21.01.2025

Wirecard: Schadenersatzansprüche von Aktionären als Drittgläubiger (Teil- und Zwischenurteil des OLG München)

Hintergrund

Das OLG München hat sich mit Teil- und Zwischenurteil vom 17.09.2024 (Az. 5 U 7318/22 e) zu einer entscheidenden Frage im Wirecard-Insolvenzverfahren geäußert. Das Urteil klärt die Frage der insolvenzrechtlichen Einordnung kapitalmarktrechtlicher Schadensersatzansprüche von getäuschten Aktionären im Fall Wirecard. In der Rechtsprechung ist bisher ungeklärt, ob Aktionäre als Insolvenzgläubiger nach § 38 InsO eingestuft werden, die ihre Forderungen zur Tabelle anmelden können und am Ende des Verfahrens eine quotale Befriedigung erhalten, oder als Nachranggläubiger im Sinne des § 39 InsO anzusehen sind, deren Forderungen erst befriedigt werden, wenn sämtliche zur Tabelle angemeldete und festgestellte Forderungen vollständig erfüllt sind (sog. absoluter Nachrang). Bei Quoten für Insolvenzgläubiger von durchschnittlich nur 3-5 % versteht sich von selbst, dass Nachranggläubiger mit ihren Forderungen in aller Regel vollständig ausfallen.

Sachverhalt:

Die E & Y GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft verweigerte der Wirecard AG im Jahr 2020 ein positives Testat für den Jahresabschluss 2019, weil für (vermeintliches) Vermögen in Höhe von 1,9 Milliarden Euro keine ausreichenden Nachweise vorgelegt werden konnten. Der Betrag stellte rund 25% des gesamten Gesellschaftsvermögens dar. Die Verweigerung des Testats erfuhr die Öffentlichkeit mittels einer Ad-hoc-Mitteilung am 18.06.2020, woraufhin die Wirecard AG erhebliche Kursverluste an der Börse erlitt. In der Folge stellte Wirecard am 25.06.2020 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Im Rahmen des Insolvenzverfahrens wurden bis heute Forderungen im Umfang von 15,4 Milliarden Euro zur Tabelle angemeldet, wovon alleine ca. 8,5 Milliarden Euro auf ehemalige Aktionäre der Wirecard AG entfallen. Bisher wurden die von den Aktionären angemeldeten Forderungen noch nicht berücksichtigt, da es sich nach Auffassung des Insolvenzverwalters bei Aktionären lediglich um Nachranggläubiger handelt, denen die Anmeldung von Forderungen zur Tabelle verwehrt bleibt. Im Rahmen der hier besprochenen Entscheidung hatte nunmehr das OLG München in zweiter Instanz zu entscheiden, ob die Aktionäre ihre Schadensersatzforderungen zur Tabelle anmelden und damit wenigstens auf eine geringe Zahlung aus der Insolvenzmasse hoffen dürfen.

In der vorherigen Instanz entschied das LG-München I (Az. 29 O 7754/21), dass die Aktionäre ihre Forderungen nicht anmelden können. Ausschlaggebend für die rechtliche Bewertung des Gerichts war, dass es sich um Forderungen von Aktionären und damit Gesellschaftern handelt, die in aller Regel dem Nachrang des § 39 InsO unterliegen.

Die Entscheidung des OLG München:

Der 5. Zivilsenat des OLG München hat die Anmeldung der Forderungen zur Tabelle hingegen zugelassen; nach seiner Auffassung sind die Aktionäre trotz ihrer Nähe zur Gesellschaft Insolvenzgläubiger im Sinne des § 38 InsO. Hierzu führt das Gericht aus, dass eine gesonderte gesetzliche Grundlage für die insolvenzrechtliche Einordnung von kapitalmarktrechtlichen Schadenersatzforderungen fehle. Auch mit juristischen Methoden sei keine Auslegung einer nur nachrangigen Gläubigerstellung nach § 39 InsO möglich.

Einleitend verweist der Senat auf eine BGH-Entscheidung aus dem Jahr 2005 (EM.TV-Entscheidung, BGH, Urt. v. 09.05.2005 - II ZR 287/02). In dieser Entscheidung erläutert der BGH, dass ein Aktionär seiner Aktiengesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen grundsätzlich auch wie ein außenstehender Gläubiger gegenüberstehen könne. Dafür sei beispielsweise ein Anspruch des Aktionärs gegen die Aktiengesellschaft aus §§ 826, 31 BGB oder §§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. 400 AktG notwendig. Anschließend überträgt der Senat diese Wertung unter Verweis auf den Beschluss des BGH vom 19.05.2022 (Az. IX ZR 67/21) auf vergleichbare Fälle in der Insolvenz. Die Aktionärsstellung der Forderungsinhaber führe somit nicht zwangsläufig zu einer vergleichbaren Stellung eines Gesellschafters und somit auch nicht zur Nachrangigkeit der Forderung.

Weitergehend führt der Senat aus, der Grund der potenziellen Haftung der Gesellschaft würde durch das deliktische Verhalten des Vorstandes begründet. Das deliktische Schuldverhältnis entstehe bereits mit der schädigenden Handlung des Vorstands. Für die Entstehung des Schadens sei die Aktionärsstellung demnach nicht notwendig. Vielmehr sei der Schaden durch einen Vergleich der jeweiligen Vermögenslage vor und nach dem schädigenden Ereignis zu bestimmen. Der Schaden könne mithin von der Aktionärsstellung entkoppelt sein.

Eine andere Wertung ergebe sich auch nicht aus der Insolvenzordnung. Die Insolvenzordnung solle bestehende materielle Ansprüche hinnehmen und abwickeln, soweit keine anderweitige gesetzliche Regelung getroffen wird, an der es vorliegend fehle. Demgegenüber würde eine Kategorisierung der Forderungen als nachrangig im Sinne des § 39 InsO die rechtliche Position der Aktionäre unzulässig verkürzen, mithin wären die Aktionäre in ihren Rechten aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzt. Die aus dieser Entscheidung folgende Verwässerung der Quote der übrigen Insolvenzgläubiger sei hinzunehmen. Der Senat führte hierzu wörtlich aus: „Kein Gläubiger ist davor geschützt, in Konkurrenz zu anderen Gläubigern zu stehen.“

Bedeutung für die Praxis

Durch die Entscheidung des OLG München werden die Rechte der Aktionäre gestärkt. Hiernach soll es möglich sein, eigene (deliktische) Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft als Insolvenzgläubiger geltend zu machen. Aktionäre können in derartigen Fällen damit wenigstens eine geringe Zahlung aus der Insolvenzmasse erwarten. Ob es rechtspolitisch sinnvoll ist, die dadurch verursachte Verwässerung der Insolvenzforderungen der übrigen Gläubiger hinzunehmen, bleibt fraglich – bereits vor der hier besprochenen Entscheidung waren die durchschnittlichen Insolvenzquoten verschwindend gering. Für viele Gläubiger wird sich die Frage stellen, ob sich eine Teilnahme am Insolvenzverfahren überhaupt noch lohnt.

Letztendlich bleibt abzuwarten, ob der BGH die Entscheidung – aller rechtspolitischen Bedenken zum Trotz – aufrechterhalten wird. Die Revision ist zugelassen. Die besseren materiellrechtlichen Argumente sprechen wohl für die Auffassung des OLG München.

Autor/in
Dr. Boris Ober

Dr. Boris Ober
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