17.05.2023
Am 25. April 2023 hat das Bundesministerium der Justiz (BMJ) in Anknüpfung an sein Eckpunkte-Papier aus Januar einen Referentenentwurf veröffentlicht, mit dem sogenannte „Commercial Courts“ sowie die englische Sprache in der deutschen Zivilgerichtsbarkeit eingeführt werden sollen. Gemäß dem Titel („Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland durch Einführung von Commercial Courts und der Gerichtssprache Englisch in der Zivilgerichtsbarkeit“) hat der Gesetzentwurf zum Ziel, Deutschland als Standort für internationale Streitigkeiten, insbesondere großvolumige Verfahren des Wirtschafts- und Handelsrechts, im Vergleich zu anderen Jurisdiktionen und zur Schiedsgerichtsbarkeit attraktiver und damit wettbewerbsfähiger zu machen.
Auslöser der Überlegungen des BMJ war, dass genannte Streitigkeiten aktuell vorrangig im Ausland (etwa in Großbritannien, in den Niederlanden oder in Dubai) oder vor privaten Schiedsgerichten ausgetragen werden. Die deutsche Zivilgerichtsbarkeit gilt im internationalen Vergleich als nicht mehr zeitgemäß. Entsprechend zeigen die Ergebnisse einer aktuellen, vom BMJ im September 2020 in Auftrag gegebenen Studie, dass die Anzahl der landgerichtlichen Verfahren in Deutschland zwischen 2005 und 2019 insgesamt um mehr als 20 % zurückgegangen ist – „Diesel-Abgasskandal“ und anderen, Massenverfahren auslösenden Phänomenen der letzten Jahre zum Trotz (siehe Pressemitteilung des BMJ vom 24. April 2023).
Der Entwurf sieht vor, dass bei von den Bundesländern auszuwählenden Oberlandesgerichten neue Senate mit dem Titel „Commercial Court“ eingerichtet werden können, an denen Zivilrechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmern ab einem Streitwert von einer Million Euro erstinstanzlich geführt werden können. Die sachliche Zuständigkeit sollen die Länder auf bestimmte Sachgebiete beschränken können. Die Commercial Courts werden, einmal eingerichtet, durch (ausdrückliche oder stillschweigende) Gerichtsstandsvereinbarung der Parteien zuständig. Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Commercial Courts ist die – im Gegensatz zum Zivilprozess im Übrigen nicht an eine Zulassung gebundene – Revision zum Bundesgerichtshof. Schließlich können mehrere Bundesländer auch einen gemeinsamen Commercial Court bei einem von ihnen auszuwählenden Oberlandesgericht einrichten.
Daneben sollen die Bundesländer dazu ermächtigt werden, dass sowohl vor den Oberlandes- als auch vor den Landgerichten Verfahren und Entscheidungen auf Englisch geführt bzw. erlassen werden können. Bei den Landgerichten soll dies in hierfür bestimmten, bereits existierenden Zivilkammern und Kammern für Handelssachen möglich sein, die dann als „Commercial Chambers“ bezeichnet werden. Bei den Oberlandesgerichten beschränkt sich dies auf die Commercial Courts sowie auf die Senate, welche für Berufungsverfahren gegen Entscheidungen der Commercial Chambers zuständig sind.
Voraussetzung für ein Verfahren in englischer Sprache ist weiterhin, dass sich die Parteien auf die Sprache geeinigt haben oder die Beklagte nicht widerspricht. Eine Schwachstelle dürften dabei Verfahren mit Beteiligung Dritter darstellen: Sollten diese beispielsweise im Falle der Streitverkündung innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Schriftsatzes der Verfahrenssprache Englisch widersprechen, ist das Verfahren (in allen Instanzen) in deutscher Sprache fortzusetzen.
