15.07.2015
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Eines der am heftigsten umstrittenen Themen im Vertriebskartellrecht ist die kartellrechtliche Behandlung des Online-Handels. Nachdem ein vollständiger Ausschluss des Online-Handels durch Hersteller von der Praxis der Kartellbehörden und der Rechtsprechung (z. B. EuGH, Urteil Pierre Fabre, vgl. Newsletter 1. Quartal 2012, S. 5) als unzulässig angesehen wurden, hat sich die Diskussion bisher auf die Frage konzentriert, ob sog. Drittplattformverbote zulässig sind. Hierzu gibt es eine Reihe widersprüchlicher OLG-Entscheidungen (für Verbot: z. B. OLG München, OLG Karlsruhe – gegen Verbot: KG Berlin, OLG Schleswig, und jüngst LG Frankfurt). Eine höchstrichterliche Entscheidung durch den BGH steht bislang aus.
Auch die Aktivitäten des Bundeskartellamts haben bisher zu keiner abschließenden Beurteilung führen können. Im Fall adidas hat sich das Bundeskartellamt mit adidas auf eine Rücknahme des Online-Plattformverbots geeinigt. Im ASICS-Verfahren ist eine einvernehmliche Einigung zwischen Bundeskartellamt und ASICS bisher gescheitert. Eine streitige Auseinandersetzung steht bevor (vgl. Newsletter 3. Quartal 2014, S. 4). Die Aktivitäten des Bundeskartellamts sind insbesondere deshalb von besonderer Brisanz, als sie sich zumindest gegen den Wortlaut der Tz. 54 Vertikal-Leitlinien der Kommission richten (vgl. Newsletter 4. Quartal 2013, S. 5). Eine abschließende verbindliche Klärung auch dieser Frage durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ist daher wünschenswert.
Nunmehr dreht sich das Karussell weiter: Die Unternehmen befassen sich zunehmend mit dem Thema Doppelpreisstrategie, also einer Preisdiskriminierung von Offline- und Online-Geschäft. Eine solche ist zunächst nach Tz. 52 lit. d Vertikal-Leitlinien unzulässig. Dies hat der Fall Dornbracht bestätigt: Die dort entwickelte Vertriebsstrategie wurde daher vom Bundeskartellamt und auch dem OLG Düsseldorf als unzulässig angesehen, da Ware, die im Internet verkauft werden sollte, durch Nicht-Gewährung des Rabatts ohne weitere Differenzierung teurer abgegeben wurde als Ware, die stationär verkauft werden sollte. Das Bundeskartellamt nahm ebenfalls Anstoß an dem ursprünglichen Konzept der Firma Bosch Siemens Hausgeräte (BSH). Dort zielten Rabatte nach 3Auffassung des Bundeskartellamtes auf eine Beschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit der Hybridhändler durch BSH ab. Durch niedrigere Rabatte für den Online-Vertrieb setzte BSH Hybridhändlern Anreize, BSH-Geräte eher stationär als online abzusetzen. Nach Absprache mit dem Bundeskartellamt hat BSH nunmehr ein Vertriebskonzept entwickelt, wonach künftig für den stationären und für den Online-Absatz gleich hohe Rabatte erreichbar sind. Um die Rabatte zu erzielen, muss ein Händler verschiedene Präsentations- und Beratungsleistungen erbringen. Die zur Rabattgewährung für den Online-Absatz herangezogenen Leistungskriterien (z. B. Qualität Online-Präsentation, Mitarbeiterqualifizierung) korrespondieren inhaltlich mit den Kriterien für den stationären Absatz (Qualität Ausstellung, Mitarbeiterqualifizierung).
