29.08.2017
Am 6. Juli 2017 ist das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) in Kraft getreten. Ziel des „Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern“ ist es, den messbaren Entgeltunterschied bei gleicher Qualifikation zwischen Mann und Frau von 7 % in 2015 auszugleichen (so die BT-Drucks.18/11133). Für die betroffenen Unternehmen stellt sich die Frage, welche Maßnahmen zur Umsetzung des Gesetzes ergriffen werden müssen.
Am 6. Juli 2017 ist das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) in Kraft getreten. Ziel des „Gesetzes zur Förderung der Entgelttransparenz zwischen Frauen und Männern“ ist es, den messbaren Entgeltunterschied bei gleicher Qualifikation zwischen Mann und Frau von 7 % in 2015 auszugleichen (so die BT-Drucks.18/11133). Für die betroffenen Unternehmen stellt sich die Frage, welche Maßnahmen zur Umsetzung des Gesetzes ergriffen werden müssen.
Mit dem Entgelttransparenzgesetz wird ein Entgeltgleichheitsgebot für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gesetzlich verankert. Von dem Gesetz sind insbesondere größere Unternehmen betroffen. Beschäftigte in Betrieben ab 200 Beschäftigten haben zukünftig einen Auskunftsanspruch, Unternehmen ab 500 Beschäftigte treffen Berichtspflichten und die Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Prüfverfahrens.
Für alle Arbeitnehmer wird das Prinzip gleiches Entgelt für gleiche Arbeit gesetzlich festgeschrieben (§ 7 EntgTranspG). Das Gesetz gibt den Arbeitnehmern einen Anspruch auf die Zahlung des Entgelts, das zu zahlen gewesen wäre, wenn keine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung beim Entgelt aufgrund des Geschlechts vorgelegen hätte (§ 7 EntgTranspG). Eine Bestimmung in einer Vereinbarung, die gegen das Entgeltgleichheitsgebot verstößt, ist nach § 8 Abs. 1 EntgTranspG unwirksam.
Das Gebot der Entgeltgleichheit bezieht sich auf gleiche oder gleichwertige Arbeit. Diese Begriffe sind in § 4 Abs. 1 und Abs. 2 legaldefiniert. Das Gesetz geht von gleicher oder gleichwertiger Arbeit aus, wenn die Beschäftigten unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Zu den zu berücksichtigen Faktoren gehören unter anderem die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen, wobei es auf die tatsächlichen und für die jeweilige Tätigkeit wesentlichen Anforderungen unabhängig von der Leistung der betroffenen Mitarbeiter ankommt. Die Ermittlung, welche Arbeit gleich oder gleichwertig im Sinne des Gesetzes ist, wird eine Aufgabe an die Praxis, für die die bisherige Rechtsprechung des BAG und des EuGH erste Anhaltspunkte bieten (vgl. BAG, Urteil vom 26. Januar 2005 – 4 AZR 509/03; EuGH, Urteil vom 11. Mai 1999 – C-309/97).
Arbeitnehmer, deren Vergütung gegen das Entgeltgleichheitsgebot verstößt, können bis zur Grenze der Verjährung die Differenz zwischen ihrer vereinbarten Vergütung und der unter Berücksichtigung der Entgeltgleichheit zu zahlenden Vergütung geltend machen. Praktisch stellt das Gesetz Arbeitnehmer wie Arbeitgeber jedoch vor die Frage, wie hoch die nach dem Entgeltgleichheitsgebot zu zahlende Vergütung ist.
Während das Entgeltgleichheitsgebot für alle Arbeitnehmer gilt, erhalten nur Beschäftigte in Betrieben mit in der Regel mehr als 200 Beschäftigten bei demselben Arbeitgeber einen Auskunftsanspruch (§ 12 Abs. 1 EntgTranspG). Beschäftigte im Sinne des Gesetzes sind nach der Legaldefinition in § 5 Abs. 2 EntgTranspG alle Arbeitnehmer sowie die Auszubildenden und die in Heimarbeit Beschäftigten sowie die ihnen Gleichgestellten.
Für die Zahl der Beschäftigten knüpft das Gesetz an den Betrieb an, schränkt dies aber dadurch ein, dass die Beschäftigten bei demselben Arbeitnehmer beschäftigt sein müssen. Zu denken ist hierbei an die Beschäftigten in einem Gemeinschaftsbetrieb von zwei Unternehmen. In diesem Fall sind nur die Arbeitnehmer des jeweils eigenen Arbeitgebers zu zählen und nur dann, wenn diese Arbeitnehmer den Schwellenwert von 200 Arbeitnehmer übersteigen, besteht ein Auskunftsanspruch nach dem EntgTranspG. Die Formulierung wirft die Frage auf, ob Leiharbeitnehmer oder freie Mitarbeiter bei der Berechnung des Schwellenwertes mit einzurechnen sind, da das Gesetz auf die Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber abstellt. Da insbesondere bei Leiharbeitnehmern der Vertragsarbeitgeber ein anderer ist und den Besonderheiten des Leiharbeitsverhältnisses durch die Regelungen des Equal Pay-Grundsatzes gemäß § 9 Nr. 1 und § 10 Abs. 4 AÜG Rechnung getragen wird, ist es konsequent, Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb unberücksichtigt zu lassen.
Der Auskunftsanspruch des Arbeitnehmers umfasst das durchschnittliche monatliche Bruttoentgelt und bis zu zwei einzelne Entgeltbestandteile (§ 10 Abs. 1 Satz 3 EntgTranspG). Der Anspruch beinhaltet auch die Auskunft über die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung des eigenen Entgelts sowie des Entgelts für die Vergleichstätigkeit. Das Vergleichsentgelt ist anzugeben als auf Vollzeitäquivalente hochgerechneter statistischer Median des durchschnittlichen Bruttoentgelts sowie, falls vom Arbeitnehmer geltend gemacht, der benannten Entgeltbestandteile, jeweils bezogen auf ein Kalenderjahr. Für die Ermittlung des statistischen Median ist in einem ersten Schritt das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt der Arbeitnehmer des anderen Geschlechts zu ermitteln. Sodann ist aus diesen errechneten durchschnittlichen Bruttomonatsgehältern der statistische Median, also der Wert zu ermitteln, der an mittlerer Stelle steht, wenn die Bruttoentgelte der Vergleichsgruppe der Größe nach sortiert werden.
Besonderheiten gelten für Arbeitgeber, die an die einschlägigen Entgelttarifverträge nach dem Tarifvertragsgesetz gebunden sind (§ 5 Abs. 4 EntgTranspG) oder als tarifanwendende Arbeitgeber im Sinne des Gesetzes diese aufgrund einer schriftlichen Bezugnahmeklausel anwenden (§ 5 Abs. 5 EntgTranspG). Tarifgebundene und tarifanwendende Arbeitgeber können bei den Angaben über die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung auf den Tarifvertrag verweisen (vgl. §§ 5 Abs. 3, 11 Abs. 2 EntgTranspG). Dies ist eine Erleichterung gegenüber tariffreien Arbeitgebern, die die Kriterien und Verfahren der Entgeltfindung – bezogen auf das durchschnittliche monatliche Bruttoarbeitsentgelt und gegebenenfalls die zwei vom Arbeitnehmer benannten Entgeltbestandteile – im Einzelnen beschreiben müssen. Eine weitere Abweichung für tarifgebundene und tarifanwendende Arbeitgeber besteht darin, dass diese für die Vergleichstätigkeit alle Beschäftigten des anderen Geschlechts zu Grunde legen, die in dieselbe Entgeltgruppe wie der Auskunft begehrende Beschäftigte eingruppiert sind.
Ein Auskunftsanspruch ist ausgeschlossen, wenn die Vergleichstätigkeit von weniger als sechs Beschäftigten des anderen Geschlechts ausgeübt wird (§ 12 Abs. 3 Satz 2 EntgTranspG), da ansonsten Rückschlüsse auf das konkrete Entgelt anderer Arbeitnehmer möglich wären, was datenschutzrechtlich bedenklich wäre. Zudem ist der Anspruch ausgeschlossen, wenn unterschiedliche Entgeltregelungen ihren Grund in unterschiedlichen Regionen haben (§ 12 Abs. 2 Nr. 2 EntgTranspG). Ein Anspruch besteht darüber hinaus nur alle zwei Jahre (§ 10 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG). Abweichend hiervon kann ein zusätzlicher Auskunftsanspruch geltend gemacht werden, wenn der Arbeitnehmer darlegt, dass sich die Voraussetzungen wesentlich geändert haben. Eine Besonderheit gilt für die erstmalige Geltendmachung ab dem 6. Januar 2018: Wird der Auskunftsanspruch ab dem 6. Januar 2018 innerhalb von drei Jahren erstmalig geltend gemacht, kann die Auskunft erneut erst nach Ablauf von 3 Kalenderjahren verlangt werden (§ 25 Abs. 1 S. 2 EntgTranspG).
Das Auskunftsverlangen muss in Textform geltend gemacht werden (§ 10 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG). Der Arbeitnehmer soll seine Vergleichsgruppe angeben, mit der sein Arbeitsentgelt verglichen werden soll. Dazu soll er die Arbeitnehmer benennen, die aus seiner Sicht die Vergleichsgruppe bilden und darlegen, warum er der Meinung ist, dass die Tätigkeiten gleich oder gleichwertig sind. Der Arbeitgeber muss die Auskunft nur bei vergleichbaren Tätigkeiten erteilen. Der Arbeitgeber hat die Auskunft innerhalb von drei Monaten ebenfalls in Textform zu beantworten. Hält der Arbeitgeber die angegebenen Tätigkeiten für nicht gleich oder für nicht gleichwertig, muss er dies nachvollziehbar begründen, wobei die in § 4 EntgTranspG genannten Kriterien zu berücksichtigen sind ( § 15 Abs. 4 Satz 2 EntgTranspG).
