizierter Bauablauf darzustellen und dem vertraglichen Soll-Ablauf gegenüberzustellen.
Als Rechtsfolge wird nach § 6 Absatz 4 VOB/B die Ausführungsfrist um die Dauer der Nichtlieferbarkeit der Stoffe zuzüglich eines angemessenen Aufschlags für die Wiederaufnahme der Arbeiten verlängert. Zu beachten ist aber, dass der Auftragnehmer gemäß § 6 Abs. 3 VOB/B verpflichtet ist, alles zu tun, was ihm billigerweise zugemutet werden kann, um die Weiterführung der (weiteren) Arbeiten zu ermöglichen.
Zu beachten ist aber, dass über die Fristverlängerung hinaus nach den Maßstäben der VOB/B kein Anspruch auf Ersatz etwaiger Stillstandskosten oder Mehrkosten entsteht, auch nicht nach § 642 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 20.04.2017 – VII ZR 194/13 zu Witterungsverhältnissen). Diese Maßstäbe unterscheiden sich jedoch in dem Erlass des BMWSB, der postuliert, dass der Auftragnehmer das (finanzielle) Beschaffungsrisiko trage, aber nicht in Fällen höherer Gewalt, weshalb dann ein Anspruch nach § 313 BGB in Betracht käme.
II. Vergütungsanpassung nach § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage
Eine Vertragsanpassung nach § 313 Abs. 1 BGB wegen einer Störung oder des Wegfalls der Geschäftsgrundlage setzt voraus, dass (i) sich bestimmte Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind („Geschäftsgrundlage“), nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag bei Vorhersehung dieser Umstände nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten sowie (ii) einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.
1. Störung der großen Geschäftsgrundlage
Geschäftsgrundlage sind nach ständiger Rechtsprechung die bei Vertragsschluss bestehenden gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien oder die dem Geschäftsgegner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der einen Vertragspartei von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille der Parteien auf dieser Vorstellung beruht (BGH Urteil vom 01.12.2012 - VIII ZR 307/10, Urteil vom 07.03.2013 - VII ZR 68/10; Urteil vom 30.06.2011- VII ZR 13/10; Urteil vom 10.09.2009 - VII ZR 82/09, Urteil vom 08.02.2006 - VIII ZR 304/04; Urteil vom 25.02.1993 - VII ZR 24/92, Urteil vom 12.01.2022 - XII ZR 8/21).
Nach dem BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 ist durch den Ukraine-Krieg die sog. große Geschäftsgrundlage betroffen. Darunter versteht man die Erwartung der vertragschließenden Parteien, dass sich die grundlegenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines Vertrags nicht etwa durch Revolution, Krieg, Vertreibung, Hyperinflation oder eine (Natur-)Katastrophe ändern und die Sozialexistenz erschüttert werde (BGH, Urteil vom 12.01.2022 - XII ZR 8/21; Grüneberg/Grüneberg BGB 80. Aufl. § 313 BGB Rn. 5). Auftraggeber und Auftragnehmer hätten den Vertrag in der Annahme geschlossen, dass sich die erforderlichen Materialien grundsätzlich beschaffen lassen und deren Preise nur den allgemeinen Unwägbarkeiten des Wirtschaftslebens unterliegen. Sie hätten den Vertrag nicht mit diesem Inhalt geschlossen, hätten sie gewusst, dass die kommenden Kriegsereignisse in der Ukraine derart unvorhersehbaren Einfluss auf die Preisentwicklung nehmen würden.
Nach BMWSB und BMVI würde der Bauvertrag das Materialbeschaffungsrisiko grundsätzlich der Sphäre des Auftragnehmers zuordnen. Das gelte jedoch nicht in Fällen höherer Gewalt.
Im Ergebnis sind die Kriegsereignisse grundsätzlich geeignet, die Geschäftsgrundlage des Vertrages im Sinne von
§ 313 BGB zu stören.
