10.04.2017
Das Urlaubsrecht befindet sich wie kaum ein anderes Arbeitsrechtsgebiet in ständiger Bewegung. Jahrzehntelange Sichtweisen werden neu durchdacht und nicht zuletzt durch europäischen Einfluss neu ausgerichtet. Der nachfolgende Beitrag soll einen Überblick über aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung zum Urlaubsrecht geben.
Das Urlaubsrecht befindet sich wie kaum ein anderes Arbeitsrechtsgebiet in ständiger Bewegung. Jahrzehntelange Sichtweisen werden neu durchdacht und nicht zuletzt durch europäischen Einfluss neu ausgerichtet. Der nachfolgende Beitrag soll einen Überblick über aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung zum Urlaubsrecht geben.
BAG vom 17. November 2015 – 9 AZR 179/15
Wird ein Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 1. Juli eines Jahres begründet, kann der Arbeitnehmer in diesem Jahr nach § 4 BUrlG keinen (Voll-) Urlaubsanspruch erwerben.
Nach § 5 Abs. 1 c BUrlG entsteht nur ein Teilurlaubsanspruch, wenn der Arbeitnehmer nach erfüllter Wartezeit in der ersten Hälfte eines Kalenderjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Dies umfasst auch ein Ausscheiden mit Ablauf des 30. Juni eines Kalenderjahres (ständige Rechtsprechung des BAG).
BAG vom 20. Oktober 2015 – 9 AZR 224/14
Beide Arbeitsverhältnisse sind urlaubsrechtlich als Einheit zu betrachten, wenn die Arbeitsvertragsparteien vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses die Begründung eines neuen Arbeitsverhältnisses vereinbaren und nur eine kurzfristige Unterbrechung eintritt. Es entsteht deshalb ein Anspruch auf Vollurlaub, wenn das zweite Arbeitsverhältnis in der zweiten Hälfte des Kalenderjahres endet und der Arbeitnehmer mit seiner Gesamtbeschäftigungsdauer die sechsmonatige Wartezeit des § 4 BUrlG erfüllt hat (Umkehrschluss aus § 5 Abs. 1 c BURLG).
BAG vom 16. Dezember 2014 – 9 AZR 295/13
Nach § 6 Abs. 1 BUrlG besteht der Anspruch auf Urlaub nicht, soweit dem Arbeitnehmer für das laufende Kalenderjahr bereits von einem früheren Arbeitgeber Urlaub gewährt worden ist. Dies stellt eine negative Anspruchsvoraussetzung dar. Dem Arbeitnehmer als Gläubiger des Urlaubsanspruchs obliegt es, darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, dass die Voraussetzungen unter denen § 6 Abs. 1 BUrlG eine Anrechnung bereits gewährten Urlaubs vorsieht, nicht vorliegen. Dabei gelten die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast.
BAG vom 10. Februar 2015 – 9 AZR 53/14
Eine tarifliche Regelung (hier § 26 Abs. 1 S. 4 TVÖD 2010), der zufolge sich der Urlaubsanspruch bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Woche entsprechend erhöht oder vermindert, ist wegen Verstoßes gegen § 4 Abs. 1 TzBfG gemäß § 134 BGB unwirksam, soweit sie die Anzahl der während einer Vollzeitbeschäftigung erworbenen Urlaubstage mindert.
Das BAG hatte früher eine Diskriminierung von Teilzeitkräften verneint und angenommen, Urlaubstage seien grundsätzlich umzurechnen, wenn sich die Anzahl der mit der Arbeitspflicht belegten Tage verringere. Nach zwei Entscheidungen des EuGH aus 2010 und 2013 konnte jedoch hieran nicht mehr festgehalten werden.
Im Übrigen hat der EuGH im Urteil vom 11. November 2015 (C-219/14 [Greenfield]) auch zur Erhöhung der Anzahl der Arbeitstage und Ausführungen auf den Urlaub festgestellt, dass hier nicht nach dem neuen Arbeitsrhythmus der Urlaubsanspruch nachberechnet werden müsse. Eine Nachberechnung ist nur für den Zeitraum vorzunehmen, in dem sich die Arbeitszeit des Arbeitnehmers erhöht hat.
BAG vom 20. März 2012 – 9 AZR 529/10
Es stellt eine nicht gerechtfertigte Altersdiskriminierung dar, wenn über 40-Jährige in jedem Kalenderjahr 30 Arbeitstage Urlaub haben, während der Urlaubsanspruch von unter 30-Jährigen nur 26 Arbeitstage und bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres nur 29 Arbeitstage beträgt.
Eine Bemessung des Urlaubs nach Altersstufen kann für die Vergangenheit nur beseitigt werden, in dem der Urlaub der wegen ihres Alters diskriminierten Beschäftigten in der Art und Weise angepasst wird, dass auch ihr Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr 30 Tage beträgt.
BAG vom 21. Oktober 2014 – 9 AZR 956/12
Gewährt ein Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern jährlich mehr Urlaubstage als den jüngeren, kann diese unterschiedliche Behandlung wegen des Alters unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Beschäftigter nach § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG zulässig sein.
Bei der Prüfung, ob eine solche vom Arbeitgeber freiwillig begründete Urlaubsregelung dem Schutz älterer Beschäftigter dient und geeignet, erforderlich und angemessen im Sinne von § 10 Abs. 2 AGG ist, steht dem Arbeitgeber eine auf die konkrete Situation in seinem Unternehmen bezogene Einschätzung zu.
BAG vom 12. April 2016 – 9 AZR 659/14
Eine Urlaubsstaffelung verstößt gegen das Benachteiligungsverbot nach § 7 Abs. 1 in Verbindung mit § 1 AGG, wenn sie Arbeitnehmern, die das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, einen um mindestens drei Tage kürzeren Urlaub gewährt als älteren Beschäftigten.
BAG vom 7. August 2012 – 9 AZR 353/10
Der gesetzliche Erholungsurlaub und der schwerbehinderten Menschen zustehende Zusatzurlaub setzen keine Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Urlaubsjahr voraus. Gesetzliche Ansprüche entstehen auch dann, wenn der Arbeitnehmer eine befristete Rente wegen Erwerbsminderung bezieht und eine tarifliche Regelung das Ruhen des Arbeitsverhältnisses an den Bezug dieser Rente knüpft.
BAG vom 6. Mai 2014 – 9 AZR 678/12
Vereinbaren die Parteien unbezahlten Sonderurlaub, hindert die Suspendierung der wechselseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht das Entstehen gesetzlicher Urlaubsansprüche.
BAG vom 19. Mai 2015 – 9 AZR 725/13
Die Regelung in § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG, wonach der Arbeitgeber den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um 1/12 kürzen kann, setzt einen bestehenden Anspruch auf Erholungsurlaub voraus. Daran fehlt es, wenn das Arbeitsverhältnis bereits beendet ist und der Arbeitnehmer Anspruch auf Urlaubsabgeltung hat.
Angemerkt sei an dieser Stelle, dass die Vereinbarkeit der Kürzungsbefugnis nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG mit dem Europäischen Recht noch offen ist.
Beachtenswert an dieser Stelle ist auch die Position des EuGH im Urteil vom 8. November 2012 in Sachen „Heimann“ und Toltschin (C-229/11 und C-230/11). Hiernach sind betreffende europäische Vorschriften dahingehend auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten nicht entgegenstehen, nach denen der Anspruch eines Kurzarbeiters auf bezahlten Jahresurlaub pro rata temporis berechnet wird.
Nach der Entscheidung des EuGH vom 20. Juli 2016 C-341/15 (Rechtssache Maschek) steht europäisches Recht einer nationalen Rechtsvorschrift entgegen, die eine finanzielle Vergütung für Urlaub verwehrt, wenn der Arbeitnehmer auf seinen Antrag in den Ruhestand versetzt wurde und er nicht in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu verbrauchen. Ein Arbeitnehmer hat beim Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf finanzielle Vergütung für bezahlten Jahresurlaub, den er nicht genommen hat, weil er aus Krankheitsgründen seine Aufgaben nicht wahrgenommen hat.
Im Übrigen hat nach dieser Entscheidung ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis beendet wurde und der nach einer mit seinem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung während eines bestimmten Zeitraums vor seiner Versetzung in den Ruhestand weiterhin Entgelt bezog, aber verpflichtet war, nicht an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den in diesem Zeitraum nicht genommenen bezahlten Jahresurlaubstage. Dies gilt nicht, wenn er den Urlaub wegen Krankheit nicht antreten konnte.
Kann ein Arbeitgeber nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung oder nach Ablauf der Kündigungsfrist einer ordentlichen Kündigung vorsorglich Urlaub gewähren, wenn er zugleich an der Wirksamkeit der Kündigung festhält?
BAG vom 19. Januar 2016 – 2 AZR 449/15
Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer Urlaub vorsorglich für den Fall gewähren, dass eine von ihm erklärte außerordentliche oder ordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat. Eine Erfüllung des Anspruchs nach § 1 BUrlG für die Zeit nach Zugang der fristlosen Kündigung bzw. Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist liegt darin aber nur, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Urlaubsvergütung vor Antritt des Urlaubs zahlt oder vorbehaltlos zusagt.
Dem Arbeitnehmer ist es nicht unter dem Gesichtspunkt missbräuchlichen Verhaltens verwehrt, sich auf die Unwirksamkeit der Urlaubsgewährung zu berufen. Zwar kann beispielsweise der Arbeitnehmer, wenn er mit der zeitlichen Festlegung des Urlaubs durch den Arbeitgeber nicht einverstanden ist, gehalten sein, dem Arbeitgeber die Annahmeverweigerung unverzüglich mitzuteilen und das Unterlassen einer solchen Mitteilung kann rechtsmissbräuchlich sein. Dies bedeutet aber nicht, dass Rechtsmissbrauch auch dann in Betracht käme, wenn die Freistellungserklärung von vornherein nicht geeignet war, den Anspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen.
Muss der Arbeitgeber Urlaub auch dann im Urlaubsjahr festlegen, wenn der Arbeitnehmer ihn nicht beantragt hat?
Nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG verfällt der Urlaub am Ende des Urlaubsjahres, wenn kein Übertragungstatbestand vorliegt. An seine Stelle tritt jedoch ein Schadensersatzanspruch auf Urlaub, wenn der Arbeitgeber mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug war. Das setzte nach der Rechtsprechung grundsätzlich eine Mahnung des Arbeitnehmers voraus.
Mit Beschluss vom 13. Dezember 2016 hat das BAG (9 AZR 541/15) die Frage dem EuGH vorgelegt, ob der nach deutschem Recht grundsätzlich vorgesehene Verfall des im Urlaubsjahr nicht genommenen Urlaubs eines Arbeitnehmers am Ende des Urlaubsjahres mit europäischem Recht vereinbar ist.
BAG vom 4. November 2015 – 7 AZR 851/13
Verlangt der Arbeitnehmer seinen Zusatzurlaub nicht und hat der Arbeitgeber die Gewährung von Zusatzurlaub auch nicht verweigert, entsteht auch für den verfallenen Zusatzurlaub kein Ersatzurlaubsanspruch. Im Übrigen kann ein Schadensersatzanspruch auch deshalb ausscheiden, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber zu spät über die Schwerbehinderung unterrichtet. Mangels Kenntnis hat der Arbeitgeber dann die Nichtgewährung des Zusatzurlaubs auch nicht zu vertreten.
Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 30. Juni 2016 – C 178/15 (Rechtssache Sobczyszyn):
Nach dieser Entscheidung des EuGH muss eine nationale Regelung die Pflicht für den Arbeitgeber vorsehen, dem betroffenen Arbeitnehmer den Jahresurlaub in einem anderen, vom Arbeitnehmer vorgeschlagenen Zeitraum zu gewähren, der gegebenenfalls mit zwingenden Gründen des Arbeitgeberinteresses vereinbar ist, ohne von vornherein auszuschließen, dass sich dieser Zeitraum außerhalb des Bezugszeitraums für den fraglichen Urlaub befindet.
Kann der Urlaubsabgeltungsanspruch vererbt werden?
BAG vom 22. September 2015 – 9 AZR 170/14
Der entstandene Urlaubsabgeltungsanspruch ist vererbbar. Soweit das BAG in der Vergangenheit nur einen Schadensersatzanspruch, nicht aber den Urlaubsabgeltungsanspruch selbst als vererblich angesehen hat, hat der 9. Senat hieran nach der vollständigen Aufgabe der Surrogats-Theorie nicht mehr festgehalten.
Was passiert mit dem Urlaubsanspruch, wenn der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis stirbt?
Bislang galt: Der Urlaubsanspruch geht mit dem Tod des Arbeitnehmers unter und wandelt sich auch nicht in einen Abgeltungsanspruch. In der Rechtssache Bollacke vom 12. Juni 2014 (C-118/13) hat der EuGH festgestellt, dass es gegen Unionsrecht verstößt, wenn in dieser Situation der Urlaubsanspruch ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs untergeht. Diverse Landesarbeitsgerichte hatten im Nachgang ebenfalls einen Urlaubsabgeltungsanspruch der Erben bejaht.
Das BAG hat mit Entscheidung vom 18. Oktober 2016 - 9 AZR 196/16 dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die betreffenden Vorschriften des europäischen Rechts dem Erben eines während des Arbeitsverhältnisses verstorbenen Arbeitnehmers einen Anspruch auf einen finanziellen Ausgleich für den dem Arbeitnehmer vor seinem Tod zustehenden Mindestjahresurlaub einräumen, was nach § 7 BUrlG i.V.m. § 1922 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist.
Daniel Zintl
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Im Dezember 2016 hat die Bundesregierung nach zähen Verhandlungen die Novellierung der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) beschlossen. Mit der Reform werden Vorschriften, die bisher in gesonderten Verordnungen geregelt waren, in die ArbStättV integriert und Regelungen an die sich verändernde Arbeitswelt angepasst.
Im Dezember 2016 hat die Bundesregierung nach zähen Verhandlungen die Novellierung der Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) beschlossen. Mit der Reform werden Vorschriften, die bisher in gesonderten Verordnungen geregelt waren, in die ArbStättV integriert und Regelungen an die sich verändernde Arbeitswelt angepasst.
Die ArbStättV sollte seit langer Zeit modernisiert werden. Sie passte nicht mehr in die moderne Arbeitswelt und musste an europarechtliche Vorgaben angeglichen werden. Die zur Umsetzung dieser Vorhaben für 2015 geplante Reform scheiterte zunächst an einem Konflikt zwischen Bund und Ländern und starker Kritik der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA). Im September 2016 hat der Bundesrat das Rechtsetzungsverfahren mit einer Länderinitiative neu gestartet. Herausgekommen ist eine Kompromisslösung, die am 2. Dezember 2016 von der Bundesregierung beschlossen und im Bundesgesetzblatt verkündet wurde. Damit ist die neue ArbStättV seit dem 3. Dezember 2016 in Kraft.
Zu den wesentlichen Änderungen der neuen ArbStättV gehören:
Neuer Arbeitsplatzbegriff
Als einer der zentralen Begriffe des Arbeitsschutzes wurde der Begriff des Arbeitsplatzes in der ArbStättV an den allgemeinen Arbeitsplatzbegriff des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) angepasst. Bisher enthielt die ArbStättV eine hiervon abweichende Definition, die eine Mindesttätigkeitsdauer voraussetzte. Die Voraussetzung einer Mindesttätigkeitsdauer war gerade bei Arbeitsstätten mit ortsverändernden Einsätzen ein Problem. Mit der Novelle regelt § 2 Abs. 4 ArbStättV nunmehr, dass Arbeitsplätze Bereiche sind, in denen Beschäftigte im Rahmen ihrer Arbeit tätig sind. Damit fallen auch Arbeitsplätze unter den Geltungsbereich der ArbStättV, an denen Beschäftigte nur kurzfristig tätig sind. Der Verordnungsgeber passt mit der Änderung den Begriff des Arbeitsplatzes auch an europarechtliche Vorgaben an, die ebenfalls keine Mindesttätigkeitsdauer vorsehen.
Bildschirmarbeitsplätze
Spezielle Anforderungen an Bildschirmarbeitsplätze waren bisher in der gesonderten Bildschirmarbeitsverordnung (BildscharbV) geregelt. Diese wurde mit der Novellierung in die ArbStättV integriert. Die BildscharbV wurde daher außer Kraft gesetzt. Mit der Integration hat der Verordnungsgeber Vorgaben und Definitionen aktualisiert und an europäisches Recht angepasst. Die Anpassung ist nicht immer gelungen. So definiert § 2 Abs. 5 ArbStättV Bildschirmarbeitsplätze als „Arbeitsplätze, die sich in Arbeitsräumen befinden und die mit Bildschirmgeräten und sonstigen Arbeitsmitteln ausgestattet sind“. Diese Definition entspricht nicht den europarechtlichen Vorgaben. Die Voraussetzung einer Ausstattung mit „sonstigen Arbeitsmitteln“ ist der Bildschirmarbeitsrichtlinie (Art. 2 Buchstabe b RL 90/270/EWG) nicht zu entnehmen. Nach der Bildschirmarbeitsrichtlinie genügt bereits die Ausstattung mit einem Bildschirmgerät, um aus einem Arbeitsplatz einen Bildschirmarbeitsplatz zu machen. Eine Ausrüstung des Bildschirmgeräts mit weiteren Geräten oder Mobiliar ist nach der Bildschirmarbeitsrichtlinie lediglich optional. Bildschirmarbeitsplätze sind nach der Bildschirmarbeitsrichtlinie zudem nicht auf Arbeitsplätze in Arbeitsräumen beschränkt, sondern können sich auch im Freien oder auf Baustellen befinden.
Telearbeit
Bisher war umstritten, ob die ArbStättV auch für die häusliche Telearbeit gilt. Diese Frage ist in der ArbStättV nun ausdrücklich geregelt. Bereits nach der in § 2 Abs. 7 ArbStättV enthaltenen Begriffsbestimmung der Telearbeitsplätze wird die ArbStättV in der überwiegenden Anzahl der Praxisfälle für häusliche Telearbeit jedoch nicht anwendbar sein. Nach § 2 Abs. 7 ArbStättV sind Telearbeitsplätze nur solche, die vom Arbeitgeber im Privatbereich eines Beschäftigten fest eingerichtet wurden, also für welche er die Ausstattung inklusive Mobiliar, Arbeitsmittel und Kommunikationseinrichtungen hat installieren lassen. Danach sind die in der Praxis überwiegend genutzten Home Office-Arbeitsplätze an eigenen Schreibtischen der Arbeitnehmer kein Telearbeitsplatz im Sinne der ArbStättV. Zudem ist für einen Telearbeitsplatz im Sinne der ArbStättV eine vorherige Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Beschäftigtem über die Telearbeit Voraussetzung.
Die Definition des Telearbeitsplatzes führt daher dazu, dass der Großteil der praktizierten Home Office-Arbeitsplätze nicht unter die ArbStättV fällt. Dies mag ein Zugeständnis des Verordnungsgebers an die Arbeitgeber sein. Die Definition wird jedoch Probleme bereiten, da sie im Widerspruch zum Europarecht steht. Die Bildschirmarbeitsrichtlinie gilt für jede Arbeit an einem Bildschirmgerät und unterscheidet gerade nicht danach, ob das Bildschirmgerät an einem vom Arbeitgeber fest eingerichteten und installierten Arbeitsplatz genutzt wird oder nicht. Der in § 2 Abs. 7 ArbStättV definierte Begriff des Telearbeitsplatzes müsste daher europarechtskonform dahingehend ausgelegt werden, dass es genügt, dass der Arbeitgeber das Bildschirmgerät bereitgestellt hat und keine darüberhinausgehende Einrichtung des Arbeitsplatzes verlangt wird. Hier wird der Verordnungsgeber nachbessern müssen.
