16.01.2025
Die Wirtschaftswelt und mit ihr das Kartell- und Wettbewerbsrecht sowie die Vorschriften für ausländische Direktinvestitionen („FDI“) befinden sich im Wandel. Man könnte sogar argumentieren, dass sich gerade dieser Rechtsbereich am schnellsten an ein sich veränderndes politisches und wirtschaftliches Umfeld anpassen muss, beispielsweise wenn es um globale Trends bei grenzüberschreitenden Transaktionen in wirtschaftlichen Schlüsselbereichen oder um das grenzüberschreitende Verhalten globaler Unternehmen mit Auswirkungen auf den Wettbewerb und die nationalen Volkswirtschaften geht. Insbesondere wird sich die Diskussion über die sachgerechte Kontrolle von Mergers & Acquisitions fortsetzen, einschließlich neuer Formen von Transaktionen (wie „acqui-hires“) und neue Prüfungsmöglichkeiten für Behörden (wie „call in“-Optionen).
Deshalb ist es für die globale Wirtschaft und ihre Akteure von großem Interesse, welche Herausforderungen und Veränderungen das neue Jahr mit sich bringt. Unsere Prognose ist, dass es eine Vielzahl von Neuerungen geben wird:
Im Jahr 2025 wird eine neue Bundesregierung mit neuen wirtschaftspolitischen Impulsen ins Amt kommen. Gegenwärtig ist unklar, ob sich dies auf die Wettbewerbspolitik auswirken wird (z. B. ein stärker auf Deutschland und/oder Europa zentrierter Ansatz). Zumindest gewinnen die Debatten um die Schaffung nationaler/europäischer Champions bereits jetzt an Fahrt. In den USA wiederum hat Donald Trump, der in wenigen Tagen ins Weiße Haus zurückkehren wird, bereits eine „America first“-Politik angekündigt. In Brüssel beginnt die neu ernannte Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera mit der Umsetzung ihres wirtschaftspolitischen Programms, das mehr „Industriepolitik“ und weniger „freien Markt“ verspricht. Wortmeldungen aus Brüssel legen nahe, dass der Schwerpunkt auf der Schaffung starker europäischer Akteure liegen soll. Zugleich ist Frau Ribera auch Vizepräsidentin der Europäischen Kommission für den „sauberen, fairen und wettbewerbsfähigen Wandel“. Ihre Aufgabe besteht darin, „sicherzustellen, dass Europa auf Kurs bleibt, um seine im Europäischen Green Deal festgelegten Ziele zu erreichen, und gleichzeitig die Dekarbonisierung und Industrialisierung unserer Wirtschaft voranzutreiben“. Ihr Ansatz wird wahrscheinlich zu einer (nuancierten) Verschiebung der Wettbewerbspolitik führen und (europäischen) Unternehmen möglicherweise mehr Spielraum für die Zusammenarbeit unter einem „grünen Schirm“ einräumen (vgl. zu Nachhaltigkeitskooperationen insb. Abschnitt II unten).
Darüber hinaus gehen wir davon aus, dass auch in anderen Bereichen eine strenge Rechtsdurchsetzung – insbesondere in der digitalen Wirtschaft – weiterhin ein globales Phänomen sein wird. Daten und der Zugang zu Daten werden wahrscheinlich nach wie vor (und sogar zunehmend) das wichtigste Spannungsfeld, insbesondere angesichts der Tatsache, dass Künstliche Intelligenz immer mehr Teil unseres täglichen Lebens wird.
Mit Spannung ist deshalb zu beobachten, wie sich das Kartell- und Wettbewerbsrecht im Jahr 2025 entwickeln wird, weil es von großer Bedeutung für Unternehmen und ihre Handlungsspielräume auf den relevanten Märkten ist. Wir wagen daher einen Blick in die Kristallkugel und geben eine Prognose ab, welche kartellrechtlichen Weichenstellungen Gesetzgeber, Behörden und Gerichte im Jahr 2025 treffen werden.
Nach zum Teil nur eingeschränkten Verfolgungstätigkeiten während der Corona-Pandemie sind die nationalen Kartellbehörden und die Europäische Kommission endgültig wieder zu einer aktiven und konsequenten Kartellverfolgung zurückgekehrt. So verkündete der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, vor Kurzem, das Bundeskartellamt sei nach einer „Corona-Delle“ wieder „back on track“. Somit ist auch für das Jahr 2025 eine entschlossene Verfolgung und Ahndung von Kartellverstößen zu erwarten, weshalb Unternehmen (stets) mit großer Sorgfalt auf kartellrechtskonformes Verhalten achten sollten.
Blickt man auf Deutschland, so hat das Bundeskartellamt 2024 Geldbußen in Höhe von rund EUR 19,4 Mio. verhängt (vgl. hier). Das ist im Vergleich zur Gesamtsumme von EUR 1,3 Mrd. seit 2019 ein vergleichsweise geringer Betrag. Angesichts mehrerer großer Kartellfälle, die aktuell laufen, werden die verhängten Geldbußen 2025 voraussichtlich ansteigen.
