31.08.2018

Rechtsschutz im Verwaltungsrecht: Beugehaft gegen Minister?

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31.08.2018

Rechtsschutz im Verwaltungsrecht: Beugehaft gegen Minister?

Werden Landesregierungen in Zukunft einen zweiten Amtssitz in Justizvollzugsanstalten einrichten müssen? Finden Kabinettssitzungen demnächst in Gefängnissen statt? Wenn man die jüngsten Medienberichte verfolgt, wonach die Ziele der Luftreinhalteplanung ggf. mittels „Erzwingungshaft gegen Amtsträger“ durchgesetzt werden sollen, scheint dieser Gedanke auf den ersten Blick nicht ganz fern zu liegen. Doch ist eine solche Beugehaft nach geltendem Recht überhaupt möglich und in der Sache zweckfördernd? 

Ausgangspunkt für diese Fragen ist eine Entscheidung des VGH München vom Februar 2017. Das Gericht hatte unter Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 4.000 Euro entschieden, dass für die Fortschreibung des Luftreinhalteplans bis zum 31. Dezember 2017 ein vollzugsfähiges, Verkehrsverbote für Dieselfahrzeuge betreffendes Konzept zu erstellen ist (VGH München, Beschl. vom 27. Februar 2017 – 22 C 16.1427 – , juris Ls. 3). Doch dies ließ die zuständige Regierung von Oberbayern unbeeindruckt, dem Urteil wurde nicht gefolgt. Der VGH München setzte daraufhin mehrfach gegen den Freistaat Bayern ein Zwangsgeld fest. Doch auch diese Maßnahme der Zwangsvollstreckung hatte bisher keinen Erfolg: Der Freistaat bezahlte das auferlegte Zwangsgeld, wobei es dabei de facto nur zu einer Umverteilung des Betrags in die Kassen des bayerischen Finanzministers kam. Und zugleich betonte der bayerische Ministerpräsident in seiner Regierungserklärung vom 18. April 2018, man „wolle […] keine Fahrverbote“ – trotz der eindeutigen VGH-Entscheidungen, Fahrverbote in den Luftreinhalteplan aufzunehmen.

Dem VGH München scheint ob des beharrlichen Ignorierens seiner Entscheidungen jetzt der Kragen zu platzen: Er zieht nunmehr laut einem mehrseitigen schriftlichen Hinweis an die Verfahrensbeteiligten in Betracht, nach § 167 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO Zwangshaft gegen die Organwalter der betroffenen Behörden zu verhängen. Um zu klären, ob dies evtl. sogar unionsrechtlich geboten ist und ggf. unter welchen Voraussetzungen, erwägt der VGH dabei die vorherige Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH. Dieser hatte bereits im Jahr 2015 zum Luftreinhalterecht entschieden, dass „gegenüber der nationalen Behörde jede erforderliche Maßnahme […] zu erlassen“ sei, damit die Grenzwertvorgaben eingehalten werden.

Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts scheint auf den ersten Blick das Ergreifen so drastischer Maßnahmen wie die einer Inhaftierung von Amtsträgern zur Durchsetzung einer Gerichtsentscheidung nicht ausgeschlossen zu sein. Hierzu hat es bereits im Jahr 1999 abstrakt entschieden, dass „es das Gebot effektiven Rechtsschutzes [gebietet], von der nach § 167 VwGO möglichen „entsprechenden“ Anwendung zivilprozessualer Vorschriften Gebrauch zu machen und einschneidendere Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, um die Behörde zu rechtmäßigem Handeln anzuhalten“, wenn „aufgrund vorangegangener Erfahrungen, aufgrund eindeutiger Bekundungen oder aufgrund mehrfacher erfolgloser Zwangsgeldandrohungen klar erkennbar [ist], daß die Behörde unter dem Druck des Zwangsgeldes nicht einlenkt“. Dazu verweist das Bundesverfassungsgericht allgemein auf die „in den §§ 885-896 ZPO geregelten, einschneidenderen Zwangsmittel […]“, die über die Verweisung in § 167 VwGO für prinzipiell entsprechend anwendbar erklärt werden.