2. Unzumutbarkeit des Festhaltens am unveränderten Vertrag
Das entscheidende Kriterium für die Anwendung des
§ 313 BGB ist, ob dem Auftragnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann. Das ist der Fall, wenn ohne Anpassung untragbare, mit Recht und Gerechtigkeit schlechthin unvereinbarer Folgen unabweislich erscheinen (BGH, Urteil vom 09.03.2010, VI ZR 52/09 = NJW 2010, 1874; BGH, Urteil vom 26.09.1996, I ZR 265/95). Die Prüfung dieser Voraussetzung erfordert eine umfassende Interessenabwägung unter Würdigung aller Umstände, insbesondere auch der Vorteile, die der betroffenen Partei neben den Nachteilen aus den eingetretenen Veränderungen erwachsen sind (BGH, Urteil vom 11.10.1994 - XI ZR 189/93 = NJW 1995, 47). Ferner kommt es auch darauf an, ob das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung erheblich erschüttert ist (vgl. BGH, Urteil vom 01.10.1975 - VIII ZR 108/74 = NJW 1976, 142).
Schematische Grundsätze oder eine feste Grenze gibt es für diese Einzelfallbetrachtung nicht. Der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 stellt hierzu auf das Pauschalierungsrisiko gemäß § 2 Absatz 7 VOB/B ab und verweist auf Werte der Rechtsprechung zwischen 10 und 29 Prozent Mengen- bzw. Preissteigerung und von Angaben bewegen sich zwischen 20 und 25 Prozent, teilweise aber auch bereits bei 15 Prozent in der baurechtlichen Literatur (vgl. Beck’scher VOB-Kommentar, Teil B, Rn. 66 f.; BeckOK VOB/B, Rn. 34).
Demgegenüber verweisen Leinemann Partner Rechtsanwälte in einer Stellungnahme für den Hauptverband der Deutschen Bauindustrie auf ein Urteil des BGH vom 30.06.2011 - VII ZR 13/10 („Estrichfall“) nach dessen Ausführungen auf eine starre Risikogrenze von 20 Prozent der Gesamtvergütung nicht abgestellt werden kann und ein Ausgleichsanspruch nach
§ 2 Nr. 7 Abs. 1 VOB/B in Betracht kommt, wenn das finanzielle Gesamtergebnis des Vertrages nicht nur den zu erwartenden Gewinn des Auftragnehmers aufzehrt, sondern auch zu Verlusten führt.
Weitgehend noch nicht berücksichtigt wird der Aspekt, dass die VOB/B in § 6 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B Regelungen zur höheren Gewalt enthalten, die einen Bauzeitverlängerungsanspruch aber keinen Entschädigungsanspruch regeln (vgl. zu Parallelfrage der Witterungsverhältnisse BGH, Urteil vom 20.04.2017 – VII ZR 194/13).
Die Rechtsprechung wird entscheiden müssen, ob mit den Verfechtern der VOB/B die dortigen Regelungen in § 6 Abs.2 Nr. 1 c) und § 6 Abs. 6 zur höheren Gewalt als vertragliche Risikoverteilung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen abschließend sind oder aber auch in den Fällen höherer Gewalt daneben § 313 BGB anwendbar ist, so dass auch ein monetärer Anspruch entstehen kann, wovon die Erlasse/Rundschreiben von BMWSB und BMVI ausgehen.
