26.09.2024
Entscheidend für die Durchsetzbarkeit von Insolvenzanfechtungsansprüchen ist insbesondere die Beweisbarkeit des Zeitpunkts, an dem die Zahlungsunfähigkeit eines Schuldners eingetreten ist. Mit Urteil vom 18.04.2024 (IX ZR 129/22) hat sich der BGH erneut hierzu geäußert. Demnach kann (schon) ein einfaches Bestreiten des Anfechtungsgegners genügen, um die Behauptung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zu erschüttern und damit die Durchsetzbarkeit eines Insolvenzanfechtungsanspruchs zu verhindern.
In den Jahren 2003 bis 2009 gewährte die Beklagte der Schuldnerin mehrere Darlehen für den Erwerb von Gewerbeimmobilien. Zur Sicherheit bestellte die Schuldnerin der Beklagten Grundschulden an ihren Grundstücken. Zudem trat die Schuldnerin der Beklagten ihre gegenwärtigen und künftigen Mietforderungen ab. Auf Vorschlag der Beklagten betraute die Schuldnerin ab Juli 2011 eine Gesellschaft mit der Verwaltung der Immobilien, einschließlich des Einzugs der Mieten. In der Folge gingen die Mietzahlungen der Mieter der Schuldnerin auf einem Konto dieser Gesellschaft ein, von dem wiederum Zahlungen auf die Darlehenskonten der Schuldnerin bei der Beklagten vorgenommen wurden.
Die Beklagte kündigte die Darlehensverträge mit Wirkung zum Juli 2012. Die Zwangsverwaltung der Grundstücke der Schuldnerin begann im Dezember 2012. Der Insolvenzverwalter nahm die Beklagte auf Rückzahlung von Mieteinnahmen aus der Zeit von Juli 2011 bis Juli 2012 in Höhe von EUR 242.874,26 in Anspruch. Das Landgericht und das Oberlandesgericht hatten der Klage im Wesentlichen stattgegeben. Mit der Revision verfolgte die Beklagte die vollumfängliche Klageabweisung weiter.
Gemäß § 138 ZPO haben die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben. Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht. Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.
Die (richtige) Erfüllung der jeweiligen Bestreitensanforderung ist wichtig, weil dies darüber entscheidet, ob eine behauptete Tatsache im Ergebnis als richtig gewertet wird. Ob einfaches Bestreiten („Die Behauptung ist nicht richtig.“) genügt oder ob substantiiertes Bestreiten („Das war anders, und zwar so und so…“, d.h. mit konkreter Gegendarstellung) erforderlich ist, folgt daraus, wie konkret die zunächst darlegungspflichtige Partei vorgetragen hat. Je detaillierter also der Vortrag der darlegungspflichtigen Partei ist, desto höher sind die Anforderungen an das Bestreiten, bis hin zu einer konkreten Gegenvorstellung.
Allerdings kann schon die Anforderung eines einfachen Bestreitens praktisch schon dann unerfüllbar sein, wenn die betreffende Partei – hier der Anfechtungsgegner – keine Kenntnis von den entscheidungserheblichen Tatsachen haben kann. Sie weiß nicht, ob die behauptete Tatsache richtig oder falsch ist. Für die Fälle des Nichtwissens (ob eine behauptete Tatsache richtig oder falsch ist), sieht § 138 Abs. 4 ZPO daher die Möglichkeit vor, eine behauptete Tatsache mit Nichtwissen zu bestreiten. Voraussetzung hierfür ist, dass der Erklärende tatsächlich keine Kenntnis in Bezug auf die Tatsache hat, z.B. weil sich der Vorgang außerhalb eigener Wahrnehmung abgespielt und die Kenntnis anderer Beteiligter nicht zurechenbar ist. So liegt die Sache oft bei Insolvenzanfechtungsklagen. Schließlich haben Gläubiger (die späteren Anfechtungsgegner) in der Regel keinen Einblick in die Buchhaltungsunterlagen eines Schuldners und können sich deshalb zum Zeitpunkt des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht erklären.
Mit Urteil vom 18.04.2024 IX ZR 129/22 stellte der BGH klar, dass von einem außerhalb der Gesellschaft stehenden Dritten nicht ohne Weiteres verlangt werden kann, dass er den vom Insolvenzverwalter zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin aufgestellten Liquiditätsstatus im Einzelnen konkret und substanziiert bestreitet, wenn der vom Insolvenzverwalter vorgelegte Liquiditätsstatus keine Einzelheiten enthält und der Insolvenzverwalter seinerseits seinen Vortrag nicht näher – etwa durch Vorlage von Rechnungen, Kontoauszügen oder sonstigen Unterlagen – belegt hat.