Für die Anspruchsvoraussetzungen des Auskunftsanspruchs ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig. Ob eine Beweislastumkehr zulasten des Arbeitgebers stattfindet, richtet sich nach der Antwort des Arbeitgebers: Wenn der Arbeitgeber die Tätigkeit der von dem Arbeitnehmer benannten Vergleichsgruppe für nicht vergleichbar hält und seinerseits eine andere Vergleichsgruppe benennt oder mitteilt, dass es weniger als 6 Vergleichspersonen des jeweils anderen Geschlechts gibt, findet keine Beweislastumkehr statt. Der Arbeitnehmer muss im Prozess darlegen und gegebenenfalls beweisen, warum die von ihm behauptete Vergleichsgruppe korrekt ist. Verweigert der Arbeitgeber die Auskunft, findet eine Beweislastumkehr statt und der Arbeitgeber muss beweisen, dass ein niedrigeres Gehalt im Vergleich zur Vergleichsgruppe nicht auf einer Geschlechterdiskriminierung beruht (vgl. § 15 Abs. 5 EntgTranspG).
Ist ein Betriebsrat gebildet, ist dieser nach § 14 Abs. 1 EntgTranspG regelmäßig Ansprechpartner der Arbeitnehmer. Der Betriebsrat hat zur Erfüllung des Auskunftsverlangens seinerseits einen eingeschränkten Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber und kann entsprechend §§ 28, 80 Abs. 2 BetrVG Einsicht in die Entgeltlisten nehmen. Für die Auskunft durch den Betriebsrat gelten die gleichen Anforderungen wie für den Arbeitgeber. Der Betriebsrat kann verlangen, dass der Arbeitgeber die Auskunftspflicht übernimmt (§ 14 Abs. 1 Satz 4 EntgTranspG). Zudem kann der Arbeitgeber eine Entscheidung darüber treffen, wer den Auskunftsanspruch generell oder in bestimmten Fällen erfüllt (§ 14 Abs. 2 EntgTranspG). Der Arbeitgeber kann daher auch bestimmte Gruppen von Beschäftigten übernehmen, z.B. außertariflich Beschäftigte. Der Arbeitgeber hat bei der Übernahme der Erfüllung der Auskunftsverpflichtung gegenüber dem Betriebsrat eine Erläuterungspflicht hinsichtlich der Gründe der Entscheidung.
Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten sind verpflichtet, mindestens alle fünf Jahre ihre Entgeltregelungen daraufhin zu überprüfen, ob diese das Entgeltgleichheitsgebot einhalten. Hierzu haben sie ein betriebliches Prüfverfahren durchzuführen (§ 17 Abs. 1 EntgTranspG), das der Bestandsaufnahme dient. Die Durchführung des betrieblichen Prüfverfahrens ist fakultativ. Wenn der Arbeitgeber dies unterlässt, sind daran keine rechtlichen Konsequenzen geknüpft.
Der Betriebsrat hat kein zwingendes Mitbestimmungsrecht und kann den Arbeitgeber daher nicht zwingen, ein Prüfverfahren durchzuführen. Der Betriebsrat hat jedoch nach § 20 Abs. 1 EntgTranspG ein Informationsrecht über die Durchführung des Prüfverfahrens. Zudem stehen dem Betriebsrat im Hinblick auf das Prüfverfahren die Rechte aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zu. Wird ein Prüfverfahren durchgeführt, kann der Mitbestimmungstatbestand im Hinblick auf Regelungen der Lohngestaltung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 und Nr. 11 BetrVG betroffen sein. Die konkrete Ausgestaltung des Prüfverfahrens kann durch Betriebsvereinbarung geregelt werden, die aber nicht außer Acht lassen sollte, dass das Prüfverfahren nicht verpflichtend ist. Etwaige Maßnahmen, die zur Beseitigung von Benachteiligungen ergriffen werden sollen (§ 19 EntgTranspG) werden jedoch regelmäßig mitbestimmungspflichtig sein.
Arbeitgebern mit in der Regel mehr als 500 Beschäftigten, die nach §§ 264, 289 HGB lageberichtspflichtig sind, müssen einen Bericht zur Gleichstellung und Entgeltgleichheit in ihrem Unternehmen veröffentlichen (§ 21 EntgTranspG). Der Bericht hat die Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung und zur Herstellung der Entgeltgleichheit für Frauen und Männer darzustellen. Konkret sind darüber hinaus statistische Angaben zur durchschnittlichen Anzahl der Beschäftigten und zur durchschnittlichen Zahl der Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten anzugeben, die geschlechterspezifisch aufzuschlüsseln sind. Falls der Arbeitgeber keine Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung und zur Herstellung der Entgeltgleichheit für Frauen und Männer durchführt, hat der Arbeitgeber dies zu begründen. Das Unterlassen solcher Maßnahmen setzt den Arbeitgeber daher faktisch unter Rechtfertigungsdruck. Der Bericht ist dem Lagebericht als Anlage beizufügen, ist allerdings kein Bestandteil des Lageberichts und unterliegt daher auch nicht an die Regelungen des HGB und die mit dem Lagebericht verbundenen Rechtsfolgen.
Der Auskunftsanspruch kann erstmals ab dem 6. Januar 2018 geltend gemacht werden. Auch die Berichtspflicht besteht erstmals im Jahr 2018. Arbeitgeber müssen sich daher in den nächsten Monaten auf die Pflichten nach dem Entgelttransparenzgesetz einstellen.
Martina Ziffels |
Das im Jahr 2015 in Kraft getretene Tarifeinheitsgesetz (TEG) stellt das wohl aufsehenerregendste und umstrittenste Gesetzgebungsvorhaben im Bereich des Arbeitsrechts der letzten Jahre dar. Mit dem Gesetz wollte die Bundesregierung den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb („ein Betrieb, ein Tarifvertrag“) – in modifizierter Form – wiederherstellen. Stein des Anstoßes war die Aufgabe der richterrechtlich entwickelten Tarifeinheit im Jahr 2010 durch das BAG (BAG, Urt. v. 7.7.2010 – 4 AZR 549/08). Offizielles Ziel des neu eingeführten § 4a TVG ist die Verhinderung bzw. Auflösung von Tarifkollisionen zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und damit die Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens (siehe Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/4062, S. 1). Zugleich dient das Gesetz aber auch – indirekt – der Eindämmung der als ausufernd empfundenen Streiks durch Gewerkschaften bestimmter Berufsgruppen wie z.B. Lokführer oder Piloten; denn diese verfügen aufgrund ihrer Schlüsselstellung im betrieblichen Ablauf im Verhältnis zu ihrer insgesamt geringen Anzahl über ein besonderes großes Arbeitskampfpotenzial.
Das im Jahr 2015 in Kraft getretene Tarifeinheitsgesetz (TEG) stellt das wohl aufsehenerregendste und umstrittenste Gesetzgebungsvorhaben im Bereich des Arbeitsrechts der letzten Jahre dar. Mit dem Gesetz wollte die Bundesregierung den Grundsatz der Tarifeinheit im Betrieb („ein Betrieb, ein Tarifvertrag“) – in modifizierter Form – wiederherstellen. Stein des Anstoßes war die Aufgabe der richterrechtlich entwickelten Tarifeinheit im Jahr 2010 durch das BAG (BAG, Urt. v. 7.7.2010 – 4 AZR 549/08). Offizielles Ziel des neu eingeführten § 4a TVG ist die Verhinderung bzw. Auflösung von Tarifkollisionen zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie und damit die Ordnung und Befriedung des Arbeitslebens (siehe Gesetzesbegründung, BT-Drucks. 18/4062, S. 1). Zugleich dient das Gesetz aber auch – indirekt – der Eindämmung der als ausufernd empfundenen Streiks durch Gewerkschaften bestimmter Berufsgruppen wie z.B. Lokführer oder Piloten; denn diese verfügen aufgrund ihrer Schlüsselstellung im betrieblichen Ablauf im Verhältnis zu ihrer insgesamt geringen Anzahl über ein besonderes großes Arbeitskampfpotenzial.
Zu diesem Zweck enthält § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG eine Kollisionsregelung für sich in ihrem Geltungsbereich überschneidende nicht inhaltsgleiche Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften in einem Betrieb. In einem solchen Fäll verdrängt derjenige Tarifvertrag, der von der die Mehrheit der Mitarbeiter repräsentierenden Gewerkschaft geschlossen wurde, denjenigen der Minderheitsgewerkschaft. Insofern unterscheidet sich die neu eingeführte gesetzliche Tarifeinheit von der Rechtslage vor 2010; bis dahin löste das Bundesarbeitsgericht derartige Konstellationen nämlich nicht nach dem Mehrheits-, sondern nach dem Spezialitätsprinzip auf, d.h. es setzte sich derjenige Tarifvertrag durch, der dem Betrieb räumlich und fachlich am nächsten stand (z.B. Vorrang des Firmentarifvertrags vor dem Verbandstarifvertrag).
Als Ausgleich für die nun eingeführte Verdrängung des Tarifvertrags der Minderheitsgewerkschaft soll u.a. ein Recht der Minderheitsgewerkschaft auf Nachzeichnung des Mehrheitstarifvertrags dienen (§ 4a Abs. 4 TVG). Flankiert wird dies durch die Pflicht des Arbeitgebers zur Bekanntmachung von Tarifverhandlungen und zur Anhörung der Minderheitsgewerkschaft (§ 4a Abs. 5 TVG). Ferner sieht das TEG auch Änderungen im ArbGG vor, u.a. die Neueinführung eines Abs. 3 in § 58 ArbGG; danach soll bei der Ermittlung der Zahlen der Gewerkschaftsmitglieder, die zur Bestimmung der Mehrheitsverhältnisse nötig wird, Beweis durch öffentliche Urkunden angetreten werden dürfen, sodass etwa ein Notar dies klären kann, ohne die Zahlen insgesamt offen legen zu müssen.
