10.06.2020

Subsidiarität der Parteivernehmung nach § 448 ZPO

Die BGH-Entscheidung vom 12.12.2019 (III ZR 198/18) rückt die Parteivernehmung von Amts wegen wieder verstärkt in den prozessualen Fokus

Hintergrund

Teil einer Beweisaufnahme zur Ermittlung des Wahrheitsgehalts streitiger Tatsachenbehauptungen kann auch die Parteivernehmung von Amts wegen gem. § 448 ZPO sein. Diese kommt aufgrund des im Zivilprozess herrschenden Beibringungsgrundsatzes jedoch nur subsidiär zu den übrigen Beweismitteln in Betracht. Im verfassungsrechtlichen Kontext erlangt § 448 ZPO vor allem bei Vier-Augen-Gesprächen Bedeutung.

Bevor eine Parteivernehmung erfolgen kann, müssen alle angebotenen Beweismittel für die zu beweisende Tatsache ausgeschöpft worden sein und dürfen keinen vollständigen Beweis erbracht haben. Die beweisbelastete Partei muss alle ihr zumutbaren Zeugenbeweise angetreten haben. Es muss ein Anfangsbeweis erbracht sein und eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache sprechen.

Diese Subsidiarität führt jedoch nicht dazu, dass die beweisbelastete Partei zuvor ihre Vernehmung nach § 445 ZPO bzw. § 447 ZPO beantragt haben muss. Auch ist es nicht erforderlich, dass die beweisbelastete Partei eine im Lager des Prozessgegners stehende Person als Zeugen benennt. Denn einen Beweis durch die Vernehmung eines im gegnerischen Lager stehenden Zeugen zu erhalten, ist typischerweise unwahrscheinlich und kann daher der beweisbelasteten Partei nicht abverlangt werden. Erst recht muss sie nicht die Parteivernehmung des Gegners beantragen.

Für die inhaltliche rechtliche Prüfung im Instanzenzug und dem Rügeverfahren gilt, dass die Ermessensentscheidung des Gerichts, ob eine Parteivernehmung von Amts wegen per Beschluss angeordnet wird, nur daraufhin überprüfbar ist, ob die rechtlichen Voraussetzungen verkannt oder das Ermessen rechtsfehlerhaft ausgeübt wurde. Entsprechend ist das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die Feststellungen der ersten Instanz gebunden, mithin auch an die Beweiswürdigung des Tatrichters nach § 286 ZPO. Wenn sich die Vernehmung einer Partei gem. § 448 ZPO zur Beweisführung jedoch aufdrängt (z.B. Gericht schenkt der Zeugenaussage einer Partei keinen Glauben oder würdigt die Aussage als unergiebig), muss das Gericht die Beweggründe der Ablehnung einer Vernehmung darlegen, um dem Vorwurf des Ermessensausfalls/Ermessensnichtgebrauchs zu entgehen.

I. Sachverhalt

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 12.12.2019 (III ZR 198/18)) lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

Streitig war zwischen den Parteien, ob der Beklagte den Klägern das zu Lebzeiten des Erblassers abgehobene Geld nach dem Tod des Erblassers übergeben hat oder nicht. Der Beklagte gab an, auf Wunsch des Erblassers dem Kläger zu 2) Geld in einem Briefumschlag und zwei Geldtaschen übergeben zu haben. Die Kläger behaupteten, dass sie  nur Unterlagen erhalten hätten und kein Geld. Die Zeugen, welche vom Beklagten benannt wurden, gaben im Rahmen ihrer Vernehmung an, dass Geldtaschen und separat davon Unterlagen übergeben wurden. Des Weiteren schilderten sie, der Erblasser hatte sich dem Beklagten gegenüber dahingehend geäußert, dass mit seiner EC-Karte zu seinen Lebzeiten Geld durch den Beklagten abgehoben werden und sodann im seinem hauseigenen Tresor verwahrt werden solle, um es dann im Todesfall den Klägern zu übergeben. Interessanter Weise waren die diesbezüglichen Zeugenaussagen nicht Gegenstand des landgerichtlichen Beweisbeschlusses. Die Zeugen machten bei ihrer Vernehmung aus eigenem Antrieb Angaben hierzu. Der Beklagte hatte in seiner Klageerwiderung zu den Geldübergaben substanziiert vorgetragen und dieses Vorbringen war von den Klägern bestritten worden. Die ihm günstigen Zeugenangaben hat sich der Beklagte ausdrücklich, jedenfalls aber stillschweigend zu eigen gemacht.