Grundsätzlich scheinen die Vertreter des Bundeskartellamts also jenseits ihrer Haltung in den Verfahren adidas und Asics eine zunächst offene Haltung einzunehmen. Das BSH-Modell wäre in der Tat durchaus eine mögliche Alternative für Hersteller, um zumindest über die Rabattstaffeln ein bestimmtes Niveau im Online-Handel sicherzustellen.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Hersteller auch von vornherein sowohl für den Vertriebskanal Offline wie für den Vertriebskanal Online den gleichen Maximalrabatt wie im BSH-Fall vorsehen müssen. Hiervon scheint jedenfalls das Bundeskartellamt auszugehen. Auch die Vertikal-Leitlinien (Tz. 52 lit. d) legen dies zunächst nahe. Allerdings gilt es hier, auch Tz. 64 der Vertikal-Leitlinien zu beachten. Auch dort geht die Kommission grundsätzlich davon aus, dass ein „Doppelpreissystem“ eine unzulässige Kernbeschränkung darstellt. Dennoch sieht die Kommission eine individuelle Freistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV als möglich an, wenn ein Hersteller beim Online-Verkauf einen höheren Preis verlangt, weil Online-Verkäufe für den Hersteller mit erheblich höheren Kosten verbunden sind als offline verkaufte Produkte. Als Beispiel nennen die Vertikal-Leitlinien den Fall, dass Offline-Verkäufe bereits die Installation durch Händler vor Ort beinhalten, was bei online verkauften Produkten nicht der Fall ist. Im Falle von Online-Verkäufen fallen daher beim Hersteller mehr Kundenbeschwerden an und werden mehr Haftungsansprüche geltend gemacht. In diesem Zusammenhang wird die Kommission berücksichtigen, inwieweit die Beschränkungen den Internetverkauf einschränken und den Händler daran hindern könnte, mehr und andere Kunden zu erreichen.
Abstrahiert man diese Grundsätze und die Grundsätze des BSH-Falles des Bundeskartellamts, so liegt es nahe anzunehmen, dass bei bestimmten Leistungen, die nur im Offline-Verkauf (wie z. B. Installation vor Ort, besondere Beratungs- oder Wartungsleistungen etc.) eine Doppelpreisstrategie mit einer Differenzierung des Einkaufspreises von Offline-Handel und Online-Handel auch kartellrechtlich möglich sein müsste. Letztlich hat die Kommission mit ihren Vertikal-Leitlinien das Tor für eine Einzelfallbetrachtung geöffnet.
Eine eher praktische Frage ist, ob der Hersteller eine derartige Preisstrategie punktgenau durchführen kann. Dazu müsste er die jeweils vom Händler getätigten Offline- bzw. Online-Umsätze kennen. Bei Händlern die ausschließlich nur offline oder nur online verkaufen, ist dies für den Hersteller kein Problem, da er nur auf den Gesamtumsatz der an den Händler verkauften Produkte schauen muss. Schwieriger wird es bei Hybridhändlern, die sowohl offline wie auch online verkaufen. In diesem Falle müsste der Händler die im jeweiligen Vertriebskanal getätigten Umsätze offenlegen. Dies könnte ggf. Probleme schaffen, da insofern Geschäftsgeheimnisse des Händlers offengelegt werden müssen. Im BSH-Fall hat das Bundeskartellamt es jedoch als zulässig angesehen, dass eine Meldung von gewissen Umsatzspannen über einen unbeteiligten Dritten (Steuerberater, Wirtschaftsprüfer) möglich ist. Dadurch könnte auch dieses Problem umschifft werden.
Da die Vertreter des Bundeskartellamts in öffentlichen Veranstaltungen seit geraumer Zeit auf die Komplexität des Themas hinweisen und die Unternehmer zu kreativen Lösungen auffordern, wäre eine oben beschriebene sachlich gerechtfertigte Preisstrategie ggf. für Hersteller in Zukunft ein gangbarer Weg zwischen „Preisdiskriminierung“ und „Kartellrechtsverstoß“. Eine Vorabklärung mit dem Bundeskartellamt empfiehlt sich jedoch in jedem Fall. Es wird zu prüfen sein, wie offen das Bundeskartellamt tatsächlich für „kreative“ Lösungen in der Praxis ist.
