25.09.2019

Online-Gründung – ein gefährlicher Weg zur Digitalisierung?

Blogbeitrag von Rechtsanwalt und Notar Dr. Andreas Blunk, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht

Hintergrund

Die am 11. Juli 2019 im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichte Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht soll neue Rahmenbedingungen für die künftige Online-Gründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) in Deutschland aufstellen.

Vor dem Hintergrund der Digitalisierung und – wie sich aus Erwägungsgrund (2) der Richtlinie ergibt – zur einfacheren, rascheren und kosteneffizienteren Einleitung wirtschaftlicher Aktivitäten in den Mitgliedstaaten soll die Gründung von Gesellschaften künftig auch unter Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren denkbar sein. Damit verbindet der Richtliniengeber die Hoffnung, dass insbesondere kleine und mittlere Unternehmen von einer vollständig online zu erledigenden Gründung profitieren. Die Online-Gründung soll ausweislich des Erwägungsgrundes (18) auch durch den Einsatz von seitens der Mitgliedstaaten bereitzustellender Muster vereinfacht werden. Der Richtliniengeber nimmt in den Erwägungsgründen (20) und (21) zwar auch mögliche Identitätsmissbrauchsproblematiken im Blick, überlässt deren Lösung jedoch weitgehend den Mitgliedstaaten, welche Mechanismen zur Identitätskontrolle sowie zur Kontrolle der Rechts- und Geschäftsfähigkeit der Anmelder entwickeln sollen. Auch eine physische Anwesenheit zwecks Identitätskontrolle soll nicht systematisch, sondern nur im Einzelfall vorgeschrieben sein, wenn Anhaltspunkte für einen Verdacht auf Identitätsfälschung oder auf Verstöße gegen die Vorschriften über die Rechts- oder Geschäftsfähigkeit und die Vertretungsbefugnis von Antragstellern vorliegen.

Art. 13g Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2019/1151 sieht eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährleistung der Möglichkeit einer vollständigen Online-Gründung von Gesellschaften vor, wobei ausweislich des durch Art. 13g Abs. 1 UAbs. 2 der Richtlinie (EU) 2019/1151 in Bezug genommenen Anhanges IIA in Deutschland die GmbH dem Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2019/1151 unterfallen wird. Als zeitliche Rahmenvorgabe für den Gründungsprozess sieht Art. 13g Abs. 7 der Richtlinie (EU) 2019/1151 vor, dass die Gründung bei Verwendung von auf Art. 13h basierenden Mustern binnen fünf Arbeitstagen; im Übrigen binnen 10 Arbeitstagen abgeschlossen sein soll.

Bereits während des europäischen Gesetzgebungsverfahrens wurden ebenso wie den jüngst erschienenen Veröffentlichungen auf mögliche Probleme im Zusammenhang mit dem durch die Richtlinie (EU) 2019/1151 gezogenen rechtlichen Rahmen der Online-Gründung von Gesellschaften deutlich hingewiesen. Vor dem Hintergrund der bis 2022 laufenden Umsetzungsfrist der Richtlinie wird zu beobachten sein, wie der deutsche Gesetzgeber auf eben jene neuralgischen Punkte reagiert.