Nach dem BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 soll für die Bewertung nicht auf die einzelne Position, sondern auf eine Gesamtbetrachtung des Vertrages abzustellen sein, welche auch bereits geschlossene Nachtragsvereinbarungen und bereits vorliegende oder angekündigte Nachtragsangebote einbeziehen soll. So soll die Schwelle für die Zumutbarkeit erhöht werden. Dem steht entgegen, dass in dem zitierten Urteil des BGH vom 30.06.2011 - VII ZR 13/10 („Estrichfall“) ausdrücklich aufgeführt ist, dass auch eine einzelne LV-Position zur Unzumutbarkeit führen kann. Diese Annahme bezeichnet der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 als nicht verallgemeinerungsfähigen Einzelfall. Ungeachtet dessen, betrafen die zitierten BGH- Entscheidungen keine Fälle höherer Gewalt. Es erscheint durchaus angemessen, andere Maßstäbe für die Zumutbarkeit anzuwenden, eben weil anders als bei sonstigen Kalkulationsrisiken, die Faktoren für die Störung der Geschäftsgrundlage nicht vorhersehbar und deshalb auch nicht allgemein mit einem Risikofaktor kalkulierbar waren.
Der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 weist schließlich darauf hin, dass auch im Falle einer feststehenden Störung der Geschäftsgrundlage der Auftraggeber nicht sämtliche die Kalkulation übersteigenden Kosten tragen müsse und eine Übernahme von mehr als der Hälfte der Mehrkosten „jedenfalls regelmäßig unangemessen sein“ soll. Grundlage der Anpassung seien die reinen Materialpreise. Die Zuschläge für BGK, AGK, Wagnis und Gewinn bleiben unberücksichtigt. Die letzten genannten Aspekte erscheinen sachgerecht vor dem Hintergrund, dass keine Partei aus einem Umstand höherer Gewalt ungerechtfertigte Vor- und Nachteile ziehen soll. Belege für die dortige weitere Rechtsauffassung, dass der AG maximal die Hälfte der Mehrkosten erstatten müsse, führt der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 nicht an.
Abschließend ist deshalb nochmals festzuhalten, dass vor allem die vorgenannten Aspekte einer prozentualen Zumutbarkeitsschwelle, der Selbstbeteiligung des Auftragnehmers bzw. der Maximalbegrenzung der Erstattung durch den Auftraggeber in der Gestalt weder im Gesetz noch in der Rechtsprechung zu finden sind. Vielmehr betont die Rechtsprechung stets den Grundsatz der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und wehrt sich gegen jede schematische Betrachtung. So kann es beispielsweise im Falle höherer Gewalt durchaus angemessen sein, nicht von vornherein einen prozentualen Anteil der Mehrkosten beim Auftragnehmer zu belassen, sondern die von beiden Seiten letztlich nicht vorhergesehenen und nicht kalkulierten Mehrkosten zu teilen. Im Rahmen der Quotelung könnten dann auch weitere Aspekte, wie zum Beispiel das Aufzehren von Gewinn auf Seiten des Auftragnehmers oder die finanzielle Leistungsfähigkeit auf Seiten des Auftraggebers interessengerecht berücksichtigt werden.
3. Nachweisführung
Eine Preisanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage erfolgt nicht automatisch, sondern muss verlangt werden. Wer sich hierauf beruht, trägt insoweit auch die Darlegungs- und Beweislast. Begehrt der Auftragnehmer eine Preisanpassung, muss er insbesondere die ursprüngliche Berücksichtigung der Baustoffe in der Kalkulation und die Kostensteigerungen nachweisen, um so die Unzumutbarkeit als Anspruchsvoraussetzung darzustellen. Dies kann durch eine Darstellung der Urkalkulation/Preisblätter, den Nachweis der tatsächlichen Einkaufskosten einschließlich etwaiger Rückvergütungen oder Nachlässe des Baustofflieferanten sowie Nachweis zur Marküblichkeit der tatsächlichen Einkaufspreise geschehen.
So positiv der BMWSB-Erlass aus Sicht der Bauindustrie ist, darf auch nicht verkannt werden, dass die Anwendung des
§ 313 BGB zugunsten des Auftragnehmers/Bauunternehmers/Lieferanten zur Abmilderung der Lieferengpässe und der explodierten Baupreise viele Folgefragen und Probleme aufwirft, die noch nicht geklärt sind und bei denen die rechtliche Aufbereitung erst am Anfang steht.
