08.05.2017
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Nachdem Bundestag und Bundesrat im März den Weg frei gemacht haben, tritt in diesen Tagen die 9. GWB-Novelle in Kraft, deren wesentliche Eckpunkte wir an dieser Stelle kurz zusammenfassen möchten.
Zentraler Anlass für die 9. GWB-Novelle war zunächst die erforderliche Umsetzung der Schadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) in nationales Recht. Zentrales Anliegen ist hierbei, die zivilrechtliche Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen Kartellanten zu erleichtern, ohne die Effektivität der staatlichen Kartellrechtsdurchsetzung und insbesondere der Kronzeugenprogramme zu gefährden.
Zugunsten der Kartellgeschädigten werden zunächst die Verjährungsfristen merklich verlängert: kenntnisabhängig auf 5 Jahre (§ 33h Abs. 1), kenntnisunabhängig auf 10 Jahre ab Anspruchsentstehung und Beendigung des Kartellverstoßes (§ 33h Abs. 3). Ferner wird widerleglich vermutet, dass ein Kartell einen Schaden verursacht hat (§ 33a Abs. 2) und – zugunsten der indirekten Abnehmer – dass der kartellbedingte Preisaufschlag auf diese abgewälzt wurde (§ 33c Abs. 2). Außerdem wird ein neuer Anspruch auf Herausgabe von Beweismitteln geschaffen, der sich sowohl gegen die Kartellanten als auch gegen Dritte richten kann (§ 33g Abs. 1) und das Prozesskostenrisiko im Falle der Nebenintervention begrenzt (§ 89a Abs. 3).
Die Kronzeugen werden dadurch geschützt, dass die Herausgabe von Kronzeugenerklärungen und Vergleichsausführungen nicht verlangt werden kann (§ 33g Abs. 4) und sie grundsätzlich nur gegenüber ihren Abnehmern auf Schadensersatz haften sollen (§ 33e). Klargestellt wird zudem, dass für alle Kartellanten der passing-on-Einwand möglich bleibt (§ 33c Abs. 1). Zudem erhalten auch die Kartellanten einen Anspruch auf Auskunft und Herausgabe von Beweismitteln gegen den Kläger und Dritte (§ 33g Abs. 2), der insbesondere bei der Erhebung des passing-on-Einwandes gegenüber unmittelbar Geschädigten sowie umgekehrt bei der Widerlegung der Vermutung der Schadensabwälzung gegenüber den mittelbar Geschädigten eine erhebliche Bedeutung erlangen kann.
Weitere Neuregelungen betreffen den Gesamtschuldnerinnenausgleich. Gemäß § 33d Abs. 2 haften die Kartellgesamtschuldner im Innenverhältnis entsprechend ihrem Beitrag zur Schadensverursachung, § 33f ordnet grundsätzlich die beschränkte Gesamtwirkung von Vergleichen an und § 33h Abs. 7 stellt sicher, dass Regressansprüche nicht vorzeitig verjähren.
Den Besonderheiten digitaler Märkte versucht der Gesetzgeber dadurch Rechnung zu tragen, dass § 18 Abs. 2a klarstellt, dass ein Markt im kartellrechtlichen Sinne auch bei unentgeltlichen Leistungsbeziehungen angenommen werden kann und dass nach § 18 Abs. 3a bei der Beurteilung der Wettbewerbsverhältnisse auch direkte und indirekte Netzwerkeffekte, der Wechselaufwand für die Nutzer und der Zugang zu Daten Berücksichtigung finden sollen. Die Fusionskontrolle wurde um eine neue vom Transaktionswert abhängige Aufgreifschwelle erweitert (§ 35 Abs. 1a) um sicherzustellen, dass zukünftig wettbewerblich relevante Fusionen wie die von Facebook und WhatsApp erfasst werden, auch wenn einer der Beteiligten zum Zeitpunkt des Zusammenschlusses noch keine wesentlichen Inlandsumsätze erzielt.
Der Gesetzgeber versucht (erneut) eine Sanktionslücke im deutschen Bußgeldrecht zu schließen, die es Unternehmen in bestimmten Fällen ermöglichte, sich durch eine gezielte Umstrukturierung einer drohenden Geldbuße zu entziehen (§ 81 Abs. 3b, 3c, § 81a). Zukünftig soll zudem die Konzernmutter in Anlehnung an das europarechtliche Konzept der wirtschaftlichen Einheit bußgeldrechtlich direkt für Kartellverstöße einer Tochtergesellschaft verantwortlich sein (§ 81 Abs. 3a).
Erstmals erhält das Bundeskartellamt auch Befugnisse im Bereich des Verbraucherschutzes. So kann das Amt mit Blick auf Verstöße gegen verbraucherschützende Bestimmungen Sektoruntersuchungen (§ 32e Abs. 5f.) durchführen oder sich mit Stellungnahmen an Zivilprozessen beteiligen (§ 90 Abs. 6). Weitergehende Vorschläge wurden zunächst verworfen, verbleiben mit Blick auf zukünftige GWB-Novellen aber voraussichtlich auf der politischen Agenda.
Im Bereich der Sonderregelungen für einzelne Wirtschaftsbereiche wird zum einen die verlagswirtschaftliche Zusammenarbeit von Presseunternehmen durch eine Ausnahme vom Kartellverbot erleichtert (§ 30 Abs. 2b) und zum anderen die besondere Missbrauchsvorschrift in § 29 für Anbieter vor Elektrizität und leitungsgebundenem Gas um fünf Jahre bis zum 31.12.2022 verlängert.
Die weitgehend europarechtlich vorgegebenen Änderungen im Bereich des Schadensersatzrechts werden die Praxis noch vor erhebliche Herausforderungen stellen. In besonderem Maße gilt dies für die neuartigen Auskunftsansprüche. Spannend wird auch sein zu sehen, inwieweit die „Discovery light“ sowie die neuen Regelungen zur Konzernhaftung zukünftig als Vorbild für Vorschriften außerhalb des Kartellrechts dienen werden.
Im Rahmen unseres diesjährigen Kartellrechtsfrühstückes werden wir Sie umfassend über die Neuerungen der 9. GWB-Novelle und ihre Folgen für die Praxis informieren.