Für die Telearbeit ist die Geltung der ArbStättV gemäß § 1 Abs. 3 ArbStättV beschränkt auf die Vorschriften zur Gefährdungsbeurteilung nach § 3 ArbStättV, zur Unterweisung nach § 6 ArbStättV und zur Bildschirmarbeit nach Anhang Nr. 6 ArbStättV. Dabei soll die Gefährdungsbeurteilung nur bei der erstmaligen Beurteilung der Arbeitsbedingungen und des Arbeitsplatzes durchzuführen sein. Diese Einschränkung entlastet zwar den Arbeitgeber von seinen Kontrollpflichten, widerspricht jedoch § 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG, wonach eine Fortschreibung der Gefährdungsbeurteilung verlangt wird. Da diese gesetzliche Pflicht nicht durch eine Rechtsverordnung suspendiert werden kann, wird der Arbeitgeber die Gefährdungsbeurteilung auch bei der Telearbeit regelmäßig überprüfen müssen.
Tageslicht und Sichtverbindung nach außen
Für dauerhaft eingerichtete Arbeitsplätze und für Sozialräume werden klare und einheitliche Anforderungen, wie möglichst ausreichend Tageslicht und eine Sichtverbindung aus Arbeitsräumen nach außen vorgeschrieben. Was unter der Einschränkung „möglichst“ zu verstehen ist, ist unklar. In Abänderung des früheren Reformentwurfs sind Sanitär- und Erste-Hilfe-Räume von dieser Regelung nicht umfasst. Lassen die baulichen oder betrieblichen Gegebenheiten eine Sichtverbindung nach außen nicht zu, was beispielsweise bei Flughäfen, Bahnhöfen oder Einkaufszentren möglich ist, kann von einer Sichtverbindung nach außen abgesehen werden. Insoweit enthält die ArbStättV im Anhang Nr. 3.4 Abs. 1 Nr. 1.-5. eine praxisgerechte Ausnahmeregelung. Zudem ist eine Bestandsschutzregelung im Anhang Nr. 3.4 Abs. 3 vorgesehen, wonach für bereits eingerichtete Räume die bisherigen Vorgaben gelten, solange die Räume nicht wesentlich erweitert oder umgebaut werden.
Gefährdungsbeurteilung
Die Regelung zur Gefährdungsbeurteilung in § 3 ArbStättV wurde dahingehend ergänzt, dass bei der Gefährdungsbeurteilung auch Auswirkungen der Arbeitsorganisation und der Arbeitsabläufe auf den Beschäftigten berücksichtigt werden müssen. Zudem wird erstmals klargestellt, dass auch psychische Belastungen bei der Beurteilung der Gefährdungen zu berücksichtigen sind.
Arbeitsschutzunterweisung
In § 6 ArbStättV wurde die bisher nicht enthaltene Verpflichtung des Arbeitgebers zur Arbeitsschutzunterweisung der Beschäftigten ergänzt. Die Regelung gibt dem Arbeitgeber Hinweise, über welche Gefährdungen er die Beschäftigten unterweisen muss, wozu beispielsweise Erste Hilfe-Einrichtungen, Brandschutz sowie Fluchtwege und Notausgänge gehören. Von der Verpflichtung zur schriftlichen Dokumentation der Unterweisung durch den Arbeitgeber wurde in der ArbStättV abgesehen.
Die neue ArbStättV ist übersichtlich und vereinfacht die Anwendung der Regelungen zum Arbeitsschutz durch den Abbau von Doppelregelungen. Die Integration der bisherigen BildscharbV in die ArbStättV ist aufgrund der fachlichen und inhaltlichen Nähe sinnvoll und sachgerecht. Zu begrüßen sind die Anpassungen der Verordnung an die sich durch flexible Arbeitsplätze und fortschreitende Digitalisierung wandelnde Arbeitswelt. So ist die Regelung der häuslichen Telearbeit ein richtiger Schritt, wenngleich die Vorschriften im Detail noch der Nachbesserung bedürfen.
Sandra Sfinis
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Das Verbot des Tragens eines islamischen Kopftuchs seitens des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern stellt keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion dar, wenn es aufgrund einer internen Regelung erfolgt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet. Dabei handelt es sich jedoch um eine mittelbare Diskriminierung, wenn bestimmte Religionsgruppen durch die Regelung in besonderer Weise benachteiligt werden; diese kann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber gegenüber seinen Kunden eine Politik der Neutralität verfolgt und es sich um ein verhältnismäßiges Mittel handelt.
Das Verbot des Tragens eines islamischen Kopftuchs seitens des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern stellt keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion dar, wenn es aufgrund einer internen Regelung erfolgt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet. Dabei handelt es sich jedoch um eine mittelbare Diskriminierung, wenn bestimmte Religionsgruppen durch die Regelung in besonderer Weise benachteiligt werden; diese kann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber gegenüber seinen Kunden eine Politik der Neutralität verfolgt und es sich um ein verhältnismäßiges Mittel handelt.
Die in Belgien ansässige Beklagte erbringt als privates Unternehmen Rezeptions- und Empfangsdienste. Bei ihr galt eine ungeschriebene Regel, wonach Arbeitnehmer am Arbeitsplatz keine sichtbaren Zeichen ihrer politischen, philosophischen oder religiösen Überzeugungen tragen dürfen. Die Klägerin ist muslimischen Glaubens und bei der Beklagten seit 2003 als Rezeptionistin angestellt. Im Jahr 2006 teilte sie der Beklagten mit, dass sie künftig mit islamischem Kopftuch ihre Arbeit verrichten werde. Daraufhin passte die Beklagte mit Zustimmung des Betriebsrats ihre Arbeitsordnung an und stellte das genannte generelle Verbot des sichtbaren Tragens religiöser oder weltanschaulicher Zeichen schriftlich klar.
Die Klägerin wurde aufgrund ihres Festhaltens an der Entscheidung zum Tragen eines Kopftuchs entlassen. Ihre dagegen gerichteten Klage wurde in den beiden ersten Instanzen abgewiesen. Der belgische Kassationsgerichtshof legte daraufhin dem EuGH die Frage vor, ob ein allgemeines Verbot wie im vorliegenden Fall eine unmittelbare Diskriminierung im Sinne der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie 2000/78/EG darstellt.
Der EuGH entschied im Einklang mit den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott die Vorlagefrage dahingehend, dass ein allgemein formuliertes und an alle Arbeitnehmer unterschiedslos gerichtetes Verbot nicht als unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung anzusehen ist.
Über diese Vorlagefrage hinaus äußerte sich der EuGH aber ebenfalls zur Frage des Vorliegens einer mittelbaren Diskriminierung. Eine solche ist dann gegeben, wenn eine dem Anschein nach neutrale Verpflichtung tatsächlich dazu führt, dass Personen mit bestimmter Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden. Dies zu prüfen obliegt indes den nationalen Gerichten. Aber auch im Fall einer solchen mittelbaren Diskriminierung kann diese durchaus gerechtfertigt sein. Der Wille des Arbeitgebers, gegenüber seinen Kunden eine Politik der politischen, philosophischen oder religiösen Neutralität zum Ausdruck zu bringen, stellt ein rechtmäßiges und von der unternehmerischen Freiheit geschütztes Ziel dar. Die Maßnahme muss sich allerdings auf das unbedingt Erforderliche beschränken. Sofern es der Beklagten möglich gewesen wäre, der Klägerin einen Arbeitsplatz ohne Kundenkontakt anzubieten, wäre dies ein milderes Mittel als die Kündigung gewesen.
Die Entscheidung des EuGH erging zeitgleich mit einer weiteren Entscheidung über eine französische Vorlage, der ein ähnlich gelagerter Sachverhalt zugrunde lag (EuGH, Urteil vom
14. März 2017 – C 188/15 [Bougnaoui und ADDH ./. Micropole]). Darin stellte der Gerichtshof fest, dass ein Kopftuchverbot, wenn es nicht auf einer unternehmensinternen Regelung zur allgemeinen Neutralität beruht, dann auch nicht als „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt sein kann.
Beide Entscheidungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die Rechtslage in Deutschland. Denn die durch den EuGH ausgelegte Richtlinie bildet eine der unionsrechtlichen Grundlagen für das deutsche AGG. Damit ist nun weiter konkretisiert worden, wie die Begriffe unmittelbare Diskriminierung (§ 3 Abs. 1 AGG), mittelbare Diskriminierung (§ 3 Abs. 2 AGG) und berufliche Anforderung (§ 8 Abs. 1 AGG) im Kontext des Tragens bestimmter Symbole zu interpretieren sind.
Es ist nun im Wesentlichen geklärt, dass ein ausschließliches Verbot des Tragens von islamischen Kopftüchern nicht zulässig ist und somit zu einer Entschädigung berechtigt. Dass ein solches Kopftuch allein keinen personenbedingten Kündigungsgrund im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG darstellt, hat das Bundesarbeitsgericht bereits im Jahr 2002 entschieden (BAG, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 AZR 472/01). Gilt im Unternehmen hingegen aus Rücksicht gegenüber dem Kunden ein generelles optisches Neutralitätsgebot – über das der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG mitbestimmen kann –, so ist dies prinzipiell nicht zu beanstanden. Es darf jedoch nur für Arbeitnehmer mit direktem Kundenkontakt gelten. Im „Innendienst“ kann daher das Tragen eines Kopftuchs grundsätzlich nicht untersagt werden.
Das Grundrecht der Religionsfreiheit aus Art. 4 GG dürfte in derartigen Fällen keine gesonderte Bedeutung zukommen. Denn im Gegensatz etwa zu den weiterhin umstrittenen landesrechtlichen Verboten des Tragens religiöser Symbole im öffentlichen Dienst und der strenger gewordenen diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (hierzu insbesondere BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 einerseits sowie BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015 – 1 BvR 471/10 und 1 BvR 1181/10 andererseits) gelten die Grundrechte im Privatrechtsverhältnis nur mittelbar.
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Bestandteile des gesetzlichen Mindestlohns sind nach der zu beachtenden Rechtsprechung des EuGH alle zwingend und transparent geregelten Gegenleistungen des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers.
Bestandteile des gesetzlichen Mindestlohns sind nach der zu beachtenden Rechtsprechung des EuGH alle zwingend und transparent geregelten Gegenleistungen des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers.
