14.11.2024
Das OLG Köln hat sich mit Urteil vom 19. Juli 2024 (Az.: 6 U 101/ 23) erneut zur Maskenbeschaffung der Bundesregierung im sogenannten Open House-Verfahren geäußert. Bereits im Juni 2024 war der rund 100 Klagen zählende Klagekomplex mit einem Gesamtstreitwert von 2,3 Milliarden[1] Gegenstand eines Parallelverfahrens vor dem OLG Köln (Urteil vom 21. Juni 2024 – Az.: 6 U 112/23).
Das streitgegenständliche Open House-Verfahren wurde im März/April des Jahres 2020 durch das Bundesgesundheitsministerium („BMG“) zur Beschaffung der Corona-Schutzausrüstung durchgeführt. Vorteile des Open House-Verfahrens waren, dass die strengen Vorgaben des Vergaberechts nicht eingehalten werden mussten und damit eine schnellere Beschaffung der Schutzausrüstung erreicht werden konnte.
[1]https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/corona-pandemie-masken-bundesregierung-100.html.
Ein Maskenlieferant hatte Ende März 2020 ein Angebot zur Lieferung von 15 Millionen FFP2-Masken und 10 Millionen OP-Masken mittels des im Open House-Verfahren vorgegebenen vorformulierten Angebots abgegeben und den entsprechenden Zuschlag erhalten. Der Vertragstext enthielt dabei u.a. folgende Bestimmung:
„Spätester Liefertermin ist der 30.04.2020 innerhalb der Geschäftszeiten […]. Bei Nichteinhaltung des spätesten Liefertermins entfallen die gegenseitigen Pflichten der Vertragspartner; eine verspätete Lieferung stellt keine Erfüllung des Vertrages durch den AN dar (absolutes Fixgeschäft).“
Auf Anfrage des Maskenlieferanten bot das hierzu vom BMG beauftragte Unternehmen lediglich spätere Liefertermine an, da eine Annahme aller Lieferungen zum 30.04.2020 nicht möglich war. Tatsächlich erfolgte nach dem 30.04.2020 nur eine Anlieferung von einem Bruchteil der FFP2-Masken, für den Großteil der Masken bemühte sich der Maskenlieferant vergeblich um Lieferslots. Das BMG erklärte daraufhin den Teilrücktritt ohne Fristsetzung bezüglich der ausstehenden Lieferungen und verwies dabei auf den Fixcharakter des Liefertermins.
Das OLG Köln hat den Teilrücktritt des BMG ohne Fristsetzung als unwirksam angesehen und das BMG zur Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 85.644.300,00 Euro zzgl. Zinsen verurteilt. Eine Fristsetzung war nach dem OLG Köln erforderlich, da weder ein absolutes noch ein relatives Fixgeschäft wirksam vereinbart wurde. Die Revision hat das OLG Köln nicht zugelassen.
Das OLG Köln hat die Vereinbarung des absoluten Fixgeschäfts als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) nach AGB-Recht als unwirksam angesehen. Absolute Fixgeschäfte zeichnen sich dadurch aus, dass die Einhaltung der Leistungszeit derart wesentlich ist, dass die Nichteinhaltung des Leistungstermins zur Unmöglichkeit führt. Eines Rücktritts bedarf es in diesem Fall nicht zwingend, dieser ist gesetzlich dennoch vorgesehen (§ 326 Abs. 5 BGB).
Die Vereinbarung des absoluten Fixgeschäfts als AGB ist nach dem OLG Köln überraschend, nicht mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen vereinbar und damit unwirksam. Das OLG Köln verweist auf die Rechtsprechung des BGH, die eine unangemessene Benachteiligung in dem Wegfallen des Fristsetzungserfordernisses im Falle eines Rücktritts sieht.[2]
[2] Vgl. BGH, Urteil vom 17.01.1990 - VIII ZR 292/88, NJW 1990, 2065, 2067.
Die vertragliche Vereinbarung ist nach dem OLG Köln auch nicht als relatives Fixgeschäfts auszulegen. Ein relatives Fixgeschäft wird dann angenommen, wenn die termin- oder fristgerechte Leistung so wesentlich ist, dass mit der zeitgerechten Leistung das Geschäft „stehen und fallen“ soll, sodass eine verspätete Leistung nicht dem Interesse des Gläubigers entspricht. Rechtsfolge eines relativen Fixgeschäfts ist, dass der Gläubiger ohne Fristsetzung vom Vertrag zurücktreten kann (§ 323 Abs. 2 Nr. 2 BGB).