Zur Aufdeckung von Kartellen setzte das Bundeskartellamt, nach Angaben von Andreas Mundt, zuletzt verstärkt auf das „Monitoring“ von Märkten sowie auf anonyme Hinweise über das Hinweisgeberportal. Neben solchen Ansätzen, sind auch kartellbehördliche Durchsuchungen (sogenannte „Dawn Raids“) für die Kartellaufdeckung unverändert wichtig. Dies gilt für die Europäische Kommission und das Bundeskartellamt gleichermaßen. Das Bundeskartellamt führte 2024 elf Dawn Raids durch. Erkennbar ist, dass dabei aufgrund der starken Verbreitung von Homeoffice der Durchsuchung von Privaträumen eine immer größere Bedeutung zukommt, weil die Behörden dort regelmäßig Beweismittel vermuten. Unternehmen sollten deshalb verstärkt darauf achten, ihre Mitarbeiter auf ein solches Szenario vorzubereiten. Vor besonderen Herausforderungen stehen Unternehmen zudem im Zusammenhang mit der Durchsuchung der IT-Infrastruktur, die mittlerweile nahezu immer im Fokus der Kartellbehörden steht. Immer wieder kam es in der Vergangenheit zu fällen, bei denen Mitarbeiter die Durchsuchung der IT behinderten und gegen das Unternehmen deshalb empfindliche Bußgelder verhängt wurden. Im Jahr 2024 veranschaulichte der Fall „International Flavors & Fragrances“ (vgl. hier) einmal mehr die schwerwiegenden Konsequenzen, die Unternehmen drohen. Weil ein Mitarbeiter WhatsApp-Nachrichten während eines Dawn Raids gelöscht hatte, verhängte die Europäische Kommission ein Bußgeld in Höhe von EUR 15,9 Mio. und kündigte an, auch künftig rigoros gegen ein solches Verhalten vorzugehen.
Darüber hinaus testen Kartellbehörden häufig die rechtlichen Grenzen von Dawn Raids aus. Es ist daher nicht überraschend, dass derzeit gleich mehrere Betroffene gegen Nachprüfungsbeschlüsse der Europäischen Kommission vor dem Europäischen Gericht in Luxemburg vorgehen (vgl. hier und hier). Die Kläger werfen der Europäischen Kommission zum Beispiel vor, dass kein hinreichender Verdacht für eine Durchsuchung vorgelegen habe oder der Nachprüfungsbeschluss nicht ausreichend begründet worden sei. Nachdem die Europäische Kommission bereits 2023 in einem ähnlichen Fall eine Niederlage gegen die französischen Supermarktketten Intermarché und Casino erlitten hat (vgl. hier und hier), sind die nun anstehenden Entscheidungen grundlegend dafür, welche inhaltlichen Anforderungen an europäische Nachprüfungsbeschlüsse zu stellen sind. In einem anderen Verfahren, das derzeit beim Europäischen Gericht anhängig ist, wird nicht die Zulässigkeit der Durchsuchung selbst in Zweifel gezogen. Allerdings verlangt das von der Durchsuchung betroffene Unternehmen, dass die Europäische Kommission alle Kosten trägt, die durch den Transfer der beschlagnahmten Daten nach Brüssel entstanden sind, wo die Europäische Kommission eine weitere Durchsicht der Daten durchführte. Auch auf nationaler Ebene steht ein Verfahren gegen einen Dawn Raid des Bundeskartellamtes vor einer Entscheidung, nachdem bereits kürzlich in anderen Verfahren Entscheidungen getroffen wurde – es ist also wahrscheinlich, dass 2025 weitere Klarheit über die rechtlichen Grenzen der Behörde geschaffen wird.
Nachdem die Europäische Kommission im Mai 2024 einmal mehr auf schädliche Wirkung von Arbeitsmarktvereinbarungen hingewiesen hat (vgl. hier), ist zu erwarten, dass solche Vereinbarungen (neben den klassischen Formen von Kartellabsprachen, wie z.B. Preisabsprachen) 2025 ganz oben auf der Agenda der Kartellbehörden stehen werden. Konkret geht es dabei um „wage-fixing“ (Absprachen zwischen Arbeitgebern über Löhne und andere Vergütungen) und „no-poach agreements“ (Vereinbarungen zwischen Arbeitgebern über Abwerbeverbote von Mitarbeitern). Ein besonderes Augenmerk der Kartellbehörden wird 2025 voraussichtlich zudem auf dem Thema „Künstliche Intelligenz“ liegen. So wies die Europäische Kommission im letzten Sommer in einer gemeinsamen Stellungnahme mit der britischen und den U.S.-Wettbewerbsbehörden (vgl. hier) auf die Gefahren von „Künstlicher Intelligenz“ für den Wettbewerb hin, die sich etwa aus der vereinfachten Möglichkeit für Wettbewerber ergeben, wettbewerbsrelevante Informationen auszutauschen und Preise gemeinsam festzulegen. Unternehmen sollten hierauf im Jahr 2025 einen Schwerpunkt ihrer kartellrechtlichen Compliance-Tätigkeiten setzen.
Die Nachhaltigkeitsziele des Europäischen Green Deals stehen auch unter der neuen Wettbewerbskommissarin Teresa Ribera im Fokus der europäischen Wettbewerbspolitik. Dabei gilt im Ausgangspunkt: Ein gut funktionierender und durch das Kartellrecht geschützter Wettbewerb zwischen Unternehmen ist grundsätzlich das beste Mittel, Nachhaltigkeitsziele effektiv und effizient zu erreichen. Kooperationen zwischen Unternehmen, die grundsätzlich dem Kartellverbot des Art. 101 AEUV oder § 1 GWB unterliegen, können im Einzelfall jedoch ein wirksames Instrument sein, um etwa Skaleneffekte zu erzielen oder einen sog. „first-mover-disadvantage“ zu Lasten eines Unternehmens zu vermeiden.
