14.08.2023

Neues zur Managerhaftung: (Vorerst) kein Regress von kartellrechtlichen Unternehmensgeldbußen – Erleichterung für Manager?

Hintergrund

Spätestens seit dem Siemens/Neubürger-Urteil des Landgerichts München I (Az.: 5 HK O 1387/10) genießen Fragen der Organhaftung und Compliance – also insbesondere der Haftung von Vorständen einer Aktiengesellschaft (AG) gemäß § 93 Abs. 2 AktG und der Haftung von Geschäftsführern einer GmbH gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG – erhöhte Aufmerksamkeit. Obergerichtlich nicht entschieden war bislang die Frage, ob Unternehmensgeldbußen, und hier insbesondere Kartell-Geldbußen, beim Vorstand oder Geschäftsführer regressfähig sind.

Nach der herrschenden Auffassung, der Instanzgerichte wie das Landgericht Saarbrücken (Az.: 7 HK O 6/16 und 7 HK O 21/19) im Sanitärkartell-Fall oder das Landesarbeitsgericht Düsseldorf im Schienenkartell-Fall (Az.: 16 Sa 459/14) folgten, ist die Regressfähigkeit von Kartell-Geldbußen abzulehnen. Das Bundesarbeitsgericht hatte (Az.: 8 AZR 189/15) eine Entscheidung in der Sache allerdings offen gelassen. Der 6. Kartellsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf hat am 27. Juli 2023 nunmehr entschieden, dass Vorstand und Geschäftsführer nicht persönlich für eine gegen das Unternehmen verhängte Kartell-Geldbuße haften (Az.: VI-6 U 1/22 (Kart)). Endgültige Klarheit zu dieser höchst umstrittenen Frage bringt das Urteil des OLG Düsseldorf aber (noch) nicht, denn das Urteil ist nicht rechtskräftig. Der 6. Kartellsenat hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.

Im Folgenden ordnen wir zunächst die dem Urteil zugrundeliegende Problematik ein (unter 2.), fassen die wesentlichen Aussagen des Urteils zusammen (unter 3.) und bewerten die Bedeutung des Urteils für die Praxis (unter 4.).

Unternehmensgeldbußen im Kartellrecht und Grundsätze der Organhaftung

Vorsätzliche oder fahrlässige Verstöße gegen das unionsrechtliche oder deutsche Kartellverbot oder das Missbrauchsverbot haben für Unternehmen teils drastische bußgeldrechtliche Konsequenzen: Gegen Unternehmen – die Normadressaten des Kartell- und Missbrauchsverbots – kann für vorsätzliche Verstöße ein Bußgeld von bis zu 10 % des jeweiligen im vorausgegangen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes festgesetzt werden. Es ist die Aufgabe der Mitglieder des Leitungsorgans eines Unternehmens zu verhindern, dass aus dem Unternehmen heraus (bußgeldauslösende) Verstöße gegen kartellrechtliche Normen begangen werden. Die Mitglieder des Leitungsorgans sind zum einen im Zusammenhang mit der Ausübung ihrer eigenen Tätigkeit verpflichtet, sämtliche Rechtsvorschriften zu beachten, welche die Gesellschaft im Außenverhältnis treffen (sog. Legalitätspflicht). Ein unternehmerisches – etwa durch die sog. business judgement rule gedecktes – Ermessen zur Begehung von (auch für das Unternehmen nützlichen) Gesetzesverstößen, gibt es nicht. Auch der Annahme eines unvermeidbaren Verbotsirrtums zugunsten eines Organmitglieds aufgrund der Einholung von Rechtsrat sind äußerst enge Grenzen gesetzt. Darüber hinaus müssen Vorstände und Geschäftsführer neben der eigenen Rechtstreue sicherstellen, dass sich auch andere Mitarbeiter des Unternehmens rechtstreu verhalten (sog. Legalitätskontrollpflicht). Organmitglieder trifft somit eine Aufsichts- und Überwachungspflicht, die die Einrichtung eines effektiven – das Kartellrecht umfassenden – Compliance-Systems erfordern kann.

Verletzt ein Leitungsorganmitglied seine gegenüber dem von ihm geführten Unternehmen bestehende Legalitäts- oder Legalitätskontrollpflicht, und wird etwa aufgrund eines Verstoßes gegen das Kartell- oder Missbrauchsverbot eine Geldbuße gegen das von dem Organmitglied vertretenen Unternehmen aufgrund dieses Verstoßes verhängt, stellt sich die Frage, ob die verhängte Geldbuße – aber auch andere Kosten wie etwa mit dem Bußgeldverfahren zusammenhängende Anwaltskosten – gegenüber Organmitgliedern regressfähig sind.