In Deutschland ist durch das bisherige System der Beteiligung des Notars an der Gesellschaftsgründung und insbesondere dessen Prüfungspflichten hinsichtlich der Identität und Vertretungsberechtigung der Handelnden im Rahmen der Registeranmeldung ein sogenanntes Company Hijacking – gemeint ist der Diebstahl einer Firmenidentität durch betrügerisches Verhalten Dritter im Registerprozess – nahezu ausgeschlossen. In Großbritannien soll sich derartige Fälle hingegen etwa 50 bis 100-mal pro Monat ereignen. Begünstigt wird dies durch die in Großbritannien sehr eingeschränkte vorsorgende Rechtspflege im Rahmen des Gesellschaftsgründungs- und Registerprozesses, welche in Deutschland durch die Notare wahrgenommen wird. Mit der durch die Richtlinie (EU) 2019/1151 nunmehr vorgesehenen Online-Gründung der GmbH sowie der auf Missbrauchsverdacht beschränkten Identitätskontrolle vor Ort besteht jedenfalls potentiell auch in Deutschland die Gefahr des Company Hijacking. In diesem Zusammenhang bleibt abzuwarten, wie der deutsche Gesetzgeber die Richtlinienvorgaben umsetzt. Die Richtlinie ermöglicht ausweislich Erwägungsgrund (20) aber jedenfalls ausdrücklich die Einbindung von Notaren während des gesamten Verfahrens. Weiter gestattet Erwägungsgrund (22) der Richtlinie auch den Einsatz von Videokonferenz-Technik oder sonstigen Online-Mitteln mit audiovisueller Echtzeitverbindung. Daran anknüpfend hat die Bundesnotarkammer bereits mit der Entwicklung einer Softwarelösung zur Online-Gründung begonnen. Diese sieht insbesondere die behutsame Überführung der beurkundungs- und berufsrechtlichen Regelungen des Präsenzverfahrens in ein Distanzverfahren unter Nutzung von Fernkommunikationsmitteln vor, bei welchem dieselben Sicherheits- und Beratungsstandards wie im überkommenen Beurkundungsverfahren zum Einsatz kommen. Insbesondere wird im Rahmen der Identifizierung der Beteiligten nicht auf die fehler- und missbrauchsanfälligen herkömmlichen Videoident-Verfahren zurückgegriffen. Vielmehr soll es dem Notar gestattet sein, das auf dem elektronischen Personalausweis gespeicherte Lichtbild auszulesen und mit dem Erscheinungsbild des entsprechenden Beteiligten bei der Videokonferenz abzugleichen. Unberührt bleiben sollen auch das notarielle Belehrungs- und Verlesungserfordernis.

Anknüpfend daran ist zu hoffen, dass das insbesondere auch durch die Beratungs- und Warnfunktion der notariellen Beurkundung charakterisierte System der vorsorgenden Rechtspflege vom Gesetzgeber behutsam und funktionsgerecht in das Online-Zeitalter überführt werden wird. Ein Gelingen wäre wesentlich für ein rechtssicheres Gründungsverfahren. In jüngsten Veröffentlichungen ist von Videochats zwischen Notar und Gründer die Rede. In welchem Umfang der Notar in den Gründungsprozess hierdurch eingebunden werden soll, bleibt bei vielen dieser Veröffentlichungen gleichwohl unklar. Soll der Notar nach wie vor eine ausführliche Beratung- und Aufklärung bieten? Oder besteht seine Funktion künftig darin, über die vom Gesetzgeber bereitzustellenden Gründungsmuster zu beraten und quasi eine Ausfüllhilfe anzubieten, um sodann die Beurkundung per Videochat vorzunehmen? Idealerweise wird der bisherige Prozess der Präsenzbeurkundung in den künftigen Online-Gründungsverfahren uneingeschränkt abgebildet; dies ist, wie bereits angesprochen, bei dem bei der Bundesnotarkammer in Entwicklung befindlichen System ausdrücklich so vorgesehen.