Von Anfang an stellte sich die Frage, ob der Verlust des Rechts zum Abschluss wirksamer Tarifverträge mit der Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaften aus Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar ist. Derartige Bedenken hatte auch bereits das Bundesarbeitsgericht bei seiner Rechtsprechungsänderung geäußert. Insofern war abzusehen, dass zahlreiche der betroffenen Berufsgruppengewerkschaften unmittelbar nach Inkrafttreten Verfassungsbeschwerde gegen das TEG erheben würden.
Das Bundesverfassungsgericht billigte nun mit Urteil vom 11. Juli 2017 (1 BvR 1571/15 u.a.) das TEG in wesentlichen Punkten. Gleichwohl hielt es das Gesetz in einem – zentralen – Punkt für verfassungswidrig und verpflichtete den Gesetzgeber zur Nachbesserung bis Ende 2018. Im Ergebnis räumt das Gericht dem Gesetzgeber für den vorliegend betroffenen Bereich der Arbeits- und Wirtschaftsordnung einen weiten Gestaltungsspielraum ein. Zwar stellt das TEG einen Eingriff in die Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaften dar, doch ist dieser im Wesentlichen verhältnismäßig, da er dem Schutz der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie im Allgemeinen dient. Im Rahmen der Rechtfertigung des Eingriffs liegt ein Argumentationsstrang des Bundesverfassungsgerichts in der einschränkenden Auslegung der Verdrängungswirkung des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG, während der zweite darin besteht, die Regelungen für die Kompensation des Verlusts des eigenen Tarifvertrags möglichst weit zu interpretieren.
So kann etwa, sofern alle betroffenen Tarifvertragsparteien dem zustimmen, auf die Verdrängungswirkung einvernehmlich verzichtet werden, sie ist mithin (tarif-)dispositiv. Zudem lebt der verdrängte Tarifvertrag wieder automatisch auf, sobald der Mehrheitstarifvertrag endet. Ferner soll ein besonderer Bestandsschutz für langfristig angelegte Leistungen, auf deren Erhalt sich die Begünstigten in ihrer Lebensplanung typischerweise einstellen, bestehen, sodass die Verdrängungswirkung beispielsweise für Leistungen zur Alterssicherung oder Arbeitsplatzgarantien nicht gilt. Auch darf das TEG keine Auswirkungen auf das Arbeitskampfrecht haben: Streiks dürften von den Arbeitsgerichten also nicht deswegen als rechtswidrig bewertet werden, weil sie auf einen Tarifvertrag abzielen, der sodann ggf. verdrängt wird. Des Weiteren misst das Bundesverfassungsgericht den – in der Tat recht „zahnlosen“ – Verfahrensvorschriften der Bekanntmachungs- und Anhörungspflicht den Charakter von Tatbestandsvoraussetzungen für ein Eintritt der Verdrängungswirkung zu. Und schließlich legt das Gericht das Nachzeichnungsrecht der Minderheitsgewerkschaft weit aus und beschränkt es nicht nur auf den Bereich der Überschneidung des eigenen mit dem Mehrheitstarifvertrag, sondern erstreckt es auf letzteren insgesamt.
Dennoch hält das Bundesverfassungsgericht das TEG teilweise für verfassungswidrig. Zum angemessenen Schutz der Koalitionsfreiheit der Minderheitsgewerkschaften und ihrer Mitglieder „bedarf es Vorkehrungen, die strukturell darauf hinwirken, dass die Interessen der von der Verdrängung betroffenen Berufsgruppe im Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft wirksam berücksichtigt werden. […] An solchen Regelungen fehlt es. Der Gesetzgeber hat keine Vorkehrungen getroffen, die kleinere Berufsgruppen in einem Betrieb davor schützen, der Anwendung eines Tarifvertrags ausgesetzt zu werden, der unter Bedingungen ausgehandelt wurde, in denen ihre Interessen strukturell nicht zur Geltung kommen konnten.“ Der Gesetzgeber hat die Regelungen daher bis zum 31. Dezember 2018 entsprechend zu überarbeiten. Währenddessen bleibt das Gesetz gleichwohl in Kraft, allerdings mit der Maßgabe, dass die Arbeitsgerichte die verdrängende Wirkung des § 4a Abs. 2 Satz 2 TVG nur in solchen Fällen anwenden dürfen, in denen plausibel dargelegt ist, dass die Mehrheitsgewerkschaft die Interessen der von der Minderheitsgewerkschaft repräsentieren Berufsgruppen ernsthaft und wirksam in ihrem Tarifvertrag berücksichtigt hat. Dies soll u.a. dann der Fall sein, wenn die Berufsgruppen zu einem bestimmten Mindestmaß auch in der Mehrheitsgewerkschaft organisiert sind oder die Satzung der Mehrheitsgewerkschaft Vorkehrungen zur verbandsinternen Berücksichtigung der berufsgruppenspezifischen Interessen enthält.
Der Umgang mit dem Urteil wird sich bis zu einer gesetzlichen Neuregelung schwierig gestalten. Denn es ist alles andere als klar, wann die Arbeitsgerichte nach den soeben genannten Vorgaben eine Verdrängungswirkung annehmen werden und wann nicht. Aber auch der Gesetzgeber selbst wird erhebliche Probleme haben, den Forderungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht zu werden und eine verhältnismäßige sowie zugleich praktikable Regelung zu schaffen, ohne sich dabei in den Bereich der Tarifzensur zu begeben. Der Rechtsanwender wird sich deshalb – ganz nach dem Motto „bad law makes good contracts“ (Greiner, NZA 2015, S. 769 [778]) – schon aus eigenem Interesse die Frage stellen (müssen), wie er dem Anwendungsbereich des § 4a TVG so weit wie möglich aus dem Weg gehen kann. Aber nicht immer werden sich beispielsweise inhaltsgleiche Tarifverträge abschließen lassen; und auch eine einvernehmliche Nichtanwendung der Verdrängungswirkung wird in der tarifpolitischen Praxis eher unwahrscheinlich sein, jedenfalls sofern die Mehrheitsverhältnisse relativ deutlich sind.
Positiv hervorzuheben ist indes, dass das Urteil in vielen einzelnen Auslegungsfragen für eine gewisse Klärung sorgt. Die Aussagen zum Arbeitskampfrecht sind ebenfalls relativ deutlich, allerdings dahingehend, dass sich Streiks nicht mit dem Argument der Unanwendbarkeit des zu erkämpfenden Tarifvertrags infolge seiner Verdrängung gerichtlich untersagen lassen werden. Eine unmittelbare Eindämmung von Streiks von Berufsgruppengewerkschaften wird das Gesetz also nicht bewirken. Ob es deren Macht insgesamt jedoch zumindest langfristig beschränken kann oder eher sogar für noch stärkere „Häuserkämpfe“ um die Mehrheitsstellung im Betrieb sorgen wird, muss sich noch zeigen. Je nach den betrieblichen und tarifpolitischen Verhältnissen können die Auswirkungen auf einzelne Unternehmen daher sehr unterschiedlich ausfallen.
Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück |
Dr. Paul Gooren, LL.M. (Chicago)
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Der 10. Senat des BAG möchte die Auffassung vertreten, dass Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des § 106 GewO eine unbillige Weisung des Arbeitgebers auch dann nicht befolgen müssen, wenn keine dementsprechende rechtskräftige Entscheidung der Arbeitsgerichte vorliegt.
Der 10. Senat des BAG möchte die Auffassung vertreten, dass Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des § 106 GewO eine unbillige Weisung des Arbeitgebers auch dann nicht befolgen müssen, wenn keine dementsprechende rechtskräftige Entscheidung der Arbeitsgerichte vorliegt.
Der Kläger ist seit dem Jahr 2001 bei der Beklagten bzw. den Rechtsvorgängerinnen beschäftigt. Der als Immobilienkaufmann am Standort Dortmund eingesetzte Kläger währte sich zunächst erfolgreich gegen eine Kündigung vor Gericht. Im Anschluss versetzte ihn sein Arbeitgeber mit der Begründung, dass Mitarbeiter der Beklagten eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger ablehnten an den Standort Berlin. Eine Beschäftigungsmöglichkeit in Dortmund außerhalb dieses Teams bestehe nicht. Der Kläger nahm die Tätigkeit in Berlin nicht auf, woraufhin ihn die Beklagte abmahnte. Nach einer weiteren Abmahnung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos. Mit seiner Klage möchte der Kläger festgestellt wissen, dass er nicht verpflichtet war, der Weisung am Standort Berlin tätig zu werden, Folge zu leisten. Des Weiteren begehrt er die Entfernung der Abmahnungen aus seiner Personalakte. In einem weiteren Verfahren wendet er sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung. Die Vorinstanzen hatten der Klage stattgegeben. Die Beklagte legte gegen das Urteil des LAG Revision ein.
Über die Revision der Beklagten kann noch nicht entschieden werden. Hintergrund ist, dass der 10. Senat des BAG von der bisher vertretenen Auffassung des 5. Senats zur Nichtbefolgung von unbilligen Weisungen abweichen möchte. Im Einzelnen: Nach Auffassung des BAG ist die vom LAG vertretene Auffassung, dass die Versetzung des Klägers von Dortmund nach Berlin nicht billigem Ermessen entspricht, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Vorinstanzen entschieden, dass die Versetzung des Klägers von Dortmund nach Berlin unbillig sei, da es sich um eine Maßnahme von intensivem Ausmaß handele. Dies ergebe sich vor allem daraus, dass aufgrund der weiten Entfernung zwischen Berlin und dem Wohnort des Arbeitnehmers zwangsläufig eine Veränderung des Lebensmittelpunktes für die Zeit des Einsatzes geboten war. Zu betrieblichen Interessen, denen Vorrang einzuräumen wäre, hätte die Beklagte nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. Allerdings möchte der 10. Senat entgegen der bisherigen Rechtsauffassung des 5. Senats des BAG vertreten, dass der Arbeitnehmer der unbilligen Weisung nicht Folge leisten müsse. Bisher vertritt der 5. Senat die Auffassung, dass sich ein Arbeitnehmer über eine unbillige Weisung, die nicht aus anderen Gründen unwirksam sei, nicht hinwegsetzen dürfe, solange keine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung vorliege, die deren Unwirksamkeit feststelle. Daher fragt der 10. Senat den 5. Senat mit seinem Beschluss vom 14. Juni 2017, ob er an seiner Auffassung festhält, da er die Auffassung vertreten möchte, dass Arbeitnehmer einer unbilligen Weisung des Arbeitgebers nicht – auch nicht vorläufig – folgen muss.
