12.09.2018

Wenn die Verwaltungsgerichte zu lange brauchen: Untergang von Ansprüchen im Emissionshandel

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12.09.2018

Wenn die Verwaltungsgerichte zu lange brauchen: Untergang von Ansprüchen im Emissionshandel

Dass lange Verwaltungs- und Gerichtsverfahren in einem Anspruchsverlust resultieren können, musste jetzt ein Unternehmen der Kalkindustrie erfahren. Das Bundesverwaltungsgericht entschied mit Urteil vom 26. April 2018 (7 C 20.16), dass noch nicht erfüllte Ansprüche auf kostenlose Zuteilung von Emissionsberechtigungen für die Jahre 2008 bis 2012 nach Ablauf des 30. April 2013 untergegangen sind. Entschädigungsansprüche sind zwar nach der Rechtsprechung möglich, scheiden aber im konkreten Fall aus: Die Richter in Leipzig verwiesen auf eine Überausstattung des Anlagenbetreibers mit Emissionsberechtigungen in den Jahren 2008 bis 2012 und werteten diese als ausreichende Kompensation. Das Klageverfahren hatte über acht Jahre gedauert.


Keine Rechtsgrundlage für weitere Erfüllung

Hauptargument des Bundesverwaltungsgerichts für die Annahme eines Anspruchsuntergangs war das Fehlen einer Rechtsgrundlage für die weitere Erfüllung der Zuteilungsansprüche. Weder das TEHG noch das ZuG 2012 sähen eine Fortgeltung der Zuteilungsansprüche für die Jahre 2008 bis 2012 vor. Die Banking-Regel sei nicht anwendbar, da sie nur für bereits ausgegebene Emissionszertifikate, die bereits in Konten eingetragen sind, gelte. Auch eine analoge Anwendung des Bankings scheide aus: Der Gesetzgeber habe das Problem offener Zuteilungsansprüche zwar erkannt, gleichwohl aber bewusst keinen periodenübergreifenden Übergang von Zuteilungsansprüchen geregelt.

Ein etwaiger Eigentumseingriff in Art. 14 Abs. 1 GG wäre jedenfalls durch Gründe des öffentlichen Interesses unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gerechtfertigt. Zentraler Gegenstand des periodenbezogenen Emissionshandelssystems sei die genaue Verbuchung von Vergabe, Besitz, Übertragung und Löschung der Zertifikate mittels eines standardisierten Registrierungssystems. Offene Zuteilungsansprüche würden in dem standardisierten Register hingegen nicht abgebildet werden. Die Überführung von Ansprüchen wäre zudem nicht mit dem Charakter der Verrechnungs- und Übertragungsregelungen in Art. 56 f. der EU-RegVO 920/2010 als Rechnungsabschluss am Ende der Handelsperiode vereinbar. Diese Regelungen seien auf eine abschließende Ermittlung und einen zentralen, EU-weiten Abgleich und Ausgleich von aus der zweiten in die dritte Handelsperiode überführten Berechtigungen gerichtet. Sie würden eine nachträgliche Zuteilung von Emissionsberechtigungen zur Erfüllung von Ansprüchen der zweiten Handelsperiode außerhalb des Buchungs- und Verrechnungssystems für die Periode ausschließen.

Ein Verstoß gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes sei angesichts der Möglichkeit, einstweiligen Rechtsschutz und Sekundärrechtsschutz in Anspruch zu nehmen, nicht gegeben.


Entschädigungsansprüche möglich

Konnte somit der betroffene Anlagenbetreiber keine Emissionszertifikate für die Jahre 2008 bis 2012 mehr fordern, sprach ihm das Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall auch die Möglichkeit einer Entschädigung ab. Entschädigungsansprüche im Hinblick auf unerfüllt gebliebene Ansprüche auf Emissionszertifikate sind zwar auf der Basis bereits früherer Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts nach den Grundsätzen eines enteignungsgleichen Eingriffs sowie eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb möglich. Sie setzen aber das Bestehen einer Unterausstattung der betroffenen Anlage mit kostenlos zugeteilten Emissionsberechtigungen voraus. Liegt hingegen eine Überausstattung mit kostenlosen Emissionszertifikaten vor, sieht das Bundesverwaltungsgericht hierin eine ausreichende Kompensation für den Eingriff. Unionsrechtliche Staatshaftungsansprüche sind ebenfalls denkbar, im konkreten Fall fehlte es dafür aber an der hinreichend qualifizierten Verletzung einer individualschützenden Norm. Amtshaftungsansprüche wegen eines Verschuldens der Mitarbeiter der Deutschen Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt (DEHSt) sind schließlich nach Meinung des Bundesverwaltungsgerichts offensichtlich unbegründet: Es handele sich um eine komplizierte Rechtsmaterie, deren Ausgestaltung sich in jeder Handelsperiode ändere. Es fehle regelmäßig auch an einer Orientierungshilfe durch höchstrichterliche Rechtsprechung. Man könne daher von einer sorgfältigen Prüfung der sich stellenden Rechtsfragen durch die DEHSt ausgehen.


Bedeutung für den Übergang zur 4. Handelsperiode nach 2020 unklar

Welche Bedeutung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts für das näher kommende Ende der 3. Handelsperiode hat, ist unklar. Mit den durch die Richtlinie (EU) 2018/410 erfolgten Änderungen der Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG wurde das Banking abgeschafft. Ab dem 1. Januar 2013 vergebene Zertifikate sind nunmehr für unbegrenzte Zeit gültig. Sie werden nach dem Ablauf der jeweiligen Handelsperiode nicht mehr gelöscht. Die Änderungsrichtlinie geht insofern nicht mehr von einem strikten Periodenbezug der Emissionsberechtigungen aus. In Berlin wird derzeit überlegt, durch eine gesetzliche Regelung den zukünftigen Umgang offener Zuteilungsansprüche klarzustellen. Sollte es hierzu gesetzlich nicht kommen, werden wohl zukünftig erneut die Gerichte entscheiden müssen. Die aktuelle Entscheidung aus Leipzig kann jedenfalls nicht unbesehen auf die neue Rechtslage übertragen werden – also kein Banking für den Richterspruch!

 

 

Dr. Stefan Altenschmidt, LL.M. (Nottingham)
Rechtsanwalt
Partner
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf
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Denise Jacob
Rechtsanwältin
Associate
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