Die Parteien streiten über die Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs. Die Klägerin ist seit 2006 bei der Beklagten als Telefonistin im Schichtdienst mit acht Stunden täglich zu einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt EUR 1.280,00 beschäftigt. Zwischen der Beklagten und ver.di besteht ein Vergütungstarifvertrag, welcher für Telefonistinnen bei nachgewiesener Befähigung und Fertigkeit der selbstständigen Funkkanalbedienung das Bruttogrundgehalt um EUR 30,68 je Kanal, maximal aber EUR 122,71 erhöht, unabhängig von der tatsächlichen Bedienung dieses Kanals. Gemäß einer Betriebsvereinbarung vom 22. Juli 1999 erhalten Angestellte der Beklagten Leistungsprämien (LP1 und LP2), die nach verschiedenen Kriterien ermittelt werden. In den Monaten Januar bis Juli 2015 zahlte die Beklagte der Klägerin jeweils neben dem Bruttogrundgehalt i.H.v. EUR 1.280,00 Wechselschichtzulagen i.H.v. EUR 243,75 brutto, Funkprämien i.H.v. EUR 122,71 brutto sowie zwei Leistungsprämien i.H.v. EUR 81,81 brutto (LP1) und EUR 51,13 brutto (LP2), also insgesamt monatlich EUR 1.779,40 brutto. Die Klägerin erhob Zahlungsklage. Sie forderte weitere Vergütung für den Zeitraum von Januar bis Juli 2015, da die Beklagte den gesetzlichen Mindestlohn nicht erfülle. Bei durchschnittlich 182,5 Stunden im Monat müsse das monatliche Bruttogrundgehalt EUR 1.551,25 betragen. Die Zulagen und Prämien würden den gesetzlichen Mindestlohn nicht erfüllen. Das ArbG wies die Klage ab. Das LAG gab der Berufung statt. Mit der beim BAG eingelegten Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Die Revision der Beklagten ist begründet, da der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn durch Erfüllung erloschen ist. Grundlage hierfür sind § 1 Abs. 2 i.V.m. §§ 20, 1 Abs. 1 MiLoG, wonach der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn mit jeder geleisteten Arbeitsstunde entsteht. Berechnungszeitraum ist ein Monat. Der Anspruch ist dann erfüllt, wenn die für einen Kalendermonat geleistete Bruttovergütung den Betrag erreiche, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in diesem Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit EUR 8,50 ergibt. Auch aus der Entstehungsgeschichte des Mindestlohngesetzes ergibt sich kein anderes Auslegungsergebnis, da bereits im Gesetzgebungsverfahren zum MiLoG auf die Rechtsprechung des EuGH zur Arbeitnehmerentsenderichtlinie Bezug genommen wurde. Danach sind alle zwingenden und transparent geregelten Gegenleistungen des Arbeitgebers für eine Arbeitsleistung Bestandteil des Mindestlohns. Des Weiteren legt das BAG seiner Argumentation zugrunde, dass vorrangiger Zweck des gesetzlichen Mindestlohn sei, jedem Arbeitnehmer ein existenzsicherndes Monatseinkommen zu gewährleisten. Diesem Zweck vermag nach Auffassung des BAG jede Vergütungszahlung des Arbeitgebers zu dienen, unabhängig davon, zu welcher Tageszeit, unter welchen Umständen oder in welcher Qualität die Arbeit erbracht wurde. Die Erfüllungswirkung fehlt daher nur solchen Entgeltzahlungen des Arbeitgebers, die er ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (z.B. § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen. Die von der Beklagten gezahlte Wechselschichtzulage ist eine im Synallagma stehende Geldleistung, da sie keine Erschwernis der Arbeitserbringung in Wechselschicht ausgleichen soll. Wäre dies der Fall, ändert sich nach Auffassung des BAG an den vorstehenden Ausführungen nichts, da die Zulage selbst dann für die Arbeitsleistung erbracht werden würde und keiner gesetzlichen Zweckbestimmung unterliegt. Bei der Funkprämie handelt es sich ebenfalls um im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachtes Entgelt, da hiermit die vorgehaltene Fähigkeit zur Erbringung der Arbeitsleistung, also die Arbeitsleistung selbst honoriert werde. Als Gegenleistung für die Arbeitsleistung der Klägerin werden auch die Zahlungen der Leistungszulagen erfasst und unterfallen somit dem umfassenden Entgeltbegriff des Mindestlohngesetzes.
Das BAG bestätigt mit der vorliegenden Entscheidung seine bisherige Rechtsauffassung (vgl. Urteil vom 25. Mai 2016 – 5 AZR 135/16). Die Entscheidung gibt Anhaltspunkte, welche Entgeltbestandteile zur Erfüllung des Mindestlohnanspruchs führen sowie Hinweise für die Durchführung bei der Berechnung des Mindestlohns. Für die Berechnung ist zunächst die Anzahl der im Kalendermonat tatsächlich vom Arbeitnehmer geleisteten Arbeitsstunden mit dem gesetzlichen Mindestlohn zu multiplizieren. Maßgeblich bei dieser Berechnung ist dabei die Summe aller Leistungen, die als Gegenleistung für eine Arbeitsleistung gezahlt werden und somit neben dem monatlichen Bruttogehalt auch andere Lohnbestandteile wie Zulagen oder Prämien. Es muss also geprüft werden, ob die Zahlung eine mit der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers im Synallagma stehende Geldleistung ist oder nicht. Da seit dem 1. Januar 2017 ein Mindestlohn von EUR 8,84 pro Zeitstunde gilt, ist bei der Berechnung darauf zu achten, dass die monatliche Vergütung einen Betrag erreicht, der sich aus der Multiplikation der Anzahl der in dem betreffenden Monat tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden mit EUR 8,84 ergibt.
Dr. Anna Schnitzer
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Eine Urlaubsregelung, welche hinsichtlich der Dauer des dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaubs unmittelbar an dessen Lebensalter anknüpft, verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG und ist deshalb unwirksam.
Eine Urlaubsregelung, welche hinsichtlich der Dauer des dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaubs unmittelbar an dessen Lebensalter anknüpft, verstößt gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG und ist deshalb unwirksam.
Die Parteien streiten über den Umfang des dem Kläger zustehenden tariflichen Urlaubsanspruchs. Der am 2. Juli 1968 geborene Kläger ist im Hotel der Beklagten als Mitarbeiter für den Auf- und Abbau bei Veranstaltungen beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Sachsen- Anhalt vom 18. Mai 2012 (MTV) Anwendung. Der MTV sieht unter § 7 Abs. 2 eine Regelung vor, wonach sich der Urlaubsanspruch der Arbeitnehmer nach dem Lebensalter staffelt. Danach haben Arbeitnehmer bis 25 Jahre 23 Arbeitstage, ab 26 Jahre 24 Arbeitstage, ab 31 Jahre 25 Arbeitstage, ab 40 Jahre 27 Arbeitstage und ab 50 Jahre 30 Arbeitstage Urlaub pro Jahr. Die Beklagte berechnete den Urlaubsanspruch des Klägers für das Jahr 2013 mit 27 Urlaubstagen. Mit Schreiben vom 12. November 2013 beantragte der Kläger die Gewährung von drei weiteren Urlaubstagen. Er ist der Auffassung, er habe auch schon vor Vollendung des 50 Lebensjahres einen jährlichen Urlaubsanspruch von 30 Arbeitstagen, da die tarifliche Urlaubsstaffelung eine Diskriminierung wegen des Alters darstelle, die sachlich nicht im Sinne von § 10 AGG gerechtfertigt sei. Die Beklagte lehnte dies ab. Sie ist der Ansicht, dass die Ungleichbehandlung gemäß § 10 AGG sachlich gerechtfertigt sei, da die tarifliche Regelung dem mit zunehmenden Alter aufgrund der körperlichen Beanspruchung gesteigerten Erholungsbedürfnis Rechnung trage und dem Gesundheitsschutz diene. Mit seiner Klage hat der Kläger die Feststellung begehrt, dass ihm in jedem Kalenderjahr 30 Urlaubstage zustehen.
Der Kläger hatte mit seinem Begehren vor dem BAG Erfolg. In der Vorinstanz hatte das LAG Sachsen-Anhalt das Urteil des Arbeitsgerichts noch abgeändert und die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen. Nach Ansicht des BAG verstößt die Urlaubsstaffelung des § 7 Abs. 2 MTV gegen die §§ 1, 3 Abs. 1 AGG und ist deshalb nach § 7 Abs. 1 und 2 AGG unwirksam. Dies hat nach Ansicht des BAG zur Folge, dass der Kläger auch schon vor Vollendung seines 50. Lebensjahres in jedem Kalenderjahr Anspruch auf 30 Urlaubstage hat. Die Urlaubsstaffelung nach § 7 Abs. 2 MTV enthalte eine unmittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG. § 7 Abs. 2 MTV knüpfe die Dauer des dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaubs an dessen Lebensalter und behandele Beschäftigte, die das 50. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, unmittelbar wegen des Alters anders als Beschäftigte, die 50 Jahre oder älter sind. Nach Ansicht des BAG ist die Ungleichbehandlung auch nicht gerechtfertigt. Bei § 7 Abs. 2 MTV handele es sich nicht um eine nach § 8 AGG zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen, da sie nicht auf die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die Bedingungen ihrer Ausübung abstelle. Auch handelt es sich nach Ansicht des BAG nicht um eine nach § 10 AGG gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung. Nach § 10 S. 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Nach Auffassung des BAG hat die Beklagte nicht ausreichend dargelegt, aufgrund welcher Umstände die in § 7 Abs. 2 MTV bestimmte Ungleichbehandlung wegen des Alters sachlich gerechtfertigt sei. Die Beklagte habe nur pauschal auf die körperliche Belastung verschiedener Berufsgruppen im Hotel- und Gaststättengewerbe und auf das mit zunehmenden Alter gesteigerte Erholungsbedürfnis verwiesen. Dies reiche für einen substantiierten Sachvortrag nicht aus. Die Beklagte habe auch nicht dargetan, aufgrund welcher konkreten Umstände unter Berücksichtigung des den Tarifvertragsparteien zustehenden Ermessenspielraums anzunehmen sei, dass bei sämtlichen Arbeitnehmern, die das 50 Lebensjahr vollendet haben, ein gegenüber jüngeren Arbeitnehmern erhöhtes Erholungsbedürfnis vorliegen solle. Die Unwirksamkeit der tariflichen Regelung zur Urlaubsstaffelung führt nach Ansicht des BAG dazu, dass die Arbeitnehmer, die noch nicht das 50. Lebensjahr vollendet haben, dieselben Vorteile beanspruchen können wie die Arbeitnehmer, die das 50 Lebensjahr bereits vollendet haben und deren Urlaubsanspruch nach § 7 Abs. 2 MTV 30
Urlaubstage betrage.