Gegen ein relatives Fixgeschäft spricht nach dem OLG Köln die im Wortlaut der Klausel enthaltene Vereinbarung eines absoluten Fixgeschäfts. Zwar kann die Verwendung von „spätestens“ in Verbindung mit der Nennung eines Termins grundsätzlich auf ein relatives Fixgeschäft hindeuten. Dagegen spricht aber insbesondere der eindeutige Wortlaut der Klausel („absolutes Fixgeschäft“) inklusive der zutreffenden Beschreibung der Rechtsfolge eines absoluten Fixgeschäfts. Die eindeutige Bezeichnung schließt nach dem OLG Köln eine versehentliche Falschbezeichnung des relativen Fixgeschäfts als absolutes Fixgeschäft durch das BMG aus.
Auch aus den übrigen Umständen vermag das OLG Köln keine Vereinbarung eines relativen Fixgeschäftes zu erkennen. Zwar bestand wegen der Pandemie und der damit verbundenen Gefährdung für die Bevölkerung ein erhöhtes Interesse des BMG an einer raschen Abwicklung der Maskenlieferung. Ein Entfallen des Interesses des BMG an der Maskenlieferung bei verspäteter Lieferung nach dem 30.04.2020 im Sinne eines relativen Fixgeschäfts war für den Maskenlieferanten aufgrund der anhaltenden Pandemielage nicht erkennbar.
Gegen ein „Stehen und Fallen“ des Geschäfts spricht die zeitliche Verschiebung der Anlieferungen auf Zeiträume nach dem 30.04.2020. Diese Verschiebung wirkt nach dem OLG Köln indiziell gegen den Charakter als Fixgeschäft.
Hinsichtlich der Frage, ob ein absolutes Fixgeschäft in AGB vereinbart werden kann, steht die Entscheidung im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, der bereits 1990 die Vereinbarung eines Fixgeschäfts in AGB als unwirksam angesehen hat.[3]
Dem Versuch, die Klausel in ein relatives Fixgeschäft umzudeuten, hat das OLG Köln – wie auch schon im Parallelverfahren – eine klare Absage erteilt. Dabei hat es der Verschiebung der Liefertermine durch das BMG wesentliche Bedeutung zugemessen. Das leuchtet ein, denn wenn das BMG selbst nicht an dem 30.04.2020 festhalten kann, widerspricht das der Argumentation, dass mit diesem Datum das Geschäft „stehen und fallen“ sollte.
In der Vorinstanz hatte dagegen das BMG mit der Argumentation einer versehentlichen Falschbezeichnung noch Erfolg (LG Bonn, Urteil vom 28.06.2023 - 1 O 221/22). Diese Argumentation hatte das LG Bonn zwischenzeitlich im Klagekomplex aufgegeben.[4]
[3] BGH, Urteil vom 17.01.1990 - VIII ZR 292/88, NJW 1990, 2065.
[4] LG Bonn Anerkenntnis- und Schlussurt. vom 20.12.2023 – 1 O 156/21, NJOZ 2024, 882.
Das Urteil verdeutlicht, dass auch in Ausnahmesituationen, wie der Maskenbeschaffung zu Beginn der Corona-Pandemie, nicht ohne Weiteres ein absolutes oder relatives Fixgeschäft angenommen werden kann. Bei der Erstellung von Verträgen ist auch in solchen Ausnahmesituationen die Wirksamkeit von entsprechenden Klauseln nach AGB-Recht (sofern anwendbar) sorgsam zu prüfen.
Aufgrund des Obsiegens in erster Instanz, der hohen Klagesumme und der Bedeutung für den Klagekomplex ist es wenig überraschend, dass das BMG angekündigt hat, das Urteil mittels Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BGH anzugreifen. Ein entsprechendes Verfahren ist bereits anhängig. Selbst wenn der BGH die Revision zulässt, wird es für das BMG in sachlicher Hinsicht schwierig werden, die Indizwirkung der Verschiebung des Liefertermins gegen ein relatives Fixgeschäft zu entkräften.
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