25.11.2024
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshof (BGH) hat in seinem Urteil vom 23. Juli 2024 zwei zentrale Fragen behandelt: Erstens, ob ein durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens unterbrochener Rechtsstreit auch nur teilweise wiederaufgenommen werden kann. Darüber hinaus hat der BGH entschieden, ob und unter welchen Voraussetzungen auch ein ausgeschiedener Geschäftsführer, der während seiner Amtszeit die Insolvenzantragspflicht verletzt hat, für Schäden von Neugläubigern haftet, die erst nach seinem Ausscheiden Verträge mit der insolvenzreifen Gesellschaft geschlossen haben.
Die Klägerin nimmt die Beklagte, als Alleinerbin eines verstorbenen Geschäftsführers mehrerer Vertriebsgesellschaften, wegen Schadensersatz aufgrund von Verletzung der Insolvenzantragspflicht durch den verstorbenen Geschäftsführer in Anspruch.
Der Unternehmensgegenstand der Vertriebsgesellschaften war der Handel mit Containern, die an Leasinggesellschaften oder Reedereien vermietet wurden. Um dieses Geschäftsmodelle zu finanzieren, wurden Anlageverträge mit Investoren geschlossen. Aufgrund dieser Verträge kauften Investoren Container und stellten diese im Rahmen eines befristeten Verwaltungsvertrags den Vertriebsgesellschaften zur Verfügung. Für die Laufzeit der Verwaltungsverträge wurde den Investoren ein garantierter Mietzins zugesichert.
Ab 2007 gerieten die Vertriebsgesellschaften in finanzielle Schwierigkeiten, da die vertraglichen Ansprüche der Investoren nicht mehr aus eigenen Mitteln bedient werden konnten. In der Folge wurden Gelder neuer Investoren verwendet, um frühere Investoren zu befriedigen, statt neue Container zu kaufen – es entstand ein Schneeballsystem. Im Frühjahr 2018 brach dieses System zusammen, sodass am 24. Juli 2018 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Vertriebsgesellschaften wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet wurde.
Zuvor, zwischen Juli 2013 und Juli 2016, schloss die Klägerin drei Anlageverträge mit den Vertriebsgesellschaften ab. 2016 wurde der Geschäftsführer (und späterer Erblasser) dieser vier Vertriebsgesellschaften abberufen. Nach seiner Abberufung schloss die Klägerin einen weiteren Anlagevertrag ab. Am 13. Juni 2018 verstarb der Geschäftsführer.
Die Klägerin hat (für alle Verträge) insgesamt 73.100,00 Euro investiert aber nur 21.488,40 Euro als Mietzahlungen erhalten. Sie verklagte die Alleinerbin des Erblassers daher u.a. wegen Insolvenzverschleppung auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 51.611,60 Euro sowie auf Zinsen und vorgerichtliche Anwaltskosten. Außerdem beantragte sie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, sie von weiteren Zahlungen im Zusammenhang mit den Verträgen freizustellen, insbesondere gegenüber dem Insolvenzverwalter.
In erster Instanz gab das Landgericht der Klage nur hinsichtlich der drei Anlageverträge statt, die vor der Abberufung des Erblassers geschlossen wurden.
Während des sich anschließenden Berufungsverfahrens wurde am 20. Oktober 2020 nun auch das Nachlassinsolvenzverfahren über das Vermögen des ehemaligen Geschäftsführers als Erblasser eröffnet und damit das Berufungsverfahren nach § 240 ZPO unterbrochen. Die Klägerin meldete eine Forderung in Höhe von 73.100 Euro als "Forderung aus Schadensersatzanspruch" zur Insolvenztabelle an, die vom Insolvenzverwalter bestritten und der von der Beklagten widersprochen wurde.
Nach der Wiederaufnahme des unterbrochenen Verfahrens gab das Berufungsgericht der Klage auch hinsichtlich des vierten Anlagevertrages statt. Im Rahmen der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der gesamten Klage weiter.
Der Bundesgerichtshof hob das Berufungsurteil insgesamt auf. Er entschied, dass der Rechtsstreit aufgrund einer unwirksamen Wiederaufnahme teilweise noch unterbrochen war und das Berufungsgericht daher keine Entscheidung in der Sache hätte treffen dürfen. Zudem seien die Klageanträge nicht korrekt angepasst worden.
