30.04.2020
Wir berichteten bereits, wie sich die kartellrechtliche Praxis an die aktuelle Ausnahmesituation in den letzten Wochen anpasste. Nach unserem letzten Beitrag haben sich nochmals wesentliche Ereignisse auf dem Gebiet des Kartellrechts zugetragen. International haben Regierungen und Behörden bislang mit teils unterschiedlichen Signalen auf die Herausforderungen, welche die Ausbreitung des Coronavirus mit sich bringt, reagiert (siehe unten). Die Ankündigungen und Maßnahmen reichen von der Lockerung kartellrechtlicher Bestimmungen in bestimmten, unmittelbar versorgungsrelevanten Bereichen, über verstärkte finanzielle Hilfen bis hin zu einer besonders verschärften Überwachung des Kartellverbotes.
Als Reaktion auf die Auswirkungen des Coronavirus hat die Bundesregierung gestern einen Gesetzesentwurf veröffentlicht, der vorsieht, zum einen (i) die Pflicht zur Verzinsung kartellrechtlicher Bußgelder auszusetzen, um Unternehmen weiter zu entlasten und zum anderen (ii) die Prüffristen für Fusionskontrollanmeldungen zu verlängern.
Neben der geplanten Erleichterung von Zahlungsverpflichtungen für Kartellanten (Aussetzung der Verzinsung kartellrechtlicher Bußgelder bis zum 30. Juni 2021) kommen den neuen Regeln eine besondere Bedeutung im Transaktionsbereich zu.
Nach dem aktuellen Gesetzesentwurf der Bundesregierung sollen die Prüffristen für Fusionskontrollanmeldungen aus dem Zeitraum vom 1. März bis 31. Mai 2020 verlängert werden. Im Einzelnen ist geplant, die Prüffrist
Andere Länder (z.B. Österreich, Dänemark und Norwegen) erließen kürzlich ähnliche Regelungen für die Prüfung von Unternehmenstransaktionen.
Die geplante Verlängerung der Prüffristen kann erhebliche Auswirkungen auf bestehende Transaktionen haben, die nur innerhalb eines engen Zeitrahmens wirtschaftlich rentabel sind. Unternehmen sollten daher prüfen, ob es möglich und sinnvoll erscheint, eine geplante Fusion zu einem späteren Zeitpunkt anzumelden, um längere Prüffristen zu vermeiden. Andererseits sind künftig weitere Gesetzesänderungen denkbar.
Als Reaktion auf die Auswirkungen des Coronavirus hat die Europäische Kommission Rahmenbedingungen („Temporary Framework“) veröffentlicht, die als Orientierungshilfe zur Beurteilung der kartellrechtlichen Vereinbarkeit von Unternehmenskooperationen dienen sollen. Auf Anfragen von Unternehmen kann die Kommission kurzfristig mit einer Bescheinigung (sog. „Comfort Letter“) reagieren, um es den Unternehmen zu ermöglichen, Kooperationen einzugehen, die normalerweise gegen das Kartellverbot (Art. 101 AEUV) verstoßen würden.
Unternehmen im Gesundheitssektor wurde ein erster „Comfort Letter“ bereits erteilt.
Ferner ist der Erlass eines Durchführungsrechtsaktes geplant, der es Unternehmen aus bestimmten landwirtschaftlichen Sektoren ermöglichen soll, befristet zu kooperieren. Landwirte werden die Möglichkeit erhalten, ihre Produktion untereinander abzustimmen sowie ggfs. Produkte vom Markt zu nehmen und zu lagern, um den Markt zu stabilisieren und die Versorgung der Verbraucher zu gewährleisten.
Als Reaktion auf die momentane Ausnahmesituation tendieren viele Kartellbehörden und Regierungen – gerade in Europa – zunehmend zu einer Auflockerung der Wettbewerbsregeln in dafür geeigneten, unmittelbar Pandemie-relevanten Fällen:
Entgegen der dargestellten Lockerungen kartellrechtlicher Vorschriften lässt sich allerdings auch zeitgleich der genau gegenläufige Ansatz einiger Wettbewerbsbehörden beobachten, nämlich die Ankündigung, das Kartellverbot in Krisenzeiten besonders rigoros zu überwachen:
Neben oder als Alternative zu einer großzügigeren (bzw. strengeren) Anwendung des Kartellverbotes scheinen vor allem die Lockerung der Regelungen für Staatsbeihilfen das momentan bevorzugte Mittel zur Abmilderung der wirtschaftlichen Belastungen durch COVID-19 zu sein:
Für weitere Einzelheiten siehe den Webseitenbeitrag zum Thema „Staatliche Beihilfen und die Corona-Pandemie“.
Das Coronavirus zeigt aber auch darüber hinaus im kartellrechtlich relevanten Transaktionsbereich erste Auswirkungen und Einschränkungen. Neben einem zum Teil zögerlichen Investitionsverhalten einiger Beteiligungsgesellschaften ist insbesondere auch eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit der Behörden bei Transaktionen zu befürchten:
Etliche Regierungen und Behörden haben das Kartellrecht bzw. die Änderung bestehender Vorschriften als ein Mittel zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus für sich entdeckt. Mit zunehmender Dauer der Corona-Pandemie mehren sich auch kartellrechtlich relevante Themen in der Krisenzeit und ein besonderer Umgang mit ihnen. Einerseits sollen Kartellverbote vereinzelt (temporär) aufgelockert, andererseits bestehende Wettbewerbsregeln verschärft durchgesetzt werden. Für Unternehmen ergeben sich daraus Chancen und Risiken gleichermaßen.
Unternehmen sollten rechtzeitig prüfen, ob, in welchem Umfang und wie lange sie die neu geschaffenen Rechtsräume im Kartellrecht nutzen können. Die fehlerhafte Einschätzung der aktuellen Rechtslage könnte im schlimmsten Fall sogar dazu führen, dass aus der zunächst erhofften wirtschaftlichen Entlastung eine Belastung (z.B. durch Bußgelder aufgrund von nachträglich festgestellten Kartellverstößen) werden könnte. Wie das Beispiel von Expedia und Booking.com zeigt, können Unternehmen unmittelbar in den Fokus von Kartellbehörden geraten – auch wenn sich ihr Handeln zunächst als durchaus verbraucherfreundlich darstellt. Auch im Transaktionsgeschäft ist mit Blick auf die derzeitige Sondersituation mit gebotener Umsicht zu agieren.
Die Einholung von kartellrechtlicher Beratung ist daher in Zeiten des Coronavirus – und bei mitunter ähnlichen Ausnahmezuständen in der Zukunft – von besonderer Relevanz.
Dr. Sebastian Felix Janka, LL.M. (Stellenbosch)
Partner
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David Wölting
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