Eine inhaltliche Entscheidung, ob Arbeitnehmer einer unbilligen Weisung folgen müssen oder nicht, ist bisher noch nicht gefallen. Diese wird erst dann getroffen werden können, wenn der 5. Senat kraft Beschlusses von seiner bisherigen Rechtsauffassung abweicht. Hält der 5. Senat jedoch an seiner Ansicht fest, muss der große Senat des BAG kraft Beschluss entscheiden, wie die Rechtsfrage künftig zu behandeln sein wird (§ 45 Abs. 3 Satz 1 ArbGG). Sollte sich der 5. Senat der Auffassung des 10. Senats anschließen, ergäben sich in der Praxis weitreichende Risiken für Arbeitgeber. Arbeitgeber müssten bereits im Vorfeld die Billigkeit ihrer Weisungen prüfen. Gerade bei Weisungen, die auf komplexen Interessenabwägungen basieren, dürfte sich die Feststellung der Billigkeit der Weisung als besonders herausfordernd darstellen. Das Risiko der Unbilligkeit der Weisungen würde somit nicht mehr beim Arbeitnehmer liegen, sondern auf den Arbeitgeber übertragen werden. Folge wäre, dass Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten, auch wenn Arbeitnehmer einer unbilligen Weisung nicht Folge leisten. Zudem könnte eine Abmahnung und/oder eine Kündigung wegen Arbeitsverweigerung im Nachhinein unwirksam sein.
Bis eine Entscheidung über die Rechtsfrage getroffen wird, sollten Arbeitgeber vor Gebrauch ihres Weisungsrechts besonders sorgfältig prüfen, wie groß das Risiko ist, dass die Weisung unbillig sein könnte und welche Auswirkungen dies möglicherweise haben könnte.
Dr. Anna Schnitzer |
Nach der Europäischen Betriebsübergangsrichtlinie ist es zulässig, dass sich eine zwischen den Parteien vereinbarte dynamische Verweisung auch auf solche Kollektivverträge bezieht, die nach einem Betriebsübergang abgeschlossen, ergänzt, geändert oder ersetzt werden. Voraussetzung dafür ist, dass das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht.
Nach der Europäischen Betriebsübergangsrichtlinie ist es zulässig, dass sich eine zwischen den Parteien vereinbarte dynamische Verweisung auch auf solche Kollektivverträge bezieht, die nach einem Betriebsübergang abgeschlossen, ergänzt, geändert oder ersetzt werden. Voraussetzung dafür ist, dass das nationale Recht sowohl einvernehmliche als auch einseitige Anpassungsmöglichkeiten für den Erwerber vorsieht.
Die klagenden Arbeitnehmer waren ursprünglich in kommunalen Krankenhäusern beschäftigt. Die Krankenhäuser wurden in den Jahren 1995 bzw. 2002 in eine privatrechtlich organisierte GmbH umgewandelt bzw. auf eine solche GmbH übertragen. Im ersten Fall wurde im Jahre 1997 der Betriebsteil, in dem ein Kläger beschäftigt war, auf eine weitere privatrechtlich organisierte GmbH übertragen. In beiden Fällen wurden im Zusammenhang mit der Übertragung die jeweiligen arbeitsvertraglichen dynamischen Verweisungen auf die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes (BMT-G II) von den jeweiligen nicht tarifgebundenen Arbeitgebern erneut vereinbart bzw. bestätigt. Die Krankenhäuser bzw. Gesellschaften, in denen die Kläger beschäftigt waren, wurden schließlich an verschiedene Gesellschaften der Asklepios-Gruppe übertragen.
In den Ausgangsverfahren (LAG Hessen, Urteil vom 25. März 2014 – 8 Sa 1150/13 und LAG Sachsen, Urteil vom 24. März 2015 – 1 Sa 541/14 ) beriefen sich die beiden Kläger auf die Geltung des BMT-G II sowie weitere Bestimmungen des TVöD nebst ergänzender Bestimmungen aufgrund der „dynamischen“ Verweisungsklausel.
Im Hinblick auf die früheren Entscheidungen des EuGH in den Sachen Werhof (EuGH, Urteil vom 9. März 2006 – C-499/04) sowie Alemo-Herron (EuGH Urteil vom 18. Juli 2013 – C-426/11) zur Einschränkung der dynamischen Verweisung, sah sich das BAG veranlasst, die sich aus den vorbezeichneten EuGH Urteilen ergebenden Konsequenzen für die Auslegung dynamischer Verweisungsklauseln klären zu lassen.
Der EuGH hat entgegen seiner bisherigen Rechtsauffassung nunmehr entschieden, dass die Europäische Betriebsübergangsrichtlinie die Geltung einer dynamischen Verweisung auch auf Kollektivverträge, die nach dem Betriebsübergang abgeschlossen, ergänzt, geändert oder ersetzt werden, nicht verbietet, wenn der Erwerber auf Grundlage einvernehmlicher oder einseitiger Anpassungsmöglichkeiten Änderungen der in Bezug genommenen Kollektivverträge durchsetzen kann. Da der EuGH die Effizienz bzw. Durchsetzbarkeit dieser Anpassungsmöglichkeiten auf Grundlage des nationalen deutschen Rechts nicht beurteilen kann, verwies er die Sachen zurück an das vorlegende BAG.
Dies ist eine Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH bzw. eine Modifikation. In den vorbezeichneten Entscheidungen „Werhof“ und „Alemo-Herron“ hat der EuGH stets betont, dass es, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der negativen Koalitionsfreiheit, eine unangemessene Benachteiligung des Erwerbers bedeute, wenn er dynamisch an Kollektivverträge gebunden ist, auf deren Entstehung er mangels Tarifgebundenheit bzw. Beitrittsmöglichkeit keinerlei Einfluss hat. Dies sei im vorliegenden Fall jedoch anders, da nach deutschem Recht zumindest die Möglichkeit einer einvernehmlichen wie auch einseitigen Änderungsmöglichkeit (etwa Änderungskündigung) besteht.
Der EuGH hat damit seine bisherige Rechtsprechung zur Einschränkung von dynamischen Verweisungsklauseln präzisiert. Im Hinblick auf die Zurückverweisung an das BAG fehlt jedoch eine eindeutige Klarstellung. Eine endgültige Klarstellung wird daher erst durch die Entscheidung des BAG erfolgen. Sollte das BAG die theoretischen Möglichkeiten einer einvernehmlichen Änderungsvereinbarung oder einer betriebsbedingten Änderungskündigung zwecks Beseitigung der Dynamik in diesem Sinne als ausreichend anerkennen, würde es damit in Fällen eines Betriebsübergangs – entgegen den seinerzeit geäußerten Ansätzen in den Fällen „Werhof“ und „Alemo-Herron“ – bei der dynamischen Geltung der jeweiligen (branchenfremden) in Bezug genommenen Tarifverträge verbleiben.
Daneben gibt die Entscheidung Anlass, kurz auf den nationalen Hintergrund der Wirkungsweise dynamischer Verweisungen auf Kollektivverträge hinzuweisen. Bei einem Betriebsübergang wird nach der Entscheidung des BAG vom 14. Dezember 2005 (4 AZR 536/04) im Falle von dynamischen Bezugnahmeklauseln zunächst danach unterschieden, ob es sich um einen vor dem 1. Januar 2002 abgeschlossenen Altvertrag oder um einen danach abgeschlossenen Neuvertrag handelt. Bei Altverträgen sieht das BAG in der Vereinbarung einer dynamischen Verweisung auf einen einschlägigen Tarifvertrag durch einen tarifgebundenen Arbeitgeber lediglich eine sog. Gleichstellungsabrede, die nach einem Betriebsübergang nur statisch weitergilt. Bei der Vereinbarung einer dynamischen Verweisung auf einen Tarifvertrag ab dem 1. Januar 2002 geht das BAG demgegenüber von einer uneingeschränkten dynamischen Verweisung auch nach einem Betriebsübergang aus.
Im vorliegenden Fall bestand insoweit die Besonderheit, dass die dynamische Verweisung zwar bereits in den ursprünglichen Anstellungsverträgen aus dem Jahre 1978 bzw. 1986 enthalten war. Da die damaligen Arbeitgeber seinerzeit Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband gewesen waren, hätten die Verweisungsklauseln nach der zuvor genannten Rechtsprechung des BAG zunächst als sog. „Gleichstellungsabreden“ im Rahmen von Altverträgen ausgelegt werden müssen. Im Rahmen der Ausgliederung bzw. Übertragung im Jahre 1997 bzw. 2002 auf einen nicht tarifgebundenen privaten Arbeitgeber ist die dynamischen Verweisungen jedoch nochmals bestätigt worden. Ab diesem Zeitpunkt schied die Auslegung als Gleichstellungsabrede daher aus. In beiden Fällen lagen keine Altverträge von tarifgebundenen Arbeitgebern vor.
