16.08.2018

Musterfeststellungsklage - eine Wunderwaffe des Verbrauchers gegen Konzerne?

Blog

Autoren: Dr. Stephan Bausch und Brigita Pupšytė

Hintergrund

16.08.2018

Musterfeststellungsklage - eine Wunderwaffe des Verbrauchers gegen Konzerne?

Spätestens seit den Klagen von geschädigten Inhabern der Lehman Brothers-Zertifikate nach der Insolvenz der Bank im Jahre 2008 wird über die Einführung einer formalen Sammelklage diskutiert. Diese sollte speziell für Verbraucher in Rechtsstreitigkeiten mit Unternehmen entworfen werden. In den USA können bereits seit Langem gebündelte Klagen einzelner Verbraucher in Form von Sammelklagen erhoben werden.

Einführung eines neuen Sammelklage-Modells in Deutschland
Nun soll auch durch den deutschen Gesetzgeber eine vergleichbare Form dieses Sammelklagen-Modells mit der sog. Musterfeststellungsklage eingeführt werden. Bisher konnten in Deutschland über das kollektive Verbandsklagerecht Ansprüche nur in dem Bereich des Kapitalmarktrechts nach KapMuG sowie bestimmte Unterlassungs- und Widerrufsansprüche nach dem UKlaG oder UWG durchgesetzt werden.

Nachdem das Vorhaben nach massiver Kritik fast gescheitert wäre, beschloss der Bundestag mit Zustimmung von Union und SPD schließlich am 14. Juni 2018 das überarbeitete Gesetz zur Musterfeststellungsklage. Am 6. Juli 2018 billigte auch der Bundesrat die Einführung der Musterfeststellungsklage. Dieses in Eile entworfene Gesetz soll noch zum 1. November dieses Jahres in Kraft treten, um insbesondere Verbrauchern im Hinblick auf die Diesel-Thematik bei der Rechtsdurchsetzung zu unterstützen.

Die Intention des von der Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) stammenden überarbeiteten Gesetzesentwurfs ist die Ermöglichung der schnellen und kostengünstigen Durchsetzung von Ansprüchen der Verbraucher gegen Unternehmen. Bisher gibt es für die Verbraucher nur zwei Alternativen: individuelle Klage oder Abtretung ihrer Ansprüche an diverse Dienstleister gegen Zahlung einer hohen Provision.

Doch was versteht man konkret unter der Musterfeststellungsklage, was verspricht die neue Klageform und kann diese Klage die Erwartungen erfüllen? Nach dem neuen Klagemodell sollen Verbraucher nicht selbst klagen und sich so dem Prozessrisiko aussetzen müssen. Stattdessen können sie sich von bestimmten qualifizierten Verbraucherschutzverbänden im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG vertreten lassen, welche die Prozessführung für eine Vielzahl von Betroffenen gleichzeitig übernehmen.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass zunächst für mindestens zehn Geschädigte, welche durch das gleiche Unternehmen einen vergleichbaren Schaden erlitten haben, von einem stellvertretend klagenden Verband vor einem Landgericht eine Klage erhoben werden kann. Zuständig ist ausschließlich das Gericht am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten gemäß § 32c ZPO-E. Eine Wahl des Klägers zwischen verschiedenen einschlägigen Gerichtsständen im Sinne des § 35 ZPO entfällt. Melden sich nach der Klageerhebung innerhalb von zwei Monaten mindestens fünfzig Personen zum elektronischen Klageregister beim Bundesamt für Justiz und schließen sich der Klage an, kommt es zu einer Musterfeststellungsklage. Wird diese Zahl nicht erreicht, kommt es zu keiner Musterfeststellungsklage. Für den Fall der Erhebung der Musterfeststellungsklage hat bereits die Anmeldung der Forderung zum Klageregister für die Verbraucher den Vorteil, dass die Verjährung von Ansprüchen gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB-E gehemmt wird. Eine inhaltliche Prüfung der angemeldeten Forderung und somit eine detaillierte Überprüfung der sogenannten Aktivlegitimation der einzelnen Kläger ist gemäß § 608 Abs. 2 S. 2 ZPO-E nicht vorgesehen.

