01.02.2023
Die zuletzt und bis dato bestehende hohe Verunsicherung in vielen Märkten durch die Preisexplosionen bei Energie und innerhalb vieler Lieferketten zwangen den Gesetzgeber im Jahr 2022 zum Handeln. Den Unternehmensverantwortlichen droht eine persönliche Haftung im Falle des Nichterkennens der eingetretenen Insolvenzantragspflicht.
Um diesen Schwierigkeiten zu begegnen, hat die Bundesregierung eine Änderung des Sanierungs- und insolvenzrechtlichen Krisenfolgenabmilderungsgesetzes (SanInsKG) erlassen. Dieses sollte in seiner ursprünglichen Fassung den wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, insbesondere den für eine Vielzahl von Unternehmen erheblichen Umsatzeinbrüchen, begegnen. Die Vorschriften wurden nun allgemeiner gefasst, um auch aktuellen Krisenzeiten Rechnung tragen zu können.
Um eine persönliche Haftung abzuwenden, müssen die Geschäftsführer haftungsbeschränkter Gesellschaften Krisen frühzeitig erkennen und die Interessen ihrer Gläubiger schützen. Dabei ist es von besonderer Relevanz, eine Insolvenzantragspflicht rechtzeitig zu erkennen. Schwierigkeiten bereitet hier freilich die Bestimmung, wann eine solche Pflicht als „rechtzeitig“ erkannt gilt. Seit jeher gibt es in Deutschland zwei zwingende Insolvenzantragsgründe für haftungsbeschränkte Gesellschaften, nämlich: Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung.
Zahlungsunfähigkeit ist recht einfach zu entdecken: jeder Geschäftsführer kann sehen, ob die Liquidität genügt, Zahlungsverpflichtungen bei deren Fälligkeit zu erfüllen. Sollte das nur kurz (weniger als drei Wochen) oder in geringem Umfang (weniger als 10 % der fälligen Gesamtverbindlichkeiten) nicht gelingen, liegt lediglich eine sog. „Zahlungsstockung“ vor. Anderenfalls muss unverzüglich, spätestens aber nach drei Wochen ein Insolvenzantrag gestellt werden.
Die Ermittlung der Überschuldung ist komplizierter, vor allem, weil die hierfür erforderlichen Daten nicht ohne weiteres ersichtlich sind: Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen der Gesellschaft (zu Zerschlagungswerten) geringer ist als ihre Schulden. Hierbei dürfen stille Reserven einbezogen und Verbindlichkeiten mit qualifiziertem Rangrücktritt ausgenommen werden. Sollte diese Berechnung negativ ausfallen, kommt es darauf an, ob die Gesellschaft eine positive Fortführungsprognose hat – und zwar für die kommenden zwölf Monate, also, jedenfalls nicht innerhalb dieses Horizonts zahlungsunfähig wird.
Dieser Prognosezeitraum wurde nunmehr im SanInsKG 2022 auf vier Monate verkürzt. Außerdem wurde die Antragsfrist bei Überschuldung auf maximal acht Wochen verlängert. Hierbei ist allerdings Vorsicht geboten: die Prognoseverkürzung gilt nur für diejenigen, deren Insolvenzantragsfrist nicht bereits vor dem 9. November 2022 verstrichen war. Sollte also die Zahlungsunfähigkeit vor dem 28. September 2023 prognosegemäß eintreten, greift die Privilegierung in der Regel nicht. Dann muss ein Geschäftsführer zur Vermeidung gravierender Haftungsrisiken umgehend reagieren! Es bleibt also die Frage, wie vielen Unternehmen die Privilegierungen im SanInsKG tatsächlich nutzen.
Es empfiehlt sich stets, eine Liquiditätsplanung aufzustellen. Freilich: eine solche Liquiditätsüberwachung bindet Managementkapazitäten und ist z. T. auch kostspielig, wenn externe Berater benötigt werden. Es gilt aber stets: eine saubere Planung lohnt sich!
Trotz der – etwas verwirrenden – systematischen Einordnung in § 4 Absatz 2 SanInsKG ist für die Prognoseverkürzung nicht nötig, dass gleichzeitig die Voraussetzungen des § 4 Absatz 1 vorliegen, die Überschuldung muss also nicht ausschließlich auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen sein.
Gunnar Müller-Henneberg
Partner
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