Dr. Thomas Kapp, LL.M. (UCLA)
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Wer ein Kartell mit Unternehmen aus anderen EU-Mitgliedstaaten betreibt, muss damit rechnen, in einem dieser Staaten als Streitgenosse des dort ansässigen Mitkartellanten (des Ankerbeklagten) auf Schadensersatz verklagt zu werden. Die Gerichte im Sitzstaat des Ankerbeklagten bleiben selbst dann für den Prozess gegen die anderen Beklagten zuständig, wenn er aus dem Prozess ausscheidet und er der einzige Beklagte war, der seinen Sitz dort hatte.
Im Jahr 2006 verhängte die Europäische Kommission Geldbußen in Höhe von EUR 388 Mio. gegen mehrere Hersteller der Bleichmittel Wasserstoffperoxid und Natriumperborat. Sie hatten unter anderem Preise abgesprochen. Einige Dutzend Kunden, Zellstoff- und Papierverarbeiter, machten die überhöhten Preise als Schaden geltend. Dazu traten sie ihre Ansprüche an Cartel Damage Claims („CDC“) ab. CDC reichte im März 2009 Klage beim Landgericht Dortmund ein. Verklagt wurden sechs der bebußten Chemieunternehmen. Der geltend gemachte Schaden belief sich auf EUR 475 Mio. Die Beklagte Evonik Degussa GmbH („Evonik“) war die einzige mit Sitz in Deutschland. Die anderen fünf Beklagten hatten ihren Sitz in anderen EU-Mitgliedstaaten. Ein halbes Jahr nach Klageerhebung, im September 2009, verglich sich CDC mit Evonik und nahm die Klage gegen diese Gesellschaft zurück. Die anderen Beklagten rügten daraufhin die Unzuständigkeit des Landgerichts. Zur Klärung seiner Zuständigkeit legte das Gericht dem Europäischen Gerichtshof mehrere Fragen vor.
Ob deutsche Gerichte für Kartellschadensersatzklagen zuständig sind oder Gerichte in anderen Mitgliedstaaten, regelt die „Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen“ (EuGVVO). Auf die Klage von CDC gegen die Bleichmittelhersteller war sie in der Fassung der VO 44/2001 anwendbar; seit dem 10. Januar 2015 gilt die Fassung der VO 1215/2012. Die für den hier beschriebenen Fall maßgeblichen Regeln wurden inhaltlich durch die Neufassung nicht geändert.
Der allgemeine Gerichtsstand ist gemäß der EuGGVO der Sitzstaat des Beklagten (Art. 4 Abs. 1, 63 Abs. 1 EuGVVO n.F.; Art. 2, 60 EuGVVO a.F.). Da Evonik ihren Sitz in Essen hat, waren für die Klage gegen sie eindeutig deutsche Gerichte zuständig. Innerhalb Deutschlands war nicht das LG Essen, sondern das LG Dortmund zuständig – dies regelt ein sog. Konzentrationsgesetz des Landes NRW.
Für die Klagen gegen die anderen Kartellmitglieder stellte sich die Frage, ob sie wegen des Sachzusammenhangs am selben Ort erhoben werden konnten. Die EuGVVO erlaubt dies, wenn getrennte Verfahren die Gefahr widersprechender Entscheidungen zur Folge hätten (Art 8 Nr. 1 EuGVVO n.F.; Art 6 Nr. 1 EuGVVO a.F.). Eine Voraussetzung dafür ist, dass es sich bei den Ansprüchen gegen die verschiedenen Beklagten um dieselbe Sach- und Rechtslage handelt. Dies bejahte der EuGH mit der Begründung, die Kommission habe in ihrer Bußgeldentscheidung eine „einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung“ aller sechs verklagten Unternehmen festgestellt. Somit könne ein von diesem Kartell Geschädigter vor Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten klagen. Diese könnten wegen der unterschiedlichen nationalen Haftungsrechte zu widersprechenden Urteilen kommen. Daraus folgt: Jedes Unternehmen, das in einer typischen Bußgeldentscheidung der Europäischen Kommission als Adressat genannt wird, muss damit rechnen, dass es in jedem Staat, in dem ein anderer Adressat seinen Sitz hat, als Streitgenosse verklagt werden kann.
