17.11.2020
Autoren: Sebastian Wuschka und Laura Peters
Seit 2017 beschäftigt sich die Working Group III der United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL) mit möglichen Reformoptionen des internationalen Investitionsschutzrechts und insbesondere dessen prozessualer Ausgestaltung. Ein Zwischenprodukt dieses Prozesses ist der über das Jahr bereits viel diskutierte Entwurf eines Code of Conduct for Adjudicators in Investor-State Dispute Settlement. UNCITRAL hat diesen Code of Conduct gemeinsam mit dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) im Mai 2020 vorgelegt. Bis Ende November 2020 laden UNCITRAL und ICSID nun noch zu Kommentaren ein. Grund genug, den Entwurf noch einmal genauer zu beleuchten.
Die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten vor Schiedsgerichten war insbesondere vor dem Hintergrund der Verhandlungen zu den transatlantischen Freihandels- und Investitionsschutzabkommen TTIP und CETA immer wieder in den Blickpunkt öffentlicher – nicht immer auch fundierter – Kritik geraten. Auch Schiedsverfahrenspraktiker regten jedoch vermehrt die Schaffung einheitlicher Standards an. Dies greift der vorgelegte Entwurf auf. Er soll erstmalig ein generelles standesrechtliches Regelwerk für Entscheidungsträger – Adjudicators – in Investitionsstreitigkeiten etablieren.
Bislang gibt es solche Vorgaben nur in einzelnen, teilweise noch nicht ratifizierten Freihandels- und Investitionsschutzverträgen (z.B. CETA, CPTPP und – als Verhandlungsgrundlage – im niederländischen Modellinvestitionsschutzvertrag von 2019). Daneben setzen schiedsrechtliche Guidelines, am prominentesten die IBA Guidelines on Conflicts of Interest in International Arbitration, generelle Standards, jedoch nur in der Qualität von sog. soft law. Der UNCITRAL-ICSID-Entwurf ist das Ergebnis eines Vergleichs dieser bereits bestehenden Ethikstandards, die der Code of Conduct fortschreibt. Seine Rechtsqualität – sollte er verabschiedet werden – wird auch vom weiteren Ausgang des gesamten UNCITRAL-Reformprozesses abhängen. Auf genereller Ebene diskutiert die UNCITRAL Working Group III unter anderem auch über die Errichtung einer Revisionsinstanz für Investitionsschutzverfahren und die Etablierung des von der EU-Kommission favorisierten multilateralen Investitionsgerichts.
Kurzfristig besteht allerdings die Möglichkeit, dass eine erste Version des Codes bereits in den nächsten Jahren in ICSID-Investitionsschiedsverfahren Anwendung finden könnte. Die ICSID-Schiedsregeln geben dem ICSID-Sekretariat die Möglichkeit, die von Schiedsrichtern zu unterzeichnenden Annahmeerklärungen für ihr Mandat vorzuformulieren. Im Rahmen des derzeit auch laufenden Überarbeitungsprozesses des ICSID-Regelwerks vertritt das ICSID-Sekretariat die Position, der Code of Conduct könne über einen Verweis in der Annahmeerklärung für alle ICSID-Schiedsrichter (und Mitglieder von Annullierungsausschüssen) verbindliche Wirkung entfalten.
Der Code of Conduct stellt eine Reihe an Pflichten für Entscheidungsträger auf. Neben der Wahrung ihrer Unabhängigkeit und Unparteilichkeit sowie der damit einhergehenden Vermeidung von Interessenskonflikten reguliert der Code u.a. Fragen der Kompetenz, Verfügbarkeit und Vertraulichkeit. Insbesondere das sog. Double Hatting (die gleichzeitige Tätigkeit bspw. als Schiedsrichter und Parteivertreter) wird als Auslöser von Interessenkonflikten in einer eigenen Vorschrift adressiert.
Nach dem derzeitigen Entwurf ist der Code of Conduct in seinem Anwendungsbereich in Artikel 2 auf Entscheidungsträger – Adjudicators – in Investitionsstreitigkeiten beschränkt. Weitere Verfahrensbeteiligte – insbesondere Prozessbevollmächtigte und Parteigutachter – werden von dem Code nicht erfasst. Nichtsdestotrotz ist bereits dieser Zuschnitt problematisch, denn er umfasst gleichermaßen für den Einzelfall benannte Schiedsrichter wie auch permanent benannte Entscheidungsträger. Letztere sind jetzt schon für die Investitionsgerichtssysteme der EU-Freihandels- bzw. Investitionsschutzabkommen vorgesehen. Gleichsam fielen hierunter die Richter des von der EU-Kommission angestrebten multilateralen Investitionsgerichtshofs.
Die Ansatzpunkte zur Sicherstellung von Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Entscheidungsträger in permanenten Institutionen und bei Benennung im Einzelfall fallen allerdings stark auseinander. Während für den im Einzelfall benannten Schiedsrichter die Unabhängigkeit von den Parteien das bedeutendste Kriterium sein wird, spielt im Kontext einer dauerhaften Ernennung die institutionelle Unabhängigkeit eine stärkere Rolle. Gleichsam kann eine Vorbefassung mit entscheidungserheblichen Fragen im Einzelfall-Kontext gerade wegen der Auswahl der Entscheidungsträger durch die Parteien durchaus problematisch sein. Im Rahmen permanenter Institutionen dürfte sie – wie auch bei einer ständigen Rechtsprechung nationaler Gerichte – geringeren Bedenken begegnen.