Die Europäische Kommission hat die Bedeutung sog. „Nachhaltigkeitskooperationen“ zwischen Unternehmen erkannt und diesen in ihren aktuellen Leitlinien über die Anwendbarkeit von Art. 101 AEUV über die horizontale Zusammenarbeit („Horizontalleitlinien“) – im Gegensatz zu den (alten) Horizontalleitlinien von 2011 - ein eigenes Kapitel eingeräumt. Nachhaltigkeit geht für die Europäische Kommission über Umwelt- und Klimaschutz hinaus und lehnt sich vielmehr an den Nachhaltigkeitsbegriff der Sustainability Development Goals der Vereinten Nationen an. Nachhaltigkeitskooperationen im Sinne der Horizontalleitlinien können somit beispielsweise auch den Arbeitnehmerschutz oder Menschenrechte zum Gegenstand haben.
Doch führt die Verfolgung eines Nachhaltigkeitsziels mittels Kooperation nunmehr dazu, dass diese Kooperation zwischen Unternehmen nicht mehr einer kartellrechtlichen Überprüfung standhalten muss? Hierzu ein klares „Nein“! Unmissverständlich spricht sich die Europäische Kommission in ihren Horizontalleitlinien dagegen aus, Nachhaltigkeitskooperationen generell vom Kartellverbot auszuschließen. Vielmehr prüft die Europäische Kommission wie folgt:
Bezweckte Wettbewerbsbeschränkungen profitieren nicht vom „soft safe harbour“ der Horizontalleitlinien und verstoßen gegen das Kartellverbot! Sieht eine Kooperation etwa vor, dass und wie erhöhte Kosten, die sich aus der Anpassung und Einhaltung von Nachhaltigkeitsstandards ergeben, an die Kunden weitergegeben werden können, profitiert diese nicht vom „soft safe harbour“.
Durch die Aufnahme eines Kapitels über Nachhaltigkeitskooperationen in die Horizontalleitlinien besteht nunmehr Klarheit darüber, wie die Europäische Kommission solche Kooperationen kartellrechtlich bewertet. Einen Freifahrtschein für die Zusammenarbeit zwischen Wettbewerben erteilen die Horizontalleitlinien nicht. Hardcore-Kartelle wie Preisabsprachen können keinesfalls durch Nachhaltigkeitszeile gerechtfertigt werden. Unternehmen müssen weiterhin vorsichtig agieren. Allein der Umstand, dass eine Kooperation Nachhaltigkeitsziele verfolgt, schützt nicht vor der Anwendung des Kartellverbots. Es ist wahrscheinlich, dass es im Jahr 2025 Fälle geben wird, die die rechtlichen Grenzen von Zusammenarbeit unter dem „grünen Schirm“ weiter präzisieren.
Im Bereich der Marktmachtmissbrauchsaufsicht wird für 2025 der Erlass neuer Leitlinien der Europäischen Kommission über die Anwendung des Art. 102 AEUV auf Fälle des Behinderungsmissbrauchs erwartet. Nachdem die Europäische Kommission im vergangenen Sommer einen entsprechenden Entwurf vorgelegt und einen öffentlichen Konsultationsprozess dazu eingeleitet hatte, liegen die Rückmeldungen daraus inzwischen vor und werden derzeit ausgewertet. Erklärtes Ziel der Europäischen Kommission ist es, noch in diesem Jahr „klare Spielregeln“ und einen „kohärenten und praktikablen Rahmen für die Beurteilung von missbräuchlichen Verhaltensweisen“ marktbeherrschender Unternehmen zu schaffen. Mittlerweile gibt es eine kaum noch zu überblickende Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission sowie der europäischen Gerichte zu verschiedenen Fällen des Behinderungsmissbrauchs (z.B. Liefer- und Geschäftsverweigerung, Verdrängungspreise, Exklusivitätsbindungen, Leistungskopplungen oder gewisse Rabattgestaltungen).
Die neuen Leitlinien sollen darlegen, wie die Europäische Kommission die vorhandene Rechtsprechung auslegt und sie sollen die behördliche Beschlusspraxis zusammenfassen. Dadurch erhoffen sich Unternehmen und Rechtsanwender mehr Rechtssicherheit und eine Orientierungshilfe für die kartellrechtskonforme Ausgestaltung z.B. ihrer Vertriebsstrukturen. Im bisherigen Leitlinienentwurf finden sich etwa allgemeine Grundsätze dazu, durch welche objektiven Rechtfertigungsgründe bestimmte Behinderungspraktiken legitimiert werden können oder Ausführungen dazu, welche Verhaltensweisen typischerweise bzw. mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu geeignet sind, Verdrängungswirkungen zu entfalten. Erstmals sind zu Letzterem auch Vermutungsregelungen enthalten – es bleibt abzuwarten, ob diese es letztlich in die finale Fassung der Leitlinien schaffen. In jedem Fall bildet der Behinderungsmissbrauch einen Fokus der Europäischen Kommission, sodass Unternehmen ihre (Vertriebs-)Prozesse dahingehend proaktiv kritisch überprüfen und ggf. monitoren sollten. (Bußgeld-)Verfahren nach Art. 102 AEUV bzw. § 19 GWB gilt es zu vermeiden: Diese sind zeit- und ressourcenintensiv und werden auch seitens der Behörden zunehmend konfliktär geführt.