Dr. Guido Jansen |
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Während das Hotel-Buchungsportal HRS seine Bestpreisklausel nach Entscheidungen des Bundeskartellamts und des OLG Düsseldorf aufgeben musste, und auch booking.com zumindest im einstweiligen Rechtsschutz gegen eine Entscheidung des Bundeskartellamts vor dem OLG Düsseldorf erfolglos war (zum Hauptsacheverfahren siehe Nachrichten in Kürze, s. Seite 11) hat das LG Köln Expedia die Anwendung einer solchen Klausel erlaubt. Folglich durfte Expedia Fotos und Gästebewertungen ausblenden („Dimming“), wenn ein Hotel auf der Plattform nicht den geringsten Preis anbot. Einige Wochen nach dem Urteil veröffentlichte das Netz der Europäischen Kartellbehörden (ECN) eine Analyse. Danach soll das – unabgestimmte – Vorgehen verschiedener nationaler Kartellbehörden den Wettbewerb im Online-Hotelmarkt verbessert haben.
Am Bonner Rheinufer, wenige Kilometer flussaufwärts vom Bundeskartellamt, liegt das Hotel Dreesen, ein traditionsreiches 4-Sterne-Haus. Seine Zimmer lassen sich u.a. auf der Hotel-Webseite buchen sowie über Hotelportale wie HRS und booking.com. Das Portal Expedia verlangte vom Hotel Dreesen, Zimmer nirgendwo im Internet günstiger anzubieten als auf dem Portal und anderswo verfügbare Zimmer immer auch auf dem Portal anzubieten. Expedias Wettbewerber HRS wurde die Verwendung einer solchen „weiten“ Bestpreisklausel allerdings 2013 vom Bundeskartellamt verboten; HRS scheiterte mit seinem Rechtmittel am 9. Januar 2015 vor dem OLG Düsseldorf (siehe Luther Newsletter Kartellrecht 2. Quartal 2015). Auf diese Weise gerichtlich abgesichert leitete das Bundeskartellamt im Mai 2015 ein Verfahren gegen Expedia ein (und ging auch weiter gegen Booking.com vor). Bald darauf erklärte Expedia gegenüber den Hotels, die Klausel nur noch eingeschränkt anzuwenden: die gleiche Verfügbarkeit der Zimmer werde nicht mehr verlangt; die Preis- und Konditionenparität solle nur noch im Verhältnis zur hoteleigenen Webseite, nicht mehr im Verhältnis zu allen anderen Vertriebskanälen gelten (sog. „enge“ Bestpreisklausel).
Das Hotel Dreesen begann daraufhin, seine Zimmer auf unterschiedlichen Vertriebskanälen zu unterschiedlichen Preisen anzubieten. Kurze Zeit später erschien auf der Expedia-Webseite das Bild des Hotels nicht mehr. Auf Nachfrage wies Expedia dem Hotel Dreesen nach, an welchen Tagen es bei genau bezeichneten Zimmern auf Booking.com bessere Preise oder Verfügbarkeiten angeboten hatte. Somit sei Reisenden auf Expedia nicht das beste verfügbare Angebot gemacht worden, was das Listungsergebnis und die Sichtbarkeit beeinflusse. Expedia ging auch gegen andere Hotels so vor, erklärte dann aber im September 2016 in einem Rundschreiben, die Praxis des „Dimmens“ einzustellen.
Der Hotelverband vertritt die Interessen des Hotels Dreesen und anderer ca. 1.400 Branchenmitglieder. Er verlangte von Expedia vor dem LG Köln, die Anwendung der Preis-, Konditionen- und Verfügbarkeitsparität zu unterlassen. Das LG wies die Klage ab.
Das LG legte sich nicht fest, ob die (weite oder enge) Bestpreisklausel den Tatbestand des Kartellverbots erfüllt, sah dafür aber „gute Gründe“. Es berief sich weitgehend auf das Bundeskartellamt und das OLG Düsseldorf in den Verfahren HRS und booking.com: Betroffen seien der Hotelportalmarkt und der Endkundenmarkt für Hotelzimmer. Auf beiden Märkten bewirke die Bestpreisklausel eine Wettbewerbsbeschränkung. Diese sei auch spürbar. Der Marktanteil von Expedia lag zwischen 10 % und 15 %, und weil die Hotels auf ihre Präsenz auf größeren Portalen wie HRS und Booking.com nicht verzichten, liege eine kumulative Marktwirkung vor.
Das Kartellverbot war aber nach Ansicht des LG jedenfalls deshalb nicht verletzt, weil die Klausel von Expedia von der Vertikal-GVO freigestellt sei. Erstens seien Expedia und die Hotelunternehmen auf unterschiedlichen Vertriebsstufen tätig, und die Bestpreisklausel betreffe die Bedingungen, zu denen Hotels ihre Leistungen an Hotelkunden verkaufen können. Zweites liege der Marktanteil von Expedia deutlich unter 30 %. Drittens liege eine Kernbeschränkung nicht vor. Nach Artikel 4a Vertikal-GVO sind Vereinbarungen, die den Abnehmer darin beschränken, seinen Verkaufspreis selbst festzusetzen, nicht gruppenfreigestellt. Abnehmer der Dienstleistung, die Expedia erbringt, ist das Hotel, das aber die Vermittlungsleistung nicht weiterverkauft; es verkauft vielmehr seine Zimmer, ist dabei aber nicht Abnehmer, sondern Anbieter. Es ist damit zu rechnen, dass Rechtmittel zum OLG Düsseldorf eingelegt werden.
Die Ansicht des Bundeskartellamts und der deutschen Gerichte, dass die Anwendung einer weiten oder engen Bestpreisklausel durch ein marktrelevantes Hotel-Buchungsportal eine Wettbewerbsbeschränkung bewirkt, ist durch eine Analyse bestärkt worden, die das ECN am 6. April 2017 veröffentlicht hat. Das ECN besteht aus den mitgliedstaatlichen Behörden und der Europäischen Kommission. Deren Reaktionen auf Hotel-Bestpreisklauseln waren in den vergangenen Jahren höchst unterschiedlich gewesen und reichten von Passivität (Europäische Kommission), über Einverständnis (Niederlande), Akzeptanz enger Klauseln (Schweden) bis zum Verbot weiter und enger Klauseln (Deutschland). In Frankreich und Österreich griff der Gesetzgeber ein. Eine ECN-Arbeitsgruppe ermittelte daraufhin die Wirkungen der unterschiedlichen Maßnahmen.
