01.03.2022

Whistleblower-Richtlinie: EU-Kommission leitet Vertragsverletzungsverfahren ein

Die Europäische Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland und 23 andere Mitgliedsstaaten wegen unterlassener Umsetzung der EU-Whistleblower-Richtlinie eingeleitet. Diese steht bereits seit 2019 auf der Agenda der EU und hätte bis zum 17. Dezember 2021 in sämtlichen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Ein geplantes Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) ist in der letzten Legislaturperiode aufgrund von Unstimmigkeiten gescheitert. Die aktuellen Regierungsparteien haben die Umsetzung der Richtlinie zwar im Koalitionsvertrag angekündigt, ein aktualisierter oder neuer Entwurf liegt allerdings noch nicht vor. Was bedeutet das für Arbeitgeber?

Hintergrund und wesentlicher Regelungsinhalt des geplanten HinSchG

Im Oktober 2019 hat die Europäische Union die Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (Richtlinie (EU) 2019/1937), verabschiedet. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die in der Richtlinie enthaltenen Vorgaben bis zum 17. Dezember 2021 in nationale Gesetze umzusetzen. Das Bundesjustizministerium (BMJV) hat hierzu einen Entwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) erarbeitet. Der Entwurf sieht vor, dass insbesondere alle Unternehmen aus dem Bereich der Finanzdienstleistungen ein internes bzw. externes Hinweisgebersystem einrichten müssen, mit dem Verstöße gegen nationales oder EU-Recht des Unternehmens gemeldet werden können. Dies gilt unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten. Alle weiteren Unternehmen mit mindestens 50 Mitarbeitern müssen ebenfalls ein internes bzw. externes Hinweisgebersystem einrichten. Dabei ist für Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten eine verlängerte Einrichtungsfrist bis zum 17. Dezember 2023 vorgesehen. Für hinweisgebende Personen werden mit internen und externen Meldekanälen zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Meldewege vorgesehen, zwischen denen sie frei wählen können. Das interne Hinweisgebersystem muss dabei gewisse Mindestvorgaben erfüllen. Sofern hinweisgebende Personen die Anforderungen an eine Meldung oder Offenlegung einhalten, werden sie umfangreich vor Repressalien wie Kündigung oder sonstigen Benachteiligungen geschützt. Dabei hat im Streitfall das Unternehmen zu beweisen, dass eine durch das Unternehmen gegenüber dem Hinweisgeber getroffene Maßnahme nicht im Zusammenhang mit dem Hinweis steht (Beweislastumkehr).

Stand der Umsetzung

Das geplante Hinweisgeberschutzgesetz ist in der letzten Legislaturperiode aufgrund von Unstimmigkeiten innerhalb der Koalition nicht zustande gekommen. Der Referentenentwurf des BMJV scheiterte im April 2021 in der Ressortabstimmung zwischen den beteiligten Bundesministerien. Mit dem Gesetzesvorhaben sollten nicht nur die in der EU-Whistleblower-Richtlinie enthaltenen Vorgaben umgesetzt, sondern auch teilweise erweitert werden: So sollten nicht nur Verstöße gegen EU-Recht, sondern auch solche gegen das deutsche Recht umfasst werden. Kritische Stimmen sahen in einer Ausdehnung des Schutzes einen zusätzlichen Umsetzungs- und Kostenaufwand für die deutsche Wirtschaft, die mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu kämpfen habe. Befürworter führten hingegen als Argument die Vermeidung von widersprüchlichen Schutzniveaus für die Meldung nationaler Rechtsverstöße im Vergleich zu europäischen Rechtsverstößen an.

Die aktuellen Regierungsparteien müssen das Gesetzgebungsverfahren wieder aufgreifen. Im Koalitionsvertrag findet sich dazu der Passus: "Wir setzen die EU-Whistleblower-Richtlinie rechtssicher und praktikabel um. Whistleblowerinnen und Whistleblower müssen nicht nur bei der Meldung von Verstößen gegen EU-Recht vor rechtlichen Nachteilen geschützt sein, sondern auch von erheblichen Verstößen gegen Vorschriften oder sonstigem erheblichen Fehlverhalten, dessen Aufdeckung im besonderen öffentlichen Interesse liegt. Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen wegen Repressalien gegen den Schädiger wollen wir verbessern und prüfen dafür Beratungs- und finanzielle Unterstützungsangebote." Das kommende Hinweisgeberschutzgesetz wird demnach sowohl Verstöße gegen deutsches Recht als auch die Aufdeckung von erheblichen Missständen erfassen.

Unmittelbare Anwendbarkeit der EU-Richtlinie

Auch ohne nationales Umsetzungsgesetz können EU-Richtlinien nach Ablauf der Umsetzungsfrist unmittelbare Wirkung entfalten. Das ist insbesondere der Fall, wenn die jeweiligen Vorgaben so klar und eindeutig sind, dass sie keiner weiteren Konkretisierung durch eine nationale Gesetzgebung bedürfen. Liegen diese Voraussetzungen vor, ist jedenfalls im Verhältnis zwischen Bürger und Staat eine unmittelbare Anwendbarkeit zu bejahen.

Umstritten ist die Frage nach einer unmittelbaren Anwendbarkeit zwischen privaten Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Mit guten Argumenten lässt sich eine solche unmittelbare Wirkung zwischen privaten Arbeitgebern und Arbeitnehmern jedoch verneinen. Es ist daher davon auszugehen, dass sich Hinweisgeber in einem solchen privaten Rechtsverhältnis nicht direkt auf die EU-Richtlinie berufen können.

Bewertung und Ausblick

Bereits am 27. Januar 2022 hat die EU-Kommission sog. „Blaue Briefe“ an die betroffenen Mitgliedsstaaten versendet, mit dem Mitgliedsstaaten ultimativ dazu aufgefordert wurden, die Vorgaben aus der Whistleblower-Richtlinie in nationales Recht zu gießen. Wird dem nicht nachgekommen, kann die Kommission den Fall an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) verweisen, der dann gegebenenfalls Sanktionen verhängt.

Mit Blick auf den zeitnah zu erwartenden Gesetzesentwurf besteht für Arbeitgeber konkreter Handlungsbedarf. Arbeitgebern ist zu empfehlen, geeignete Meldesysteme dergestalt zu entwickeln und einzuführen, dass sie den Anforderungen der EU-Richtlinie gerecht werden. Selbst bei Annahme einer unmittelbaren Anwendbarkeit der Richtlinie könnte hiermit bis zum Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes der Haftungsgefahr begegnet werden.

Zu beachten sind insbesondere die Vorgaben des Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats. Neben dem Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, ist auch das gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu beachten, sofern ein elektronisches System für Meldungen über Verstöße gegen die Richtlinie eingeführt werden soll.

Autor/in
Achim Braner

Achim Braner
Partner
Frankfurt a.M.
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Nadine Ceruti

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