In der Gesamtschau betrachtet scheint somit zunächst vieles dafür zu sprechen, dass die Anordnung von Beugehaft auch gegen verantwortliche Beamte auf höchster Exekutivebene möglich ist.

Andererseits ergibt sich aus diesem grundsätzlichen Rechtsrahmen aber nicht die zwingende Schlussfolgerung, dass es zu einer Inhaftierung der verantwortlichen Organwalter kommen muss. So ist zu beachten, dass eine Freiheitsentziehung nach Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG nur durch förmliches Gesetz und unter Berücksichtigung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 GG erfolgen darf. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts scheidet zudem aufgrund des Gesetzesvorbehalts eine analoge Heranziehung von Normen als Grundlage von Freiheitsentziehungen aus, weil „diese nach der Intention des Gesetzgebers zur Zeit ihres Erlasses nicht auf die Fälle gerichtet gewesen [sind], auf die sie durch die Analogie angewendet werden sollen“. Zudem würde § 888 Abs. 1 S. 1 ZPO bei juristischen Personen für deren Organe gelten, sodass die Zwangshaft dann schematisch u.U. gegen die Behörden als Organe des Staates und nicht gegen die jeweiligen Personen, die als Organwalter dieses Organ ausführen, verhängt werden müsste. Das in Art. 47 Abs. 1 der Europäischen Grundrechte-Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf sowie die Vorgaben in Art. 9 Abs. 4 der Aarhus-Konvention bezüglich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten könnten hingegen dafür sprechen, dass der Gesetzgeber notfalls durch eine neue Regelung im Vollstreckungsrecht dafür sorgen muss, dass Zwangshaft gegen verantwortliche Organwalter einer rechtswidrig handelnden Behörde möglich ist. An dieser Stelle wäre dann wiederum zu berücksichtigen, dass sowohl das Grundgesetz als auch die Landesverfassungen die Inhaftierung eines Abgeordneten – Minister üben häufig auch ein Abgeordnetenmandat aus – von einer Genehmigung des jeweiligen Parlaments abhängig machen.

Damit zeichnet sich eine Gemengelage ab, die eingesäumt von vielen verfassungsrechtlichen Fragen keinen Raum für eine von vornherein eindeutige Lösung lässt. Naheliegend erscheint es aber, dass die Rechtsprechung auf europäischer Ebene durchaus die Stärkung der Rechtsdurchsetzung in den Mitgliedstaaten durch unabhängige Gerichte stützt – gerade in Zeiten, in denen sowohl national (Durchführung rechtswidriger Abschiebungen) als auch in anderen Mitgliedstaaten (Beschneidung der richterlichen Unabhängigkeit) zu verzeichnen ist, dass die Bereitschaft zur Beachtung von Gerichtsentscheidungen graduell gesunken ist.

Insgesamt würde die Anordnung der Beugehaft für oberste Beamte und Minister damit einerseits gewichtigen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Nicht ausgeschlossen ist dabei aber, dass diese Bedenken durch den Vorrang des Unionsrechts ausgeräumt werden können. Letztlich wäre dies zur Durchsetzung von Normen der Union, die auf den Schutz der menschlichen Gesundheit zielen, nur konsequent, sollten sich staatliche Funktionsträger nachhaltig weigern, ihren Pflichten zu entsprechen. Gleichzeitig zeigt die aktuelle Diskussion aber auch, dass der demokratische Rechtsstaat nur funktioniert, wenn die jeweiligen Staatsgewalten sich innerhalb ihres verfassungsrechtlich vorgegebenen Rahmens bewegen und Entscheidungen der unabhängigen Gerichte akzeptiert werden. Dass dies aktuell angesichts einiger Fälle etwa im Zusammenhang mit Abschiebungsverfahren Diskussionen ausgelöst hat, sollte Anlass zu rechtsstaatlicher Wachsamkeit geben.

 

 

Dr. Stefan Altenschmidt, LL.M. (Nottingham)
Rechtsanwalt
Partner
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf
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