Ein Ergebnis der Analyse ist, dass die Umstellung von weiten auf enge Klauseln 79 % der Hotels nicht zu einer Preisdifferenzierung bewogen hat. Die Hotels sahen entweder keinen Anlass für unterschiedliche Preise auf verschiedenen Portalen (53 %), meinten, ihre Verträge mit den Portalen ließen das nicht zu (33 %) oder hatten Angst vor einer Abstrafung durch die Portale (33 %). 20 % gaben an, die Zimmer auf ihren eigenen Webseiten sollten nicht teurer sein als auf den Portalen. Das ECN zog daraus den Schluss, sowohl das Verbot enger wie weiter Klauseln als auch das Verbot nur weiter Klauseln gehe „in die richtige Richtung“. Jedes Einschreiten der Behörden hat also den Wettbewerb gestärkt. Man habe sich darauf verständigt, den Hotel-Onlinebuchungssektor im Auge zu behalten und jedes weitere Vorgehen eng zu koordinieren.
Dr. Helmut Janssen, LL.M. (London) |
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Am 29. März 2016 hat das Bundeskabinett einen Gesetzesentwurf zur Einführung eines bundeseinheitlichen Wettbewerbsregisters beschlossen. Auch Verstöße gegen das Kartellrecht sollen erfasst werden und können zum Ausschluss bei Vergabeverfahren führen.
Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge sind gemäß § 123 GWB Unternehmen zwingend von dem Vergabeverfahren auszuschließen, wenn eine Person als für die Leitung des Unternehmens Verantwortlicher wegen der dort aufgelisteten Wirtschaftsstraftaten rechtskräftig verurteilt oder mit einer Geldbuße nach dem Ordnungswidrigkeitenrecht belegt worden ist. Unternehmen können zudem nach § 124 GWB vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn sie einen dort geregelten fakultativen Ausschlussgrund erfüllen. Nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB ist dies auch dann der Fall, wenn „hinreichende Anhaltspunkte“ für einen Verstoß des Unternehmens gegen das Kartellverbot des § 1 GWB bzw. Art. 101 AEUV vorliegen.
Ziel des Kabinettsentwurfs ist die Schaffung einer bundeseinheitlich zentralen Stelle, bei der Auftraggeber im Rahmen förmlicher Vergabeverfahren Auskunft erhalten können, ob Ausschlussgründe im Sinne der §§ 123, 124 GWB gegeben sind. Bisher existieren – und das auch nur teilweise – Korruptionsregister auf Länderebene. Das zentrale Register soll das Prüfen möglicher Ausschlussgründe für die Vergabestelle nun erleichtern.
Nach dem Kabinettsentwurf soll das Wettbewerbsregister in Form einer elektronischen Datenbank beim Bundeskartellamt als Registerbehörde geführt werden. Dem förmlichen Vergaberecht unterliegende Auftraggeber sind bei Erreichen bestimmter Auftragsschwellenwerte zu der Abfrage verpflichtet, ob Eintragungen zu dem Bieter, der den Zuschlag erhalten soll, gespeichert sind. Unterhalb dieser Auftragsschwellenwerte und innerhalb von Teilnahmewettbewerben sind diese Auftraggeber zu einer Abfrage berechtigt.
Einzutragen in das Wettbewerbsregister sind unter anderem rechtskräftige Verurteilungen, Strafbefehle und bestandskräftige Bußgeldentscheidungen hinsichtlich der in § 123 GWB genannten Straftaten und weiterer klassischer Wirtschaftsdelikte (z.B. aufgrund des Schwarzarbeiterbekämpfungsgesetzes).
Neben solchen „klassischen Wirtschaftsdelikten“ – und das ist bisher öffentlich kaum wahrgenommen worden – sind aber auch Kartellrechtsverstöße einzutragen. Vorgesehen ist, auch Bußgeldentscheidungen wegen Ordnungswidrigkeiten nach § 81 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 1 GWB in das Wettbewerbsregister einzutragen, sofern eine Geldbuße von wenigstens EUR 50.000 festgesetzt wurde. Mit dieser für kartellrechtliche Verhältnisse relativ geringen Geldbuße sind Verstöße gegen das Kartellverbot bzw. das Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen in § 1 GWB bzw. Art. 101 AEUV – mit Ausnahme von Bagatellfällen – erfasst.
Eintragungen erfolgen bereits mit dem Erlass des Bußgeldbescheids, nicht erst bei dessen Bestandskraft. § 124 Abs. 1 Nr. 4 GWB lässt als fakultativen Ausschlussgrund „hinreichende Anhaltspunkte“ genügen. Der Kabinettsentwurf unterscheidet auch nicht danach, ob das Unternehmen zuvor mit dem Bundeskartellamt kooperiert hatte (Bonusantrag, Settlement). Eine Löschung „des Bußgeldbescheids“ ist erst nach drei Jahren vorgesehen. Die Frist kann verkürzt werden, wenn das Unternehmen gegenüber der Registerbehörde eine sogenannte Selbstreinigung im Sinne des im April 2016 in Kraft getretenen § 125 GWB nachweist. Dazu sind etwaige Schadensersatzansprüche zumindest dem Grunde nach anzuerkennen und konkrete technische, organisatorische und personelle Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, zukünftige Verfehlungen zu vermeiden. Letzteres erfordert insbesondere geeignete unternehmensspezifische Compliance-Maßnahmen. Eine bloße Kooperation mit den Ermittlungsbehörden allein reicht noch nicht aus.
Kartellrechtsverstöße gewinnen damit als Ausschlussgründe in Vergabeverfahren größere Bedeutung. Unternehmen, für deren Geschäftserfolg eine Teilnahme an Vergabeverfahren essentiell ist, sind gut beraten, ihre Compliance-Anstrengungen zu überprüfen.
Dr. Holger Stappert |
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Private Enforcement: Wann ist ein Schaden „kartellbetroffen“?
