06.10.2020
In einem kürzlich ergangenen und von den Autoren dieses Beitrags hier besprochenen Beschluss hat das Oberlandesgericht Wien (Beschluss vom 12. Mai 2020 – Az.: 27 Kt 5/18i-43) als erstinstanzliches Kartellgericht in Österreich einer österreichischen Generalimporteurin für Neufahrzeuge und Originalersatzteile aufgegeben, verschiedene Bedingungen und Praktiken gegenüber ihren Vertragshändlern und -werkstätten abzustellen.
Obgleich der Beschluss nicht rechtskräftig ist, hat er sowohl in der Tagespresse, speziell aber in der Automobilbranche große Beachtung gefunden. Dies insbesondere deshalb, da er in Ausmaß und Umfang des Eingriffs in die Ausgestaltung des Vertriebs- bzw. Vergütungssystems eines Herstellers bzw. Generalimporteurs durch ein Gericht auf kartellrechtlicher Grundlage Neuland betritt.
In ihrer Entscheidungsrezension unterziehen die Autoren dieses Beitrags den Beschluss einer eingehenden rechtlichen Analyse. Hierbei kommen sie zu dem Schluss, dass Begründung und Ergebnis des Beschlusses in weiten Teilen nicht überzeugen, die Entscheidung sich aber ungeachtet dessen jedenfalls nicht als Präzedenzfall oder Richtschnur für andere Jurisdiktionen eignet. Nachfolgend fassen sie ihre Analyse kurz zusammen.
Das dem Beschluss zugrundeliegende Verfahren resultiert aus einer Auseinandersetzung zwischen der Generalimporteurin sowie einer Vertragshändlerin und Servicepartnerin, die mit der Generalimporteurin sowohl einen Neuwagenvertrag als auch einen Werkstattvertrag abgeschlossen hat.
Die Vertragshändlerin vertritt die Auffassung, dass einige Klauseln in den vorgenannten Verträgen sowie Praktiken der Generalimporteurin kartellrechtlich unzulässig seien. Sie ist der Ansicht, die Generalimporteurin habe ihr gegenüber eine marktbeherrschende Stellung inne, da sie zur Vermeidung schwerwiegender betriebswirtschaftlicher Nachteile auf die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung zu der Generalimporteurin angewiesen sei. Die monierten Bedingungen bzw. Verhaltensweisen seien missbräuchlich angewandte bzw. erzwungene Konditionen im Sinne des maßgeblichen österreichischen Kartellrechts, denen sie, die Vertragshändlerin, – wenn überhaupt – nur unter dem Druck der wirtschaftlichen Übermacht der Generalimporteurin zugestimmt habe.
Unter anderem beanstandet die Vertragshändlerin verschiedene Gesichtspunkte des variablen Vergütungssystems der Generalimporteurin (Voraussetzung für Leistungsboni, Ermittlung der Jahresziele), der Vergütung von Garantiearbeiten sowie die Belastung mit Kosten für Investitionen in Räumlichkeiten (Corporate Identity), Schulungen, Test- und Diagnosegeräte sowie Werkstattinformationen. Des Weiteren beanstandet sie, in ihrer Preissetzungsfreiheit beeinträchtigt zu sein, da sie wirtschaftlich gezwungen sei, an von der Generalimporteurin initiierten Niedrigpreisaktionen teilzunehmen.
In seinem Beschluss hat das Oberlandesgericht der Vertragshändlerin lediglich teilweise Recht gegeben und der Generalimporteurin aufgegeben, unter anderem die nachfolgenden Praktiken abzustellen:
Nicht zu beanstanden waren nach Ansicht des Oberlandesgerichts hingegen die folgenden, von der Vertragshändlerin ebenfalls angegriffenen Praktiken:
die Preisgestaltung der Generalimporteurin in Bezug auf die Schulungspauschale im Übrigen.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts greift außergewöhnlich stark in das zwischen den Parteien privatautonom vereinbarte Vertragsgefüge ein. Inhaltlich setzt sich der Beschluss auf fast 75 Seiten zwar sehr detailliert mit dem zugrundeliegenden Sachverhalt, den wechselseitigen Parteivorbringen und der Beweiserhebung auseinander. Die rechtliche Begründung und das gefundene Ergebnis können aber allenfalls in Teilen überzeugen. Die vorher aufgezeigten Details werden in der eigentlichen rechtlichen Begründung nämlich im weiten Teilen nicht aufgegriffen, was im Ergebnis ganz überwiegend zu Lasten der Generalimporteurin geht. Vielfach wird – trotz der Anerkennung eines legitimen Interesses der Generalimporteurin an einer Regelung der verschiedenen Sachverhalte – vom Oberlandesgericht lediglich eine „Gesamtbewertung“ vorgenommen, die nicht erkennen lässt, wie die beanstandeten Klauseln bzw. Praktiken verändert werden müssten, um den aus Sicht der Oberlandegerichts bestehenden Kartellrechtverstoß abzustellen.
Insgesamt eignet sich der Beschluss, der in der Tagespresse unter anderem als „Paukenschlag“ bezeichnet wurde, weder als Präzedenzfall, noch als Richtschnur für andere Jurisdiktionen. Abgesehen davon, dass der Beschluss noch nicht rechtskräftig ist, gilt das selbst dann, wenn der kartellrechtliche Rechtsrahmen dieser Jurisdiktionen ebenfalls vergleichbare Regelungen für die Missbrauchskontrolle unterhalb der Marktbeherrschung vorsieht (wie z. B. das deutsche Kartellrecht § 20 GWB).
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