Seit der angekündigten Rechtsprechungsänderung des BAG Ende des Jahres 2015 lässt sich diese Problematik nur noch durch die Vereinbarung kleiner dynamischer Klauseln oder sog. Tarifwechselklausel, die auf den jeweils für den Arbeitgeber gültigen Tarifvertrag verweisen, vermeiden. Die Vertragsgestaltung bei Verweisungsklauseln sollte daher im Voraus genau geprüft werden.
Hans-Christian Ackermann
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Enthält ein Arbeitsvertrag eine – dynamische – Bezugnahmeklausel auf einen Anerkennungstarifvertrag, der wiederum dynamisch auf einen Verbandstarifvertrag verweist, endet die dynamische Anwendung des Verbandstarifvertrags für das Arbeitsverhältnis, sobald der Anerkennungstarifvertrag nur noch nachwirkt.
Enthält ein Arbeitsvertrag eine – dynamische – Bezugnahmeklausel auf einen Anerkennungstarifvertrag, der wiederum dynamisch auf einen Verbandstarifvertrag verweist, endet die dynamische Anwendung des Verbandstarifvertrags für das Arbeitsverhältnis, sobald der Anerkennungstarifvertrag nur noch nachwirkt.
Der beklagte Arbeitgeber hat mit seinen Arbeitnehmern angesichts einer Insolvenz im Jahr 2010 neben einem Gehaltsverzicht arbeitsvertraglich vereinbart, dass künftig die Regelungen eines Haustarifvertrags auf die Arbeitsverhältnisse Anwendung finden. Bei dem Haustarifvertrag handelte es sich um einen Anerkennungstarifvertrag, der seinerseits wiederum die Regelung enthielt, dass der Arbeitgeber alle Tarifverträge anerkennt und anwendet, die von der IG BCE im Bereich der westdeutschen chemischen Industrie abgeschlossen „wurden bzw. werden“. Die anerkannten Tarifverträge sollten „in ihrer jeweils aktuellen Fassung“ gelten. Der Arbeitgeber kündigte den Haustarifvertrag im Folgenden mit Wirkung zum 31. Dezember 2011 und gab nach diesem Zeitpunkt die in der chemischen Industrie vereinbarten Tariferhöhungen nicht mehr an seine Arbeitnehmer weiter. Hiergegen wandten sich mehrere Arbeitnehmer und machten die ihnen ihrer Auffassung nach zustehenden Entgeltdifferenzansprüche klageweise geltend.
So wie die beiden Vorinstanzen hat auch das BAG die Klagen der Arbeitnehmer abgewiesen. Nach Auffassung der Bundesrichter ergebe eine Auslegung der arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel, dass deren Bezugnahmeobjekt allein der Haustarifvertrag sei. Insbesondere die von dem Haustarifvertrag wiederum in Bezug genommenen Verbandstarifverträge seien hingegen nicht von der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel erfasst. Deren Anwendbarkeit werde lediglich durch den Haustarifvertrag vermittelt. Eine Inkorporation der Verbandstarifverträge in die Arbeitsverträge sei dementsprechend nicht beabsichtigt gewesen. Durch diese Regelungstechnik hätten die Arbeitsvertragsparteien vielmehr festgelegt, dass sie die weitere Anwendbarkeit der tarifvertraglich in Bezug genommenen Verbandstarifverträge von der Fortwirkung des individualvertraglich in Bezug genommenen Haustarifvertrags abhängig machen wollten. Diese ausschließliche arbeitsvertragliche Bezugnahme auf die Regelungen des Haustarifvertrags habe sodann zur Folge, dass die Dynamik der Verbandstarifverträge für das Arbeitsverhältnis ende, sobald der Verweisungstarifvertrag sie nicht mehr zu vermitteln vermöge. Da die Dynamik im Streitfall allein über den Haustarifvertrag vermittelt werde, gehe sie verloren, wenn der Haustarifvertrag – wie hier – nach Ablauf von dessen Kündigungsfrist nur noch nachwirke. Der Haustarifvertrag und damit auch die Regelungen der durch ihn in Bezug genommenen Tarifverträge gälten daher seit dem 1. Januar 2012 lediglich statisch weiter. Die Arbeitnehmer hätten keinen Anspruch auf nach diesem Zeitpunkt vereinbarte Tariferhöhungen.
Nach wohl einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur beschränkt sich die Nachwirkung einer Tarifregelung gemäß § 4 Abs. 5 TVG inhaltlich darauf, den Zustand bis zum Abschluss einer anderen Abmachung zu erhalten, der bei Beendigung des Tarifvertrags bestanden hat. Sie erstreckt sich hingegen nicht auf Änderungen des Tarifvertrags nach seinem Ablauf. Die Regelungen eines in der Nachwirkung befindlichen Tarifvertrags geltend nur noch statisch weiter. Vor diesem Hintergrund bestätigt das BAG mit der vorliegenden Entscheidung lediglich seine bisherige Rechtsprechung und führt diese konsequent fort. Zu beachten ist allerdings, dass Änderungen des Tarifvertrags, die bereits vor seinem Ablauf vereinbart und dementsprechend inhaltlich „angelegt“ waren, jedoch erst im Nachwirkungszeitraum (stufenweise) wirksam werden, nach der Rechtsprechung des BAG auch tatsächlich weiter (dynamisch) wirksam werden. Dies sei Teil der Nachwirkung der tarifrechtlichen Regelungen, die dementsprechend fortbestünden. Dies gilt es daher zunächst zu prüfen, bevor ein Tarifvertrag voreilig gekündigt wird, um die vermeintlichen Vorteile einer nur statischen Fortgeltung der tarifvertraglichen Regelungen in Anspruch nehmen zu können.
Mit Blick auf die betriebliche Praxis macht die Entscheidung darüber hinaus einmal mehr deutlich, welche Bedeutung der Vertragsgestaltung beigemessen werden sollte. Neben den vorgenannten tarifrechtlichen Erwägungen war die vom BAG vorgenommene Auslegung der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel streitentscheidend. Hätte der Arbeitsvertrag z.B. selbst dynamisch auf die Verbandstarifverträge verwiesen – was selbstverständlich hätte vereinbart werden können –, hätte der beklagte Arbeitgeber wohl nicht ohne Weiteres die Weitergabe der Tariferhöhungen verweigern können. Die Entscheidung des BAG ist dementsprechend unmittelbare Folge der von den Beteiligten gewählten doppelten Verweisung. Das Zusammenspiel von Vertragsgestaltung und tarifrechtlichem Know How hat sich aus Arbeitgebersicht, soweit so gewollt, dementsprechend ausgezahlt.
Thorsten Tilch
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Ein sachlicher Grund für eine Zweckbefristung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) erfordert eine hinreichend sichere – und vom Arbeitgeber darzulegende – Prognose, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers kein betrieblicher Bedarf mehr besteht.
Die Parteien streiten über die wirksame Zweckbefristung ihres Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte unterhält mehrere Zentrallager für die Belieferung von Geschäften des Einzelhandels. Der Kläger war seit dem 1. Juni 2010 auf Grundlage von sechs aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverhältnissen in einem Zentrallager der Beklagten in B als Vorlader beschäftigt. Zuletzt gründet das Arbeitsverhältnis der Parteien auf dem Arbeitsvertrag vom 23. Mai 2012, der u.a. folgende Bestimmungen enthält:
§ 1 Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses
1. Das Arbeitsverhältnis wird zunächst befristet (§ 14 Abs. 1, Pkt. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz) für die Dauer vom 01.06.2012 bis zur Schließung Standort E-Lager B eingegangen und endet grundsätzlich mit Ablauf der Frist, ohne dass es einer Kündigung bedarf; […]
§ 2 Tätigkeit
1. Der Arbeitnehmer wird als Vorlader für den Betriebsteil B eingestellt.
2. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich, die ihm übertragenen Arbeiten und erteilten Weisungen gewissenhaft auszuführen. Der Arbeitgeber ist berechtigt, den Arbeitnehmer bei unveränderter Grundvergütung mit anderen Arbeiten zu betrauen oder in eine andere Abteilung oder einen anderen Betriebsteil des Arbeitgebers zu versetzen und zwar ohne Rücksicht auf die Dauer einer Tätigkeit in einem bestimmten Betriebsteil.
Die Beklagte errichtete in Be – etwa 83 Kilometer von B entfernt – ein neues Zentrallager, das u.a. die Betriebsstätte in B ersetzen und an dem auch Mitarbeiter des zu schließenden Zentrallagers tätig werden sollten. Die Schließung des Zentrallagers in B war frühestens zum 30. September 2014 geplant.
Mit seiner bei Gericht am 13. Februar 2014 eingereichten Klage beantragt der Kläger festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund § 1 des Arbeitsvertrages zweckbefristet ist. Er ist der Auffassung, die Befristungsabrede sei wegen des dauerhaften Bedarfes seiner Arbeitsleistung unwirksam. Dies deshalb, weil der der Beschäftigungsbedarf in dem neuen Zentrallager in Be fortbestehe. Das Arbeitsgericht gab seiner Klage statt. Auf die Berufung der Beklagten wies das Landesarbeitsgericht die Klage ab.
Das BAG hat die angefochtene Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Das BAG stimmt der Vorinstanz zunächst darin zu, dass die Parteien in § 1 Nr. 1 des Arbeitsvertrages vom 23. Mai 2012 eine Zweckbefristung nach den §§ 3 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2, 15 Abs. 2 TzBfG vereinbart haben. Wie auch bei einer auflösenden Bedingung hänge die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei einer Zweckbefristung von dem Eintritt eines zukünftigen Ereignisses ab. Im Falle einer Zweckbefristung betrachten die Parteien den Eintritt des Ereignisses – im Gegensatz zu einer auflösenden Bedingung – allerdings als feststehend und nur den Zeitpunkt des Eintritts als ungewiss. Das BAG sieht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von der Schließung des Zentrallagers in B abhängig gemacht, die zwischen den Parteien bereits dem Grunde nach, lediglich in zeitlicher Hinsicht noch nicht feststand.