Nach Aufdeckung eines Kartells und Durchführung eines Bußgeldverfahrens müssen die Kartellanten sich vielfach in einem Zivilprozess gegen Schadensersatzansprüche von geschädigten Unternehmen verteidigen. Unter den vielfach bestehenden Verteidigungsmöglichkeiten befindet sich auch der Einwand, der vom Kläger geltend gemachte Schaden sei nicht „kartellbetroffen“. Damit ziehen die Kartellanten in Zweifel, dass eine (haftungsbegründende) Kausalität zwischen dem kartellrechtswidrigen Verhalten (z.B. Preiskartell, Quotenkartell) und dem vom Geschädigten geltend gemachten Schaden besteht. Die haftungsbegründende Kausalität ist im allgemeinen zivilen Schadensersatzrecht ein wichtiges Element der Anspruchsgrundlage, da bei Verneinung einer solchen Kausalität eine Haftung der handelnden Person nicht in Betracht kommt.
Ein neues Urteil des LG Dortmund vom 21. Dezember 2016 (8 O 90/14 [Kart]) hat sich nun mit dem Anscheinsbeweis bei der Kartellbetroffenheit intensiv auseinandergesetzt. Das LG Dortmund bejaht einen Anscheinsbeweis für die Frage der Kartellbetroffenheit der einzelnen Erwerbsvorgänge. Dieser Feststellung geht zunächst ein Anscheinsbeweis dafür voraus, dass sich ein Kartell preissteigernd auswirkt bzw. dass eine wettbewerbsfähige Absprache zu einer Schädigung führt. Der für eine allgemeine Erhöhung des Kartellpreisniveaus sprechende Anschein sei selbst dann nicht erschüttert, wenn man davon ausgehe, dass nur ca. 10 – 15 % des Gesamtmarktvolumens ausdrücklich abgesprochen worden seien. Nach Auffassung des LG Dortmund war es nach der Funktionsweise des Kartells nämlich ausreichend, sich von Zeit zu Zeit über das allgemein angestrebte Kartellpreisniveau zu verständigen. Anschließend kommt das LG Dortmund zu der Feststellung, dass der allgemeine Preisanstieg auch zu einem Preisanstieg bei Kartellaußenseitern führte, da diese kartellbedingt imstande waren, höhere Preise als beim intakten Wettbewerb zu fordern („Preisschirmeffekt“).
In Teilen der Literatur und Rechtsprechung wird nun gefordert, dass auf den Anscheinsbeweis der allgemeinen Preissteigerung eines Kartells ein weiterer Anscheinsbeweis der Kartellbetroffenheit der einzelnen Erwerbsgeschäfte zu führen ist. Das LG Dortmund hält dies nicht für erforderlich. Dabei argumentiert es wie folgt: Der EuGH hatte im Fall „Kone“ (Urteil vom 5. Juni 2014 – C557/12) auch demjenigen einen Anspruch zugesprochen, der von einem Kartellaußenseiter Lieferungen bezogen hatte. Schon aus der Natur der Sache sei es jedoch beim Bezug von Kartellaußenseitern gar nicht möglich, eine Betroffenheit des konkreten Erwerbsgeschäfts zu verlangen, da dieser „Außenseiterbezug“ ja definitiv nicht Gegenstand der Absprache war. Daraus folgert das LG Dortmund, dass eine Betroffenheit des konkreten Geschäfts auch beim direkten Abnehmer nicht zu fordern sei. Wenn schon beim Kartellaußenseiter eine solche Betroffenheit nach Auffassung des EuGH aus der Natur der Sache nicht möglich und erforderlich sei, so müsse dies erst recht für den direkten Abnehmer gelten (argumentum a fortiori). Dies zeigt, dass eine Ungleichbehandlung im Hinblick auf den Darlegungsumfang bei reinen Preisschirmgeschäften einerseits und beim Erwerb vom Kartellanten andererseits in keiner Weise gerechtfertigt wäre.
Das LG Dortmund kommt daher zu dem Ergebnis, dass es eines weiteren auf den Anschein der Entstehung des Preisschirmeffekts gestützten Anscheinsbeweises der konkreten Betroffenheit nicht bedarf, da der erste Anschein bereits vor dem Hintergrund der EuGH-Entscheidung „Kone“ ausreichend ist, die Kausalität und damit die Kartellbetroffenheit des Einzelerwerbsrückgangs zu begründen.
Das LG Dortmund erleichterte in erheblicher Weise die Feststellung eines Schadens dem Grunde nach in Kartellprozessen. Dem Geschädigten verbleibt allerdings danach immer noch die nicht einfache Aufgabe, die Höhe des Schadens – gemessen im Vergleich zum hypothetischen Wettbewerbspreis – nachzuweisen. Dabei wird es neue Einwände der Kartellanten geben, z.B., dass das Kartell nur lückenhaft umgesetzt wurde. Dies wird man dann im Schadensgutachten berücksichtigen müssen.
An unsere Leser möchten wir daher folgende Fragen stellen:
1. Halten Sie die Begründung des LG Dortmund für schlüssig?
2. Ist es sachgerecht, in Kartellschadensersatzprozessen den Geschädigten insofern eine Beweiserleichterung dem Grunde nach zu gewähren?
Dr. Thomas Kapp, LL.M. (UCLA) |
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Keine Anwendung von § 33 Abs. 5 GWB auf vor dem 1. Juli 2015 entstandene Ansprüche
Im Kartellschadensersatzrecht ist derzeit Vieles in Bewegung. Hierzu wird auch die kommende 9. GWB-Novelle ihren Beitrag leisten, welche die mit der 7. GWB-Novelle (2005) eingeführten Erleichterungen für Schadensersatzkläger auf Basis der Kartellschadensersatzrichtlinie fundamental erweitern wird (vgl. den Beitrag in diesem Newsletter, s. Seite 2). Unabhängig davon ist die Rechtsprechung zur geltenden Rechtslage – insbesondere die Frage der temporalen Anwendung des seit 2005 geltenden § 33 GWB noch uneinheitlich und höchstrichterlich nicht geklärt. Im Rahmen dieser Entwicklung ist das jüngste Urteil des OLG Karlsruhe vom 9. November 2016 (6 U 204/15 Kart (2), BB 2017, 398) eine tour d’horizon zum Kartellschadensersatz und damit als bedeutsame – wenn auch keineswegs abschließende – Entscheidung einzustufen. Selten hat eine Gerichtsentscheidung so viele Leitsätze (und z.T. umstrittene Grundaussagen) zum Kartellschadensersatz in einem Fall hervorgebracht. Die Revision wurde zugelassen - und beide Parteien haben Revision eingelegt. Der Fall wird daher voraussichtlich viele umstrittene Fragen des Kartellschadensersatzrechtes höchstrichterlich klären.