Der BGH stellte fest, dass das Berufungsgericht übersehen habe, dass der Rechtsstreit nur teilweise, und zwar nur im Hinblick auf die Hauptforderungen der Klägerin (Zahlungsanspruch und Freistellungsanspruch) wirksam aufgenommen worden sei. Dies ergebe sich durch Auslegung der Forderungsanmeldung der Klägerin. Hinsichtlich der Zinsen und Anwaltskosten fehle es an einer Forderungsanmeldung, was aber für die Wiederaufnahme des Rechtsstreits notwendig sei. Dies hatte der Senat in einem Parallelurteil (Az. II ZR 222/22) entschieden.
Eine solche Teilaufnahme eines unterbrochenen Rechtsstreits sei nach der Rechtsprechung des BGH nur dann möglich, wenn ausgeschlossen sei, dass widersprüchliche Entscheidungen in Bezug auf den aufgenommenen und den nicht aufgenommenen Teil ergehen könnten. Diese Gefahr sei vorliegend zwar nicht ausgeschlossen, allerdings müsse dennoch eine Teilaufnahme möglich sein, da das Interesse der Klägerin an effektivem Rechtsschutz überwiege. Der BGH begründet dies unter anderem mit der Gleichstellung zu Gläubigern, über deren Forderungen zur Zeit der Verfahrenseröffnung noch kein Rechtsstreit anhängig war. Denn diese Gläubiger könnten völlig problemlos nur einen Teil ihrer Forderungen zur Tabelle anmelden und diese im Falle des Widerspruchs durch den Gläubiger im Wege einer Neuklage zur Tabelle feststellen lassen. Dann müsse es aber auch Gläubigern, deren Forderungen bereits zur Zeit der Verfahrenseröffnung schon in einem Rechtsstreit anhängig waren, möglich sein, nur die im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen weiterzuverfolgen.
Schließlich hätte das Berufungsgericht noch berücksichtigen müssen, dass die Anträge infolge des Nachlassinsolvenzverfahrens von einem Leistungsantrag in einen Feststellungsantrag zur Tabelle hätten umgestellt werden müssen. Da dies nicht erfolgt war, konnte das Urteil auch aus diesem Grund nicht aufrechterhalten werden.
Hinsichtlich der Haftung des ausgeschiedenen Geschäftsführers bestätigte der BGH, dass dieser auch für Schäden hafte, die erst nach seinem Ausscheiden entstanden sind, sofern die Verletzung der Insolvenzantragspflicht weiterhin kausal für die Schadensentstehung war. Der Senat spricht sich damit ausdrücklich gegen eine Beschränkung der Haftung des Geschäftsführers auf vor seiner Amtsbeendigung bzw. noch innerhalb des Dreiwochenzeitraums des § 15a Abs. 1 InsO a.F. entstandenen Schäden aus.
Dadurch umfasst die Haftung des ausgeschiedenen Geschäftsführers auch Neugläubiger, die erst nach seinem Ausscheiden Verträge mit der Gesellschaft abgeschlossen haben, wenn und solange die durch die Pflichtverletzung geschaffene Gefahrenlage noch fortbesteht und damit für den Verschleppungsschaden (mit)ursächlich geworden ist.
Der Wechsel der Geschäftsführung führe im vorliegenden Fall letztendlich nur dazu, dass der neue Geschäftsführer zur Haftung des ausgeschiedenen Geschäftsführers hinzutrete, wobei die Frage, ob einer der Geschäftsführer dem Schaden näher stünde als der andere, nur für den Ausgleich im Innenverhältnis relevant sei.
Nur wenn sich das durch die Pflichtverletzung des ausgeschiedenen Geschäftsführers geschaffene Risiko beim Vertragsabschluss des Neugläubigers nicht mehr auswirke, könne die Haftung entfallen. Das sei etwa der Fall, wenn sich die Gesellschaft nach der Antragspflichtverletzung des Geschäftsführers zunächst wieder nachhaltig erholt habe und erst nach seinem Ausscheiden wieder insolvenzreif geworden sei. Nachdem dies vorliegend aber nicht der Fall gewesen war, blieb es bei der Nachhaftung des Geschäftsführers.
Das Urteil des BGH lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Im vorliegenden Fall hob der BGH das Urteil des Berufungsgerichts hauptsächlich aufgrund der prozessualen Fehler bei der Wiederaufnahme des Verfahrens und der Anpassung der Klageanträge auf. Im wiedereröffneten Verfahren haben die Parteien nun die Möglichkeit, ihre Anträge anzupassen und den Sachvortrag zu ergänzen.
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