Als CDC die Klage gegen Evonik zurücknahm, schied die Beklagte, deren Sitz die deutsche Gerichtszuständigkeit begründet hatte, aus dem Prozess aus. Die verbliebenden Beklagten behaupteten, dass nunmehr die Zuständigkeit deutscher Gerichte entfallen sei.
Der EuGH entschied, dass durch die Rücknahme der Klage gegen die Ankerbeklagte die Zuständigkeit nicht nachträglich entfallen ist. Wenn das Verfahren erst einmal zulässig in Gang gekommen ist, ändert sich die Zuständigkeit nicht mehr. Etwas anderes würde dann gelten, wenn CDC und Evonik den Vergleich schon vor Erhebung der Klage geschlossen, seinen förmlichen Abschluss aber herausgezögert hätten, nur um die Zuständigkeit des deutschen Gerichts für die anderen Beklagten zu begründen. Denn das würde entgegen dem Zweck der EuGVVO den anderen Beklagten die Zuständigkeit ihrer Wohnsitzgerichte entziehen. Einige Beklagte hatten eine solche Absprache von CDC und Evonik behauptet. Ein Interesse von Evonik an einem fortbestehenden deutschen Gerichtsstand lag nah, war doch damit zu rechnen, dass ihr die verbleibenden Beklagten nach der Klagerücknahme mit Blick auf einen künftigen Gesamtschuldnerausgleich den Streit verkünden würden, Evonik also an der Auseinandersetzung weiter beteiligt sein würde. Eine solche Interessenlage und das alleinige Behaupten einer kollusiven Absprache genügt dem EuGH aber nicht. Er verlangt „beweiskräftige Indizien“. Kein ausreichendes Indiz sei das bloße Führen von Vergleichsverhandlungen. Notwendig sei vielmehr der Nachweis, dass der Vergleich tatsächlich geschlossen, jedoch verschleiert wurde, um den Anschein zu erwecken, dass die Voraussetzungen für einen Sachzusammenhang im Zeitpunkt der Klageerhebung vorlagen. Das LG Dortmund bleibt somit auch ohne deutsche Ankerbeklagte für die Kartellschadensersatzklage zuständig.
Die Beklagten rügten die Unzuständigkeit des Gerichts zudem mit dem Argument, sie hätten sich mit den geschädigten Unternehmen auf Gerichtsstands- und Schiedsklauseln geeinigt, die die Zuständigkeit des LG Dortmund verdrängen würden. Diese Klauseln seien in den Lieferverträgen mit den Geschädigten enthalten gewesen. Der EuGH entschied, dass Gerichtsstandsvereinbarungen auch in Kartellrechtsfällen zulässig sind (Art. 25 EuGVVO n.F., Art. 23 EuGVVO a.F.). Sie verdrängen die Zuständigkeit des Gerichts allerdings nur dann, wenn sie sich ausdrücklich auf Streitigkeiten wegen eines Kartellverstoßes beziehen und der Geschädigte bei ihrer Vereinbarung auf einen möglichen kartellrechtlichen Streit hingewiesen worden ist. Diese Voraussetzungen werden in der Praxis üblicherweise nicht erfüllt sein. Eine Gerichtsstandsvereinbarung, die sich abstrakt auf Rechtstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen bezieht, reicht hingegen keinesfalls aus, um eine Schadensersatzklage an ein anderes Gericht zu bringen.
