08.10.2019
Ob der aktuellsten Entwicklungen im Vereinigten Königreich ist insbesondere aus Unternehmenssicht wichtig, sich mit möglichen Folgen des Brexit umfassend auseinanderzusetzen. Dieser Beitrag beleuchtet die etwaigen Konsequenzen für deutsche Unternehmen in der Rechtsdurchsetzung im Vereinigten Königreich nach dem Brexit.
Nachdem die britische Regierung am 2. Oktober 2019 neue Vorschläge zur Lösung des Brexit-Streits mit der Europäischen Union vorgelegt hat, rückt der baldige Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU näher – offen ist bis dato aber nach wie vor, ob ein Austritt mit oder ohne Austrittsabkommen erfolgen wird. Dabei bleibt ein ungeordneter Austritt (No-Deal-Brexit) weiterhin ein Szenario, auf das sich Unternehmen aufgrund der damit verbundenen Unsicherheiten vorbereiten sollten. Sicher ist jedoch, dass die Anerkennung und Vollstreckungvon Urteilen im internationalen Rechtsverkehr zwischen den Mitgliedsstaaten der EU und dem Vereinigten Königreich in der Regel mit dem Brexit langwieriger und schwieriger werden wird.
Das zentrale Regelungsinstrument des innereuropäischen Zivilprozessrechts ist die sog. EuGVVO oder Brüssel Ia-VO (Verordnung Nr. 1215/2012). Diese enthält beispielsweise europaweit geltende Bestimmungen zur gerichtlichen Zuständigkeit, zu Anforderungen an Gerichtsstandsvereinbarungen sowie zur Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen.
Die Entscheidung der britischen Bevölkerung, die EU zu verlassen, stellt auch eine Entscheidung gegen das geltende EU-Recht dar. Dies gilt insbesondere für EU-Verordnungen wie die EuGVVO, da diese in den EU-Mitgliedsstaaten ohne eine vorherige Umsetzung ins nationale Recht unmittelbar anwendbar sind. Die Wirkung der EuGVVO wird also im Verhältnis der verbleibenden Mitgliedsstaaten zum Vereinigten Königreich mit dessen Austritt entfallen. Im Fall eines No-Deal-Brexits ohne Austrittsabkommen greifen im Verhältnis der verbleibenden EU-Mitglieder und des Vereinigten Königreichs die allgemeinen Regeln der internationalen Zuständigkeit.
Zwischen Deutschland und dem Vereinigte Königreich könnte das am 14. Juli 1960 geschlossene deutsch-britische Abkommen über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („deutsch-britisches Abkommen“) zur Anwendung kommen. Sofern keine anderweitigen Regelungen oder Abkommen greifen, wird dieses die Vorschriften der EuGVVO zumindest teilweise ersetzen.
Besonders im Hinblick auf die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen hat der Wegfall der EuGVVO gravierende Folgen. Die vereinfachte Anerkennung von Urteilen aus anderen EU-Mitgliedstaaten basiert innerhalb der EU nicht nur auf dem gegenseitigen Vertrauen der EU-Mitgliedsstaaten untereinander, sondern auch auf dem gemeinsamen Rechtsrahmen, den die EU bietet. Dieser wird mit dem Brexit wegfallen. Ob und inwieweit daneben bestehende internationale Abkommen die Lücke zufriedenstellend füllen können, ist zweifelhaft.
Die Anwendung des deutsch-britischen Abkommens im Verhältnis zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich wird für Unternehmen im Rahmen ihrer bilateralen Rechtsdurchsetzung voraussichtlich zu einer erheblichen Verzögerung des Vollstreckungsbeginns führen. So ist zur Durchsetzung deutscher Gerichtsurteile ein separates sog. Exequaturverfahren bei einem britischen Gericht anzustrengen, was jedenfalls mit erheblichem Zeitaufwand und Kosten verbunden sein wird.
Keine Auswirkungen hat der Brexit auf die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, da das Vereinigte Königreich ein unabhängiger Unterzeichner des New Yorker Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche (New Yorker Übereinkommen) ist. Die Unterzeichner des New Yorker Übereinkommens verpflichten sich, privatrechtliche Schiedsvereinbarungen als Ausschluss des gerichtlichen Rechtswegs zu akzeptieren und Schiedssprüche von in anderen Staaten durchgeführten Schiedsverfahren anzuerkennen und zu vollstrecken.
Ferner beabsichtigt das Vereinigte Königreich, mit Wirkung zum 1. November 2019 dem Haager Übereinkommen beizutreten, welches die Anerkennung von Gerichtsstandsvereinbarungen zwischen Kaufleuten auf dem Gebiet des Zivilrechts regelt.
Ein ungeordneter Brexit wird auf die Rechtsdurchsetzung im Vereinigten Königreich erhebliche Auswirkungen haben. Für international tätige Unternehmen ist es daher ratsam, Verträge mit Vertragsparteien im Vereinigten Königreich auf mögliche Folgen des Brexits hin zu kontrollieren. In diesem Zusammenhang kann es empfehlenswert sein, im Rahmen von Handelsbeziehungen eine Schiedsklausel oder eine Gerichtsstandsvereinbarung in Vertragsurkunden aufzunehmen, um von den Bestimmungen des New Yorker oder Haager Übereinkommens über die Durchsetzung von Gerichtsurteilen profitieren zu können.
Eine vertraglich bereits vereinbarte Gerichtsstandsvereinbarung dürfte nach einem No-Deal-Brexit wirksam bleiben. Um den nach dem Wegfall der EuGVVO beschriebenen erheblichem Mehraufwand aus Zeit- und Kostensicht zu verhindern, kann es je nach Einzelfall jedoch sinnvoll sein, eine Schiedsvereinbarung zu treffen. Dies ist auch nachträglich möglich.
Für potentielle Kläger zumindest wird zukünftig wohl der Anreiz, das Vereinigte Königreich als Gerichtsstand zu wählen, deutlich verringert, wenn auch eine Vollstreckung in der EU in Betracht kommt. Dies kann für ein beklagtes Unternehmen durchaus von Vorteil sein, da die Verfahren im Vereinigten Königreich als klägerfreundlich, aufwändig und sehr kostenintensiv gelten.
Weiterlesen: Auf unserer Brexit-Themenseite finden Sie weitere Informationen rund um den bevorstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU. Wer mehr erfahren möchte über grenzüberschreitende Streitigkeiten und Vollstreckung nach einem Brexit, findet hier weitere Informationen.
York-Alexander von Massenbach
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