II. Entscheidungen im Instanzenzug

Das Landgericht Göttingen (Urt. v. 12.12.2017 – Aktenzeichen 6O3617 6 O 36/17) hat die auf Rückzahlung sämtlicher abgehobenen und überwiesenen Beträge gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger hin hat das Oberlandesgericht Braunschweig (Urt. v. 23.8.2018 – Aktenzeichen 9U218 9 U 2/18) den Beklagten zur Zahlung eines Teilbetrages nach Aufrechnung verurteilt und im Übrigen die Klage abgewiesen soweit sie die Überweisungen an Dritte und einen in bar abgehobenen Teilbetrag betrifft. Das Berufungsgericht hatte die Zeugenaussagen als „unergiebig“ erachtet.

Gegen seine teilweise Verurteilung wandte sich der Beklagte mit seiner vom Senat zugelassenen Revision, mit welcher er die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erstrebte.

III. Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Zunächst beschäftigte sich der BGH mit dem eingeschränkten Prüfungsumfang des Berufungsgerichts: Dieses ist an die getroffenen Feststellungen in erster Instanz nicht gebunden, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen. Solche Zweifel sind zum Beispiel dann begründet, wenn die Beweiswürdigung des Erstrichters in Bezug auf entscheidungserhebliche Tatsachen unvollständig oder unrichtig ist. Dafür genügt eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass eine (erneute) Beweiserhebung die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ergeben wird (Ball, in: Musielak/Voit, ZPO, 16. Aufl. 2019, § 529 Rn. 8).

Vorliegend prüfte das Berufungsgericht aus Sicht des BGHs nicht ausreichend und umfassend die in erster Instanz gewonnenen Beweisergebnisse und wendete § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO fehlerhaft an. Das Berufungsgericht hätte die o.g. Indizien aus den Zeugenaussagen verwerten können, um logisch zu schlussfolgern, dass eine Übergabe des Geldes mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich stattgefunden hat. Zudem hätte es die von den Zeugen geäußerten Hilfstatsachen als Anscheinsbeweis ansehen müssen und eine Parteivernehmung des Beklagten von Amts wegen gem. § 448 ZPO vornehmen müssen. Denn für den Beklagten, der behauptete, er hätte das Geld auf Wunsch des Erblassers in bar an den Kläger zu 2 übergeben, war es prozessentscheidend, dies zu beweisen. Nur auf diese Weise wäre das Gebot der Waffengleichheit im vorliegenden Fall gewahrt worden.

Fehlerhaft war, dass das Berufungsgericht die Zeugenaussagen als „unergiebig“ angesehen hatte, trotz des zuvor dargestellten Anscheinsbeweises. Nicht durch das Revisionsgericht überprüfbar ist hingegen, ob die Bedeutung und das Gewicht einer Beweiswürdigung im Einzelfall „korrekt“ erfasst wurden. Wiederum gestattet die hM eine Überprüfung auch bei Verkennung allgemeiner Erfahrungssätze und der Voraussetzungen eines Anscheinsbeweises.

Damit hat die Vorinstanz die Zeugenaussagen lückenhaft gewürdigt, auch, wenn die Frage, ob das Vorbringen des Beklagten zu den Geldübergaben zutraf, nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Beweisbeschlusses war. Sie hätte eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO vornehmen müssen.

Autor/in
Dr. Stephan Bausch, D.U.

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