Das LG Dortmund hatte den EuGH auch zum Gerichtsstand der deliktischen Handlung befragt. Danach sind die Gerichte an dem Ort zuständig, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO n.F.; Art. 5 Nr. 3 a.F.). Es kommen der „Ort des für den Schaden ursächlichen Geschehens“ (Handlungsort) und der „Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs“ (Erfolgsort) in Betracht. Der Kläger kann unter ihnen wählen. Während sich der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen dafür aussprach, den deliktischen Gerichtsstand im vorliegenden Fall gänzlich auszuschließen, differenzierte der EuGH: Als Handlungsort qualifiziert er zum einen den Gründungsort des Kartells. Ein solcher war aber hier nicht auszumachen, denn das Kartell wurde „bei verschiedenen Treffen und Konsultationen an verschiedenen Orten der Union gegründet“. Zum anderen könne, so der EuGH, möglicherweise aus dem Gesamtkomplex auch eine einzelne Handlung isoliert werden, die für sich allein das ursächliche Geschehen für einen Schaden des Käufers bilde. Für dessen Anspruch bestehe dann eine Gerichtszuständigkeit am Handlungsort. Im Prozess an diesem Gerichtsstand könnten dann wiederum andere Beklagte auf Grund Sachzusammenhangs mitverklagt werden. Der Erfolgsort liegt nach Ansicht des EuGH dort, wo sich der Schaden konkret zeigt. Bei einem Preiskartell sei dies grundsätzlich der Sitz des Geschädigten. Über einen Mangel an zulässigen Gerichtsständen kann sich ein Kartellgeschädigter wahrlich nicht beklagen.
Dr. Helmut Janssen, LL.M. (London)
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Dr. Patricia Rogosch
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Im Anschluss an die beiden grundlegenden Entscheidungen des BGH vom 17. Dezember 2013 (s. auch Newsletter 2/2014) zu den Anforderungen an ein diskriminierungsfreies Konzessionsvergabeverfahren, ist im letzten Jahr weitere höchstrichterliche Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Konzessionsvergabe nach § 46 EnWG ergangen. So hat sich der BGH zuletzt mit der Informationspflicht des Altkonzessionärs im Vorfeld des Verfahrens auseinandergesetzt (Urteil vom 14. April 2015, EnZR 11/14 – Gasnetz Springe) und dabei insbesondere festgestellt, dass der Auskunftsanspruch der Gemeinde gegenüber dem bisherigen Nutzungsberechtigten nach § 46 Abs. 2 S. 4 EnWG auch Angaben zu den kalkulatorischen Restwerten und den kalkulatorischen Nutzungsdauern für sämtliche Anlagen des zu überlassenden Versorgungsnetzes umfasst. Bereits zuvor hatte der BGH (Beschluss vom 03. Juni 2014, EnVR 10/13 – Stromnetz Homberg) – wenn auch in einem obiter dictum – festgestellt, dass der Herausgabeanspruch des Neukonzessionärs grundsätzlich auch gemischt genutzte Anlagen umfasst, jedenfalls sofern an diese im Gemeindegebiet unmittelbar versorgte Letztverbraucher angeschlossen sind.
Das Bundeskartellamt und die Bundesnetzagentur haben diese Entwicklungen der Rechtsprechung zum Anlass genommen, den gemeinsamen Leitfaden zur Vergabe von Strom- und Gaskonzessionen und zum Wechsel des Konzessionsnehmers zu überarbeiten. Die nunmehr vorliegende 2. Auflage des rechtlich unverbindlichen Leitfadens mit Stand vom 21. Mai 2015 fasst für den Rechtsanwender die wesentlichen, derzeit geltenden Vorgaben im Zusammenhang mit der Konzessionsvergabe aus Sicht der Bundesbehörden zusammen.
Von besonderem Interesse sind hierbei naturgemäß die Stellen, an denen sich der Leitfaden nicht auf eine gesicherte Rechtsprechung stützen kann. Dies betrifft etwa die Frage, wann von der gebotenen vorrangigen Berücksichtigung der Ziele des § 1 EnWG auszugehen ist. Das Bundeskartellamt sieht hier eine Gewichtung von 70 % als „safe harbour“ an, während die Bundesnetzagentur der Ansicht ist, dass sich aus der Rechtsprechung keine konkrete Prozentzahl von über 50 % ableiten lasse. Für die Praxis erscheint eine Orientierung an den 70 % ratsam, zumal anderenfalls die Gefahr besteht,dass die zusätzlich berücksichtigten Einzelziele stärker gewichtet werden, als einzelne der vorrangig zu berücksichtigenden Ziele des § 1 EnWG.