Ein Recht zur Preisanpassung, insbesondere nach
§ 313 BGB, kann die Bundesbauverwaltung bzw. sonstige öffentliche Hand ausgleichen, da die öffentliche Verwaltung das „Geld hat“, nämlich das der Steuerzahler. Doch auch sie wird perspektivisch ihre Haushaltsplanung überdenken und Kürzungen vornehmen müssen.
Eine beliebige Erhöhung der Vergütung scheidet aber bei privat finanzierten Projekten aus, insbesondere bei Verträgen mit Verbrauchern. Hier wird es schwer bis schlichtweg unmöglich, das geplante „Budget“ für den Bau des Eigenheims bspw. um 30 Prozent zu erhöhen. In diesen Fällen wäre es gerade ungerecht, den Verbraucher an der Wirksamkeit des gestörten Vertrags verbunden mit einer erhöhten Vergütung festzuhalten (vgl. Kandel in: BeckOK VOB/B, 46. Edition Stand: 31.07.2021, § 2 Abs. 7 Rn. 34). Letztlich dürfte nichts anderes für die Projektentwicklung gelten. Auch hier würde ein einseitiges Recht zur Preiserhöhung bedeuten, dass ein Dominoeffekt angestoßen würde, bei dem letztlich der Immobilienerwerber die Mehrkosten zahlt (potenziert mit den jeweiligen Zuschlägen innerhalb der Leistungskette).
Die bittere Wahrheit lautet deshalb, dass § 313 BGB und vor allem die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Vertrag aus Sicht beider Parteien bewertet werden muss und dazu führt, dass auch dem Vertragspartner ein Recht zur Lösung vom Vertrag zustehen kann (vgl. Fritzsche, Störung der Geschäftsgrundlage: Rechtliche Grundlagen und Anwendungsbereich, BauR 2020, 311, 321). Dann stellt sich als weitere Frage, wer die bis dahin angefallenen Kosten trägt. Hier kann es nur interessengerechte Lösungen im Einzelfall geben.
Schließlich steht auch die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Unmöglichkeit im Raum, wenn es beispielsweise einem Verbraucher schlichtweg nicht möglich ist, die Finanzierung anzuheben, weil die Banken – gerade wiederum aufgrund der Krise – den Kreditrahmen nicht erhöhen (vgl. Finkenauer in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, Band 3, § 313 Rn. 23, 161 ff.).
In diesen Fällen sind die bereits erbrachten Leistungen zu den Vertragspreisen zu vergüten, da insoweit der Wegfall der Geschäftsgrundlage noch nicht vorlag (Finkenauer in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, Band 3, § 313 Rn. 97 f.). Für die infolge des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ausbleibenden Leistungen erhält aber der Auftragnehmer keine Entschädigung (vgl. Gaier in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, Band 3, § 346 Rn. 17). Dem Auftraggeber ist es aber verwehrt, infolge des Interessenwegfalls die gesamte Bauleistung rückabzuwickeln.
Vor diesem Hintergrund kann sich der BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 bzw. die vielfach noch weitergehenden Forderungen der Bauindustrie auch zum Pyrrhussieg entwickeln. Die Stoffpreise am Bau steigen – der Lieferant verdient – die Gewichte innerhalb der Einzelkosten der Teilleistungen verschieben sich zugunsten der Baustoffe, der Anteil der Lohnleistungen, Maschinen und Geräte sinkt – mit den Produktionsfaktoren Maschinen und Personal kann weniger erlöst werden – Projekte werden gestrichen – Unternehmen bricht Umsatz weg. Diese Szenarien sind nicht fernliegend.