Das Vorliegen eines sachlichen Grundes ist gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG u.a. dann gegeben, wenn der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht. Nach Auffassung des BAG setzt dies voraus, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei, dass nach dem vorgesehenen Vertragsende für die Beschäftigung des befristet eingestellten Arbeitnehmers kein betrieblicher Bedarf mehr bestehe. Die tatsächlichen Grundlagen für die Prognose habe der Arbeitgeber darzulegen. Eine bei Vertragsschluss bestehende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit in einem anderen Betrieb des Unternehmens stehe einer wirksamen Befristung i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG nicht entgegen.
Bei einer beabsichtigten Schließung eines betrieblichen Standorts sei eine Zweckbefristung aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Abschlusses des befristeten Arbeitsvertrages eine sichere Vorstellung darüber habe, wie sich die betriebliche Tätigkeit und damit der Bedarf an der Arbeitsleistung danach konkret weiterentwickele. Beabsichtige der Arbeitnehmer bei Vertragsschluss seine betriebliche Tätigkeit nach einer räumlichen und/oder organisatorischen Änderung fortzuführen, bestehe ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der Befristung wegen eines vorübergehenden Bedarfs der Arbeitsleistung nur dann, wenn bereits bei Vertragsschluss feststehe, dass die vertragliche Tätigkeit für den Arbeitnehmer an dem neuen Standort nicht mehr anfalle oder ihm diese nicht zugewiesen werden könne. Ob nach den Planungen der Beklagten für den Kläger eine Beschäftigung in Be tatsächlich und rechtlich in Betracht käme – und ein betrieblicher Bedarf an seiner Arbeitsleistung damit nicht nur vorübergehend bestehe – konnte das Gericht auf der Grundlage der ihm vorliegenden Tatsachenfeststellungen nicht abschließend beurteilen.
Das BAG bestätigt mit der vorliegenden Entscheidung seine ständige Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 15. Mai 2012 – 7 AZR 35/11). Die Anforderungen an die Prognose eines betrieblich nur vorübergehenden Bedarfs einer Arbeitskraft sind streng und vom Arbeitgeber nicht immer einfach darzulegen. Auf der Seite des Arbeitnehmers findet in der neueren Rechtsprechung das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) vermehrt Beachtung. Besondere Bedeutung für die Auslegung eines sachlichen Grundes kommt auch dem Recht der europäischen Union zu. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Rechtsprechung des EuGH das deutsche Recht beeinflussen wird.
Andre Schüttauf |
Dass auch allgemeine Geschäftsbedingungen als Bestandteil des Arbeitsvertrags Vorrang vor tariflichen Bestimmungen haben können, hatte das BAG bereits entschieden (BAG Urteil vom 13. März 2013 – 5 AZR 054/11). Im Urteil aus März 2017 macht das BAG noch einmal deutlich, dass eine Auslegung widersprüchlicher Klauseln aus der Perspektive eines Arbeitnehmers zu beurteilen ist. Widersprüche oder Unklarheiten gehen stets zulasten des Arbeitgebers.
Dass auch allgemeine Geschäftsbedingungen als Bestandteil des Arbeitsvertrags Vorrang vor tariflichen Bestimmungen haben können, hatte das BAG bereits entschieden (BAG Urteil vom 13. März 2013 – 5 AZR 054/11). Im Urteil aus März 2017 macht das BAG noch einmal deutlich, dass eine Auslegung widersprüchlicher Klauseln aus der Perspektive eines Arbeitnehmers zu beurteilen ist. Widersprüche oder Unklarheiten gehen stets zulasten des Arbeitgebers.
Die Parteien streiten über die Dauer der Kündigungsfrist.
Der Kläger wurde durch den Beklagten im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung an eine Fluggesellschaft als Flugbegleiter überlassen. Der zwischen Kläger und Beklagtem geschlossene Arbeitsvertrag enthielt eine Bezugnahme auf den Manteltarifvertrag, der für die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses eine Probezeit vorsah. In dieser Probezeit sollen laut Tarifvertrag kürzere Kündigungsfristen gelten, sodass in den ersten 3 Monaten der Probezeit eine Kündigungsfrist von einer Woche, und in den darauf folgenden 3 Monaten eine Kündigungsfrist von 2 Wochen gelten soll. Der Arbeitsvertrag selbst, sah ebenfalls eine Probezeit von 6 Monaten vor. Angaben zu einer etwaigen Kündigungsfrist enthielt die Probezeitklausel jedoch nicht. Hinsichtlich der allgemeinen Kündigungsfristen zwischen Kläger und Beklagtem sah der Arbeitsvertrag vor, dass für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eine Kündigungsfrist von 6 Wochen zum Monatsende gelten soll.
Im September 2014 kündigte der Beklagte dem Kläger mit der im Tarifvertrag für die Probezeit vorgesehenen Frist von 2 Wochen. Daraufhin beantragte der Kläger festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis erst nach Ablauf der arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist von 6 Wochen abgelaufen sei. Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgerichts hat dem widersprochen und der Klage stattgegeben.
Das BAG entschied durch sein Urteil vom 23. März 2017, dass für die zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbarte Probezeit, die allgemeine Kündigungsfrist des Arbeitsvertrages gelte und das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien damit erst mit einer Frist von 6 Wochen beendet worden ist. Das BAG stützte sich im Wesentlichen darauf, dass der Arbeitsvertrag zwischen den Parteien eine ausdrückliche Regelung, wonach in der Probezeit eine kürzere Kündigungsfrist gelten solle, gerade nicht enthalte.
Im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung qualifiziert das BAG die arbeitsvertraglichen Regelungen als allgemeine Geschäftsbedingungen und stellt entscheidend darauf ab, wie der Arbeitnehmer die Kündigungsfristen des Arbeitsvertrages verstehen durfte. Der Arbeitsvertrag sei dem Arbeitnehmer näher als der Tarifvertrag und daher für den Arbeitnehmer vorrangig maßgeblich.
Aus der Sicht eines verständigen, typischerweise nicht rechtskundigen Arbeitnehmers, sei die Klausel des Arbeitsvertrages als maßgebliche Regelung zu verstehen, aus der nicht erkennbar sei, dass für die Probezeit eine kürzere Kündigungsfrist nach Tarifvertrag gelten solle. Hierfür hätte es laut BAG einer ausdrücklichen Klarstellung bedurft.
Das BAG setzte sich dabei auch mit dem Einwand auseinander, dass eine Probezeit gerade den Zweck einer kürzeren Kündigungsfrist verfolge. Aus Sicht des BAG müsse sich die Beklagte aber die Verwendung der selbst erstellten Vertragsklausel zurechnen lassen und das Risiko tragen, dass die vereinbarte Probezeit letztlich leer läuft.
Für den Fall der Unwirksamkeit der arbeitsvertraglichen Klauseln aufgrund einer Verletzung des Transparenzgebots gemäß § 307 BGB wäre laut BAG trotzdem die für den Kläger günstigere Kündigungsfrist des Arbeitsvertrags anzunehmen gewesen.
Mit seinem Urteil vom 23. März 2017 bleibt das BAG seiner Linie treu: Der Arbeitnehmer genießt im Rahmen von allgemeinen Geschäftsbedingungen den hohen Schutz des Verbrauchers. Hierfür nimmt das BAG Kompromisse bei der vertraglichen Auslegung in Kauf. So ist es für das BAG unerheblich, dass der Arbeitnehmer ausdrücklich im Arbeitsvertrag eine Probezeit vereinbaren wollte. Dem Arbeitnehmer wird zu seinen Gunsten unterstellt, dass ihm nicht klar sei, was eine Probezeit bedeute und diese stets mit einer kürzeren Kündigungsfrist verbunden ist. Dass hier mehrere Regelungen in Betracht kamen und dem Arbeitnehmer dies nicht zuzumuten ist, erscheint nachvollziehbar. Ob man aber aufgrund der fehlenden Fristvereinbarung zu einer faktisch nicht vereinbarten Probezeit kommen kann, ist kein zwingender Schluss.
Letztendlich bringt die Entscheidung zum Ausdruck, wie wichtig die vertragliche Gestaltung durch den Arbeitnehmer ist, um den bezweckten Arbeitnehmerschutz ohne eigene rechtliche Nachteile zu wahren. Wichtig wird dies insbesondere dann, wenn tarifliche und arbeitsvertragliche Bestimmungen voneinander abweichen und gleichzeitig gesetzliche Regelungen greifen.
Beabsichtigt der Arbeitnehmer tarifvertraglich geregelte Bestimmungen für einen bestimmten Gegenstand (hier: Probezeit) in den Arbeitsvertrag aufzunehmen, muss auf die Vollständigkeit der Regelung geachtet werden, damit keine ergänzende Auslegung erforderlich wird. Hier gilt: weniger ist nicht mehr; finden Vorschriften aus verschiedenen Regelungswerken Anwendung, insbesondere weil ein Tarifvertrag in Bezug genommen wird, muss mit Blick auf eine mögliche nachrangige Wirkung des Tarifvertrags eine ausdrückliche und erschöpfend regelnde Klausel in den Arbeitsvertrag aufgenommen werden. Die Arbeitgeberseite sollte hier auf eine genaue Abstimmung zwischen Gesetz, Tarifvertrag und Arbeitsvertrag achten.
Dr. Hilmar Rölz, MLE |
Die Klägerin ist Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht und war seit Februar 2003 als Lehrkraft im Fachbereich Sozialversicherung der Beklagten, der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, beschäftigt. Bei der Beklagten gilt eine Evaluationsordnung, nach deren Maßgabe die Lehrveranstaltungen der Klägerin bewertet wurden. Die Ergebnisse der Evaluation wurden an mehrere Mitarbeiter der Beklagten weitergeleitet. Dieses Vorgehen hielt die Klägerin für datenschutzrechtswidrig. Sie erstattete aus diesem Grund Strafantrag wegen einer Straftat nach § 44 Abs. 1 BDSG gegen unbekannt. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wurde im weiteren Verlauf eingestellt; die von der Klägerin dagegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos. Auch im Rahmen eines später anhängigen Bußgeldverfahrens wurden keine Verstöße gegen gesetzliche Datenschutzbestimmungen festgestellt. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Kündigungsschutzklage ab.