Der Leitfaden sieht keine generelle Pflicht zur Aufstellung von Unterkriterien vor, hält die Gemeinden aber verpflichtet, eine Gewichtung vorzunehmen, wenn sie Unterkriterien bildet. Da dies gerade mit Blick auf die sehr abstrakten Ziele des § 1 EnWG in der Rechtsprechung jedoch mit guten Gründen bisweilen anders gesehen wird, sollte grundsätzlich nicht auf Bildung und Gewichtung von Unterkriterien verzichtet werden.
In den Fällen, in denen sich ein Unternehmen mit kommunaler Beteiligung an dem Konzessionswettbewerb beteiligt, verdienen die Ausführungen im Leitfaden zu den Anforderungen an die personelle und organisatorische Trennung zwischen der Kommune als Bieter und der Kommune als vergebende Stelle besondere Beachtung. Insbesondere genügt es nach Auffassung der Behörden nicht, allein die Regelungen der Gemeindeordnungen und des VwVfG einzuhalten, um den kartellrechtlichen Anforderungen zur Wahrung des Geheimwettbewerbes und des Neutralitätsgebots zu genügen.
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Entscheidungen der letzten Jahre den Wettbewerb um die Strom- und Gaskonzessionen deutlich gestärkt haben. Das hier trotzdem noch ein langer Weg zu gehen ist, mag man nicht zuletzt an der scheinbaren Attraktivität von Beteiligungs- und Kooperationsmodellen festmachen. Diese ist vielfach nur dadurch zu erklären, dass sich die Unternehmen hierdurch eine Verbesserung ihrer Chancen im Konzessionswettbewerb ausrechnen. Diese realisieren sich dann auch regelmäßig, obwohl unter Berücksichtigung der zulässigen Kriterien im Konzessionswettbewerb nicht zu erkennen ist, weshalb die Beteiligung der Kommune ein besseres Angebot ermöglichen sollte. Es ist daher zu erwarten, dass den Gerichten und Behörden auch in Zukunft die Fälle der Diskriminierung im Rahmen der Konzessionsvergabe nicht so schnell ausgehen werden.
Dr. Guido Jansen
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Dr. Martin A. Steger
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Diese zunächst banal erscheinende Frage ist im Kartellrecht nicht ganz so einfach zu beantworten. Es hat sich zwar zwischenzeitlich der sog. „funktionale Unternehmensbegriff“ durchgesetzt, der sich im Wesentlichen auf eine wirtschaftliche Tätigkeit hinsichtlich Waren und Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt bezieht. Dennoch hat es zwischen dem Unternehmensbegriff im europäischen Kartellrecht und im deutschen Kartellrecht immer wieder gewisse Differenzen gegeben. Eine solche Differenz bestand z. B. in der Frage, ob die öffentliche Hand in ihrer Beschaffungstätigkeit als Unternehmen anzusehen ist. Im deutschen Recht wurde dies traditionell bejaht. Die EuGH-Rechtsprechung hat dies jedoch mit der FENIN-Rechtsprechung verworfen und damit die Beschaffungstätigkeit der öffentlichen Hand (z. B. den Einkauf von Papier durch eine Behörde) dem Kartellrecht entzogen. In Deutschland hat dies dazu geführt, dass nach den für die
Sozialversicherungsträger einschlägigen kartellrechtlichen Vorschriften im SGB nunmehr eine „entsprechende Anwendung“ des Kartellrechts vorgesehen ist. Dies alles ist Geschichte.
Jetzt steht jedoch ein neuer „Machtkampf“ bevor:
Die EU-Schadensersatzrichtlinie vom 26. November 2014 (ABl. v. 05. Dezember 2014, L 349/1) sieht vor, dass die Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren verschiedene Anpassungen vorzunehmen haben, um den effektiven Ersatz von durch Kartellrechtsverstöße verursachte Schäden sicherzustellen. Mit dieser Richtlinie wird der europäische Unternehmensbegriff in das nationale Recht importiert. Dies wird eine gravierende Veränderung der Rechtslage im deutschen Schadensersatzrecht ergeben.