Durch das viel diskutierte „Towercast“-Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus März 2023 ist bestätigt, dass bereits vollzogene, nicht anmeldepflichtige Transaktionen (d.h. solche, die weder die europäischen noch die nationalen fusionskontrollrechtlichen Aufgreifschwellen erreichen) nachträglich auf Grundlage des EU-Marktmachtmissbrauchsverbots überprüft werden können (wir berichteten in: Der Betrieb 2023 (Heft 30), S. 1717-1723). In gewisser Weise wurde ein „Auffangtatbestand“ geschaffen für Fälle, in denen die ex ante-Zusammenschlusskontrolle nicht greift. Obwohl dies bei der Transaktionsplanung zu gewissen Unsicherheiten geführt hat, sind bislang nur wenige Zusammenschlüsse bekannt geworden, die in Folge der „Towercast“-Rechtsprechung durch nationale Wettbewerbsbehörden ex post aufgegriffen und überprüft wurden (jeweils ein Fall in Frankreich und Belgien). Die Hürden für ein solches Vorgehen sind hoch: Allein die Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung durch die Transaktion genügt nicht. Das nur zurückhaltende Tätigwerden der Wettbewerbsbehörden auf Grundlage der „Towercast“-Rechtsprechung spiegelt auch die Auffassung des Bundeskartellamtes wider: Die Missbrauchsaufsicht kann nicht dazu dienen, etwaige Defizite in der Fusionskontrolle aufzuwiegen. Dennoch sollten marktstarke Unternehmen, die insgesamt aber nur vergleichsweise niedrige Umsätze erzielen, bei Transaktionen im Blick behalten, wie sich diese voraussichtlich auf die Marktstruktur auswirken: Verbleiben nach dem angestrebten Zusammenschluss keinerlei nennenswerte Wettbewerber, ist eine nachträgliche wettbewerbsbehördliche Überprüfung anhand von Art. 102 AEUV möglich – dieses Risiko sollte stets mitbedacht werden.
Die zunehmende wirtschaftliche und damit einhergehende politische Macht großer Digitalkonzerne steht bei der Europäischen Kommission, dem Bundeskartellamt und vielen weiteren nationalen Wettbewerbsbehörden weiterhin ganz oben auf der Agenda. Denn der Wettbewerb im Digitalsektor wird bereits jetzt – und das schon seit einigen Jahren – durch nur wenige marktmächtige Digitalkonzerne bestimmt. Diese verfügen neben ihrem Zugriff auf riesige Datensätze ihrer Nutzer auch über erhebliche finanzielle Mittel sowie enorme Serverkapazitäten. Diese Faktoren verschaffen den großen Digitalkonzernen erhebliche, sich gegenseitig verstärkende Wettbewerbsvorteile. Einer davon betrifft die Entwicklung und Verwendung von Künstlicher Intelligenz („KI“): Auf allen Ebenen, die damit in Verbindung stehen, verfügen Unternehmen wie beispielsweise Google oder Microsoft über einen erheblichen Vorsprung – denn es gibt kaum KI-Anwendungen, die nicht an irgendeinem Punkt mit Google oder Microsoft in Berührung kommen.
Um Wettbewerbsprobleme in digitalen Märkten besser und vor allem schneller adressieren zu können, wurde dem Bundeskartellamt auf nationaler Ebene bereits Anfang 2021 durch die 10. GWB-Novelle die sog. erweiterte Missbrauchsaufsicht über Unternehmen mit „überragender marktübergreifender Bedeutung“ nach § 19a GWB an die Hand gegeben. Daneben ist auf europäischer Ebene seit Mai 2023 der Digital Markets Acts („DMA“) in Kraft, der bestimmte Gatekeeper-Unternehmen mit zentralen Plattformdiensten in den Blick nimmt. Inzwischen gibt es erste Erfahrungswerte mit diesem vergleichsweise neuen Regulierungsrahmen; sowohl das Bundeskartellamt als auch die Europäische Kommission sind in dem Bereich sehr aktiv.
Zum einen hat das Bundeskartellamt in den letzten Jahren für fünf Unternehmen insgesamt (Alphabet/Google, Amazon, Apple, Meta und Microsoft) eine überragende marktübergreifende Bedeutung festgestellt, sodass diese jetzt der erweiterten Missbrauchsaufsicht unterliegen. Die letzte Entscheidung Ende September 2024 betraf Microsoft und ist inzwischen rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, ob das Bundeskartellamt 2025 in einem zweiten Schritt von seinen mit dieser Einstufung verbundenen Kompetenzen Gebrauch machen und den betroffenen Unternehmen besondere Verhaltensauflagen aus dem Katalog des § 19a Abs. 2 GWB auferlegen wird. Ein entsprechendes Verfahren läuft z.B. bereits gegen Meta (i.S. VR-Brillen und deren Nutzung mit verschiedenen Accounts).
Auf europäischer Ebene hat zum anderen die Europäische Kommission die sog. Gatekeeper-Rolle verschiedener Digitalkonzerne festgestellt, wodurch diese – nach Ablauf einer sechsmonatigen Umsetzungsfrist ab Benennung durch die Europäische Kommission – unter die besonderen Verhaltensregeln des DMA fallen. Anders als bei der Feststellung durch das Bundeskartellamt betrifft die Qualifikation als Gatekeeper jedoch nicht den gesamten Digitalkonzern als solchen, sondern konkret einzelne durch das Unternehmen angebotene zentrale Plattformdienste – z.B. bei Microsoft „nur“ das soziale Netzwerk LinkedIn und das Betriebssystem Windows PC OS. Für die benannten Plattformdienste gelten die Verhaltenspflichten des DMA jedoch automatisch und müssen – anders als bei der deutschen Regelung – nicht gesondert „scharf gestellt“ werden. Ihre Einhaltung wird von der Europäischen Kommission überwacht, entsprechende Verfahren laufen. Betroffen sind neben den o.g. fünf Unternehmen, die auch das Bundeskartellamt im Blick hat, zusätzlich Byte-Dance (TikTok), Booking sowie X (ehemals Twitter). Darüber hinaus führt die Europäische Kommission derzeit eine Untersuchung bzgl. Bing Maps von Microsoft durch. Zudem laufen Berufungsverfahren gegen die Feststellung der Gatekeeper-Funktion von Apple in Bezug auf den AppStore und das Betriebssystem iOs, von Meta in Bezug auf den Marketplace und den Messenger sowie von X in Bezug auf das zugehörige soziale Netzwerk.