Das Urteil des BAG zeigt einmal mehr die Gefahren einer
„Altersstaffel“. Bei Regelungen, die an das Alter anknüpfen, ist in der betrieblichen Praxis äußerste Vorsicht geboten, da diese eine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz darstellen können. Dies gilt sowohl für Regelungen in einem Arbeitsvertrag, als auch für Regelungen in Betriebsvereinbarungen und in Tarifverträgen, wie im vorliegenden Fall.
Dass die Folgen einer unzulässigen Benachteiligung für den Arbeitgeber weitreichend sein können, wird ebenfalls einmal mehr verdeutlicht. Das BAG führt mit dem Urteil seine Rechtsprechung zur sog. „Anpassung nach oben“ fort (vgl. BAG, Urteil vom 22. Oktober 2015 – 8 AZR 168/14, zur Diskriminierung jüngerer Arbeitnehmer durch altersabhängige Arbeitszeitstaffelung) und verdeutlicht damit die weitreichenden wirtschaftlichen Risiken einer unzulässige Benachteiligung wegen des Alters für den Arbeitgeber. Nach dieser Rechtsprechung des BAG wird der Grundsatz der Gleichbehandlung bei Bestehen einer diskriminierenden Regelung nur dadurch gewährleistet, dass den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vorteile gewährt werden wie den Angehörigen der privilegierten Gruppe.
Das Urteil verdeutlicht die hohen Anforderungen, die das BAG an die Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters stellt. Arbeitgeber müssen danach substantiiert vortragen, aus welchen konkreten Gründen eine Ungleichbehandlung wegen des Alters ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Pauschale Ausführungen reichen hierzu nicht aus. Arbeitgebern ist daher zu empfehlen, vor der Einführung von Regelungen, die an das Alter anknüpfen, diese, insbesondere im Hinblick auf das Vorliegen konkreter Rechtfertigungsgründe, einer kritischen Prüfung zu unterziehen.
Achim Braner
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Für die Verwirkung des Widerspruchsrechts bei einem Betriebsübergang steht die Länge des Zeitablaufs in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment.
Für die Verwirkung des Widerspruchsrechts bei einem Betriebsübergang steht die Länge des Zeitablaufs in Wechselwirkung zu dem ebenfalls erforderlichen Umstandsmoment.
Die Parteien streiten über den Widerspruch des Klägers gegen einen Betriebsübergang aus dem Jahr 2006. Der Kläger wurde mit Schreiben vom 14. November 2005 über einen Betriebs-
übergang schriftlich informiert. Dieses Unterrichtungsschreiben enthielt keine Angaben zum Sitz der übernehmenden Gesellschaft und deren Anschrift, zum zuständigen Registergericht und zu der Registernummer. Bei den Angaben zu den Haftungsfolgen wurde die eingeschränkte Haftung der Beklagten nach § 613 a Abs. 2 Satz 2 BGB für Forderungen, die erst nach Betriebsübergang fällig werden, nicht erwähnt. Zum 1. Januar 2006 erfolgte ein Teilbetriebsübergang, der das Arbeitsverhältnis des Klägers erfasste. Seit dem 1. Januar 2006 arbeitete der Kläger als Servicekraft bei der erwerbenden Gesellschaft. Er erhob keinen Widerspruch und wendete sich auch nicht in anderer Weise gegen den Betriebsübergang. Mit Schreiben vom 21. Februar 2006 gab die Betriebsübernehmerin dem Kläger auf ihrem Geschäftsbogen Informationen über sein Gehalt und seine neue Eingruppierung. In dem Zeitraum von 2006 bis September 2014 beantragte der Kläger mehrfach bei der erwerbenden Gesellschaft Erholungsurlaub und gab der Erwerberin Erklärungen ab, die sich auf Verpflichtungen im Arbeitsverhältnis bezogen. Ferner nahm der Kläger an Lehrgängen bei dieser Gesellschaft teil. Mit Schreiben vom 22. Juli 2011 wurde der Kläger an einen anderen Dienstort versetzt. Dieser Versetzung leistete er Folge, wofür er seinen Wohnort wechselte.
Mit Schreiben vom 1. August 2014 widersprach der Kläger dem zum 1. Januar 2006 erfolgten Betriebsübergang. Er beantragte daraufhin festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zu dem ursprünglichen Betriebsinhaber zu unveränderten Bedingungen über den 31. Dezember 2005 hinaus fortbesteht. Das Arbeitsgericht hatte der Klage stattgegeben. Der Kläger habe dem Übergang seines Arbeitsverhältnisschreiben nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden sei. Das Widerspruchsrecht sei ferner nicht verwirkt, da das für eine Verwirkung erforderliche Umstandsmoment nicht vorläge. Der Kläger habe nicht über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses disponiert und daher nicht das Vertrauen erweckt, er werde keinen Widerspruch mehr erklären.
Das LAG änderte das Urteil und wies die Klage mangels Begründetheit ab. Zwar sei das Widerspruchsrecht des Klägers nicht nach § 613a BGB verfristet gewesen, da er nicht ordnungsgemäß unterrichtet worden sei. Allerdings sei die Ausübung des Widerspruchsrechts im August 2014 nicht mehr möglich gewesen, da dieses Recht gemäß § 242 BGB verwirkt war. Dabei begründe der Umstand, dass der Kläger 8 Jahre und 10 Monate für die Übernehmerin tätig war, allein noch keine Verwirkung des Widerspruchsrechts. Das Zeitmoment sei jedoch in so schwerwiegender Weise verwirklicht, dass weniger gewichtige Umstände ausreichen, um von einer Erfüllung des Umstandsmoments ausgehen zu können. Solche Umstände lägen vor, wenn ein Arbeitnehmer einer örtlichen Versetzung durch eine Übernehmerin Folge leistet, die für ihn mit einem Umzug und der Veränderung seiner persönlichen Lebensumstände verbunden ist oder jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer auch durch sein sonstiges Verhalten im laufenden Arbeitsverhältnis deutlich gemacht hat, dass er die Übernehmerin als seine Arbeitgeberin akzeptiert. Bei der gebotenen Gesamtabwägung müsse das Interesse das Arbeitnehmers an der Ausübung des Widerspruchsrechts aus Gründen des Vertrauensschutz zurücktreten.
Die Entscheidung des LAG Hamburg ist im Kontext einer Entscheidung vom LAG Thüringen zu sehen, das sich ebenfalls mit den für die Erfüllung von Zeitmoment und Umstandsmoment im Rahmen der Verwirkung maßgeblichen Umständen beschäftigt. Dabei hat das LAG Thüringen (Urteil vom 9. August 2016 – 1 Sa 21/16, Revision eingelegt unter dem Aktenzeichen 8 AZR 598/16) eine Verwirkung des Widerspruchsrechts trotz Ablaufs von 9 Jahren mit der Begründung abgelehnt, dass die Teilnahme des Arbeitnehmers an üblichen Fortbildungsmaßnahmen und die Übernahme neuer Aufgaben sowie ein maßvoller Tarifaufstieg nicht zur Verwirklichung des Umstandsmoments ausreichen, da hierin keine Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses liege. Das BAG wird nun im Rahmen der Revision in beiden Fällen über die Frage zu entscheiden haben, welche Anforderungen an die Verwirklichung des Umstandsmoments zu stellen sind, insbesondere, ob an der bisherigen Rechtsprechung festzuhalten ist, dass eine Disposition über den Bestand des Arbeitsverhältnisses erforderlich ist, wenn das Zeitmoment in besonders schwerwiegender Weise erfüllt ist. In einem Urteil vom 17. Oktober 2013 hatte das BAG nicht davor zurückgescheut das Widerspruchsrecht eines Arbeitnehmers verwirken zu lassen, sofern dieser beim Arbeitgeber ein besonderes Vertrauen erwirkt hat, dass kein Widerspruch mehr erfolgen wird. Dabei ist Maßstab der Entscheidung gewesen: Je stärker das gesetzte Vertrauen oder die Umstände, die eine Geltendmachung für den Anspruchsgegner unzumutbar machen, sind, desto eher kann das Widerspruchsrecht verwirken.
Für den Arbeitgeber gilt, dass sich eine Auseinandersetzung über einen Jahre später erfolgten Widerspruch gegen den Betriebsübergang vermeiden lässt, wenn darauf geachtet wird, dass die Unterrichtung der Arbeitnehmer über einen Betriebsübergang den differenzierten Anforderungen der Rechtsprechung gerecht wird. Falls es trotz aller Sorgfalt zu Fehlern bei der Unterrichtung kommt, können diese gegebenenfalls später durch eine neue Unterrichtung kompensiert werden. Aber auch dann, wenn die Unterrichtung nicht mehr geheilt werden kann, gibt es Möglichkeiten, im laufenden Arbeitsverhältnis „Verwirkungsmomente“ zu schaffen, um einen Widerspruch von Arbeitnehmerseite entgegenzuwirken. So kann insbesondere bei Zweifeln über die Richtigkeit von Unterrichtungsschreiben Rechtssicherheit für anstehende Restrukturierungen und Transaktionen geschaffen werden.
Martina Ziffels |
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer Betriebsvereinbarung zu Urlaubs- und Freistellungsansprüchen.