Das Bundeskartellamt hatte im April 2003 u.a. gegen die Beklagte einen Bußgeldbescheid wegen kartellrechtswidriger Gebiets- und Quotenabsprachen (Grauzementkartell) erlassen. Auf deren Einspruch hatte das OLG Düsseldorf gegen die Beklagte Geldbußen wegen der Teilnahme an Quotenabsprachen auf einzelnen regional abgegrenzten Märkten festgesetzt. Dieses Urteil wurde mit Beschluss des BGH vom 26. Februar 2013 rechtskräftig. Die Klägerin erhob hierauf Anfang 2015 Feststellungsklage gegen die Beklagte im Hinblick auf den Ersatz sämtlicher durch die Absprachen im Zeitraum von 1993 bis 2002 entstandenen Schäden nebst Zinsen. Das Landgericht Mannheim entsprach dem Klagantrag weitgehend. Beide Parteien hatten Berufung eingelegt.
Zunächst beschäftigt sich das Gericht mit den Voraussetzungen der Zulässigkeit einer Feststellungsklage. Der Senat schränkt in Abweichung seiner bisherigen Rechtsprechung aus 2004 den Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage ein: Eine Feststellungsklage sei trotz einer an sich möglichen Leistungsklage zulässig, wenn die Erhebung einer Feststellungsklage aus prozessökonomischen Gründen geboten sei, was der Senat als erfüllt ansieht, wenn die Schadensermittlung eine komplexe Analyse der zugrunde liegenden Tatsachen und der wirtschaftlichen Zusammenhänge erfordere. Der Geschädigte müsse sich nicht unter Verweis auf die Möglichkeit der Schadensschätzung die Möglichkeit des Nachweises eines höheren Schadens abschneiden lassen.
Der Senat stellt ferner fest, dass bei einem Quotenkartell der erste Anschein dafür spreche, dass es sich allgemein preissteigernd auswirke. Damit bestätigt er die bestehende BGH-Rechtsprechung und die entsprechende Richtlinienvorgabe in Art.
17 Abs. 2 der EU-Schadensersatzrichtlinie. Für die Praxis der Schadensermittlung bedeutsam ist ferner die vom OLG aufgestellte Vermutung, dass ein Kartell im Regelfall innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr nach seiner Beendigung Nachwirkungen auf das Preisniveau hat.
Wichtig für die Praxis ist die Anerkennung des „Umbrella-Effekts“ (betreffend Beschaffungsvorgänge von nicht am Kartell beteiligten Lieferanten („Kartellaußenseitern“)) durch den Senat. Dabei sei davon auszugehen, dass sich auch das Angebot eines Kartellaußenseiters daran orientieren werde, welcher Preis am Markt zu erzielen sei. Der Senat bejaht auch insoweit einen Anscheinsbeweis zugunsten der Geschädigten. Darin sieht er sich auch nicht durch die EuGH-Rechtsprechung gehindert, da diese keine Einschränkung beim Beweismaß zu Lasten des Geschädigten vorsehe.
Im Hinblick auf die von Kartellanten regelmäßig vorgetragene „Passing-On-Defence“ macht der Senat es den Kartellanten schwer. Um ihrer Darlegungslast nach der ORWI-Rechtsprechung des BGH zu genügen, müssten sie zunächst anhand der allgemeinen Marktverhältnisse auf dem relevanten Absatzmarkt plausibel vortragen, dass eine Weiterwälzung der kartellbedingten Preiserhöhung zumindest ernsthaft in Betrag komme. Außerdem sei darzutun und nachzuweisen, dass der Weiterwälzung keine Nachteile des Abnehmers gegenüberstehen, insbesondere kein mit der Preiserhöhung korrespondierender Nachfragerückgang. Ob an dieser Rechtsprechung für die geltende Rechtslage allerdings nach Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle in dieser Strenge festzuhalten sein wird, ist eine offene Frage.
Für viele überraschend stellt das OLG Karlsruhe fest, dass die Hemmungswirkung des § 33 Abs. 5 GWB in der Fassung der 7. GWB-Novelle nur für seit dem 1. Juli 2005 entstandene Ansprüche gelte. Das OLG stellt sich damit gegen das OLG Düsseldorf sowie LG Berlin und LG Dortmund. Es beruft sich vielmehr auf eine Entscheidung des Landgerichts Düsseldorf, welche in Widerspruch zu zwei Entscheidungen des OLG Düsseldorf steht. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass das LG Düsseldorf seine Meinung angesichts der beiden anderslautenden Entscheidungen des OLG Düsseldorf kurz vor der Entscheidung des OLG Karlsruhe geändert hat (Landgericht Düsseldorf, NZKart 2016, 490 – Aufzugskartell). Es besteht hier also evidenter Klärungsbedarf durch den BGH.
Nach der bisher wohl herrschenden Meinung wäre damit die Klage abweisungsreif gewesen. Denn die kenntnisunabhängige absolute Verjährung wäre überwiegend Ende 2011 eingetreten. Das OLG Karlsruhe vertritt jedoch die Auffassung, dass der Restschadensersatzanspruch gemäß § 852 Satz 1 BGB noch nicht verjährt sei – allerdings ohne sich mit der Frage der Verjährung desselben überhaupt auseinanderzusetzen. Möglicherweise hat das Gericht angenommen, dass dessen 10-jährige Verjährung (§ 852 S.2 BGB) erst mit dem Ablauf der kenntnisabhängigen Verjährung beginne. Soweit sich die Literatur mit dieser Frage auseinandersetzt, ging man bisher wohl überwiegend davon aus, dass die 10-Jahres-Fristen in § 852 Satz 2 BGB und § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB parallel laufen würden. Die Auffassung des OLG Karlsruhe würde hingegen zu einer Verlängerung der eigentlich absoluten 10-jährigen Verjährung führen. Interessanterweise hat das LG Mannheim (Urt. v. 24. Januar 2017, 2 O 195/15) in einem anderen Fall vor kurzem festgestellt, dass die 10-Jahres-Frist in § 852 Satz 2 BGB parallel zur absoluten Verjährung nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB verläuft. Dies bedeutet für einen Geschädigten, dass bei Ablauf der absoluten Verjährung nach § 199 Abs. 3 Nr. 1 BGB auch ein Restschadensersatz nach § 852 BGB nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden kann.