Es ist zu erwarten, dass sich 2025 weiter herauskristallisieren wird, in welchen Fällen das Bundeskartellamt trotz der großen Überschneidungen hinsichtlich der von § 19a GWB einerseits und dem DMA andererseits adressierten Unternehmen eigenständig gegen große Digitalkonzerne vorgehen kann. Wegen des Vorrangs der europäischen Regelung kommen dafür zwei Konstellationen in Betracht: Zum einen sind dies Fälle, in denen ein Service eines Digitalkonzerns mit überragender marktübergreifender Bedeutung betroffen ist, für den die Europäische Kommission aber keine Gatekeeper-Rolle festgestellt hat (z.B. iMessage von Apple, Alexa von Amazon oder Bing Search von Microsoft). Zum anderen kann das Bundeskartellamt – trotz entsprechender Feststellung eines Gatekeeper-Status durch die Europäische Kommission – einem Digitalkonzern mit überragender marktübergreifender Bedeutung eine bestimmte Verhaltensweise verbieten oder anordnen, die weitreichender ist als im DMA vorgesehen. Praktische Bedeutung könnte diese Kompetenzverteilung vor allem im Bereich KI erlangen: Bisher fallen KI-basierte Services der großen Digitalkonzerne zumindest nicht unmittelbar in den Anwendungsbereich des DMA. Bei dessen Entstehung waren solche Services (v.a. große Sprachmodelle, d.h. Large Language Models („LLM“) wie Chat GPT) nämlich noch nicht im Blick der breiten Öffentlichkeit und des europäischen Gesetzgebers, sodass der DMA KI-basierte Services bisher nicht als zentrale Plattformdienste auflistet. Sie würden nur dann unter den DMA fallen, wenn sie in einen konkret durch die Europäische Kommission benannten zentralen Plattformdienst eines Gatekeepers integriert wären – was bislang aber nicht der Fall ist, weil für Cloud-Services, die den engsten Bezug zu KI haben, noch keine Gatekeeper definiert wurden. Diese Lücke könnte das Bundeskartellamt über § 19a GWB füllen, weil die Feststellung einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung eines Unternehmens hier nicht auf einzelne Services beschränkt ist, sondern sich die dazugehörigen – durch das Bundeskartellamt zu „aktivierenden“ – Verhaltenspflichten des § 19a Abs. 2 GWB auf sämtliche Services des Digitalkonzerns beziehen können: Also auch auf den Einsatz von KI.
Insgesamt wird spannend zu beobachten sein, ob und wie die Wettbewerbsbehörden mit den teils rasanten technischen Entwicklungen im Digitalbereich werden Schritt halten können. Insofern ist eine Novellierung des DMA denkbar, in der gezielt LLM-basierte KI-Anwendungen als zentrale Plattformdienste aufgenommen werden. Daneben unterfällt der Einsatz von KI auch dem im Sommer 2024 in Kraft getretenen europäischen AI Act – die EU nimmt hier in Sachen Regulierung eine (teils umstrittene) Vorreiterrolle ein. Neben den regulatorischen Grundlagen besteht aber auch ganz praktisch Digitalisierungs- und Personalbedarf bei den Wettbewerbsbehörden, damit sie Big Tech auf Augenhöhe gegenübertreten können. Hier scheint es noch Nachholbedarf zu geben.
Welche Priorität die Regulierung großer Digitalkonzerne auf der anderen Seite des Atlantiks zukünftig haben wird, zeichnet sich bereits ab: Der designierte US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, die bisherige Vorsitzende der Federal Trade Commission (FTC) Lina Khan, die gegenüber dem Silicon Valley einen strengen Kurs verfolgte, zu entlassen und durch den „liberaleren“ Andrew Ferguson zu ersetzen (vgl. hierzu auch Abschnitt VI unten). Mit der künftigen Trump-Administration und deren Nähe zu Elon Musk haben die großen Digitalkonzerne mächtige Fürsprecher für sich gewonnen. Zuletzt mehrten sich vor diesem Hintergrund Berichte darüber, die Europäische Kommission könnte vor der Trump-Administration und deren Bestrebungen, gegen die aus ihrer Sicht überbordende EU-Digitalregulierung vorzugehen, einknicken. Es bleibt abzuwarten, ob die Europäische Kommission zukünftig aufgrund politischen Drucks aus den USA tatsächlich von ihrer bisher harten Linie gegenüber Big Tech Abstand nimmt und laufende DMA-Untersuchungen abweichend bewertet.