Die Arbeitgeberin war nicht Mitglied eines tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbandes und auch sonst nicht tarifgebunden. Die Arbeitgeberin schloss mit dem Betriebsrat unter dem
28. März 2006 eine „Betriebsvereinbarung Urlaub und Freistellung von der Arbeit“. Diese enthielt beinahe identische Regelungen zu tariflichen Urlaubs- und Freistellungsansprüchen des „Einheitlichen Manteltarifvertrages“ für die Arbeitnehmer in den technischen Betrieben für Film und Fernsehen e.V. (VTFF). Die Arbeitgeberin fiel in den Anwendungsbereich dieses Tarifvertrages, gültig ab dem 1. Januar 2003.
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer Betriebsvereinbarung zu Urlaubs- und Freistellungsansprüchen.
Die Arbeitgeberin war nicht Mitglied eines tarifvertragschließenden Arbeitgeberverbandes und auch sonst nicht tarifgebunden. Die Arbeitgeberin schloss mit dem Betriebsrat unter dem 28. März 2006 eine „Betriebsvereinbarung Urlaub und Freistellung von der Arbeit“. Diese enthielt beinahe identische Regelungen zu tariflichen Urlaubs- und Freistellungsansprüchen des „Einheitlichen Manteltarifvertrages“ für die Arbeitnehmer in den technischen Betrieben für Film und Fernsehen e.V. (VTFF). Die Arbeitgeberin fiel in den Anwendungsbereich dieses Tarifvertrages, gültig ab dem 1. Januar 2003.
Der Manteltarifvertrag enthielt keine Öffnungsklausel, die den Betriebsparteien den Abschluss abweichender oder gleich lautender Betriebsvereinbarungen gestattet hätte. Der Manteltarifvertrag wurde von beiden Tarifvertragsparteien zum 31. Dezember 2012 gekündigt. Der Arbeitgeberverband VTFF teilte in einer Pressemitteilung vom 28. November 2012 zudem mit, dass er seine Tariffähigkeit aufgebe.
Die Arbeitgeberin vereinbarte mit ab dem 1. März 2013 neu eingestellten Arbeitnehmern Arbeitsverträge, die 28 Urlaubstage gewährten, weniger als in der streitgegenständlichen Betriebsvereinbarung festgelegt. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG bestand nicht.
Der Betriebsrat beantragte erstinstanzlich die Feststellung, dass die Betriebsvereinbarung „Urlaub- und Freistellung von der Arbeit“ unabhängig von einem bestimmten Eintrittsstichtag für alle Arbeitnehmer der Arbeitgeberin zur Anwendung kommt. Das Arbeitsgericht München hat den Antrag des Betriebsrates zurückgewiesen. Zum Zeitpunkt des Abschlusses habe die Betriebsvereinbarung gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßen.
Die zulässige Beschwerde des Betriebsrates war nicht begründet. Zunächst bestätigte das LAG, dass eine gegen § 77 Abs. 3 BetrVG verstoßene Betriebsvereinbarung schwebend unwirksam sei. Dieser Schwebezustand könne nach der Rechtsprechung des BAG durch übereinstimmende Regelungen der Tarifvertragsparteien durch eine Öffnungsklausel beseitigt werden mit der Folge, dass die kollidierende Betriebsvereinbarung rückwirkend Wirksamkeit erlange. Eine derartige Öffnungsklausel lag hier aber nicht vor.
Da der Betrieb der Arbeitgeberin bei Tarifbindung in den Geltungsbereich des „Einheitlichen Manteltarifvertrages“ fallen würde und deswegen der Betriebsvereinbarung von Beginn an die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 S. 1 BetrVG entgegenstand, war eine rückwirkende spätere Beseitigung der Rechtsunwirksamkeit nach Auffassung der Kammer nicht möglich.
Die Regelungen der gegenständlichen Betriebsvereinbarung traten als beinahe wortidentische Regelungen in Konkurrenz mit dem „Einheitlichen Manteltarifvertrag“ und verstießen deshalb gegen die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG. Unter die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG fallen auch Betriebsvereinbarungen, die sich darauf beschränken, eine bestehende tarifvertragliche Regelung unverändert zu übernehmen.
Die Kammer betonte, dass die Vorschrift die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie gewährleisten solle, in dem sie den Tarifvertragsparteien den Vorrang zur Regelung von Arbeitsbedingungen einräume. Diese Befugnis solle nicht dadurch ausgehöhlt werden, dass Arbeitgeber und Betriebsrat ergänzende abweichende Regelungen vereinbaren. Ausgehend von diesem Normzweck könne die Sperrwirkung nicht davon abhängen, ob ein Arbeitgeber tarifgebunden sei oder nicht. Es sei vorrangig Aufgabe der Tarifpartner, Arbeitsbedingungen kollektiv zu regeln. Dem Betriebsrat fehle die Zuständigkeit für Betriebsvereinbarungen, deren Gegenstand tarifüblich oder bereits in Tarifverträgen geregelt sei. Soweit ein Bedürfnis nach betriebsnahen Regelungen bestehe, stünden Firmentarifverträge als kollektives Gestaltungsmittel zur Verfügung – darüber hinaus können ergänzende Betriebsvereinbarungen – auch rückwirkend – durch entsprechende tarifliche Öffnungsklauseln zugelassen werden.
Die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG wurde nach Auffassung der Kammer nicht dadurch rückwirkend beseitigt, dass der Manteltarifvertrag von beiden Tarifvertragsparteien gekündigt worden sei und sich seine Wirkung damit „nur noch“ aus § 4 Abs. 5 TVG ergebe. Zwar sei im Ansatz zutreffend, dass die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. BetrVG nur greife, solange ein Tarifvertrag nach § 4 Abs. 1 TVG Wirkung entfalte. Eine Weitergeltung nach § 4 Abs. 5 TVG bewirke keine Regelungssperre nach dieser Vorschrift. In einem solchen Fall komme aber häufig die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. BetrVG zur Anwendung, da trotz Kündigung des Tarifvertrages noch von einer Tarifüblichkeit der streitgegenständlichen Regelungen auszugehen sei. Ob dies im streitgegenständlichen Fall gegeben war, ließ die Kammer offen. Auch dann, wenn mit dem Kündigungszeitpunkt die Sperrwirkung nach beiden Alternativen des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG entfalle, habe dies nicht zur Folge, dass die streitgegenständliche Betriebsvereinbarung wirksam werde. Nach dem Wortlaut des § 77 Abs. 2 BetrVG greife die Regelungssperre nur dann nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulasse. Dies war hier nicht gegeben. Dem stünde es jedoch nicht gleich, dass die Sperrwirkung bei Kündigung des Tarifvertrages und beim Ende der Tarifüblichkeit sowie einem Verlust der Tariffähigkeit einer Tarifvertragspartei ende. Dies habe nur zur Folge, dass ab diesem Zeitpunkt die Betriebsparteien freiwillige Betriebsvereinbarungen ohne Verstoß gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG abschließen können. Ein Wirksamwerden einer Betriebsvereinbarung für die Vergangenheit sei jedoch in diesen Fällen nicht möglich. Dies gestatte § 77 Abs. 3 BetrVG nach seinem Wortlaut nur bei Vorliegen einer Öffnungsklausel.
Der Beschluss der Kammer ist in sich schlüssig und nachvollziehbar. Da allerdings durch das BAG bisher nicht geklärt ist, welche Rechtsfolgen sich ergeben, wenn die Regelungssperre des § 77 Abs. 3 BetrVG entfällt und keine Öffnungsklausel vorliegt, war die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Das Verfahren ist unter dem Aktenzeichen 1 ABR 75/16 beim BAG anhängig.
Sebastian Fedder
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Es besteht kein Verwertungsverbot im Zivilprozess für einen Zufallsfund anlässlich einer rechtmäßigen verdeckten Videoüberwachung.
Es besteht kein Verwertungsverbot im Zivilprozess für einen Zufallsfund anlässlich einer rechtmäßigen verdeckten Videoüberwachung.
Gegenstand des Verfahrens war die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung einer seit 1998 beschäftigten, stellvertretenden Filialleiterin. Das beklagte Einzelhandelsunternehmen stellte im Jahr 2013 hohe Inventurverluste im Bereich der Warengruppen Tabak/Zigaretten und Nonfood fest. Der Betriebsrat stimmte einer Videoüberwachung des relevanten Bereichs zu. Die befristete Maßnahme richtete sich gegen zwei konkrete Mitarbeiter. Unabhängig davon wurde die Filiale offen videoüberwacht. Bei der verdeckten Videoüberwachung wurde die spätere Klägerin durch Zufall aufgenommen, wie sie im Kassenbereich mehrfach eine sog. Musterpfandflasche über den Scanner zog, wodurch sie eine Auszahlung von EUR 3,25 ermöglichte. Das Unternehmen entschloss sich zur Kündigung. Das Arbeitsgericht sah die dagegen erhobene Klage als begründet. Das Landesarbeitsgericht hob das Urteil auf und wies die Klage ab.
Das BAG hielt die Revision für unbegründet. Die außerordentliche Kündigung sei wirksam. Relativ unproblematisch war die rechtliche Bewertung des Vorwurfs. Nach Ansicht des BAG lag eine schwerwiegende Pflichtverletzung vor, welche den Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung berechtigte. Das BAG vertritt die Ansicht, dass das vorsätzliche Verschaffen von unberechtigten Vermögensvorteilen die Pflichten zur Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber erheblich verletzt. Eigentums- und Vermögensdelikte unmittelbar zulasten des Arbeitgebers sind grundsätzlich geeignet – unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung und der Schadenshöhe – eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Auch eine hohe Betriebszugehörigkeit konnte den Vertrauensbruch in diesem Fall nicht aufwiegen. Als stellvertretende Filialleiterin und Kassiererin wirke dieser besonders schwer.