I. Muster Stoffpreisgleitklausel
1. Der Preis für den tatsächlich verbrauchten [Stoffbezeichnung] wird ab dem [Stichtag] gemäß folgender Formel angepasst:
Hierbei sind:
Preisneu = angepasster Preis
Preisalt = Basispreis
FaktorSelbstbeteiligung = Selbstbeteiligung des AN in Prozent
Indexneu = Index im Monat der Anpassung
Indexalt = Basisindex
1.1
Der angepasste Preis „Preis neu“ ist der Preis, der sich im Ergebnis der Preisgleitung ergibt.
1.2
Der Basispreis ist der für den Baustoff/Betriebsstoff im Leistungsverzeichnis vereinbarte Einheitspreis.
1.3
Für die Preisindizes gelten die Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes, „[Name des Index], GP-Nummer [●]“ der Fachserie 17, Reihe 2, (Internet: www.destatis.de).
1.4
Die Selbstbeteiligung dient dazu, den Arbeitnehmer gemäß der Vereinbarung nach Ziffer 2.7 an der Kostenveränderung zu beteiligen.
2.
Für die Vergütungsanpassung gelten folgende weitere Vorgaben:
2.1
Die Änderung der Indizes hat die jeweilige Partei nachzuweisen, die die Anpassung verlangt.
2.2
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bestimmung des Index neu ist der/die
[Datum Bestellung/Einkauf].
[Einbau = Stoff ist mit dem Grundstück (Baugrund) fest verbunden worden.]
[Lieferung = Stoff ist auf der Baustelle angeliefert worden.]
[Verwendung = Stoff ist unabhängig von den Begrifflichkeiten des BGB bei der Herstellung einer beweglichen Sache, die nicht mit dem Grundstück (Baugrund) fest verbunden ist, so eingesetzt worden, dass er seine bisherige Eigenständigkeit verloren hat, oder der Stoff ist bei der Leistungserbringung als Betriebsstoff verbraucht worden.]
2.4
Eine Vergütung aufgrund der Preisanpassung erfolgt ab dem o. g. Stichtag für tatsächlich erbrachte bzw. verbrauchte Stoffe, deren Mengen und Massen gemäß den vertraglichen Vereinbarungen nachzuweisen sind.
2.5
Der angepasste Preis gilt auch für die Abrechnung geänderter und zusätzlicher Leistungen.
2.6
Soweit für den indizierten Stoff keine Position/OZ im Leistungsverzeichnis vorgesehen ist, hat der AN prüfbar anhand der Vertragsgrundlagen nachzuweisen, welche Mengen er für diesen kalkuliert hatte und welche Mengen/Massen tatsächlich verbraucht wurden. Hierfür sind prüfbare Nachweise vorzulegen, aus denen sich insbesondere die Menge/Masse des Stoffes und der maßgebliche Zeitpunkt ergibt.
2.7
Selbstbeteiligung: An den ermittelten Aufwendungen wird der Auftragnehmer beteiligt, seine Selbstbeteiligung beträgt [●] v.H. der Mehraufwendungen, mindestens aber die Höhe des Bagatellbetrages.
2.8
Bagatellgrenze: Mehr- oder Minderkosten werden erst dann berücksichtigt, wenn die Bagatellgrenze überschritten ist, d. h. wenn diese mehr als [●] v. H. der Netto-Auftragssumme betragen. Für die Berechnung des Bagatellbetrages zugrunde zu legen ist die Abrechnungssumme ohne die aufgrund der Gleitklausel zu erstattenden Beträge und ohne Umsatzsteuer.
2.9
Bei Stoffpreissenkungen ist der AN verpflichtet, die ersparten (=Minder-) Aufwendungen von seinem Vergütungsanspruch abzusetzen. Er ist berechtigt ersparte Aufwendungen in Höhe der Selbstbeteiligung nach Ziffer 2.7 einzubehalten, mindestens die Höhe des Betrages der Bagatelle nach Ziffer 2.8. Sind sowohl Mehr- als auch Minderkosten zu erstatten, so werden diese getrennt ermittelt und gegeneinander aufgerechnet.
