15.04.2020
Alle EU-Mitgliedstaaten reagieren auf die Corona-Pandemie mit Programmen, die die erheblichen wirtschaftlichen Folgen für Unternehmen durch staatliche Unterstützungsmaßnahmen abmildern sollen. Sind solche Maßnahmen staatliche Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV, darf ein EU-Mitglied sie nur dann gewähren, wenn sie zuvor durch die Europäische Kommission („Kommission“) genehmigt worden sind.
Nur solche Beihilfen bedürfen nicht der Genehmigung durch die Kommission, die die Voraussetzungen der sog. Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung („AGVO“) erfüllen oder eine Spürbarkeitsschwelle unterschreiten (i.d.R. EUR 200.000 in einem Zeitraum von drei Jahren). Ist eine Einzelfall-Genehmigung erforderlich, dauert das Verfahren in Nicht-Krisenzeiten mindestens einige Monate. Um diese Dauer drastisch zu verkürzen, hat die Kommission verschiedene Mitteilungen veröffentlicht, insbesondere die Mitteilung über einen „Befristeten Rahmen“ 19. März 2020 („Befristeter Rahmen“, siehe 1.). Mitgliedstaatliche Förder- und Stützungsmaßnahmen, die sich innerhalb der Vorgaben des Befristeten Rahmens bewegen, genehmigt die Kommission innerhalb weniger Tage. Denn solche Maßnahmen sieht die Kommission stets als gemäß Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar an. Die Konzeption des Befristeten Rahmens orientiert sich an dem Rahmen der Kommission zur Bekämpfung der Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise aus dem Jahr 2008. Am 3. April 2020 hat die Kommission weitere Maßnahmen, die sie schnell genehmigen wird, in den Befristeten Rahmen aufgenommen. Auf der Grundlage des (ergänzten) Befristeten Rahmens hat die Kommission bis dato sehr schnell eine große Zahl an Hilfsmaßnahmen genehmigt. Mit weiteren Entscheidungen ist nach wie vor kurzfristig zu rechen. Zudem hat die Kommission Maßnahmen genehmigt, die zwar nicht die Vorgaben des Befristeten Rahmens einhalten, jedoch die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV erfüllen, zuletzt die Garantie Deutschlands für Warenkreditversicherungen (Stand 15. April 2020, siehe 2.). Darüber hinaus hat die Kommission eine Handreichung veröffentlicht, der ihr eine erheblich schnellere Prüfung und Genehmigung von Beihilfen erlaubt, die durch die Corona-Pandemie verursachte Schäden in der Wirtschaft ausgleichen sollen (siehe 3.). Nicht alle finanzielle Hilfen für Unternehmen stellen staatliche Beihilfen dar – sie können weiterhin ohne vorherige Genehmigung der Kommission in Anspruch genommen werden (siehe 4.). Die Kommission hat zwar den Befristeten Rahmen ausgeweitet und prüft kurzfristig weitere Erleichterungen. Sie wird jedoch versuchen, bei staatlichen Unterstützungen für nicht-Corona-bedingte Schwierigkeiten von Unternehmen die Zügel nicht zu lockern. Ob ihr das gelingen wird, ist nach wie vor offen, zumal aus der Politik schon Forderungen nach mehr Flexibilität verlauten (siehe 5.).
Der Befristete Rahmen ermöglicht eine sehr schnelle Prüfung und – wenn die Hilfsmaßnahme des Mitgliedstaats die Vorgaben des Befristeten Rahmens einhält – eine Genehmigung der Kommission auf Grundlage des Art. 107 Abs. 3 lit. b Alt. 2 AEUV. Den Befristeten Rahmen hat die Kommission zuletzt am 3. April 2020 erweitert. Er ermöglicht insbesondere die schnelle Genehmigung folgender Maßnahmen, sofern sie insgesamt die Obergrenze von EUR 800 000 brutto nicht übersteigen:
Diese Beihilfen können auch etwa mit sogenannten De-minimis-Beihilfen kumuliert werden, um die Beihilfe pro Unternehmen auf bis zu 1 Mio. EUR zu erhöhen.
Weiterhin stellt der Befristete Rahmen die schnelle Genehmigung folgender Maßnahmen sicher, für die die Obergrenze von EUR 800 000 nicht gilt:
Der Befristete Rahmen gilt auch nach seiner Änderung vom 3. April 2020 grundsätzlich nur für Unternehmen, die nicht in Schwierigkeiten sind, es sei denn sie sind erst nach dem 31. Dezember 2019 in Schwierigkeiten geraten. Im geänderten Befristeten Rahmen fordert die Kommission aber nicht mehr, dass die begünstigten Unternehmen „aufgrund des COVID-19-Ausbruchs“ in Schwierigkeiten geraten sein müssen, um von einer Beihilfe zu profitieren. Vielmehr reicht es aus, dass sich das Unternehmen erst nach dem 31. Dezember 2019 in Schwierigkeiten befand, ohne dass der Mitgliedstaat die Ursache hierfür gegenüber der Kommission darlegen muss.