Das Urteil ist für die Praxis von immenser Bedeutung, auch wenn nicht alle Fragen abschließend geklärt und neue aufgeworfen wurden. Die Erleichterungen der Voraussetzungen zur Erhebung einer Feststellungsklage mögen Kartellrechtsgeschädigte aufatmen lassen. Die Entscheidung könnte sich jedoch auch als Danaergeschenk erweisen. Lässt man nämlich unter erleichterten Voraussetzungen eine Feststellungsklage zu, so könnte die Rechtsprechung bei der nachfolgenden Leistungsklage dazu tendieren, § 287 ZPO eher eng zu Lasten der Kartellgeschädigten auszulegen (Begründung: Die Geschädigten hätten ja nun mehr Zeit für eine Schadensermittlung gehabt). Die in der 9. GWB-Novelle vorgesehene Verlängerung der kenntnisabhängigen Verjährung auf 5 Jahre dürfte die praktische Relevanz der Problematik aber entschärfen.
Für die Praxis ebenfalls von Bedeutung sind die Ausführungen zur Passing-On-Defence. Nach diesen Grundsätzen würden Kartellanten im Regelfall wenig Chancen haben, mit dieser Verteidigung einen Kartellschaden in Abrede zu stellen. Allerdings ist zu bedenken, dass die bisherige Rechtslage endlich ist: Mit Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle werden die Kartellanten gegen die Geschädigten Auskunftsansprüche haben, die es ihnen erleichtern dürften, ein Passing-On in prozesstauglicher Form nachzuweisen. Insofern bringt die 9. GWB-Novelle nicht nur Erleichterungen für die Kartellgeschädigten. Es ist zu erwarten, dass über diese Auskunftsansprüche, die in dieser Form ein völliges Novum in der deutschen Gerichtsbarkeit sind, in Zukunft sehr intensiv gestritten werden wird.
Hoch streitig ist natürlich die Frage der Anwendung von § 33 Abs. 5 GWB auf vor Inkrafttreten der Norm entstandene „Altansprüche“. Hierzu wird man eine Klärung des BGH erwarten dürfen.
Folgt der BGH der Ansicht des OLG Karlsruhe, muss er die weitere Frage entscheiden, ab welchem Zeitpunkt die 10-jährige Verjährung des Restschadensanspruchs nach § 852 S. 2 BGB zu laufen beginnt. Bis zur Entscheidung durch den BGH sind Kartellgeschädigte daher gut beraten, vorsorglich sämtliche Kartellanten in Bezug auf vor dem 1. Juli 2005 entstandene Ansprüche zu verklagen. § 852 BGB kennt nämlich keine gesamtschuldnerische Haftung der Kartellbeteiligten!
Die Meinung des BGH ist daher in vielfältiger Weise gefragt. Man darf gespannt bleiben.
Dr. Thomas Kapp, LL.M. (UCLA) |
Anne Caroline Wegner, LL.M. (European University Institute) |
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Die Europäische Kommission hat am 16. März 2017 ein verschlüsseltes Mitteilungssystem in Betrieb genommen, das sog. Whistleblowern ermöglicht, bei Verdacht des Vorliegens eines Kartellrechtsverstoßes anonym mit der Kommission in Kontakt zu treten. Dabei wird die Anonymität des Whistleblowers über die Zwischenschaltung eines als Mittler fungierenden externen Dienstleisters gewahrt. Dieser übermittelt ausschließlich die empfangene Nachricht an die Kommission, nicht aber Metadaten, die Rückschlüsse auf die Identität des Absenders zulassen könnten. Umgekehrt kann die Kommission dem anonymen Whistleblower auch Rückfragen zu seinem Hinweis stellen und so gewährleisten, dass die erhaltenen Informationen hinreichend präzise und verlässlich für eine weitergehende Untersuchung sind.
Die Europäische Kommission hat den geplanten Erwerb des dänischen Rotorblattherstellers LM Wind Power (LM) durch den amerikanischen Windturbinenhersteller General Electric Company (GE) ohne Auflagen freigegeben. Die Untersuchung war sowohl auf die Auswirkungen des Erwerbs auf den vorgelagerten Markt für die Herstellung von Rotorblättern als auch auf den nachgelagerten Markt für die Herstellung von On- und Offshore Windturbinen fokussiert. Die Kommission konnte jedoch trotz des relativ großen Marktanteils von LM auf beiden Märkten keine signifikanten Auswirkungen auf die betroffenen Märkte erkennen, da GE nur ein kleiner Marktanteil bei der Windturbinenherstellung zukomme. Für die Entscheidung der Kommission spielte auch eine Rolle, dass GE nach dem Erwerb auf signifikanten Wettbewerb durch andere Hersteller von Windturbinen wie Siemens, MHI Vestas, Nordex und Senvion treffen wird, die ihrerseits entweder selbst Rotorblätter herstellen und/oder nicht von deren Bezug durch LM angewiesen sind.
Die Europäische Kommission hat mit dem Erwerb von Gamesa durch Siemens eine weitere, den Markt für Windturbinenherstellung betreffende Übernahme genehmigt. Die Kommission ging auch in diesem Verfahren davon aus, dass die Übernahme keinen signifikanten Effekt auf den Markt für On- und Offshore Windturbinen habe, weil viele weitere starke Wettbewerber auf dem Markt anzutreffen seien. Die Adwen, das auf dem betroffenen Markt tätige Gamesa-Tochterunternehmen, sei für Siemens darüber hinaus kein ebenbürtiger Wettbewerber, sodass keine Veränderung der Wettbewerbssituation zu erwarten sei.
