26.03.2021
Eines der weltweit größten Containerschiffe, die „MV Ever Given“, hat sich am 23./24. März im Suezkanal festgefahren und kommt aktuell nicht mehr aus eigener Kraft frei. Das riesige Containerschiff, das länger ist als der Suezkanal breit, hat sich während eines Sandsturms in dieser für den weltweiten Handel enorm wichtigen Wasserstraße wie eine Straßensperre diagonal mit Bug und Heck gleichzeitig verkeilt. Auch eine Flotte von bis zu zehn Schleppern konnte das Schiff bisher nicht freibekommen. Auf beiden Seiten des havarierten Schiffs sitzen bereits jetzt zahlreiche anderen Schiffe fest.
Der Zwischenfall kommt zur Unzeit: Schon heute sind die weltweiten Lieferketten wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie unter größtem Stress. Nun stellt sich den globalen Warenströmen im Suezkanal - buchstäblich - das nächste Hindernis in den Weg. Wenn es nicht gelingt, die Ever Given zeitnah freizuschleppen, muss in den Lieferketten zwischen Europa und Asien mit enormen Turbulenzen, erheblichen Verspätungen und Kostensteigerungen gerechnet werden. Die Ausweichroute für Schiffe um die Südspitze Afrikas führt zu erheblichen Verzögerungen in den Transportwegen. Gleichzeitig werden durch die längeren Transportwege die zur Verfügung stehenden Frachtkapazitäten noch knapper. Unternehmen, die auf Belieferung durch ihre Lieferanten aus Asien warten, müssen sich darauf einstellen, dass zugesagte Liefertermine ggf. nicht eingehalten werden können und sie gegenüber ihren Abnehmern wiederum ihrerseits vereinbarte Liefertermine nicht werden einhalten können. Hier drohen Schadensersatzansprüche wegen Verzugs, die Verhängung von Pönalen oder Kündigung/Rücktritt von Verträgen, wenn nicht kurzfristig gehandelt wird. Dem logistischen Problem drohen rechtliche Auseinandersetzungen zu folgen.
So müssen Unternehmen, die begründeten Anlass zu der Befürchtung haben, wegen ausbleibender Vormaterialien selbst nicht rechtzeitig lieferfähig zu sein, ihren Kunden unverzüglich eine Force Majeure-Anzeige zu machen. Mit einem bloßen „Zweizeiler“ ist es dabei allerdings nicht getan. Vielmehr müssen die betroffenen Unternehmen konkret darüber informieren, welche Leistungen davon erfasst sind, welche Abhilfemaßnahmen geplant sind und wie die Auswirkungen auf die Belieferung des Kunden voraussichtlich ausfallen werden.
Gleichzeitig müssen die betroffenen Unternehmen auch prüfen, welche angemessenen Maßnahmen zur Schadensminimierung sie in der aktuellen Situation treffen können und müssen – ob sie etwa in der Pflicht sind, notfalls auch teure Sondertransporte zu veranlassen. Hierzu gibt es keine allgemein-gültigen Aussagen; entscheidend ist stets die vertragliche Vereinbarung im Einzelfall. Insbesondere auch die vereinbarten Lieferbedingungen sind hier von zentraler Bedeutung, etwa vereinbarte Incoterms®.
Zudem sollten Unternehmen derzeit vor der Bestätigung künftiger Aufträge prüfen, in wie weit die darin vereinbarten Liefertermine gefährdet sein können. Nach Bekanntwerden der „Vollsperrung“ ist für jetzt erst abzuschließende Geschäfte eine Berufung auf höhere Gewalt/Force Majeure möglicherweise schon deshalb ausgeschlossen, weil das Leistungshindernis inzwischen nicht mehr unvorhersehbar war. Überall dort, wo Bestellungen daher erst noch zu bestätigen sind, muss dies bedacht werden. In dauerhaften Lieferbeziehungen könnte danach neuen Lieferabrufen vorerst zu widersprechen sein. Auch hier ist aber zunächst eine gründliche rechtliche Prüfung der vertraglichen Regelungen zwingend erforderlich, bevor insoweit Fakten geschaffen werden.
Volker Steimle
Partner
Köln
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