Gemäß der Ausnahmeregelung des Art. 107 Abs. 3 lit b Alt. 2 AEUV können Beihilfen nur insoweit als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden, als sie „zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“ gewährt werden. Die Kommission sieht auf Grund der Corona-Pandemie eine solche beträchtliche Störung des Wirtschaftslebens derzeit in allen EU-Mitgliedstaaten als gegeben an, was sie in dem Befristeten Rahmen ausdrücklich feststellt (s. Befristeter Rahmen, Punkt 18). Im Übrigen hat sie ein weites Ermessen bei der Auslegung, inwieweit eine Beihilfe noch zur Behebung einer solchen Störung dient. Die Grundsätze, nach denen sie über Beihilfenanmeldungen entscheiden will, hat die Kommission im Befristeten Rahmen festgehalten. Um genehmigt zu werden, müssen die Beihilfen insbesondere folgende Voraussetzungen erfüllen:
Auf der Grundlage des Befristeten Rahmens hat die Kommission bereits mehrere Hilfsmaßnahmen nahezu aller EU-Mitgliedstaaten genehmigt (darunter bereits sechs Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland; Stand 15. April 2020). Mit Ablauf des Jahres 2020 endet der Befristete Rahmen. Davor wird die Kommission prüfen, ob eine Verlängerung erforderlich ist. Abrufbar ist der Befristete Rahmen unter https://ec.europa.eu/competition/state_aid/what_is_new/sa_covid19_temporary-framework_de.pdf. Dessen erste Änderung vom 3. April 2020 im Sinne von Ergänzungen und Erweiterungen ist abrufbar
unter https://ec.europa.eu/competition/state_aid/what_is_new/sa_covid19_1st_amendment_temporary_framework_de.PDF. Zudem hat die Kommission eine Handreichung („Template“) veröffentlicht, das die von den Mitgliedstaaten insoweit zu übermittelnden Informationen zusammenfasst (https://ec.europa.eu/competition/state_aid/what_is_new/amended_notification_template_TF_coronavirus.pdf, derzeit nur auf
Englisch verfügbar).
Für Beihilfen der EFTA-Staaten Liechtenstein, Norwegen und Island wendet die insoweit zuständige Europäische Überwachungsbehörde ESA den Befristeten Rahmen auf die Beihilfenregelungen im EWR-Vertrag entsprechend an (http://www.eftasurv.int/state-aid/state-aid-rules-and-covid-19/).
Der Befristete Rahmen bildet natürlich nicht sämtliche Fallkonstellationen ab, in denen die Kommission eine Maßnahme auf Grundlage des Art. 107 Abs. 3 lit. b Alt. 2 AEUV genehmigen kann. Daher hat die Kommission bereits Maßnahmen genehmigt, die zwar nicht die Vorgaben des Befristeten Rahmens einhalten, aber dennoch die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 3 lit. b Alt. 2 AEUV erfüllen. Zuletzt genehmigte sie auf dieser Rechtsgrundlage die Garantie Deutschlands für Warenkreditversicherungen (Stand 15. April 2020).
Gemäß Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV sind staatliche Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind, mit dem Binnenmarkt vereinbar. Auch solche Beihilfen müssen von der Kommission genehmigt werden. Um auch die Genehmigung auf Grundlage dieser Vorschrift zu beschleunigen, hat die Kommission eine weitere Handreichung veröffentlicht, die die von den Mitgliedstaaten zu übermittelnden Informationen zusammenfasst (https://ec.europa.eu/competition/state_aid/what_is_new/amended_notification_template_TF_coronavirus.pdf). Insoweit muss der Mitgliedstaat insbesondere darlegen,
Sind diese und weitere Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV erfüllt, muss die Kommission die Beihilfe genehmigen. Der mit den Leitlinien der Kommission für staatliche Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen eingeführte Grundsatz, wonach eine Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfe nur einmal gewährt werden darf, gilt insoweit nicht. Bisher genehmigte die Kommission nur wenige Beihilfemaßnahmen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie auf dieser Grundlage. Die übrigen Beihilfen genehmigte sie auf Grundlage des Befristeten Rahmens.
Keine genehmigungspflichtigen Beihilfen im Sinne des Art 107 Abs. 1 AEUV enthalten folgende Maßnahmen, die ein Mitgliedstaat zur Bekämpfung der Corona-Pandemie treffen könnte:
Die Kommission hat am 13. März 2020 eine Mitteilung über eine koordinierte wirtschaftliche Reaktion auf die COVID-19-Pandemie angenommen‚ in der diese und weitere Möglichkeiten erläutert werden.
Es ist kurzfristig mit zahlreichen weiteren Entscheidungen der Kommission zu rechnen, mit denen sie nationale Hilfsprogramme schnell genehmigen wird. Trotz der gebotenen Eile wird sie versuchen, möglichst wenig Schlupflöcher für Unternehmen zu lassen, die staatliche Beihilfen in Anspruch nehmen, ohne dass der Bedarf dafür durch die derzeitige Corona-Krise verursacht worden ist. Die Beihilfenpraxis der Kommission in der Finanzkrise hat gezeigt, dass die Kommission Rettungsmaßnahmen nicht im Wege steht, die nationalen Maßnahmen aber im Auge behält und es etwa durch die Befristung von Genehmigungen in der Hand behält, die Zügel wieder fester anziehen.
Frankreichs Wirtschaftsminister hat verlauten lassen, die Kommission müsse weit mehr Flexibilität zeigen als bisher, um die die Corona-Folgen insbesondere für die heimische Automobil- und Luftfahrtindustrie auffangen zu können. Die bisherigen Maßnahmen seien zwar richtig, gingen aber nicht weit genug. Zudem drängte er erneut auf eine Reform des europäischen Kartell- und Beihilfenrechts, um es europäischen
Unternehmen zu ermöglichen, Schlüsselindustrien zu besetzten und die EU so unabhängig von außereuropäischen Unternehmen zu machen. Eine solche Reform sei angesichts der Corona-Pandemie wichtiger denn je.
Dr. Helmut Janssen, LL.M. (King's College London)
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