Die Europäische Kommission hat im sog. Luftfracht-Kartell erneut gegen elf Fluggesellschaften ein Bußgeld in Höhe von insgesamt EUR 766 Mio. für unerlaubte Preisabsprachen ausgesprochen, nachdem die ursprüngliche Entscheidung der Kommission durch den Europäischen Gerichtshof aufgrund von Verfahrensfehlern aufgehoben wurde. Unter Berücksichtigung der Entscheidung des Gerichts wirft die Kommission den Fluggesellschaften inhaltlich weiter vor, von Dezember 1999 bis Februar 2006 verschiedene bilaterale und multilaterale Preisabsprachen im Hinblick auf Luftfracht-Dienstleistungen für Flüge in die, aus und innerhalb der EU getroffen zu haben. Ob die betroffenen Fluggesellschaften auch gegen diese Entscheidung der Kommission vorgehen, bleibt abzuwarten.
Im Dezember 2016 gab die Europäische Kommission bekannt, dass sie eine Mitteilung über Beschwerdepunkte zur Stellungnahme an Facebook übersandt habe. Konkret wirft die Kommission Facebook vor, im Rahmen des Fusionskontrollverfahrens im Zusammenhang mit der Whatsapp-Übernahme im Jahr 2014 falsche oder irreführende Angaben gemacht zu haben. Insbesondere sei es bei der Prüfung der Übernahme auch um die Möglichkeit gegangen, dass Facebook nach der Übernahme seine Benutzerkonten mit jenen von Whatsapp abgleichen konnte. Facebook hatte seinerzeit auf ein entsprechendes Auskunftsersuchen der Kommission mitgeteilt, dass es nicht möglich sein werde, einen zuverlässigen automatischen Abgleich zwischen den Benutzerkonten beider Unternehmen einzurichten. Gleichwohl kündigte Whatsapp im August 2016 an, die Telefonnummern von Whatsapp mit Facebook zu verknüpfen. Die Kommission behauptet, dass die technischen Möglichkeiten für diese Verknüpfung bereits 2014 vorgelegen hätten und nimmt an, dass Facebook insofern vorsätzlich oder fahrlässig falsche Angaben gemacht haben könnte. Am 22. März teilte Kommissarin Verstager mit, dass die Kommission die nunmehr vorliegende Stellungnahme von Facebook prüfe. Bei diesem Fall handelt es sich nach Angaben der Kommission um einen von mehreren Fällen falscher oder irreführender Angaben in Fusionskontrollverfahren, die die Kommission derzeit untersuche.
Die Bundesregierung hat im November 2016 einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Bundeswaldgesetzes vorgelegt, der vom Bundestag am 15. Dezember 2016 einstimmig verabschiedet und am 17. Januar 2017 verkündet worden ist. Kern der Novelle ist es, kleinen privaten und kommunalen Waldeigentümer die Inanspruchnahme sog. vorgelagerter Dienstleistungen durch die Forstämter wieder zu ermöglichen. Diese waren im Rahmen der Rundholz-Entscheidung des Bundeskartellamtes vom 9. Juli 2015 („Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts“) untersagt worden, in der dem Land Baden-Württemberg verboten wurde, mit Privat- und Körperschaftswaldbesitzern Vereinbarungen über die gebündelte Rundholzvermarktung zu treffen. Gegenstand dieses Verbotes waren auch Betreuungsangebote für kleine private und kommunale Waldbesitzer, welche neben dem Holzverkauf auch die Erbringung von vermarktungsnahen Dienstleistungen wie beispielsweise der Betreuung von Holzerntemaßnahmen durch das Land beinhalteten. Dadurch sollte das Interesse der Allgemeinheit an einer ordnungsgemäßen Waldpflege und -bewirtschaftung gewährleistet werden. An diese Idee knüpft auch die Gesetzesnovelle an. Mit ihr sollen insbesondere die im öffentlichen Interesse liegenden Forstdienstleistungen von der rein wirtschaftlichen Holzvermarktung abgegrenzt werden. Das OLG Düsseldorf hat allerdings trotz der Gesetzesnovelle nunmehr mit Beschluss vom 15. März 2017 die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts im Wesentlichen bestätigt. Das untersagte Verhalten verstoße aufgrund der Gesetzesnovelle zwar nicht gegen deutsches Kartellrecht. Der deutsche Gesetzgeber habe aber keine Regelungskompetenz für das europäische Kartellverbot. Vor diesem Hintergrund sei die Gesetzesnovelle europarechtswidrig und nicht zu beachten. Das OLG Düsseldorf hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen.
Mit Beschluss vom 15. November 2016 hat der Bundesgerichtshof die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts gegen den Beschluss des OLG Düsseldorf vom 18. November 2015 VI-Kart 6/14 (siehe Newsletter 1. Quartal, S. 2) im Hinblick auf das sogenannte Anzapfverbot des § 19 Abs. 2 Nr. 5 GWB zugelassen. Zu der Tatbestandsalternative des „Aufforderns“ gebe es bislang keine BGH Rechtssprechung. Die Fragen, ob und in welcher Weise eine Gegenmacht der Hersteller zu berücksichtigen sei und ob die Gesamtkonditionen eines Lieferanten oder die jeweilige Einzelforderung Bezugspunkt der Prüfung seien, bedürfe grundsätzlicher Klärung. Gleiches gelte für die Frage, ob die sachliche Rechtfertigung einer Forderung stets ausgeschlossen sei, wenn dafür keine Gegenleistungen vereinbart werden.