Zu Unrecht habe das Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 138 ZPO das Bestreiten der Beklagten als unsubstantiiert behandelt. Das Berufungsgericht habe gemeint, der Anfechtungsgegner habe die einzelnen aus dem Liquiditätsstatus herauszunehmenden Zahlungspflichten darzulegen und zu beweisen und dadurch hat es die Anforderungen an ein wirksames Bestreiten des Anfechtungsgegners überspannt.
Gemessen an dem Detaillierungsgrad des Vortrags des Insolvenzverwalters sei das (einfache) Bestreiten des Anfechtungsgegners ausreichend gewesen. Je detaillierter der Vortrag der darlegungsbelasteten Partei sei, desto höher sei die Erklärungslast der bestreitenden Partei nach § 138 Abs. 2 ZPO. Fehlt es dagegen an einer näheren Darlegung von Einzelheiten durch die darlegungsbelastete Partei, kann ein einfaches Bestreiten des Gegners genügen. So lag die Sache hier. Der Kläger hatte zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin lediglich eine Liquiditätsbilanz vorgelegt, ohne jedoch weitere Unterlagen (Rechnungen etc.) vorzulegen. Deshalb hatte die Beklagte weder Anlass noch die Möglichkeit, ihr Bestreiten im Einzelnen näher zu erläutern. In der Folge genügte ihr einfaches Bestreiten zur Widerlegung der Behauptung des Insolvenzverwalters, die Schuldnerin sei zahlungsunfähig gewesen. Die Revision der Beklagten hatte daher Erfolg.
Eine andere Betrachtung folge auch nicht daraus, dass der II. Zivilsenat des BGH (Urteil vom 19.12.2017 – II ZR 88/16) entschieden habe, dass ein vom Insolvenzverwalter zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners aufgestellter Liquiditätsstatus, der auf den Angaben aus der Buchhaltung des Schuldners beruht, nicht mit der pauschalen Behauptung bestritten werden könne, die Buchhaltung sei nicht ordnungsgemäß geführt worden. Es gehöre zu den Pflichten eines Geschäftsführers, für die ordnungsgemäße Buchhaltung der Gesellschaft Sorge zu tragen und über die finanziellen Verhältnisse der Gesellschaft unterrichtet zu sein. Dies sei ein anderer Maßstab, der nicht auf außerhalb der Gesellschaft stehende Dritte übertragen werden könne.
Das Urteil ist ein weiterer Beleg für die seit dem Jahr 2021 (Urteil vom 6. Mai 2021 - IX ZR 72/20 ) erhöhten Anforderungen an die Geltendmachung von Insolvenzanfechtungsansprüchen gegenüber außerhalb des Schuldnerunternehmens stehenden Dritten. Im Jahr 2022 nahm der BGH zudem bereits ausdrücklich die prozessualen Anforderungen an den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit in den Blick (Urteil vom 28.4.2022 – IX ZR 48/21). Er stellte klar, dass bei der Bewertung der Substantiierungslast des Anfechtungsgegners nicht (zugunsten des klagenden Insolvenzverwalters) mit zweierlei Maß gemessen werden dürfe. Mangels näherer Darlegung von Einzelheiten bestand für den Anfechtungsgegner bereits in diesem Fall weder Anlass noch die Möglichkeit, sein Bestreiten im Einzelnen näher zu erläutern.
Für potenzielle Anfechtungsgegner, zum Beispiel Lieferanten mit Geschäftsbeziehungen zu Kunden in einer Krise, ist zu beachten, dass Unwissenheit von der konkreten Finanzlage des Schuldnerunternehmens nicht schadet. Von etwaigen Anforderungen an Schuldnerunternehmen zur Offenlegung der Buchhaltung sollte abgesehen werden. Ein Umstand, der angesichts der steigenden Insolvenzzahlen im Blick behalten werden sollte und ein weiterer Beleg dafür, dass für eine wirkungsvolle Gesamtstrategie von Lieferanten im Umgang mit Schuldnerunternehmen auch prozessuale Aspekte bedeutend sind.
Christiane Kühn, LL.M. (Hong Kong)
Partnerin
München
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