Auch die nächsten Schritte des Bundeskartellamtes im Digitalsektor dürfen mit Spannung erwartet werden. Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, hat bereits mehrfach betont, dass das Thema KI die Behörde intensiv beschäftige – bisher aber kein entsprechender Fall zur Prüfung vorlag. Es ist davon auszugehen, dass das Bundeskartellamt nicht zögern wird, intensive Ermittlungen einzuleiten und ggf. zu intervenieren, sollte sich das ändern. Klar ist aber auch, dass die Kontrolle zunehmender Marktmacht von internationalen Digitalkonzernen nicht allein durch eine nationale Wettbewerbsbehörde gestemmt werden kann. Eine Kooperation mit der Europäischen Kommission und weiteren nationalen Behörden wird dafür unerlässlich sein.
Beginnt man das neue Jahr mit einem "Blick in die Kristallkugel", bedarf es keiner "Rocket Science", um festzustellen, dass sich die Trends der letzten Jahre im Bereich Private Enforcement auch im Jahr 2025 wahrscheinlich fortsetzen werden. Mehr als 10 Jahre nach Einführung der EU-Schadenersatzrichtlinie 2014/104 ist die Anzahl der Klagen aufgrund von Kartellrechtsverstößen immer noch hoch. Für den kontinuierlichen Anstieg der immer komplexeren Verfahren mag es verschiedene Gründe geben, wie z.B. tendenziell klägerfreundliche Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in den letzten Jahren oder die Entwicklung verschiedener spezifischer Geschäftsmodelle in diesem Bereich bzw. Prozessfinanzierer, um nur einige davon zu nennen.
Der Zusammenhang zwischen dem Anstieg an Kartellschadensersatzverfahren und der rückläufigen Anzahl an Kronzeugenanträgen in den letzten Jahren dürfte sich auch im Jahr 2025 fortsetzen. Nach dem Jahresbericht 2023/24 des Bundeskartellamts (abrufbar hier, S. 35) gab es im Jahr 2023 nur (noch) 14 Kronzeugenanträge. Das ist keine Überraschung: Zwar können Kronzeugen auf den Erlass des Bußgelds hoffen, sehen sich aber nach wie vor anschließend drohenden, äußerst komplexen und kostspieligen Kartellschadensersatzverfahren ausgesetzt. Im Zeitalter von Sammelklagen, Prozessfinanzierern und Klägeranwaltskanzleien mit spezialisierten Geschäftsmodellen wird ein weitgehender(er) Schutz von Kronzeugen zu erörtern sein. Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, hat allerdings in einem Vortrag Ende Dezember erwähnt, dass man nach dem Ende der Pandemie eine steigende Anzahl an Kronzeugenanträgen sehe. Allerdings erwäge man, die Anzahl der Anträge zukünftig nicht mehr zu kommunizieren, um die Effektivität des Programmes zu fördern.
Im Rahmen der Diskussion der GWB-Novelle wurden zwar u.a. Verbesserungen im Hinblick auf die besondere Komplexität von Kartellschadensersatzverfahren diskutiert; weitreichende Änderungen, wie z.B. Erleichterungen für Kartellschadensersatzkläger, insbesondere durch eine Schadensersatzvermutung, schlug der Referenten-Entwurf jedoch wohl nicht vor. Nach dem vorzeitigen Ende der Koalition ist die bereits angekündigte GWB-Novelle ohnehin vorerst "vom Tisch". Mit weitreichenden regulatorischen Änderungen zur privaten Rechtsdurchsetzung ist in diesem Jahr daher nicht zu rechnen.
Einer der meistdiskutierten "Evergreens" im Bereich der Kartellschadensersatzverfahren dürfte auch 2025 die Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes bleiben. In den letzten Jahren hat sich hierfür weder in der EU noch in Deutschland ein Mindeststandard etabliert. Nach wie vor kann das entscheidende Gericht die Höhe des Schadensersatzes nach § 287 ZPO schätzen (wie z.B. das Landgericht Dortmund im Schienenkartell) oder die Entscheidung über die Schadensersatzhöhe auf Sachverständigengutachten stützen, vgl. § 286 ZPO (z.B. das Landgericht Mannheim im Zuckerkartell), abhängig von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Dies ist umso interessanter, als es immer mehr Kartellfälle gibt, in denen die nationalen Wettbewerbsbehörden oder die Europäische Kommission keine Preisabsprachen, sondern einen rechtswidrigen Informationsaustausch bebußt haben, was im digitalen Zeitalter auch weiterhin immer mehr an Relevanz gewinnen wird. Im Fall KWR-Produkte (Körperpflege, Wasch- und Reinigungsmittel) hat das OLG Schleswig einen Schaden von ("nur") 0,5 % angenommen, weil die tatsächliche Vermutung für einen Schaden durch den Informationsaustausch im konkreten Fall zwar nicht vollständig hat widerlegt werden können, aber nur geringe Kartelleffekte angenommen wurden. In 2025 könnten wir eine steigende Anzahl an Entscheidungen sehen, die nicht nur über die Schadenersatzpflicht dem Grunde nach urteilen, sondern konkrete Schadenssummen ausurteilen.
