25.05.2021

Vergabe öffentlicher Bauaufträge in Zeiten explodierender Baustoffpreise – ist die Generalunternehmervergabe das Allheilmittel der Zukunft?

Verschwendung von Steuergeldern oder ein Mittel zur effizienten und wirtschaftlichen Umsetzung öffentlicher Bauprojekte in Zeiten rasant steigender Baustoffpreise? Die Abwicklung von Bauvorhaben aus einer Hand bedarf einer sorgfältigen vergaberechtlichen Abwägung durch öffentliche Auftraggeber!

Hintergrund

Der Umgang mit Krisen in der Vergangenheit zeichnet ein klares Bild: Die öffentliche Hand fährt mit dem Einsetzen der wirtschaftlichen Erholung wirtschaftssteuernde Eingriffe sukzessive zurück und setzt verstärkt auf Sparmaßnahmen. Das führt dazu, dass der ohnehin bereits bestehende Investitionsstau im Bereich der öffentlichen Infrastruktur ein schier gigantisches Ausmaß annimmt. Dessen Auflösung ist dringend erforderlich, auch und insbesondere, um die beginnende Aufschwungsphase nicht wieder im Keim zu ersticken. Der mit dem Abklingen der Coronakrise in den führenden Industrienationen einsetzende weltweite wirtschaftliche Aufschwung hatte bereits im 1. Quartal 2021 einen rasanten Anstieg der Preise für Holz, Stahl sowie aus Erdöl hergestellten Baustoffen zur Folge. Eine Ende der Preissteigerungen von teilweise über 20 % seit Jahresbeginn scheint nicht in Sicht. Zugleich ist die öffentliche Hand in der Pflicht, Infrastrukturprojekte zügig ins Rollen zu bringen, auch und vor allem um den bevorstehenden Herausforderungen in zentralen Bereichen wie Gesundheit, Digitalisierung und Umwelt gerecht zu werden. So drängt sich die Frage auf, wie diese sich scheinbar widersprechenden Interessen des Fiskus miteinander in Einklang bringen lassen.

Im Hinblick auf Bauprojekte der öffentlichen Hand könnten beide Zielsetzungen durch General- oder Totalunternehmervergaben in Einklang gebracht werden. Ein Generalunternehmer (GU) erbringt sämtliche für die Herstellung eines Bauwerks erforderlichen Bauleistungen und führt dabei auch wesentliche Teile der Bauleistungen aus (ohne diese an Unterauftragnehmer weiterzugeben). Demgegenüber zeichnet sich der Totalunternehmer (TU) dadurch aus, dass er über die Bauleistungen hinaus auch sämtliche Planungsleistungen erbringt und auch diesbezüglich wesentliche Teile selbst ausführt.

Das Vergaberecht ist allerdings geprägt vom Gebot der Berücksichtigung mittelständischer Interessen. Aus diesem folgt vor allem der Grundsatz der Losvergabe, nach dem öffentliche Aufträge grundsätzlich aufgeteilt in Einzellose zu vergeben sind. Für Planungs- und Bauleistungen führt dies dazu, dass Teilaufträge getrennt u.a. nach Planungsdisziplinen, einzelnen Gewerken oder Bauabschnitten und einzelnen Bauwerken auszuschreiben sind. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden erörtert werden, inwieweit eine GU-/TU-Vergabe vergaberechtlich zulässig ist.

Anforderungen an eine zulässige Gesamtlosvergabe

So haben die VK Bund (vgl. z.B. Beschl. v. 09.05.2014 – VK 1-26/14) und das OLG Düsseldorf (vgl. Beschl. v. 11.01.2012, VII-Verg 52/11) in ständiger Rechtsprechung bereits vor der Novellierung des Vergaberechts im Jahr 2016 die Voraussetzung der „projektspezifischen Gründe“ für die Zulässigkeit einer Gesamtvergabe formuliert. Demnach müssen im Einzelfall und im Projekt begründete wirtschaftliche oder technische Gründe für eine Gesamtlosvergabe sprechen. Als technische Gründe kommen dabei u. a. in Betracht:

  • Technische Komplexität des Bauvorhabens,
  • Mangel an Projektspezifischer Erfahrungen und Fachkunde bei den Mitarbeitern des Auftraggebers,
  • Risiko von Nachträgen bei Bauablaufstörungen und Baubehinderungen infolge der Überforderung der Ressourcen des Auftraggebers.

Mögliche wirtschaftliche Gründe können sein:

  • Reduktion von Schnittstellen für Planung, Bau, Gewährleistung und Instandhaltung
  • Kosten- und Terminsicherheit durch Schnittstellenreduktion,
  • ein, etwa wegen der Komplexität des Vorhabens, zu erwartender überdurchschnittlicher Koordinierungsaufwand beim Auftraggeber,
  • Mangel an Personalkapazität beim Auftraggeber.