Die Klägerin ist Fachanwältin für Arbeits- und Sozialrecht und war seit Februar 2003 als Lehrkraft im Fachbereich Sozialversicherung der Beklagten, der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, beschäftigt. Bei der Beklagten gilt eine Evaluationsordnung, nach deren Maßgabe die Lehrveranstaltungen der Klägerin bewertet wurden. Die Ergebnisse der Evaluation wurden an mehrere Mitarbeiter der Beklagten weitergeleitet. Dieses Vorgehen hielt die Klägerin für datenschutzrechtswidrig. Sie erstattete aus diesem Grund Strafantrag wegen einer Straftat nach § 44 Abs. 1 BDSG gegen unbekannt. Das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft wurde im weiteren Verlauf eingestellt; die von der Klägerin dagegen erhobene Beschwerde blieb erfolglos. Auch im Rahmen eines später anhängigen Bußgeldverfahrens wurden keine Verstöße gegen gesetzliche Datenschutzbestimmungen festgestellt. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin ordentlich. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Kündigungsschutzklage ab.
Das BAG bestätigte die Urteile der Vorinstanzen und erachtete die Kündigung ebenfalls als gerechtfertigt. Das BAG stellte zwar klar, dass die Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch einen Arbeitnehmer wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers grundsätzlich eine zulässige Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte darstelle und daher im Regelfall keine Kündigung rechtfertige. Dies gelte allerdings dann nicht, wenn wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht werden oder wenn für das Vorliegen der nach dem Straftatbestand erforderlichen Absicht keine Anhaltspunkte bestehen und die Strafanzeige sich deshalb als leichtfertig und unangemessen erweist. Soweit zumutbar, sei der Arbeitnehmer wegen seiner arbeitsvertraglichen Pflicht zur Loyalität und Diskretion gehalten, Hinweise auf strafbares Verhalten in erster Linie gegenüber Vorgesetzten oder anderen zuständigen Stellen vorzubringen. Hier sei der Strafantrag eine gänzlich unangemessene Reaktion auf die vermeintlich rechtswidrige Evaluation der Lehrveranstaltungen gewesen. Zwar habe die Klägerin keine falschen tatsächlichen Angaben gemacht; jedoch setze eine Straftat nach § 44 Abs. 1 BDSG voraus, dass die Handlung gegen Entgelt oder in Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht erfolgte. Dafür gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Zudem hätte die Klägerin zunächst eine innerbetriebliche Klärung initiieren müssen, insbesondere hätte sie das Justiziariat oder den Datenschutzbeauftragten über die vermeintlichen Rechtsverstöße informieren können.
Schon im Jahr 2001 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass es mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar ist, wenn derjenige, der die ihm auferlegten staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt, dadurch zivilrechtliche Nachteile, hier: Kündigung eines Arbeitsverhältnisses, erleidet (BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 2001 – 1 BvR 2049/00). Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei jedoch gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben macht. Nun steht fest, dass eine Kündigung auch dann gerechtfertigt sein kann, wenn der Staatsanwaltschaft der Sachverhalt zwar objektiv zutreffend dargelegt wurde, jedoch keinerlei Anhaltspunkte für das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsmerkmale (Vorsatz, Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht) vorhanden sind. Den Arbeitnehmer trifft aufgrund seiner in § 241 Abs. 2 BGB verankerten Rücksichtnahmepflicht eine besondere Verpflichtung, die Vorwürfe dezidiert zu prüfen, bevor Anzeige erstattet wird. Anderenfalls ist der Arbeitgeber berechtigt, das Arbeitsverhältnis verhaltensbedingt zu kündigen.
Dr. Sarah Zimmermann
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LAG Hessen, Beschluss vom 13. März 2017 – 16 TaBV 212/16
Die Parteien streiten über die Erforderlichkeit der Überlassung von Informations- und Kommunikationstechnik gemäß § 40 Abs. 2 BetrVG. Der Arbeitgeber betreibt ein Krankenhaus, zwei gemeindepsychiatrische Zentren, eine Sozialstation sowie ein Seniorenzentrum in drei bis zwanzig Kilometern Entfernung.
Der Betriebsrat begehrt die Zurverfügungstellung eines Mobiltelefons Modell Samsung Galaxy XCover oder Samsung Galaxy S3 Neo, sowie 5 USB-Sticks. Diese brauche der Betriebsrat zur Betreuung der drei bis zwanzig Kilometer entfernten Außenstellen vom Krankenhaus, um ständige Erreichbarkeit gewährleisten zu können. Aufgrund der häufigen Außentermine sei der Betriebsrat nicht ausreichend erreichbar. Zudem sollte die Möglichkeit bestehen, auf E-Mails und andere elektronische Nachrichten zuzugreifen, weiterhin verwalte der Betriebsratsvorsitzende seine Termine über Outlook und ferner könne er über die Cloud Zugriff auf Dienstpläne und Dateien nehmen. Die Beklagte hält entgegen, das Smartphones nur für Personal zur Verfügung stehen, das aufgrund von Patientenbehandlung erreichbar sein müsse. Es sei gewährleistet, dass durch zwei weitere freigestellte Betriebsratsmitglieder das Büro bei der nur kurzzeitigen Abwesenheit des Vorsitzenden erreichbar sei. Der Betriebsrat sei nicht auf durchgängige Erreichbarkeit angewiesen. Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Betriebsrats zurückgewiesen. Gegen den vom Arbeitsgericht ergangenen Beschluss legte der Betriebsrat Beschwerde ein.
Das LAG ändert unter Zurückweisung der Beschwerde den Beschluss des Arbeitsgerichts teilweise dahingehend ab, dass dem Betriebsrat ein Mobiltelefon Modell Samsung Galaxy XCover oder Samsung Galaxy S3 Neo gemäß § 40 Abs. 2 BetrVG zusteht. Dieser Anspruch ergebe sich aus § 40 Abs. 2 BetrVG, wonach der Arbeitgeber dem Betriebsrat für die laufende Geschäftsführung in erforderlichem Umfang sachliche Mittel und Informations- und Kommunikationstechnik zur Verfügung stellen muss. Hierzu gehöre auch ein Smartphone, wenn es der Erledigung betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben dient und sich die Interessenabwägung des Betriebsrats bei der Frage der Erforderlichkeit im Rahmen seines Beurteilungsspielraums hält. Diese Grundsätze sah das LAG vorliegend als erfüllt an. Der Betriebsrat habe die betrieblichen Verhältnisse und die ihm stellenden Aufgaben zutreffend berücksichtigt. Er habe auch das Kosteninteresse des Arbeitgebers berücksichtigt, indem er ein Mobiltelefon desselben Models begehrt, das von dem Arbeitgeber bereits mehrfach angeschafft wurde und zu überschaubaren Kosten führt. Die 5 USB-Sticks stehen dem Betriebsrats nach Ansicht des LAG jedoch nicht zu. Bei seiner Entscheidung über die Erforderlichkeit dieser Informations- und Kommunikationstechnik habe der Betriebsrat den ihm zustehenden Ermessensspielraum überschritten.
BAG, Urteil vom 1. Juni 2017 – 6 AZR 720/15
Die Parteien streiten über die wirksame fristlose Kündigung, hilfsweise ordentliche Kündigung eines Vereinsmitgliedes. Die Klägerin war Geschäftsführerin des Vereins. Aufgrund von Differenzen zwischen ihr und dem als Präsident bezeichneten Vorstandsmitglieds, forderte die Geschäftsführerin die Vereinsmitglieder auf, eine außerordentliche Mitgliederversammlung einzuberufen. Ziel der Geschäftsführerin war die Abwahl des als Präsident bezeichneten Vereinsvorsitzenden. Der Vorstand des Vereins der als Präsidium bezeichnet wird, kündigte der Geschäftsführerin fristlos, hilfsweise ordentlich. Der Vorstand des Vereins besteht gemäß Satzung aus fünf Mitgliedern, von denen eines vor Beschlussfassung der Kündigung der Geschäftsführerin ausschied. Die Geschäftsführerin begehrte Kündigungsschutz vor dem Arbeitsgericht, ohne Erfolg. Dieses sah zwar die fristlose Kündigung als unwirksam erfolgt an, jedoch die ordentliche Kündigung als wirksam. Das Landesarbeitsgericht hielt hingegen schon die fristlose Kündigung für wirksam.
Die vor dem BAG stellte fest, dass trotz des Ausscheidens eines der Vorstandsmitglieder der Kündigung gemäß der Vereinssatzung ein wirksamer Beschluss zugrunde liegt. Es stellte auch fest, dass die Geschäftsführerin sich illoyal verhielt und dass dieses illoyale Verhalten einen wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung darstellt. Das BAG verwies jedoch auf das LAG zurück, welches zu prüfen hat, ob die fristlose Kündigung fristgerecht innerhalb von zwei Wochen nach Kenntniserlangung des wichtigen Grundes erklärt wurde. Dies vermochte das BAG nicht abschließend zu beurteilen.