Auch in den Einzelregelungen ist zu erwarten, dass der Code of Conduct noch intensivere Überarbeitungen oder weitere Ausarbeitung erfahren wird. Die Möglichkeit eines generellen Verbots des Double Hatting ist beispielsweise vielerorts kritisch kommentiert worden, denn es setzt voraus, dass die Entscheidungsträger in der Lage sind, sich für „eine Seite“ zu entscheiden. Viele junge Praktiker im Schiedsverfahrensbereich können jedoch schlicht nicht für ein angetragenes Schiedsrichtermandat die Arbeit als Parteivertreter gänzlich aufgeben. Genauso könnte sich ein Verbot des Double Hatting nicht nur negativ auf die Altersdurchmischung der Schiedsrichterschaft, sondern auch auf Geschlechtergleichberechtigung und ihre Vielfalt nach geografischer Herkunft auswirken. Es ist hier festzuhalten, dass viele Vorschriften des Codes noch nicht abschließend formuliert sind. Vielmehr schlägt auch die derzeitige Version des Codes hinsichtlich Double Hatting in Artikel 6 mittels Textbausteinen bislang nur graduell unterschiedliche Möglichkeiten der Gestaltung vor. Der genaue Zuschnitt der Vorschrift wird daher im Ergebnis all die genannten Bedenken mit dem Interesse an neutraler Streitbeilegung zusammenführen müssen.
Die Regulierung des Double Hatting steht eng in Verbindung mit dem Problem des sog. Issue Conflicts, dem aus der Vorbefassung mit einer relevanten Rechtsfrage resultierenden Interessenkonflikt. Hier geht der Code einen anderen Weg als z.B. die IBA Guidelines, nach denen eine veröffentlichte Rechtsmeinung in Wort oder Schrift unter die grundsätzlich nicht offenzulegenden Kategorien der „Green List“ fällt (dort. 4.1.1). Der Code of Conduct sieht in Artikel 5.2(d) gerade eine solche Offenlegung vor. Praktisch wird dies Schiedsrichter und Parteien nicht vor große Probleme stellen, denn eine Publikationsliste ist schnell übermittelt und in vielen Fällen auch ohnehin online abrufbar. Auch stellt die kommentierte Version des Code of Conduct (S. 15, Rn. 59) heraus, Schiedsrichterablehnungen auf Basis von Issue Conflicts seien bislang nur selten erfolgreich gewesen. Die Indizwirkung, die von der weiten Offenlegungspflicht auf die rechtliche Relevanz der Publikationen hinsichtlich der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Entscheidungsträgers ausgeht, ist jedoch nicht zu unterschätzen. Schließlich sollte nur ein prima facie geeigneter Grund zur Ablehnung eines Schiedsrichters auch eine Offenlegungspflicht begründen. Die formale Steigerung von Transparenz könnte so nun ebenso zu einer unerwünschten und auch ungerechtfertigten Steigerung erfolgreicher Ablehnungen von Schiedsrichtern führen.
Was die Durchsetzung des Codes angeht, verweist der Entwurf bislang auf die ohnehin anwendbaren Regeln zur Ablehnung von Schiedsrichtern. Darüber hinaus stellt er (noch) keine eigenen Sanktionsnormen auf, zeigt sich aber explizit offen für Vorschläge der Mitgliedsstaaten. Diskutiert wurden bislang Geldstrafen, Disziplinarmaßnahmen und sogenannte Reputationssanktionen, also etwa die Veröffentlichung einer Liste der Namen von Schiedsrichtern, die gegen den Code verstoßen. Die konkrete Umsetzung der Vorgaben des Code of Conduct hängt ohnehin stark davon ab, welche Reformvorschläge – bspw. die Errichtung einer Revisionsinstanz oder des von der EU-Kommission als einzig sinnvolle Lösung propagierten Investitionsgerichtshofs – zum Ende des Reformprozesses weiter verfolgt werden.
Der Vorstoß von ICSID und UNCITRAL mit dem vorgelegten Code of Conduct soll speziell – genau wie der ISDS-Reformprozess im Rahmen von UNCITRAL generell – auch Legitimitätsdefizite adressieren, die die Kritik am Investitionsschutz immer wieder hervorbringt. Die Schaffung klarer Standards für Entscheidungsträger in Investitionsstreitigkeiten ist hierbei sicherlich von besonderer Bedeutung, denn deren Beschreibung als „obskure Anwälte, die in Hinterzimmern Urteile fällten“, wird nur zu gerne von Kritikern genutzt.
Zur konkreten Ausgestaltung und Umsetzung des Code of Conduct dürften ICSID und UNCITRAL allerdings bis Monatsende eine Vielzahl an Kommentaren erhalten. Der derzeitige Draft ist – auch im Lichte des noch generell unklaren Ausgangs des Reformprozesses als solchem – sicherlich nicht seine letzte Version.
Sebastian Wuschka LL.M. (Geneva MIDS)
Of Counsel
Hamburg
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