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Januar 2017 das Berufungsurteil im Streit um die kartellrechtliche Entgeltkontrolle über die Nutzung von Kabelanlagen zwischen der Vodafone Kabel Deutschland GmbH und der Telekom Deutschland GmbH aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurück verwiesen. Hintergrund des Falles ist, dass die Vodafone von der Telekom mehrere Breitbandkabelnetze erwarb, wobei die sog. Kabelkanalanlagen, in denen die Breitbandkabel verlegt sind, im Eigentum der Telekom verblieben. Über diese wurden Mietverträge geschlossen, die die Vodafone gegen eine Vergütung von 3,41 Euro pro Meter und Jahr zur Nutzung berechtigten. Gleichzeitig war die Telekom regulatorisch dazu verpflichtet, anderen Wettbewerbern Zugang zu den Kabelkanalanlagen zu gewähren, für den die Bundesnetzagentur eine Vergütung von 1,44 bzw. 1,08 Euro pro Meter und Jahr als verbindlich festgesetzt hatte. Die Vorinstanz konnte in der Vereinbarung höherer Nutzungsentgelte keinen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung der Telekom erkennen, da es zwischen dem Kaufpreis für die Breitbandnetze und der Entgelte für die Nutzung der Kabelkanalanlagen einen wirtschaftlichen Zusammenhang gegeben habe, der eine nachträgliche Entgeltherabsetzung durch das Gericht wirtschaftlich einer unstatthaften Herabsetzung des Kaufpreises gleichsetze. Der Bundesgerichtshof folgte dem nicht. Er entschied, dass grundsätzlich auch solche Entgelte der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle unterliegen, die nach dem Erwerb eines langfristig nutzbaren Investitionsguts für einen spezifischen Bedarf des Erwerbers aufgewandt werden müssten, den dieser nach dem Erwerb nur bei dem veräußernden Unternehmen decken kann. Sollten danach die Entgelte überhöht sein, könnten diese nicht schon deshalb als gerechtfertigt angesehen werden, weil die Entgeltvereinbarung im Zusammenhang mit Erwerb des Investitionsguts geschlossen wurde. Entscheidend seien vielmehr die Umstände des Einzelfalles.
Das OLG Düsseldorf hat am 26. Januar 2017 den Einspruch mehrerer führender Süßwarenhersteller gegen eine Entscheidung des Bundeskartellamtes im sog. Süßwarenkartell abgewiesen. 2013 hatte das Kartellamt gegen mehrere Mitglieder der Deutschen Süßwarenindustrie ein Bußgeld verhängt, weil diese in der Zeit von Ende 2003 bis Anfang 2008 Informationen über den Stand der Verhandlungen im Lebensmittelhandel und beabsichtigte Preiserhöhungen austauschten. Die Entscheidung ist von grundsätzlicher Bedeutung, da die Richter – ohne Vorliegen einer koordinierten Preisabsprache – ihre Entscheidung allein darauf stützten, dass es zwischen den Mitgliedern des Arbeitskreises zu einem regelmäßigen Informationsaustausch gekommen sei. Damit sollten zwar die Verbraucher nicht geschädigt werden, trotzdem sollte der Nachfrage im Lebensmittelhandel durch den Informationsaustausch etwas entgegen gesetzt werden. Dies habe den Wettbewerb im Bereich Süßgebäck spürbar gedämpft. Die Entscheidung des OLG Düsseldorf zeigt wieder einmal, dass auch der „bloße“ Austausch wettbewerblich sensibler Informationen erhebliche kartellrechtliche Konsequenzen haben kann.
Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass Markenhersteller ihren Händlern im Rahmen ihres selektiven Vertriebssystems nicht verbieten dürfen, ihre Produkte über Preissuchmaschinen im Internet zu vertreiben. In einem Pilotverfahren gegen den Sportschuhhersteller Asics hatte das Bundeskartellamt insbesondere entschieden, dass ein generelles Verbot der Nutzung von Preisvergleichsportalen im Internet eine bezweckte Wettbewerbsbeschränkung (des Onlinehandels) darstelle – was das OLG nun bestätigt hat. Diese Beschränkung sei nicht durch den Schutz des Markenimages sowie die Notwendigkeit von Beratungsleistungen gerechtfertigt, da die Verbraucher entsprechende Informationen über Laufschuhe auch ohne weiteres aus dem Internet beziehen können. Ob auch das vom Bundeskartellamt beanstandete, damalige Verbot der Benutzung von Google AdWords und des Verkaufs über Online-Verkaufsportale wie Ebay oder Amazon als kartellrechtswidrig einzustufen war, hat das Gericht demgegenüber offengelassen. Die Veröffentlichung der Urteilsgründe durch das OLG steht allerdings noch aus. Ebenso mit Spannung erwartet wird die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes betreffend eines gegen den Luxuskosmetikherstellers Coty anhängigen Vorabentscheidungsverfahrens, in dem es ebenfalls um Onlinebeschränkungen in Vertriebsverträgen geht.
Der erste Kartellsenat des OLG Düsseldorf hat in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2017 im Hauptsacheverfahren in Sachen Booking.com Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verbots von sog. Bestpreisklauseln angekündigt. Die vom Bundeskartellamt gegenüber dem Hotelbuchungsportal Booking.com untersagte Regelung sieht vor, dass das Angebot der inserierenden Hotels auf der hoteleigenen Internetseite nicht niedriger sein darf, als das auf dem Buchungsportal. Das Gericht prüft derzeit, ob es sich bei den Bestpreisklauseln nicht
um notwendige Nebenabreden handelt, um eine „illoyale Ausnutzung“ der Vermittlungsdienstleistungen des Internetportals durch trittbrettfahrende Hotels auszuschließen. Ohne eine solche Regelung könnten Hotels die Online-Plattform nutzen, um Zimmersuchende mit günstigeren Preisen auf ihre eigene Website zu locken. Die endgültige Entscheidung des Gerichts steht aber noch aus.
Das Bundeskartellamt hat am 13. März 2017 ein Sachstandspapier zu einem Musterverfahren gegen Deutschlands größte Molkerei, Deutsches Milchkontor eG, veröffentlicht. Anlass zu diesem Verfahren hatten die marktüblichen Lieferbedingungen für Milch gegeben, die nach Auffassung des Bundeskartellamtes zu einer Abschottung des Marktes zum Nachteil der Erzeuger führen können. Das Sachstandspapier enthält daher alternative Gestaltungsmöglichkeiten für Lieferbedingungen, wie beispielsweise eine Verkürzung der Kündigungsfristen, Entkoppelung von Lieferbeziehung und Genossenschaftsmitgliedschaft, Preisfestlegung vor Lieferung und die Vereinbarung fester Liefermengen. Der Milchindustrieverband sowie das Deutsche Milchkontor haben angekündigt, sich gegen das aus ihrer Sicht „weltfremde“ Vorgehen des Bundeskartellamtes zu wehren.
Informationen zum Verfahrensstand und den (kartell-) rechtlichen Konsequenzen des Brexit finden Sie weiterhin auf unserer Homepage unter http://www.luther-lawfirm.com/publikationen/newsletter/liste/brexit.html.
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