Gerade bei komplexeren Fragestellungen im Zusammenhang mit der GmbH-Gründung – wie sie sich insbesondere bei einer Mehrheit von Gesellschaftern sowie bei Auslandsbezug stellen – ist zu erwarten, dass Eingabemasken- oder musterbasierte Online-Gründungsverfahren schnell an ihre Grenzen gelangen, sodass nach wie vor ein Bedarf an individueller Gestaltung durch den Notar bestehen wird. In diesem Zusammenhang ist bereits im Entwurfsstadium der Richtlinie kritisch darauf hingewiesen worden, ob die angedachten zehn Tage bis zur Eintragung der Gesellschaft eingehalten werden können, sofern die Registergerichte zunehmend mit Mustern konfrontiert werden und individuelle Gestaltungen formal an diesen messen. Gleichwohl hat eine fundierte gesellschaftsrechtliche Gründungsberatung stets die künftige Entwicklung einer Gesellschaft, insbesondere die Streitvermeidung, im Blick. Wird dies bei einem musterbasierten Online-Verfahren nicht hinreichend berücksichtigt, so resultieren unter Umständen hohe Folgekosten für Gründer. Der von der Richtlinie verfolgte Zweck einer Kostenersparnis für Gründer lässt sich insoweit allenfalls vordergründig durch Online-Gründungsverfahren erzielen, wenn die Einbindung des Notars auf eine Identitätskontrolle, das Verlesen einer Musterurkunde im Videochat verengt würde, ohne dass eine auf die konkrete Gründungssituation bezogene Beratung über die Vor- und Nachteile einer Mustergründung erfolgte. Entscheidend wird zur Vermeidung von Nachteilen für Gründer sein, dass die Beratungs- und Aufklärungsarbeit durch den Notar, wie sie heute erfolgt, durch die einzuführende Online-Gründung nicht wesentlich reduziert wird. Besondere Bedeutung kommt der Beratungs- und Warnfunktion der notariellen Beurkundung nämlich auch vor dem Hintergrund zu, dass eine Vielzahl an Gründern nicht über profunde Kenntnisse der auf sie zukommenden gesellschaftsrechtlichen Pflichten im Zusammenhang mit der Gründung verfügen.

Auch der vom Richtliniengeber beabsichtigte zeitliche Gewinn durch das Online-Gründungsverfahren kann – worauf bereits im Gesetzgebungsverfahren zutreffend hingewiesen wurde - jedenfalls insoweit hinterfragt werden, als dass in der Praxis der Gesellschaftsgründung bislang vorwiegend andere zeitliche Hemmnisse, namentlich die Geldwäscheprüfung, Personalknappheit bei den Registergerichten oder bürokratische Hürden bei Banken oder Industrie- und Handelskammern bestehen, welche durch ein Online-Gründungsverfahren nicht abgebaut werden. Mit Blick auf die nicht von der Hand zu weisende Zeit- und Kostenersparnis durch ortsunabhängige Online-Gründungen wurde treffend angemerkt, dass bereits heute die Möglichkeit einer Vertretung innerhalb der gesetzlichen Grenzen durch Bevollmächtigte im Rahmen des Gründungs- und Registerverfahrens besteht.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund des durch die Geldwäschegesetzgebung etablierten Prüfungsmaßstabes stellen sich Online-Gründungsverfahren im Sinne der Richtlinie (EU) 2019/1151 als problematisch dar. Denn indem die Wahl der Mittel zur Identifizierung der Antragsteller im Online-Verfahren einerseits den Mitgliedstaaten weitgehend freigestellt wird und die physische Anwesenheit zur Identitätskontrolle auf Verdachtsfälle beschränkt werden soll, droht – nach insoweit zutreffend geäußerten Befürchtungen – ein sogenanntes race to the bottom, also der stetige Abbau von Sicherungsmechanismen, der Mitgliedstaaten zur Verhinderung von Identitätsdiebstahl, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Hier bleibt abzuwarten, welches Schutzniveau die jeweiligen Mitgliedstaaten und die an der praktischen Umsetzung der Online-Gründung beteiligten Stellen etablieren werden.

Zusammenfassend lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt feststellen, dass die Online-Gründung von Gesellschaften zwar ein Schritt im Rahmen der Digitalisierung sein mag, jedoch aufgrund der beschrieben Gefahren nicht ohne Weiteres dem bisherigen Verfahren vorzuziehen sein wird. Entscheidend wird es auf die Umsetzung der Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber ankommen, welcher die Beratungs- und Warnfunktion der notariellen Beurkundung auch bei fortschreitender Digitalisierung nicht aus den Augen verlieren sollte. Erhoffte Kosten- und Zeitvorteile können sich anderenfalls in ihr Gegenteil verkehren.

Dr. Andreas Blunk
MLE Rechtsanwalt
Notar mit Amtssitz in Hannover
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Of Counsel

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Autor/in
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