16.12.2020

Ordre Public gewahrt bei Zeugenvernehmung ohne Dolmetscher

Hintergrund

In grenzüberschreitenden Geschäftsbeziehungen sind die Parteien regelmäßig daran interessiert, bereits bei Vertragsschluss Regelungen für potenzielle Streitigkeiten zu vereinbaren und diese beispielsweise der Entscheidung eines Schiedsgerichts anzuvertrauen. Die dem internationalen Standard entsprechenden Regelungen zum Schiedsverfahren in §§ 1025 ff. ZPO zeigen, dass die Schiedsgerichtsbarkeit dabei nicht über oder außerhalb der Justiz bzw. der Justizgewährungspflicht des Staates steht, sondern in sein Rechtssystem eingeordnet ist. Die Entscheidungen des Schiedsgerichts sind in ihrer Durchsetzbarkeit von der Anerkennung staatlicher Gerichte abhängig, wenngleich Spielräume für Privatautonomie gegeben sind. Bei der Anerkennung oder Aufhebung von Schiedssprüchen geht es regelmäßig um die Frage, ob im Schiedsverfahren die rechtsstaatlich garantierten Verfahrensrechte gewahrt worden sind. So besteht international das Einvernehmen, dass die Aufhebung eines Schiedsspruchs nur in engen Grenzen möglich ist, insbesondere wenn gegen wesentliche rechtsstaatliche Garantien verstoßen wurde. Einer der wesentlichen Grundsätze, der im schiedsrichterlichen Verfahren zu beachten ist, ist die Wahrung des ordre public (öffentliche Ordnung).

Sachverhalt

Der Bundesgerichtshof hatte in einem Rechtsbeschwerdeverfahren über folgenden Sachverhalt zu entscheiden:

Antragstellerin und Antragsgegnerin hatten einen Vertrag über die Demontage einer Anlage zur Herstellung von Kunststoffen durch die Antragstellerin geschlossen, die hierfür eine Vergütung von EUR 1,9 Mio. erhalten sollte. Die Parteien einigten sich im Vertrag auf eine Schiedsklausel, nach der die Schiedsordnung der Internationalen Handelskammer in Paris (ICC) gelten sollte. Als Verfahrenssprache einigte man sich auf Deutsch. Die Antragsgegnerin trat in der Folge vom Vertrag zurück und verklagte die Antragstellerin auf Rückzahlung getätigter Anzahlungen vor dem Schiedsgericht. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Schiedsgericht in Berlin wurde ein Geschäftsführer der Antragsgegnerin ohne die Anwesenheit eines Dolmetschers als Zeuge per Videokonferenz auf Deutsch vernommen. Da dieser der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig war, übersetzte sein Mitgeschäftsführer für ihn teilweise Fragen in seine persische Muttersprache. Letztlich gaben die Schiedsrichter der Zahlungsklage weit überwiegend statt.

Die Antragstellerin sah sich in Ihrem Recht auf ein faires Verfahren verletzt, da das Schiedsgericht eine Beeinflussung des Zeugen durch seinen Kollegen nicht unterbunden habe und beantragte beim Kammergericht die Aufhebung des Schiedsspruchs. Das Kammergericht wies den auf § 1059 Abs. 2 ZPO gestützten Antrag zurück. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin.

Die Entscheidung

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs wies die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin zurück. Nach seiner Auffassung begründe der Umstand, dass das Schiedsgericht die Äußerungen des Geschäftsführers in persischer Sprache nicht unterbunden habe, keinen Verstoß gegen § 1059 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b Fall 2 ZPO. Danach liegt ein Aufhebungsgrund nur dann vor, wenn das Gericht feststellt, dass die Anerkennung oder Vollstreckung eines Schiedsspruchs zu einem Ergebnis führt, das der öffentlichen Ordnung (ordre public) widerspricht. Der Bundesgerichtshof äußerte keine Bedenken gegen eine Vernehmung in deutscher Sprache ohne Dolmetscher, da das Schiedsgericht schließlich gerade nicht von der festgelegten Verfahrenssprache Deutsch abgewichen ist. Gegen die Verfahrenssprache wurde in diesem Fall auch deshalb nicht verstoßen, da nur vereinzelte Äußerungen des Mitgeschäftsführers der Antragsgegnerin gegenüber dem Zeugen in Farsi übersetzt wurden. Darüber hinaus habe die Antragstellerin nicht vorgetragen, dass das Schiedsgericht seiner Entscheidung andere als die in deutscher Sprache getätigten Äußerungen des Zeugen zugrunde gelegt habe. Ein Verstoß gegen den verfahrensrechtlichen Grundsatz des ordre public lasse sich auch nicht mit der Rüge der Antragstellerin begründen, dass das Schiedsgericht Äußerungen des Geschäftsführers auf Persisch nicht unterbunden hat. Denn dieser von Amts wegen zu berücksichtigende Einwand sei lediglich dann zu bejahen, wenn der Schiedsspruch eine zwingende Vorschrift des inländischen Rechts verletzt, die zudem „Ausdruck einer für die Rechtsordnung grundlegenden Wertentscheidung des Gesetzgebers sei“.