Die erhobene Musterfeststellungsklage beschränkt sich auf die Feststellung einzelner Fragen betreffend Ansprüche oder Rechtsverhältnisse. Es wird also nur festgestellt, ob ein bestimmter, genereller Sachverhalt gegeben ist, bei welchem der Verbraucher grundsätzlich einen Anspruch auf Schadensersatz hat. Beispielsweise könnte allgemeingültig festgestellt werden, ob bei einem Sachverhalt ein Sachmangel einer Sache gegeben ist. Individuelle Merkmale bezüglich des konkreten Einzelfalls, wie z.B. die Kausalität zwischen Täuschung und Irrtum, werden nicht festgestellt und bleiben einem individuellen Folgeprozess vorbehalten.

Können sich die Parteien im Laufe des Prozesses nicht einigen beziehungsweise wird kein Vergleich im Sinne des § 611 ZPO-E geschlossen, kommt es zu einem Feststellungsurteil. Mit der so erwirkten Feststellung genereller Fragen bei einem bestimmten Sachverhalt geht jedoch noch keine Pflicht des Unternehmens einher, Schadensersatz an die Verbraucher zu zahlen. Erfolgt die Leistung der Zahlung des Unternehmens auf das erwirkte Feststellungsurteil in der Folge nicht freiwillig, kommt der Verbraucher mithin nur zu einem Zahlungsurteil, indem er im Anschluss an die Musterfeststellungsklage individuell klagt. In diesem Folgeprozess ist das zuständige Gericht aufgrund der Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils im Sinne des § 613 ZPO-E an dessen tatsächliche und rechtliche Feststellungen gebunden. Die individuellen Merkmale und Besonderheiten jedes Einzelfalles müssen jedoch im Folgeprozess geprüft werden. Die Bindungswirkung des Feststellungsurteils einer Musterfeststellungsklage hat damit nicht nur den möglichen Vorteil in Form einer geplanten Prozessbeschleunigung des Anschlussprozesses, sondern birgt auch ein hohes Risiko für den Einzelkläger. Sofern das Musterfeststellungsverfahren von dem Verbraucherverband nicht ordnungsgemäß geführt wird, wird der Kläger in dem Anschlussprozess an die getroffenen Feststellungen dennoch gebunden.

Der Verbraucher ist somit trotz der Musterfeststellungsklage angehalten, im Nachgang selbständig eine gegebenenfalls langwierige Leistungsklage, nunmehr gerichtet auf Zahlung, zu erheben.

Eine weitere Hürde besteht zudem schon am Anfang der neuen Klageform, nämlich bei der Auswahl des zuständigen Verbraucherschutzverbandes. Zu beachten ist der Umstand, dass nicht alle Verbände die notwendigen Kriterien im Sinne des neu einzuführenden § 606 Abs. 1 ZPO-E erfüllen, um stellvertretend eine Musterfeststellungsklage erheben zu dürfen. Der neue § 606 ZPO-E regelt in seinem ersten Absatz in Nr. 1 bis 5 die notwendigen strengen Voraussetzungen hierzu. Insbesondere müssen die sogenannten qualifizierten Einrichtungen mindestens 350 Mitglieder haben oder als Dachverband zehn Verbände unter sich vereinen. Ferner müssen die Verbraucherverbände mindestens vier Jahre in der Liste gemäß § 4 UKlaG oder dem Verzeichnis der europäischen Kommission nach Artikel 4 der Richtlinie 2009/22/EG eingetragen sein.

Fazit
Es bleibt festzuhalten, dass das Gesetz als sogenanntes Maßnahmengesetz eher eine Notlösung darstellt, die innerhalb kürzester Zeit den Weg in das Bundesgesetzblatt finden sollte. In der Musterfeststellungsklage ist zwar ein verwertbarer Ansatz des ambitionierten Gesetzgebers zur Stärkung von Verbraucherrechten zu erkennen. Jedoch mangelt es an einer ordentlichen Ausführung des Gesetzes im Detail. Der Verbraucher wird auch mit der neuen Musterfeststellungsklage bei der Durchsetzung seiner Ansprüche einige Hürden bewältigen und lange auf ein erstes finanzielles Ergebnis warten müssen. Die eigentliche Idee hinter dem Gesetzentwurf erscheint noch nicht ausgereift und es bleibt fraglich, ob die durch das bald in Kraft tretende Gesetz in Aussicht gestellten Versprechen jemals gehalten werden können. 

Autor/in
Dr. Stephan Bausch, D.U.

Dr. Stephan Bausch, D.U.
Partner
Köln
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