Das Urteil des OLG Düsseldorf

Der 6. Kartellsenat des OLG Düsseldorf lehnt die persönliche Haftung eines Organmitglieds für Kartell-Geldbußen ab, die gegenüber dem Unternehmen verhängt wurden.

Der Entscheidung des OLG Düsseldorf lag folgender – kurz skizzierter – Sachverhalt zu Grunde:

Der Beklagte war in seiner Funktion als Geschäftsführer einer GmbH und zugleich als Vorstandsvorsitzender einer AG – zwei verbundene Unternehmen (die GmbH ist eine 100%ige Tochtergesellschaft der AG) – im Zeitraum von 2002 bis 2015 regelmäßig an einem gegen das Kartellverbot verstoßenden Informationsaustausch zwischen Wettbewerbern in der Edelstahlbranche beteiligt. Nach Abschluss seiner Ermittlungen und Durchführung des Bußgeldverfahrens verhängte das Bundeskartellamt gegen insgesamt zehn am Edelstahlkartell beteiligte Unternehmen, zwei Branchenverbände sowie siebzehn natürliche Personen – darunter auch der Beklagte – Geldbußen in Höhe von ca. EUR 355 Mio. Die vom Beklagten vertretene GmbH wurde dabei mit einem Bußgeld in Höhe von EUR 4,1 Mio. belegt; gegen die AG wurde kein Bußgeld festgesetzt, sondern das Bußgeldverfahren gegen diese aus Ermessensgründen nach § 47 Abs. 1 OWiG eingestellt. Die gegenüber der GmbH festgesetzte Geldbuße hatte ausschließlich ahnenden Charakter, und von der Abschöpfung etwaiger wirtschaftlicher Vorteile wurde abgesehen.

Die GmbH und die AG verklagten daraufhin den Beklagten vor dem Landgericht Düsseldorf auf Schadensersatz in Höhe der gegen die GmbH festgesetzten Unternehmensgeldbuße, auf Erstattung von für die AG angefallenen Aufklärungs- und Anwaltskosten, sowie auf Feststellung, der Beklagte hafte für alle aus dem Kartellrechtsverstoß zukünftig resultierenden Schäden, insbesondere aus der Inanspruchnahme der AG und GmbH durch Dritte auf Kartellschadensersatz gemäß § 33a GWB. Das Landgericht Düsseldorf wies die Klage im Hinblick auf den geltend gemachten Schadensersatz sowie der geltend gemachten Aufklärungs- und Erstattungskosten dem Grunde nach ab, stellte aber fest, dass der Beklagte verpflichtet sei, der GmbH und AG diejenigen Schäden zu ersetzen, die zukünftig aus dem Kartellrechtsverstoß resultieren (Az.: 37 O 66/20).

Der 6. Kartellsenat des OLG Düsseldorf bestätigte das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts und wies die Berufung sowohl des Beklagten als auch die der Klägerinnen zurück.

Ein Bußgeldregress komme deshalb nicht in Frage, weil andernfalls die gesetzgeberische Wertung unterlaufen würde, wonach es im deutschen Kartellrecht getrennte Bußgeldtatbestände für die Festsetzung eines Bußgelds gegenüber einer natürlichen Person zum einen (§ 81 GWB) und gegenüber Unternehmen zum anderen (§ 81 a GWB) gebe. Diese differenzierte Ausgestaltung zeige sich insbesondere auch beim Bußgeldrahmen, nämlich 10 % des vom Unternehmensverbund erzielten Gesamtumsatzes im der Behördenentscheidung vorausgegangenen Geschäftsjahr im Falle der Unternehmensgeldbuße und maximal EUR 1 Mio. im Zusammenhang mit der Festsetzung einer Geldbuße gegen eine natürliche Person.

Weiterhin – so das OLG Düsseldorf – sei der Sanktionszweck der Unternehmensgeldbuße gefährdet, würde man einem Unternehmen die Regressfähigkeit gegenüber einem Organmitglied zusprechen wollen. Sinn und Zweck der unternehmensbezogenen Sanktion ist es, präventiv Verstöße gegen das Kartellrecht mittels Abschreckungswirkung zu verhindern. Würde man einem Unternehmen jedoch den Rückgriff und damit– zumindest teilweise – eine Schadloshaltung bei seinen Organmitgliedern erlauben, würde die Abschreckungswirkung nach Ansicht des 6. Kartellsenats in Frage gestellt, denn ein Unternehmen könne sich der eigenen kartellrechtlichen Bußgeldverantwortung durch den Regress entziehen.