Vor dem Bundesgerichtshof können Verfahren nur dann in englischer Sprache geführt werden, wenn der zuständige Senat zustimmt. Auch hierin dürfte eine Schwachstelle des Entwurfs liegen, da die Entscheidung über die Verfahrenssprache in letzter und entscheidender Instanz nicht mehr bei den Parteien liegt. Ohnehin aber ist fraglich, inwieweit der Bundesgerichtshof derzeit in der Lage ist, Verfahrensführung und Entscheidung vollständig in englischer Sprache zu vollziehen.
Um die Vollstreckung von englischsprachigen Entscheidungen zu erleichtern, sollen diese nach ins Deutsche übersetzt und auf Deutsch veröffentlicht werden.
Daneben sollen nach dem Gesetzesentwurf diverse Instrumente zur Beschleunigung der Verfahren vor den Commercial Courts beitragen: Die Richter sollen verstärkt moderne technische Mittel, insbesondere Videoverhandlungen und -beweisaufnahmen, einsetzen (einhergehend mit dem Referentenentwurf des BMJ vom 23. November 2023 zur Ausweitung der Möglichkeiten von Videoverhandlungen und -beweisaufnahmen), und frühzeitige Organisationstermine zur Planung des Verfahrensverlaufs anberaumen, wie es in Schiedsverfahren bereits gängige Praxis ist. Die Commercial Courts sollen zudem mit spezialisierten Richtern mit entsprechender Sprachkompetenz besetzt werden. Daneben soll auf Parteiantrag die Anfertigung eines während der Verhandlung mitlesbaren Wortprotokolls als weitere Erleichterung der Verfahrensführung ermöglicht werden.
Die Resonanz auf das Vorhaben des BMJ fällt bislang überwiegend positiv aus. Eine Reform der Zivilgerichtsbarkeit war indes auch dringend geboten; insbesondere die Öffnung der deutschen Zivilgerichte für die Verfahrenssprache Englisch ist längst überfällig.
Zudem dürfte es den Parteien einiges an Zeit und Kosten sparen, wenn das Verfahren bereits in erster Instanz am Oberlandesgericht anhängig gemacht und somit eine Instanz „übersprungen“ werden kann. Sinnvoll erscheint zudem die im Entwurf vorgesehene Regelung, dass Beweisdokumente in englischer Sprache nicht und Beweisdokumente in deutscher Sprache nur auf Antrag einer Partei zu übersetzen sind – Letzteres abzubedingen dürfte aus anwaltlicher Sicht ratsam sein, um weitere Kosten zu sparen.
Fraglich bleibt jedoch, ob der Referentenentwurf sein Ziel der Stärkung des Wirtschaftsstandorts Deutschland erreichen wird: Denn bereits jetzt existieren an einigen Landgerichten (zum Beispiel in Hamburg oder in Köln) englischsprachige Spezialkammern für Handelssachen, die nach den Ergebnissen der vom BMJ beauftragten Studie aber kaum angerufen werden. Die erhoffte Steigerung der Attraktivität der ordentlichen Gerichtsbarkeit wurde damit bislang nicht erreicht.
Ferner bleibt abzuwarten, ob die in Theorie geplanten schnellen, effizienten und attraktiven Gerichtsverfahren in der derzeitigen Gerichtspraxis auch Umsetzung erfahren können. Ob in absehbarer Zeit etwa ausreichend spezialisierte Richter mit entsprechender Sprachkompetenz an den Gerichten zur Verfügung stehen werden, wird sich erst noch zeigen müssen.
Schließlich bleibt abzuwarten, inwieweit Wortprotokolle in der Praxis Anwendung finden werden, da die Erfahrung in Schiedsverfahren zeigt, dass die notwendige Technik aktuell teuer ist und die Stenographen oftmals monatelang ausgebucht sind.
Aus anwaltlicher Sicht wird es bei Umsetzung des Entwurfs jedenfalls sinnvoll sein, Mandanten bei großvolumigen Streitigkeiten mit Auslandsbezug zu einer Gerichtsstandsvereinbarung über ein Verfahren vor den sog. Commercial Courts zu raten, um sich den Gang zu den Landgerichten und mithin Zeit und Kosten zu sparen.
Stephanie Quaß
Senior Associate
Frankfurt a.M.
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