Dem Auftraggeber steht im Rahmen der durchzuführenden Interessensabwägung sämtlicher Gründe die für und gegen eine Gesamtvergabe sprechen, ein Beurteilungsspielraum zu. Eine Überprüfung der Beurteilungsentscheidung für eine Gesamtvergabe – bspw. durch Gerichte oder Fördermittelgeber – kann nur dahingehend erfolgen, ob der Auftraggeber bei seiner Einschätzung die rechtlichen Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums überschritten hat. Das wäre etwa der Fall, wenn der Auftraggeber bei seiner Entscheidung mittelständische Interessen gänzlich unberücksichtigt gelassen hat, ihr einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt hat oder sachwidrige Erwägungen in seine Überlegungen hat einfließen lassen.

Werden diese Vorgaben nicht hinreichend beachtet, sind europaweite Vergabeverfahren – regelmäßig durchführbar ab einem geschätzten Auftragswert von derzeit EUR 5,548 Mio. – aufgrund eines Vergabeverstoßes jederzeit vor den Vergabekammern angreifbar. Dies gilt nicht nur für öffentliche Körperschaften und Behörden, sondern auch für Private, die Fördermittel durch die öffentliche Hand erhalten haben und deshalb zur Anwendung des Vergaberechts verpflichtet sind. Ist die Maßnahme ganz oder teilweise durch Fördermittel finanziert, kann der Fördermittelgeber bei einem Vergabeverstoß die Auszahlung verweigern bzw. bereits ausgezahlte Fördermittel zurückfordern.

Über die genannten wirtschaftlichen und technischen Gründe hinaus sollten öffentliche Auftraggeber jedoch die Zweckmäßigkeit der Beauftragung eines GU oder TU nicht außer Acht lassen. Erfahrungsgemäß ist diese sinnvoll, wenn bestimmten Interessen des Auftraggebers im Einzelfall eine besondere Bedeutung zukommt oder spezifischer Umstände vorliegen:

  • Kostensicherheit,
  • Terminsicherheit,
  • Neubaumaßnahme,
  • Leistungswettbewerb gewünscht,
  • Vergabe in frühester Projektphase.

Eher von Nachteil könnte eine GU-/TU-Vergabe dagegen sein, wenn

  • ein Sanierungsprojekt vorliegt oder Denkmalschutz zu beachten ist,
  • viele Schnittstellen zu Nachbargebäuden bei der Planung zu berücksichtigen sind,
  • hohe Bodenrisiken bestehen könnten,
  • städtebaulich sehr hohe Ansprüche vorliegen (hier ist ein Architektenwettbewerb oft die bessere Wahl),
  • ein Entwurf bereits feststeht.
Vorbereitung der GU-/TU-Vergabe

Um die erfolgreiche Projektabwicklung bei GU-/TU Vergaben nicht zu gefährden, bedarf es eingehender Erfahrung mit der Durchführung des Vergabeverfahrens. Hierbei steht eindeutige Bestimmung des Beschaffungsgegenstandes an erster Stelle. Von herausragender Bedeutung ist auch die Festlegung eines Maximalbudgets, die durch Einbeziehung eines Aufhebungsvorbehaltes in den GU-/TU-Vertrag abgesichert werden sollte: Der Auftraggeber erhält damit ein effektives Druckmittel im Falle einer Budgetüberschreitung.

Handlungsempfehlung / Fazit

Von einer pauschalen Festlegung öffentlicher Auftraggeber auf die GU/TU-Vergabe ist angesichts dieser Vielzahl von einzubeziehenden Erwägungsgründen abzuraten. Im Hinblick auf die – auch unter Berücksichtigung des sog. GU-Zuschlages von ca. 15 % – möglichen Einsparpotentiale dürfte sich jedoch der einsetzende Trend zur GU/TU-Vergabe verstärken, vor allem infolge der absehbaren Schwierigkeiten der öffentlichen Hand, erfahrenes und fachkundiges Personal zu gewinnen und an sich zu binden. Festzuhalten ist, dass die vergaberechtliche Begründung einer Gesamtvergabe einer äußerst sorgfältige Interessenabwägung bedarf. Insbesondere auch, weil mittelständische Unternehmen in der Baubranche und Fördermittelgeber eine hohe Sensibilität zu dieser Fragestellung entwickelt haben. Unter Berücksichtigung der vergaberechtlichen Bestimmungen, konkretisiert durch die Rechtsprechung, bedarf es stets einer Einzelfallprüfung und -begründung, um das Risiko durch Vergabenachprüfungsverfahrens oder Fördermittelrückforderungen und die damit verbundenen, teils erheblichen finanziellen Verluste oder zeitlichen Verzögerungen für öffentliche Auftraggeber abzuwenden.

Autor/in

Nawid Farajzadeh