15.08.2017
15.08.2017
In welchen Fällen wird der neue und verschärfte sektorübergreifende Korrekturfaktor bei der kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten zukünftig angewendet? Über diese Frage muss demnächst der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden. Das Verwaltungsgericht Berlin hat dort hierzu ein Vorabentscheidungsverfahren eingeleitet (Rs. C-229/17, Evonik Degussa).
Hintergrund: Neufestlegung des Korrekturfaktors durch die Europäische Kommission
Anlass für das Verfahren ist die am 25. Januar 2017 erfolgte Neufestlegung des sektorübergreifenden Korrekturfaktors durch die Europäische Kommission (Beschluss 2017/126/EU). Diese war aufgrund des Urteils des EuGH vom 28. April 2016 (verb. Rs. C-191/14 u.a., Borealis) erforderlich geworden. Der neue sektorübergreifende Korrekturfaktor fällt deutlich schärfer aus als bisher:
Alter Korrekturfaktor | Neuer Korrekturfaktor | |
---|---|---|
2013 | 94,272151 % | 89,207101 % |
2014 | 92,634731 % | 87,657727 % |
2015 | 90,978052 % | 86,090119 % |
2016 | 89,304105 % | 84,506152 % |
2017 | 87,612124 % | 82,905108 % |
2018 | 85,903685 % | 81,288476 % |
2019 | 84,173950 % | 79,651677 % |
2020 | 82,438204 % | 78,009186 % |
Ungeklärt ist bisher allerdings, in welchen Fällen die Verschärfung tatsächlich angewendet wird. Im Regelungsteil ihres Beschlusses hat die Kommission hierzu nichts festlegt. Lediglich in dem (rechtlich unverbindlichen) Erwägungsgrund (13) des Beschlusses betont Brüssel, der neue Korrekturfaktor solle für ab dem 1. März 2017 angenommene Beschlüsse zur Schaffung oder Änderung von Zuteilungsansprüchen, für deren Feststellung der sektorübergreifende Korrekturfaktor angewendet wird, gelten.
Die Deutsche Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt (DEHSt) hatte aus diesem Erwägungsgrund den Schluss gezogen, bestandskräftige Zuteilungsentscheidungen seien generell von einer Anwendung des neuen Korrekturfaktors ausgeschlossen. Dieser solle aber dann auch rückwirkend ab 2013 Anwendung finden, wenn Zuteilungsentscheidungen geändert werden (etwa infolge von gerichtlich erstrittenen Mehrzuteilungen oder Kapazitätsverringerungen) oder ganz neu vorgenommen werden (vgl. https://www.dehst.de/SharedDocs/mailing/DE/2017/2017-01-27_CSCF.html).
Diese Auffassung wurde aber schon früh von dem Verwaltungsgericht Berlin abgelehnt: Mit Teilurteil vom 26. Januar 2017 (VG 10 K 364.15) wies das Gericht darauf hin, dass rückwirkende Veränderungen des sektorübergreifenden Korrekturfaktors bereits ab 2013 durch den EuGH im Tenor seines Urteil vom 28. April 2016 aus Gründen des Bestandsschutzes und der Rechtssicherheit ausgeschlossen worden waren.
Derzeit unklar: Wann kommt verschärfter Korrekturfaktor zur Anwendung?
Offen ist damit aber, in welchen Fällen Anlagenbetreiber mit der Anwendung des neuen, verschärften sektorübergreifenden Korrekturfaktors rechnen müssen. Zur Klärung der diesbezüglichen Bedeutung des Luxemburger Urteils vom 28. April 2016 hat das Verwaltungsgericht hierzu die folgenden Fragen an den EuGH gerichtet:
„Ist Tenor Nr. 3 des Urteils des Europäischen Gerichtshofes vom 28.04.2014 (C-191.14) dahingehend auszulegen,
a) dass der sektorübergreifende Korrekturfaktor in Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448/EU in der ursprünglichen Fassung für vor dem 1. März 2017 von der zuständigen Behörde des Mitgliedsstaates festgesetzte Zuteilungen für die Jahre 2013 bis 2020 Anwendung findet, und
b) dass der sektorübergreifende Korrekturfaktor in Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448/EU in der ursprünglichen Fassung für nach dem 1. März 2017 gerichtlich zugesprochene Mehrzuteilungen für die Jahre 2013 bis 2017 anzuwenden ist, und
c) dass der sektorübergreifende Korrekturfaktor in Art. 4 und Anhang II des Beschlusses 2013/448/EU in der ab 1. März 2017 geltenden Fassung des Beschlusses 2017/126/EU für nach dem 1. März 2017 gerichtlich zugesprochene Mehrzuteilungen für die Jahre 2018 bis 2020 Anwendung findet?“
Bestandsschutz für vor dem 1. März 2017 erfolgte Zuteilungen für die Jahre 2013 bis 2017
In der Begründung seines Vorlagebeschlusses äußerte das Verwaltungsgericht selbst Zweifel an der rechtsstaatlichen Vereinbarkeit einer rückwirkenden Verschärfung des sektorübergreifenden Korrekturfaktors für die Jahre 2013 bis 2017. Für diese Jahre ist das EuGH-Urteil auch eindeutig: Hier sind Anlagenbetreiber vielfach schon Bindungen über die ihnen zugeteilten Emissionszertifikate eingegangen, bei denen ein rückwirkender Eingriff zu Verwerfungen führen würde.
Luther: Keine Anwendbarkeit auf Mehrzuteilungen für die Jahre 2013 bis 2017
Gleiches soll nach Auffassung des Düsseldorfer Teams der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft, die beim EuGH die Klägerin des deutschen Ausgangsverfahrens vertritt, auch im Falle von Zuteilungsänderungen und Mehrzuteilungen für die Jahre 2013 bis 2017 gelten. Denn aus Art. 10a Abs. 1 der Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG folgt, dass die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten nach gemeinschaftsweit vollständig harmonisierten Regeln erfolgt. Dem würde es aber widersprechen, wenn der neue Korrekturfaktor im Falle von Zuteilungsänderungen und Mehrzuteilungen 2013 bis 2017 angewendet würde. Denn dies hätte eine Ungleichbehandlung von Zuteilungen für diese Jahre zur Folge.
Was gilt für die Jahre 2018 bis 2020?
Konsequent wäre es daher, wenn der EuGH Mehrzuteilungen und Fälle der Zuteilungsänderungen für die Ausgabejahre 2018 bis 2020 dem neuen sektorübergreifenden Korrekturfaktor unterwirft und die dritte Vorlagefrage des VG Berlin bejaht. Unsicher ist derzeit aber, ob der EuGH daneben zu weiteren denkbaren Rechtsfolgen der Neufestlegung des sektorübergreifenden Korrekturfaktors für die Jahre 2018 bis 2020 Stellung bezieht, etwa zur Frage einer generellen Anwendung auf alle – auch bestandskräftigen – Zuteilungsentscheidungen für diese Jahre. Gefragt hat ihn das Berliner Verwaltungsgericht hierzu jedenfalls nicht.
Dr. Stefan Altenschmidt, LL.M. (Nottingham) |