2.10
Nachunternehmer: Bei Weitergabe von Vertragsleistungen, die von der Stoffpreisgleitklausel betroffen sind, findet diese in Bezug auf die weitergegebenen Leistungen nur Anwendung, wenn und soweit der AN dem AG nachweist, dass die Mehrkosten gegenüber dem Nachunternehmer entstanden sind. Bei Preissenkungen und damit verbundenen Minderaufwendungen muss ein entsprechender Nachweis nicht geführt werden.
3.
Anhang: Auszugsweise Tabelle „Index der Erzeugerpreise gewerblicher Produkte (Inlandsabsatz) nach dem Güterverzeichnis für Produktionsstatistiken“, Ausgabe 2009 (GP 2009), Fachserie 17 Reihe 2 - Produkte und GP-Nummern gemäß BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 und Rundschreiben BMVI vom 25.03.2022:
II. Checkliste Stoffpreisgleitklausel Neuvertrag
(1) Bereich der Öffentlichen Hand: Liegt ein vom BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 erfasstes Produkt/Stoff vor (Stahl und Stahllegierungen, Aluminium, Kupfer, Erdölprodukte (Bitumen, Kunststoffrohre, Folien und Dichtbahnen, Asphaltmischgut), Epoxidharze, Zementprodukte, Holz und Gusseiserne Rohre)?
(2) Wie ist die genaue Bezeichnung des Produkts/Stoffs/Betriebsstoffs?
(3) Gibt es eine eigene OZ/Leistungsverzeichnis-Position?
(4) Beträgt der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Lieferung bzw. Fertigstellung mindestens einen Monat?
(5) Übersteigt der Wert der Betriebsstoffe bzw. der Stoffkostenanteil die Bagatellschwelle von 1 Prozent der geschätzten Auftragssumme? Welche Bagatellgrenze soll gelten?
(6) Bereich der Öffentlichen Hand: Beträgt die Selbstbeteiligung mindestens 10 Prozent der Mehr- oder Minderkosten, mindestens aber die Höhe der Bagatellgrenze?
Sonst: Welche Selbstbeteiligung soll gelten?
(7) Welche GP-Nummern sind einschlägig?
(8) Welcher Zeitpunkt soll für den Basiswert gelten (Versands der Vergabeunterlagen, Angebot, Vertragsschluss/Zuschlag)?
(9) Welcher Zeitpunkt soll für den Indexneu gelten (Einkauf/Bestellung, Lieferung, Einbau, Verwendung?)
(10) Ab welchem Zeitpunkt soll die Preisgleitung gelten?
(11) Bereich der Öffentlichen Hand: Ist die Befristung bis zum 30.06.2022 eigehalten?
III. Checkliste Nachträgliche Vereinbarung einer Stoffpreisgleitklausel
(1) Bereich der Öffentlichen Hand: Liegt ein vom BMWSB-Erlass vom 25.03.2022 erfasstes Produkt/Stoff vor (Stahl und Stahllegierungen, Aluminium, Kupfer, Erdölprodukte (Bitumen, Kunststoffrohre, Folien und Dichtbahnen, Asphaltmischgut), Epoxidharze, Zementprodukte, Holz und Gusseiserne Rohre)? Oder:
(2) Bereich der Öffentlichen Hand: Sind die Voraussetzungen des § 313 BGB/§ 58 BHO erfüllt?
(3) Wie ist die genaue Bezeichnung des Produkts/Stoffs/Betriebsstoffs?
(4) Gibt es eine eigene OZ/Leistungsverzeichnis-Position bzw. wurde diese nachträglich gebildet?
(5) Beträgt der Zeitraum zwischen Angebotsabgabe und Lieferung bzw. Fertigstellung mindestens einen Monat?
(6) Bereich der Öffentlichen Hand: Übersteigt der Wert der Betriebsstoffe bzw. der Stoffkostenanteil die Bagatellschwelle von 1 Prozent der geschätzten Auftragssumme? Welche Bagatellgrenze soll gelten?