Äußerst problematisch behandelte das BAG die Frage der Rechtmäßigkeit einer Verwertung der Erkenntnisse aus dem zufällig gewonnenen Videomaterial und die Vernehmung des entscheidenden Zeugenr zu Videoaufnahme sowie die Verwertung der Aussage. Das BAG stellte konkret fest, dass aus dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG weder ein Sachvortrags- noch ein Beweisverwertungsverbot zu folgern ist. Der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG und der Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO gebiete es, den Sachvortrag und die angebotenen Beweismittel zu berücksichtigen. Auch das Bundesdatenschutzgesetz beschränkte das zulässige Parteivorbringen und die gerichtliche Verwertungsbefugnis nicht. Dabei erkannte das BAG durchaus, dass sogar ein unbestrittener Sachvortrag aus Gründen des Grundrechtsschutzes unverwertbar werden kann, wenn die Partei sonst wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts gezwungen wäre, gegen die prozessuale Wahrheitspflicht zu verstoßen.
Im vorliegenden Fall sah das BAG den Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht als gerechtfertigt. Der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung wurde begründet, weshalb das Interesse des Arbeitgebers an der Verarbeitung und Nutzung der Aufnahmen überwiege. Dies gelte auch, wenn der ursprüngliche Anlass für die verdeckte Videoüberwachung ein anderer war als die letztlich sanktionierte Pflichtverletzung.
Videoüberwachung in Betrieben ist seit jeher ein sensibles Thema, welches an Konfliktpotential nicht zu unterschätzen ist. Im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt stehen dem Arbeitgeber theoretisch eine Vielzahl von technischen Möglichkeiten zur lückenlose Überwachung des Arbeitsnehmerverhaltens zur Verfügung. Seitens der Arbeitnehmervertretungen wird daher regelmäßig darauf bestanden, Verhaltenskontrollen weitgehend auszuschließen. Insbesondere geschieht dies im Rahmen von Betriebsvereinbarungen. Regelungen zur (Nicht-) Verwendung von Mitarbeiterdaten finden sich in Vereinbarungen zur Zeiterfassung, Arbeitsmitteln, IT-Software wie z.B. SAP, Telefonanlagen, Dienstreisen und Dienstwagen bis hin zu Türschlossanlagen.
Dem Interesse am Grundrechtsschutz der Mitarbeiter steht ein enormer wirtschaftlicher Schaden für Arbeitgeber aufgrund von Mitarbeiter-Diebstahl und Unterschlagung gegenüber. Laut einer Schätzung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG entstand dadurch deutschen Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern im Jahr 2015 ein Schaden von etwa sieben Milliarden Euro.
Die Entscheidung des BAG im vorliegenden Fall schließt an die bisherige Rechtsprechung an, indem zwar ein Eingriff in den Schutzbereich des pflichtwidrigen Mitarbeiters festgestellt wird, dieser jedoch kein Verwertungsverbot der erlangten Erkenntnisse herbeiführt. Das BAG hält in begründeten Verdachtsfällen auch eine Ermittlung und Verwertung von Erkenntnissen ohne Mitbestimmung und entgegen der bereits durchgeführten Mitbestimmung für zulässig. Die Beweisverwertung im Zivilprozess bestimmt sich nach den allgemeinen Grundsätzen und ist nicht ohne Weiteres ausgeschlossen. Der Arbeitgeber kann in diesem Zusammenhang auch von seinem Notwehrrecht Gebrauch machen, um sich vor strafrechtlich relevantem Verhalten seiner Mitarbeiter zu schützen. Das Bundesdatenschutzgesetz beschneidet nach Ansicht des BAGs dieses Recht nicht.
Eingriffe in die Rechte der Arbeitnehmer auf informationelle Selbstbestimmung sind zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht und andere Erkenntnisquellen ergebnislos ausgeschöpft sind, sodass der Eingriff das letzte verbleibende Mittel darstellt.
Die zufällige Beobachtung eines pflichtwidrigen Verhaltens kann nicht anders beurteilt werden. Soweit die rechtmäßige Videoaufnahme bereits vom Arbeitgeber gesichtet wurde, ist das Wissen um die Tat und der entscheidende Verdacht bereits vorhanden. Es wäre kaum einzusehen, den Gebrauch dieses Wissen zu verbieten und weitere Ermittlungen unmöglich zu machen. Zum Zeitpunkt des Zufallsfunds besteht kein milderes Mittel als die Sichtung der Aufnahme.
Es ist zu begrüßen, dass das BAG seiner Linie in dieser Hinsicht treu bleibt. Vielleicht erspart es manchen Arbeitgebern auf diesem Wege mittelbar den Gang vor die Einigungsstelle.
Hendrik Dankelmann
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BAG, Beschluss vom 21. Februar 2017 – 1 ABR 62/12
Die Parteien streiten über die Frage, ob die Zustimmung des Betriebsrats zur Einstellung einer Krankenschwester zu ersetzen ist. Die Krankenschwester ist Mitglied einer DRK-Schwesternschaft, die im Jahre 2010 mit der Arbeitgeberin des Krankenhauses einen Gestellungsvertrag geschlossen hat. Mit dem Gestellungsvertrag als Grundlage beabsichtigte die Arbeitgeberin, die Krankenschwester zum 1. Januar 2012 in ihrem Krankenhaus einzusetzen. Mit einem Schreiben vom 2. Dezember 2011 verweigerte der Betriebsrat allerdings form- und fristgerecht seine Zustimmung zur geplanten Einstellung, da ihr Einsatz nach § 1 Abs. 1 AÜG eine verbotene, weil dauerhafte Arbeitnehmerüberlassung sei. Das LAG stimmte einem Antrag der Arbeitgeberin zu, die Zustimmung des Betriebsrats zu ersetzen. Rote-Kreuz-Schwestern, die ihre pflegerischen Leistungen aufgrund einer mitgliedschaftlichen Verpflichtung erbringen, seien keine Arbeitnehmer. Aufgrund der fehlenden Arbeitnehmereigenschaft finde das AÜG keine Anwendung.
Die vom Betriebsrat hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde an das BAG war erfolgreich. Der Erste Senat richtete dabei zunächst ein Vorabentscheidungsgesuch an den EuGH, da er nicht zu beurteilen vermochte, ob er die im nationalen Recht geltenden Grundsätze für die Arbeitnehmereigenschaft bei der Anwendung des § 1 Abs. 1 Satz 1 AÜG heranziehen kann oder ob Unionsrecht, insbesondere die Leiharbeitsrichtlinie vom 19. November 2008, diesem Heranziehen entgegensteht. Der EuGH entschied, dass Art. 1 Abs. 1 und 2 der Leiharbeitsrichtlinie vom 19. November 2008 dahin auszulegen sei, dass die durch einen Verein, der keinen Erwerbszweck verfolgt, gegen ein Gestellungsentgelt erfolgende Überlassung eines Vereinsmitglieds an ein entleihendes Unternehmen, damit das Mitglied bei diesem hauptberuflich und unter dessen Leitung gegen eine Vergütung Arbeitsleistungen erbringt, in den Anwendungsbereich der Richtlinie falle, sofern das Mitglied aufgrund dieser Arbeitsleistung in dem betreffenden Mitgliedstaat geschützt ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts sei. Dies gelte auch, wenn das Mitglied nach nationalem Recht kein Arbeitnehmer ist, weil es mit dem Verein keinen Arbeitsvertrag geschlossen hat. Im Hinblick darauf hat der Erste Senat den Zustimmungsersetzungsantrag der Arbeitgeberin abgewiesen. Der Betriebsrat habe die Zustimmung zu Recht verweigert. Bei der Gestellung der DRK-Schwester handele es sich um Arbeitnehmerüberlassung. Aufgrund der gebotenen unionsrechtskonformen Auslegung läge diese auch dann vor, wenn ein Vereinsmitglied gegen Entgelt bei einem Dritten weisungsabhängig tätig ist und dabei einen Schutz genießt, der dem eines Arbeitnehmers entspricht.
BAG, Urteil vom 26. Oktober 2016 – 5 AZR 168/16
Die Parteien streiten über die Vergütung von Umkleide- und innerbetrieblichen Wegezeiten. Die Arbeitskleidung wird von der Beklagten gestellt. Sie darf nach den für die Tätigkeit des Klägers geltenden Hygienevorschriften nicht mit nach Hause genommen werden und ist im Betrieb an- und abzulegen. Hierzu muss der Kläger nach Betreten des Betriebsgeländes die Arbeitskleidung an einer Ausgabestelle abholen, sich in einem Umkleideraum umziehen und anschließend im Bereich der Pforte an einer Stempeluhr, die dazu dient, die Anwesenheit im Betrieb zu registrieren, abstempeln. Nach Schichtende ist der Vorgang in umgekehrter Folge zu absolvieren. Der Kläger erachtet die Umkleide- und die hiermit verbundenen Wegezeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit. Er macht geltend, hierfür in dem Zeitraum vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2014 arbeitstäglich 36 Minuten aufgewendet zu haben, und klagt den entsprechenden Betrag, von EUR 6.219,57 brutto nebst Zinsen, ein. Das Arbeitsgericht spricht dem Kläger nach einer umfassenden Beweisaufnahme, in welcher der Umkleidevorgang einschließlich der zurückzulegenden Wege nachgestellt wurden, eine zusätzliche Vergütung für arbeitstäglich 27 Minuten zu und weist die Klage im Übrigen ab. Die Berufung der Beklagten hiergegen bleibt erfolglos.
Das BAG weist die zugelassene Revision der Beklagten zurück. Zur vergütungspflichtigen Arbeitszeit gehöre nach § 611 Abs. 1 BGB auch das Umkleiden und Zurücklegen der hiermit verbundenen innerbetrieblichen Wege, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibe, die im Betrieb an- und abgelegt werden müsse und er das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz ermögliche, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichte. Auch halte die vorgenommene Schätzung der erforderlichen Umkleide- und Wegezeit durch das Arbeitsgericht nach § 287 Abs. 2 ZPO einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Diese Vorschrift habe zwar keine Auswirkungen auf die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast, sie biete aber Erleichterungen für das Beweismaß und das Verfahren. § 287 Abs. 2 ZPO erlaube damit auch die Schätzung des Umfangs von Erfüllungsansprüchen, wenn unter den Parteien die Höhe der Forderung streitig sei und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände entweder mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten verbunden oder unmöglich sei. Diese Voraussetzungen seien vorliegend gegeben. Mit dem nachgestellten Umkleidevorgang sowie den unstreitig zurückzulegenden innerbetrieblichen Wegen hätten auch ausreichend Anknüpfungstatsachen für die Schätzung vorgelegen.