Ebenso mangele es an einem Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 GG), der ebenfalls als Teil des ordre public zu prüfen sei. Der Begriff der Waffengleichheit ist als Ausprägung des Rechtstaatsprinzips und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess zu verstehen. Er sichert die verfassungsrechtlich gewährleistete Gleichwertigkeit der prozessualen Stellung der Parteien vor Gericht. Danach haben die Gerichte den Prozessparteien gleichermaßen die Möglichkeit einzuräumen, alles für die gerichtliche Entscheidung Erhebliche vorzutragen und alle zur Abwehr des gegnerischen Angriffs erforderlichen prozessualen Verteidigungsmittel selbständig geltend zu machen. Daraus folgt ebenso die Pflicht, die Gleichstellung der Parteien durch eine objektive, faire Verhandlungsführung, durch unvoreingenommene Bereitschaft zur Verwertung und Bewertung des gegenseitigen Vorbringens, durch unparteiische Rechtsanwendung und durch korrekte Erfüllung sonstiger prozessualer Obliegenheiten zu wahren. Hinter dem Verfahren der Zeugenvernehmung vor den staatlichen Gerichten steht der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht das Verfahren am Zweck der Wahrheitsfindung auszurichten und Interventionen der Parteien, die die Zweckerreichung gefährden, zu unterbinden hat. Dieser Grundsatz gilt gleichermaßen für die Schiedsgerichte.

Nach Auffassung des I. Zivilsenats erreichte die potenzielle Verletzung der dem Schiedsgericht obliegenden Pflicht, im Rahmen der Zeugenvernehmung die Wahrheitsfindung gefährdende Interventionen der Parteien zu unterbinden, jedenfalls nicht das für einen Verfassungsverstoß erforderliche Gewicht, sodass offenbleiben konnte, ob das Kammergericht das Gehörsrecht der Antragstellerin nach Art. 103 Abs. 1 GG verletzt hat. Nach dem Bundesgerichtshofs sei jedenfalls ausgeschlossen, dass das als übergangen gerügte Vorbringen zum Verhalten des Zeugen zu einer für die Antragstellerin günstigeren Entscheidung geführt hätte.

Fazit

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zeigt eindrücklich die wesentlichen Verfahrensgrundsätze auf, die bei der Arbeit des Schiedsgerichts zu beachten sind. Grundsätzlich ist der Angriff auf schiedsgerichtliche Entscheidungen über die von dem Bundesgerichtshof aufgezeigten Problemfelder hinaus und die weiteren Aufhebungsgründe nach § 1059 ZPO kaum möglich. Die Berufung auf den verfahrensrechtlichen ordre public dürfte in der Regel nicht erfolgreich sein, da die Hürden hierfür sehr hoch sind. Maßstäbe bilden unter anderem die Wahrung des rechtlichen Gehörs, des fairen Verfahrens und der prozessualen Waffengleichheit. Die Besprechungsentscheidung des Bundesgerichtshofs zeigt zugleich einmal mehr, dass sich auch jede außerhalb der staatlichen Gerichtsbarkeit erfolgende Streitbeilegung selbstverständlich an den Maßstäben des Verfassungsrechts messen lassen und insbesondere der ordre public eingehalten werden muss.

Autor/in
Dr. Stephan Bausch, D.U.

Dr. Stephan Bausch, D.U.
Partner
Köln
stephan.bausch@luther-lawfirm.com
+49 221 9937 25782