(7) Bereich der Öffentlichen Hand: Beträgt die Selbstbeteiligung mindestens 20 Prozent der Mehr- oder Minderkosten, mindestens aber die Höhe der Bagatellgrenze? Sonst: Welche Selbstbeteiligung soll gelten?
(8) Welche GP-Nummern sind einschlägig?
(9) Welcher Zeitpunkt soll für den Basiswert gelten (Versand der Vergabeunterlagen, Angebot, Vertragsschluss/Zuschlag)?
(10) Welcher Zeitpunkt soll für den Indexneu gelten (Einkauf/Bestellung, Lieferung, Einbau, Verwendung)?
(11) Ab welchem Zeitpunkt soll die Preisgleitung gelten?
(12) Bereich der Öffentlichen Hand: Ist die Befristung bis zum 30.06.2022 eigehalten?
(13) Ist eine Ex-Post-Bekanntmachung nach §§ 132, 135 GWB notwendig?
IV. Checkliste Terminfortschreibung
(1) Ist die VOB/B vereinbart? Gibt es vertragliche Regelungen zur Anzeige von Behinderungen und der Fortschreibung von Terminen/Fristen?
(2) Liegen höhere Gewalt oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände als Störung vor?
(3) Liegt eine Behinderungsanzeige vor (Datum) oder war diese obsolet, weil die behindernde Wirkung der Störung für den Auftraggeber offenkundig war?
(4) Welche Leistungen nach dem Leistungsverzeichnis sind konkret betroffen?
(5) Welche Produktionsfaktoren/-mittel (Material, Personal, Maschinen, Geräte) des Auftragnehmers sind konkret betroffen?
(6) Wann sollten diese Leistungen nach dem ursprünglichen Terminplan (Soll) und gegebenenfalls nach einem bereits störungsbedingt fortgeschriebenen Terminplan erbracht werden?
(7) Ist erkennbar, wie lange die Behinderung andauern wird und welche Auswirkungen dies auf die Terminpläne nach Ziffer (6) hat?
(8) Welche Leistungen können trotz Behinderung erbracht werden?
(9) Welche Kosten entstehen beim Auftragnehmer durch die Behinderung in Bezug auf die geplanten Produktionsfaktoren/-mittel?
(10) Welche Frist ist für die Wiederaufnahme der Arbeiten nach dem Fortfall der Behinderung erforderlich?
V. Checkliste Preisanpassung nach § 313 BGB
(1) Welcher Umstand wird als gestörte Geschäftsgrundlage geltend gemacht?
(2) Gibt es für diesen Umstand eine Risikozuweisung im Vertrag?
(3) Wie hat sich dieser Umstand konkret nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und auf welche Leistungen/Positionen des Vertrags hat dieser Umstand welche konkreten Auswirkungen?
(4) Wie hat der Unternehmer/Auftragnehmer die betroffenen Leistungen kalkuliert? Welche Nachweise gibt es hierfür (Urkalkulation, Bestellbestätigungen, Nachunternehmerangebote)?
(5) Was hat sich an den Positionen/Kalkulationsfaktoren nach Ziffer (4) konkret geändert?
(6) Woraus ergeben sich konkret die gestiegenen, tatsächlich angefallenen Kosten beim Auftragnehmer? Welche Nachweise gibt es hierfür?
(7) Wurde berücksichtigt, dass bis zum Zeitpunkt der Störung erbrachte Leistungen nach den vertraglichen Vereinbarungen zu vergüten sind?
(8) Wurden etwaige Rückvergütungen oder Nachlässe des Baustofflieferanten berücksichtigt?
(9) In welcher Höhe erscheint eine Selbstbeteiligung oder eine Quotelung der Mehrkosten sinnvoll und angemessen?
(10) Ist eine Vertragsanpassung, insbesondere Erhöhung der Vergütung, dem Vertragspartner unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ebenfalls zumutbar?
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