LAG München, Urteil vom 23. November 2016 – 8 Sa 338/16
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Zustimmung zur Verringerung der Arbeitszeit sowie zur Verteilung der danach verbleibenden Arbeitszeit. Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 31. Juli 1991 als Flugzeugführer angestellt und seit dem 1. März in einem Umfang von 70,41 % der regelmäßigen Vollarbeitszeit, durchgehend teilzeitbeschäftigt. Die einzelnen Teilzeitvereinbarungen waren jeweils befristet. Die letzte Vereinbarung umfasste den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Dezember 2015. Mit Schreiben vom 2. Juli 2015 forderte der Kläger die Beklagte auf, seine bisher im Rahmen der betrieblichen Elternzeit vereinbarte Arbeitszeitreduzierung von 70,41 % bei neuen Freistellungstagen mit den bestehenden Bedingungen zum 1. November 2015 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis gemäß TzBfG umzuwandeln. Gleichzeitig bat er um die Festschreibung bestimmter Freistellungstage. Mit Schreiben vom 17. Juli 2015 bot die Beklagte dem Kläger alternativ ein anderes Teilzeitmodell für den Zeitraum vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2016 an. Dieses Modell wurde vom Kläger abgelehnt. Mit Schreiben vom 27. Juli 2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie lehne die von ihm gewünschte Reduzierung der Arbeitszeit sowie die von ihm beantragte Verteilung der Lage der freien Tage aus dringenden betrieblichen Gründen ab. Seit dem 1. Januar ist der Kläger wieder in Vollzeit tätig. Mit seiner am 21. September 2015 beim Arbeitsgericht München eingegangenen und der Beklagten am 8. Oktober 2015 zugestellten Klage hat der Kläger eine Reduzierung seiner Jahresarbeitszeit sowie im Falle des Obsiegens eine konkrete Verteilung der verbleibenden Arbeitszeit geltend gemacht. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet der Kläger seine Berufung.
Diese wird vom LAG München abgewiesen. Die Erklärung des Klägers stelle kein Verlangen im Sinne des § 8 TzBfG dar, dem die Beklagte hätte zustimmen müssen. Dem Antrag des Arbeitnehmers müsse nicht zugestimmt werden, wenn dieser zwei Monate umfasse, in denen die Arbeitszeit bereits durch frühere (befristete) Vereinbarung auf genau den gewünschten Umfang reduziert war. Der Anspruch auf Festsetzung der Lage der Arbeitszeit stelle nur einen Annex zum Verringerungsanspruch gemäß § 8 TzBfG dar. In der Konsequenz sei ein gegen § 242 BGB verstoßendes missbräuchliches Verhalten anzunehmen, wenn besondere Umstände darauf schließen lassen, dass § 8 TzBfG zweckwidrig dazu genutzt werden soll, unter Inkaufnahme einer lediglich unwesentlichen Verringerung der Arbeitszeit eine bestimmte Arbeitszeitverteilung zu erreichen, auf die sonst kein Anspruch bestünde. Der vorliegende, auch Zeiträume ohne Arbeitszeitverringerung umfassende, Antrag sei insgesamt unbeachtlich. Der Arbeitgeber sei auch nicht aufgrund seiner Fürsorgepflicht gehalten, einem in diesem Sinne fehlerhaften Antrag des Arbeitnehmers mit einem Gegenangebot für den reglungsfähigen und regelungsbedürftigen Zeitraum zu begegnen. Vielmehr sei davon auszugehen, dass § 8 TzBfG die Pflichten des Arbeitgebers aus § 242 BGB insoweit abschließend konkretisiert.
BAG, Urteil vom 02. November 2016 – 10 AZR 419/15
Die Parteien streiten um die Frage, mit welchem zeitlichen Umfang die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger zu beschäftigen. Der Kläger arbeitet seit dem 1. September 2001 für die Beklagte als Cutter. Ein schriftlicher Vertrag wurde nicht geschlossen. Die Zahl der tatsächlichen jährlichen Einsatztage des Klägers schwankte zwischen 106 Tagen im Jahr 2004 und 130 Tagen im Jahr 2013. Ein Einsatztag des Klägers entsprach einem Arbeitstag eines Vollzeitarbeitnehmers. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Umfang seiner vertraglichen Arbeitszeit bestimme sich nach dem Durchschnitt seiner Einsatztage in den letzten drei vollen Kalenderjahren vor Klageerhebung. Den durchschnittlichen jährlichen Einsatztagen seien zudem weitere zehn Einsatztage, die ein Arbeitnehmer in Deutschland laut Angabe des statistischen Bundesamtes durchschnittlich erkrankt sei, und der Urlaub hinzuzuaddieren, den die Beklagte ihren Arbeitnehmern gewähre. Insgesamt ergebe sich so ein Beschäftigungsumfang von 59,28 % einer Vollzeitkraft. Das Arbeitsgericht hatte die Klage insgesamt abgewiesen. Das LAG Berlin-Brandenburg hatte ihr vollumfänglich stattgegeben.
Das BAG hält die Revision der Beklagten, die eine Teilzeitquote von 51,1 % forderte, für unbegründet. Auch das Urteil des LAG, das eine Teilzeitquote von 59,28 % beschlossen hatte, wird aufgehoben. Für die Bestimmung der regelmäßigen vertraglichen Arbeitszeit bei fehlender ausdrücklicher Vereinbarung könne in Ermangelung anderer Anknüpfungspunkte auf das gelebte Rechtsverhältnis als Ausdruck des wirklichen Parteiwillens abgestellt werden. Hierbei entspreche die Referenzmethode am ehesten dem durch tatsächliche Arbeitsleistung geäußerten Parteiwillen, wenn der Beurteilung eine mehrjährig übereinstimmend und ohne entgegenstehende Bekundungen geübte Vertragspraxis zugrunde liege. Dabei sei der Referenzzeitraum so zu bemessen, dass zufällige Ergebnisse ausgeschlossen seien und der aktuelle Stand des Vertragsverhältnisses der Parteien wiedergegeben werde. Die Entscheidung des LAG, es läge eine Teilzeitquote von 59,28 % vor, sei deshalb rechtsfehlerhaft gewesen, da den durch die Referenzmethode ermittelten durchschnittlichen Einsatztagen des Klägers noch die durchschnittlichen Krankheitstage im Referenzzeitraum nach den Informationen des Statistischen Bundesamtes hinzugerechnet wurden. Diese Betrachtung sage weder etwas über das gelebte Arbeitsverhältnis der Parteien noch über deren Willen aus. Allerdings seien bisherige Arbeitsunfähigkeitszeiten grundsätzlich für die Bestimmung der dem Parteiwillen entsprechenden Einsatztage bedeutsam. Da es sich aus dem Vortrag des Klägers aber nicht ergebe, dass im Referenzzeitraum der Jahre 2011 bis 2013 Einsatztage ausgefallen seien, weil er arbeitsunfähig oder krank gewesen sei, seien die ermittelten durchschnittlichen jährlichen Einsatztage daher ohne Berücksichtigung des durchschnittlichen statistischen Krankenstandes den tatsächlichen Einsatztagen einer Vollzeitkraft gegenüberzustellen und ins Verhältnis zu setzen. Hieraus ergebe sich eine Teilzeitquote des Klägers von 54,75 %.
BAG, Urteil vom 18. Januar 2017 – 7 AZR 224/15
Die Parteien streiten um den Anspruch auf Gutschrift von Stunden im Zusammenhang mit Betriebsratstätigkeiten. Der Kläger ist Mitglied des im Betrieb der Beklagten gebildeten Betriebsrats und arbeitet im Dreischichtbetrieb. Er war in der Nacht vom 16. Januar 2013 auf den 17. Januar 2013 für die Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr bei einer Pause von 02:30 Uhr bis 03:00 Uhr eingeteilt. Am 17. Juli 2013 nahm der Kläger von 13:00 Uhr bis 15:30 Uhr an einer Betriebsratssitzung teil. Mit Rücksicht auf diese Betriebsratssitzung stellte er in der vorherigen Nachtschicht seine Arbeit um 02:30 Uhr ein. Ihm wurde für diese Nachtschicht von der Beklagten nur der Zeitraum bis 03:00 Uhr und von 05:00 Uhr bis 06:00 Uhr auf seinem Arbeitskonto gutgeschrieben. Dagegen ging der Kläger vor und verlangte vor Gericht unter anderem die Gutschrift der beiden weiteren Stunden von 03:00 Uhr bis 05:00 Uhr. Die Klage war vor dem LAG Hamm erfolgreich.
Die Klage hatte vor dem BAG Erfolg. Nach § 5 Abs. 1 ArbZG sei dem Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden zu gewähren. Es könne dahinstehen, ob die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit Arbeitszeit im Sinne von § 2 Abs. 1 ArbZG sei und § 5 Abs. 1 ArbZG deshalb Anwendung finde. Jedenfalls sei bei der Beurteilung, ob dem Betriebsratsmitglied in einer solchen Situation die Fortsetzung der Arbeit in der Nachtschicht wegen der bevorstehenden Betriebsratstätigkeit unzumutbar sei, die Wertung des § 5 Abs. 1 ArbZG zu berücksichtigen. Zudem seien gemäß § 37 Abs. 2 BetrVG Mitglieder des Betriebsrates auch dann von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung ihres Arbeitsentgelts zu befreien, wenn eine außerhalb der Arbeitszeit liegende erforderliche Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar gemacht habe. Ausgehend davon sei dem Kläger die Erbringung der Arbeitsleistung am 17. Juli 2013 jedenfalls ab 03:00 Uhr wegen der um 13:00 Uhr beginnenden Betriebsratssitzung unzumutbar gewesen, weil ihm bei Fortsetzung seiner Arbeit zwischen den Arbeitsschichten keine durchgehende Erholungszeit von elf Stunden zur Verfügung gestanden hätte. Da über eine weitere Klageforderung nicht abschließend entschieden werden konnte, wurde die Sache insoweit an das LAG zurückverwiesen.
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