Auch außerhalb der "klassischen" Kartellschadensersatzklagen könnte Private Enforcement im Jahr 2025 im Hinblick auf den Digital Markets Act (DMA) relevant werden (zum DMA vgl. auch Abschnitt IV oben), für dessen private Durchsetzung die 11. GWB-Novelle einen verfahrensrechtlichen Rahmen geschaffen und die Erleichterungen, die auch für Kartellschadensersatzklagen gelten, auf den DMA ausgedehnt hat. In diesem Zusammenhang wird es interessant sein, zu sehen, ob die Anzahl an Verfahren im Bereich Private Enforcement des DMA 2025 zunehmen wird: Einzelpersonen und Unternehmen können nach Feststellung der Gatekeeper-Stellung Schadensersatz für Verstöße gegen oder (unter bestimmten Umständen) Unterlassungsansprüche im Hinblick auf die "self-executing" Pflichten der Gatekeeper (Art. 5, 6 und 7) aus dem DMA geltend machen. Zwar hat das Bundeskartellamt demgegenüber eine Reihe von Adressaten des § 19a GWB benannt (z.B. Alphabet und Meta), doch kann die private Rechtsdurchsetzung erst dann beginnen, wenn das Bundeskartellamt entsprechende Anordnungen zur konkreten Einhaltung des § 19a Abs. 2 GWB erlassen hat.
Die neuen Bestimmungen des DMA bzw. § 19a GWB und der DSGVO bilden neben Art. 102 AEUV jedenfalls eine zusätzliche Grundlage für die private Rechtsdurchsetzung. Insoweit lässt sich ebenfalls feststellen, dass sich die Trends der letzten Jahre fortsetzen. Der Schutz des Verbraucherrechts ist bereits zu einem wichtigen Bestandteil der kartellrechtlichen Agenda von Gesetzgebern und Wettbewerbsbehörden geworden. So besteht z.B. kein Zweifel daran, dass sich das Bundeskartellamt nicht nur als Wettbewerbsbehörde, sondern auch als Verbraucherschutzbehörde versteht, auch wenn sie bisher noch sehr begrenzte Kompetenzen zur Durchsetzung von Verbraucherrechten hat und die im GWB-Maßnahmengesetz vorgesehenen Erweiterungen der Kompetenzen nun nicht verabschiedet werden.
Was die aktuellen politischen Entwicklungen in diesem Zusammenhang angeht, so ist es unwahrscheinlich, dass die bisherige Linie der EU und der Fokus auf Big Tech unter der neuen Kommissarin Teresa Ribera nach dem Ende der Amtszeit der bisherigen Kommissarin Vestager zurückgedreht wird. Im Gegenteil, die Durchsetzung des DMA steht generell auf der Agenda von Frau Ribera (siehe hier). In ihrer Rede auf der CRA-Jahreskonferenz am 10. Dezember 2024 ging Frau Ribera direkt darauf ein (hier abrufbar):
"...Kontrolle digitaler Gatekeeper: Wir leben in einer Welt, in der Plattformen und große Technologieunternehmen eine zentrale Rolle in unserer Wirtschaft spielen. Einige dieser Plattformen sind zu Gatekeepern geworden, die den Zugang zu Kunden, Daten und Marktchancen kontrollieren. Aus diesem Grund ist das Gesetz über digitale Märkte so wichtig. Es gibt uns die Macht, dafür zu sorgen, dass Plattformen Chancen für Start-ups und Innovatoren schaffen und sie nicht ausschließen. Wir müssen dafür sorgen, dass die digitalen Märkte in Europa offen bleiben für neue Akteure, neue Ideen und neue Investitionen.“ [Aus dem Englischen übersetzt]
Die EU wird einem gewissen Druck seitens der USA mit Blick auf die 2. Amtszeit von Trump umgehen müssen. Es ist insoweit offensichtlich, dass die Durchsetzung von Verbraucherschutzgesetzen und die Behandlung von Big Tech unter Trump anders gesehen werden wird, als es unter Biden oder Khan der Fall gewesen ist. Elon Musk, Trumps Beauftragter für Bürokratieabbau, hat bereits verlautbaren lassen, das Consumer Financial Protection Bureau (CFPB) im Finanzsektor abschaffen zu wollen.
Zusammengefasst kann man sagen, dass sich die jüngsten Trends im Jahr 2025 in unterschiedlicher Weise fortsetzen werden. Gleichzeitig bleibt die Herausforderung bestehen, die Komplexität der privaten Rechtsdurchsetzung des Kartellrechts und des DMA für alle beteiligten Parteien zu bewältigen.
Spannende Entwicklungen sind im Jahr 2025 allen voran bei der Fusionskontrolle zu erwarten.
Nach dem sogenannten „Illumina/Grail“-Urteil des Europäischen Gerichtshofs im letzten Herbst (siehe hier) herrscht bei Unternehmen Unsicherheit, welche Behörde künftig Transaktionen prüfen wird. Fest steht, dass die nationalen Kartellbehörden nach dem Urteilsspruch die Fälle nunmehr nicht so einfach zur Europäischen Kommission nach Brüssel verweisen können, wenn der Zusammenschluss nach nationalem Recht nicht geprüft werden kann. Das haben die Kartellbehörden als Problem erkannt, vor allem bei sogenannten „killer acquisitions“ (das sind Erwerbe von kleinen, innovativen Unternehmen durch marktstarke Player vor allem aus den Bereichen Digitalwirtschaft und Pharma). Um diese Lücke zu schließen, denkt die Europäische Kommission über eine Reform der EU-Fusionskontrollverordnung nach.
Auch der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt, hat sich zuletzt dafür ausgesprochen, die Kompetenzen des Bundeskartellamtes zu erweitern, um „killer acquisitions“ besser erfassen zu können. Konkret zieht er eine Absenkung der Transaktionswertschwelle, die in Deutschland zurzeit bei EUR 400 Mio. liegt, oder eine großzügigere Erfassung nur künftiger (potenzieller) Inlandstätigkeiten eines Unternehmens in Betracht (derzeit ist eine bestehende (tatsächliche) wesentliche Tätigkeit des Zielunternehmens erforderlich, um den für die Zuständigkeit des Bundeskartellamtes notwendigen Inlandsbezug zu bejahen). Auch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat sich bereits Mitte 2024 in einem Referentenentwurf dafür ausgesprochen, die Prüfungsbefugnisse des Bundeskartellamtes auszuweiten und künftig nur voraussichtliche Inlandstätigkeiten (in einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren) für eine Anwendbarkeit der deutschen Fusionskontrolle genügen zu lassen.