Das OLG Düsseldorf lehnt zur Begründung des Binnenregress auch einen Rückgriff auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, nach der Berater gegenüber ihrem Auftraggeber haften. Denn die Verhängung einer Unternehmensgeldbuße setzte zwingend eine Anknüpfungstat einer für das Unternehmen handelnden Person voraus, § 30 OWiG. Voraussetzung sei mithin, dass mindestens zwei voneinander getrennte Rechtsträger – die Leitungsperson und das Unternehmen – als Sanktionsadressaten in Betracht kämen, und eben nicht nur ein Sanktionsadressat. Diese gesetzgeberische Wertung würde durch einen Binnenregress letztlich unterlaufen.

Da Aufklärungs- und Anwaltskosten in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Bußgeldverfahren stünden, seien auch diese Kosten nicht regressfähig. Anders sei dies allerdings im Hinblick auf zivilrechtliche Ansprüche Dritter, die aufgrund des Kartells geschädigt wurden; für solche Schäden hafte ein Organmitglied grundsätzlich sehr wohl.

Bedeutung des Urteils für die Praxis

Das Urteil des OLG Düsseldorf ist (noch) nicht rechtskräftig und es ist wahrscheinlich, dass der Bundesgerichtshof in der Revisionsinstanz eine grundlegende Entscheidung zur Frage der Regressierbarkeit von Bußgeldern (und mit dem Bußgeldverfahren zusammenhängende sonstige Kosten) treffen wird.

Die Relevanz der Entscheidung des OLG Düsseldorfs ist trotzdem nicht zu unterschätzen. Zum einen ist die Frage der Regressfähigkeit von kartellrechtlichen Unternehmensgeldbußen zumindest bis zu einer etwaigen höchstrichterlichen Entscheidung obergerichtlich geklärt, wobei die Entscheidung des 6. Kartellsenats des OLG Düsseldorf auf einer Linie mit einem Großteil der bisherigen instanzgerichtlichen und fachgerichtlichen Rechtsprechung liegt – aber eben nicht mit allen Instanzgerichten wie etwa dem LG Dortmund, das jüngst in einem Urteil vom 21.06.2023 (Az.: 8 O 5/22) den Bußgeldregress gegen Unternehmensorgane sogar als eine zwingende Sanktionsmaßnahme angesehen hat. Zum anderen bedeutet das Urteil des OLG Düsseldorf nicht, dass sich Organmitglieder (und deren D&O-Versicherung, sofern diese das Verhalten des Organmitglieds überhaupt deckt, was bei Vorsatz oder zumindest wissentlichen Pflichtverletzungen des jeweiligen Organmitglieds ohnehin eher nicht der Fall ist) aus haftungsrechtlicher Perspektive zurücklehnen können: Die Haftung für Schäden aufgrund zivilrechtliche Ansprüche Dritter aus dem Kartellrechtsverstoß bleibt nämlich sehr wohl bestehen, was nach dem OLG Düsseldorf auch durch eine Feststellungsklage (so auch im konkreten Verfahren) konstatiert werden darf.

Gerade diese Haftung für Ansprüche Kartellgeschädigter gewinnt mit Blick auf zunehmende Kartellschadenersatzklagen (sog. private enforcement) immer mehr an Bedeutung. Insofern müssen Aufsichtsratsmitglieder im Einklang mit der ARAG/Garmenbeck Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Az.: II ZR 175/95) die Geltendmachung von Regressanforderungen gegenüber Leitungsorganen im Falle eines Kartellrechtsverstoßes weiterhin kritisch prüfen und mit Blick auf die Verjährung von etwaigen Ansprüchen eine fristgerecht Verfolgung erwägen; gelangt der Aufsichtsrat zu der Überzeugung, dass ein durchsetzbarer Anspruch gegen ein Leitungsorganmitglied besteht, trifft den Aufsichtsrat grundsätzlich die Pflicht zur Geltendmachung dieses Anspruchs.

Eine dem Unternehmen und dessen Risikoexposition angemessene Compliance ist und bleibt – gerade auch mit Blick auf die Einhaltung des Kartellrechts – für Unternehmen zwingend und ist darüber hinaus insbesondere auch im Interesse der Leitungsorgane: Compliance ist „Chefsache“! Rechtsverstöße sollten unternehmensintern konsequent untersucht werden. Auch interne – anlassunabhängige – Audits können dazu beitragen, kritische Bereiche frühzeitig zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen einzuleiten.

Autor/in
Dr. Sebastian Felix Janka, LL.M. (Stellenbosch)

Dr. Sebastian Felix Janka, LL.M. (Stellenbosch)
Partner
München
sebastian.janka@luther-lawfirm.com
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Martin Lawall, LL.M. (University of Glasgow)

Martin Lawall, LL.M. (University of Glasgow)
Senior Associate
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