BAG, Urteil vom 22. März 2017 – 10 AZR 448/15
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Karenzentschädigung für die Zeit von Januar 2014 bis Dezember 2015 in Höhe von rund € 600 für die Dauer von zwei Jahren. Die Klägerin war bei der Beklagten als Industriekauffrau beschäftigt. Der Anstellungsvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten enthielt eine Klausel, die ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot für die Dauer von zwei Jahren nach Beendigung des Vertrags vorsah. Der Anstellungsvertrag enthielt jedoch keine Regelung zur Karenzentschädigung gemäß § 74 Abs. 2 HGB. Ergänzend enthielt der Anstellungsvertrag eine salvatorische Klausel. Die Klägerin begehrt nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Zahlung der Karenzentschädigung, Wettbewerbshandlungen unterlies sie. Die Beklagte vertrat die Auffassung, die Klausel über das nachvertragliche Wettbewerbsverbot sei nichtig und verweigerte die Zahlung. Die Klägerin erhob Klage auf Zahlung einer Karenzentschädigung, der die Vorinstanzen stattgegeben haben. Die Beklagte verfolgt in der Revision weiterhin die Abweisung der Klage.
Das BAG hält die Revision für begründet. Die Klage sei teilweise unzulässig im Übrigen unbegründet. Ohne Zusage einer Karenzentschädigung ist die Vereinbarung über ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nichtig, es liegt ein Verstoß gegen 74 Abs. 2 HGB vor. Bei unverbindlichen Vereinbarungen steht es dem Arbeitnehmer frei, dem Wettbewerbsverbot folgend zu handeln und einen Anspruch auf Karenzentschädigung zu erwerben. Bei nichtigen Abreden, erlangt der Arbeitnehmer, auch wenn er dem Wettbewerbsverbot folgend handelt, keinen Karenzentschädigungsanspruch. Aufgrund der Nichtigkeit der vertraglichen Regelung steht der Klägerin kein Anspruch auf Karenzentschädigung zu. Auch die vertraglich vereinbarte salvatorische Klausel vermag die Klausel zum nachvertraglichem Wettbewerbsverbot nicht zu heilen. Das schriftliche Wettbewerbsverbot hätte den Karenzentschädigungsanspruch beinhalten, und so klar formuliert sein müssen, dass keine vernünftigen Zweifel des Arbeitnehmers über seinen Entschädigungsanspruch bleiben. Diesen Anforderungen genügt die salvatorische Klausel nicht. Es ist für den Arbeitnehmer nicht erkennbar, ob ihm bei Abschluss der Vereinbarung oder Beendigung des Vertragsverhältnisses ein Karenzentschädigungsanspruch erwächst.
LAG München, Urteil vom 17. Januar 2017 – 6 TaBV 97/16
Die Parteien streiten über den Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat. Die klagende Arbeitgeberin betreibt zwei Aluminiumwerke. Die Arbeitgeberin war zwischenzeitig insolvent, das Verfahren ist jedoch beendet. Es galt ein Ergänzungstarifvertrag, aufgrund dessen die Arbeitnehmer, darunter auch der Betriebsratsvorsitzende, Einschränkung erlitt. Aufgrund dieser machte der Betriebsratsvorsitzende Ansprüche auf Zahlung eines Entgeltausgleichs bei Leistungsminderung und auf Zahlung einer tariflichen Treueprämie geltend. Die Arbeitgeberin und der Betriebsratsvorsitzende verhandelten folgend über Ausgleichszahlungen. Zudem verhandelte der Betriebsratsvorsitzende in seiner Funktion als Betriebsratsmitglied über eine Betriebsvereinbarung zur Regelung eines Schichtmodells am Wochenende. In der Folgezeit fanden zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden und zwei Geschäftsführern der Arbeitgeberin Gespräche statt, in denen die Geschäftsführung den vom Betriebsratsvorsitzenden begehrten Entgeltausgleich ablehnte. Der Betriebsratsvorsitzende soll in diesen Gesprächen sinngemäß geäußert haben, dass er sich erst um die betrieblich an ihn herangetragenen Themen kümmern könne, wenn seine persönlichen Forderungen entschieden seien. Zudem kündigte der Betriebsratsvorsitzende an, das geplante Schichtmodell zu boykottieren und die Mitarbeiter des Schmelzbetriebes aufzufordern, am Wochenende nicht zu kommen, wenn der Betriebsratsvorsitzende seine Forderungen nicht erhielte. Nachdem dem Betriebsratsvorsitzenden ein Aufhebungsvertrag und in einem folgenden Gespräch eine Erhöhung der Abfindungssumme angeboten wurde, ohne, dass es zum Vertragsschluss kam, beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Betriebsratsvorsitzenden, ohne Erfolg. Mit Antrag beim Arbeitsgericht begehrte die Arbeitgeberin den Ausschluss des Betriebsratsvorsitzenden aus dem Betriebsrat. Das Arbeitsgericht wies den Antrag der Arbeitgeberin ab, da, wenngleich die angeblich vom Betriebsrat getätigten Äußerungen einen groben Pflichtverstoß darstellen würden, das Gericht nicht zu der Erkenntnis komme, dass der Betriebsratsvorsitzende die ihm vorgeworfenen Äußerungen getätigt hat.
Das LAG gab der von der Arbeitgeberin eingelegten Beschwerde statt. Das LAG war nach durchgeführter Beweiserhebung überzeugt, dass die beschriebenen Äußerungen vom Betriebsratsvorsitzenden getätigt wurden. Seine Äußerungen stellen zudem einen groben Verstoß gegen seine Pflichten als Betriebsratsmitglied dar, da der Betriebsratsvorsitzende zu erkennen gab, dass ihm private Belange wichtiger erscheinen, als seine Betriebsratstätigkeit. Dies stellt eine grobe, erhebliche und objektiv schwerwiegende Pflichtverletzung dar, und erschütterte das Vertrauensverhältnis zwischen den Betriebspartner schwer.
BAG, Urteil vom 14. März 2017 – 9 AZR 7/16
Die Parteien streiten über die Anzahl der Urlaubstage, die der Klägerin im Jahre 2013 zustehen. Die am 27. Juli 1958 geborene Klägerin ist seit 1992 von der Beklagten als Erzieherin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst Anwendung. Bis zum 18. August 2013 betrug die wöchentliche Regelarbeitszeit der Klägerin vier Wochentage zu 32 Wochenarbeitsstunden. Seit dem 19. August 2013 betrug die wöchentliche Regelarbeitszeit fünf Wochentage zu 23,5 Wochenstunden. Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD aF stehen der Klägerin, sofern sie an fünf Tagen der Kalenderwoche arbeite, nach dem vollendeten 55. Lebensjahr 30 Urlaubstage zu. Im Jahr 2013 gewährte die Beklagte der Klägerin bis zur Änderung des Beschäftigungsumfangs am 19. August 2013 unter Berücksichtigung von zwei aus dem Jahr 2012 übertragenen Urlaubstagen 26 Uhrlaubstage. Anschließend gewährte die Beklagte der Klägerin im Jahr 2013 noch einen weiteren Urlaubstag. Die Klägerin forderte die Beklagte auf, ihr zwei weitere Urlaubstage zu gewähren. Nachdem die Beklagte dies verweigerte, erhob die Klägerin Klage. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das LAG der Klage stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Revision.
Das BAG sah die Revision als begründet an. Nach Ansicht des BAG hat die Beklagte den Urlaubsanspruch der Klägerin aus 2012 und aus 2013 erfüllt. Der Klägerin standen insgesamt 27 Urlaubstage zu. Hiervon entfallen drei Tage auf das Urlaubsjahr 2012 und 24 Tage auf das Urlaubsjahr 2013. Da die Klägerin im Jahr 2013 das 55. Lebensjahr vollendete, erwarb sie zu Beginn des Jahres unter Berücksichtigung von vier Arbeitstagen in der Woche einen Urlaubsanspruch von 24 Tagen. Dies entspricht gemäß § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD aF dem Verhältnis der Anzahl der wöchentlichen Arbeitstage der Klägerin zu der Anzahl der in der tarifvertraglichen Regelung enthaltenen Anzahl von fünf Arbeitstagen in der Woche. Rechtsfehlerhaft sei das LAG davon ausgegangen, der Klägerin stünde durch den unterjährigen Wechsel der Arbeitszeitverteilung auf die Wochenarbeitszeit zwei weitere Urlaubstage zu. § 26 Abs. 1 Satz 4 TVöD aF kann für den Fall eines unterjährigen Wechsels der Arbeitszeitverteilung nicht dahin ausgelegt werden, dass der kalenderjährig bestimmte Urlaubsanspruch in zwei Zeitabschnitte geteilt und als Summe mehrerer Urlaubsansprüche zu berechnen ist. Tariflicher Referenzzeitraum sei vielmehr allein das Kalenderjahr. Der für die Berechnung des Urlaubsanspruchs maßgebliche Zeitpunkt sei derjenige der Urlaubsgewährung. Wenn die Klägerin in einer Fünftagewoche Anspruch auf 30 Urlaubstage hat und der gesamte Jahresurlaub in den Zeitraum fällt, in dem die Klägerin ihre Arbeitsleitung an nur vier Arbeitstagen erbringt, habe die Beklagte ihre Pflicht zur Urlaubsgewährung erfüllt, wenn sie die Klägerin an 24 Tagen freigestellt hat. Ändert sich die Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht, bevor die Klägerin den ihr zustehenden Urlaub vollständig genommen hat, seien nach der tariflichen Regelung die Anzahl der zum Zeitpunkt des Wechsels noch nicht genommenen Urlaubstage mit dem Quotienten zu multiplizieren, der sich aus der Anzahl der Wochenarbeitstage nach der neuen Arbeitstageverteilung (Divident) und der Anzahl der alten Arbeitstageverteilung (Divisor) ergibt, also vorliegend 5/4. Hieraus ergibt sich bei genommenen drei Urlaubstagen aus 2012 und weiteren 23 Urlaubstagen aus 2013 ein verbleibender Urlaubstag, der mit 5/4 zu multiplizieren war, so dass ein Urlaubsanspruch von 1,25 Tagen verblieb, der auf einen Urlaubstag abzurunden war. Dieser war durch die Beklagte nach dem Wechsel zu einer Fünftagewoche gewährt worden.
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