Zudem haben mehrere europäische Mitgliedstaaten zuletzt sogenannte „call in“-Optionen eingeführt, die ihnen ein breites Aufgreifermessen zur fusionskontrollrechtlichen Prüfung von Transaktionen geben (siehe hier). Derzeit bereiten beispielsweise die Niederlande die Einführung einer „call in“-Option in ihrem Fusionskontrollsystem vor. Weithin anerkannter Schwachpunkt solcher „call in“-Optionen ist deren mangelnde Rechtssicherheit, welche aus dem breiten Aufgreifermessen für Wettbewerbsbehörden resultiert. Aus diesem Grund betrachtet nicht zuletzt das Bundeskartellamt „call in“-Optionen eher skeptisch.
Auch im Bereich der Vorschriften für ausländische Direktinvestitionen (FDI) gibt es Anzeichen, dass mehrere Staaten künftig verstärkt auf „call in“-Options setzen werden, um mehr Flexibilität bei der Überprüfung ausländischer Investitionen zu haben. (Noch) stärkere Kontrollrechte werden etwa in Deutschland diskutiert und andere Staaten – in der EU und außerhalb, wie etwa die Schweiz – stehen vor der erstmaligen Einführung von FDI-Regimen. Ein weiterer Schwerpunkt der Debatte liegt derzeit auf dem sog. „outbound investment screening“, das den Technologie- und Know-how-Abzug durch Investitionen heimischer Unternehmen im Ausland in den Blick nehmen soll.
Für Unternehmen wird es deshalb immer weniger voraussehbar, ob ihre Transaktionen von den nationalen und europäischen Behörden überprüft werden.
Diese mangelnde Voraussehbarkeit wird noch einmal dadurch verstärkt, dass die Behörden für sich beanspruchen, auch „untypische“ Übernahmen prüfen zu können. Im Jahr 2024 hat das der Fall „Microsoft/Inflection AI“ besonders deutlich gezeigt, bei dem es um einen sogenannten „acqui-hire“ ging. Microsoft hatte fast alle Mitarbeiter und die Nutzungsbedingungen für die wichtigsten geistigen Eigentumsrechte von Inflection AI übernommen. Das Bundeskartellamt wertete diese Vereinbarung als eine Transaktion, die grundsätzlich von der deutschen Fusionskontrolle erfasst sein kann (wobei im konkreten Fall die nationalen Schwellenwerte für die Überprüfung der Transaktion nicht erreicht wurden).
Auch außerhalb Europas ist der Trend zu beobachten, dass Behörden und Gesetzgeber bei Transaktionen künftig noch genauer hinsehen. So verzeichnete etwa Kanada im Jahr 2024 einen Anstieg bei der Anzahl der überprüften Transaktionen. Überdies hat sich Australien erst kürzlich dazu entschieden, erstmalig eine verbindliche Fusionskontrolle vor Closing einzuführen, wie sie z.B. bereits in Europa vorhanden ist. Auch Ägypten führte im Jahr 2024 zum ersten Mal vergleichbare verbindliche Regelungen ein, ebenso wie die Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS), der 15 Mitgliedstaaten wie die Elfenbeinküste, Ghana und Nigeria angehören. Gerade bei grenzüberschreitenden Transaktionen sind solche Entwicklungen genau zu verfolgen und müssen allen voran bei den Transaction Timelines bedacht werden.
Abzuwarten bleibt, wie sich die amerikanischen Behörden unter dem am 20. Januar 2025 ins Amt kommenden Präsidenten Trump positionieren wird. Mit der Wahl von Gail Slater als oberste Kartellrechtlerin im amerikanischen Justizministerium (DOJ) und von Andrew Ferguson als Vorsitzenden der Federal Trade Commission (FTC) hat Trump bereits erste Weichen gestellt. Insbesondere von Ferguson ist zu erwarten, dass er marktmächtigen Unternehmen mit weniger Skepsis begegnen wird, als das noch unter Präsident Biden der Fall war – eine Position, die vor allem „Big Tech“-Unternehmen nutzen wird (vgl. hierzu auch Abschnitt IV oben).
Neue Wege in der Fusionskontrolle geht indessen die chinesische Wettbewerbsbehörde, die erst kürzlich ankündigte, ihr Fusionskontrollverfahren künftig vollständig zu digitalisieren und dabei stark auf den Einsatz von Datenbanken zu setzen. Aus Unternehmenssicht ist damit die Hoffnung verbunden, dass Anmeldungen bei der chinesischen Wettbewerbsbehörde in der Zukunft noch schneller und reibungslos ablaufen.
Prof. Dr. Christian Burholt, LL.M.
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Dr. Sebastian Felix Janka, LL.M. (Stellenbosch)
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Anne Caroline Wegner, LL.M. (European University Institute)
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Samira Altdorf, LL.M. (Brussels School of Competition)
Senior Associate
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Lasse Langfeldt, LL.M. (Uppsala), LL.M. (Brussels School of Competition)
Senior Associate
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Martin Lawall, LL.M. (University of Glasgow)
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Severin Uhsler
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Lara Zölck
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