Nach bisheriger Rechtslage haftet ein gegen das Kartellrecht verstoßendes Unternehmen nach § 33 GWB dem Geschädigten. Dabei haftet der jeweilige Rechtsträger, innerhalb dessen Wirkungskreis der Verstoß vorgekommen ist. Keinesfalls werde damit automatisch eine Konzernhaftung begründet, wonach auch Mutter- oder Schwestergesellschaften für den Verstoß einer Tochtergesellschaft innerhalb eines Konzerns haften müssen. Nach einer vielfach vertretenen Meinung wird sich dies mit der Umsetzung der Schadensersatzrichtlinie ändern müssen. Der deutsche Gesetzgeber ist nach dieser Ansicht verpflichtet, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der
den Geschädigten in die Lage versetzt, nicht nur den verstoßenden Rechtsträger, sondern auch den dahinter stehenden Unternehmenskonzern in Anspruch zu nehmen. Dies bedeutet eine gravierende Veränderung im deutschen Schadensersatzrecht. Bislang war eine solche Konzernhaftung allenfalls nach den Grundsätzen des (inzwischen überholten) Begriffs des qualifizierten faktischen Konzerns möglich. Die Umsetzung der Schadensersatzrichtlinie wird daher zu einer völlig neuen, viel umfassenderen Schadensexposition von Konzernen führen. Dies ist in der rechtspolitischen Diskussion in Deutschland noch nicht allgemein wahrgenommen worden.
Auf Grundlage dieser Rechtsentwicklung stellt sich die noch wesentlich spannendere Frage, ob die Änderung des Unternehmensbegriffes im Schadensersatzrecht, also die Verschiebung von einer Rechtsträgerhaftung hin zu einer Konzernhaftung, auch im Bußgeldrecht parallel nachvollzogen werden muss. Falls man diese Frage bejaht, würde dies noch einen sehr viel größeren Bruch mit dem tradierten Verständnis der Bußgeldhaftung von Unternehmen bedeuten.
Nach bisherigem Verständnis konnte ein Unternehmen (konkret dessen Rechtsträger im juristischen Sinne) zwar mit einer Verbandsbuße nach § 30 OWiG belegt werden. Diese Verbandsbuße bezog sich allerdings immer auf den jeweils betroffenen Rechtsträger und nicht auf den dahinter stehenden Konzern. Der deutsche Gesetzgeber steht nunmehr vor einer schwierigen Frage: Entweder er beschränkt die Erstreckung des europäischen Unternehmensbegriffs im deutschen
Recht auf den Bereich der Schadensersatzhaftung – was zur Konsequenz hat, dass es im deutschen Recht einen gespalteten Unternehmensbegriff je nach „Spielfeld“ (Schadensersatzrecht
oder Bußgeldverfahren) gibt. Oder aber er führt den europäischen Unternehmensbegriff im deutschen Kartellrecht insgesamt ein und muss damit massive Brüche mit dem tradierten Ordnungswidrigkeiten- bzw. Strafrecht in Kauf nehmen. Nachdem die EuGH-Rechtsprechung zur Konzernhaftung aufgrund wirtschaftlicher Einheit ohnehin zum Teil amorphe Züge zeigt, stellt sich im deutschen Recht sofort die Frage, inwieweit im Ordnungswidrigkeiten-/Strafrecht ein derartiger Unternehmensbegriff überhaupt mit dem strafrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) zu vereinbaren ist. Sicherlich wird hierzu das Bundesverfassungsgericht bei passender Gelegenheit seine Meinung äußern müssen.
Für uns stellen sich daher folgende Fragen:
1. Ist aus Ihrer Sicht ein einheitlicher Unternehmensbegriff auf Grundlage des europäischen Unternehmensbegriffs im deutschen Recht (Schadensersatzrecht und Bußgeldverfahren) vorzugswürdig oder nicht?
2. Halten Sie einen europäischen Unternehmensbegriff im deutschen Ordnungswidrigkeitenrecht mit dem deutschen (verfassungsrechtlich verbrieften) Bestimmtheitsgrundsatz für vereinbar?
Dr. Thomas Kapp, LL.M. (UCLA)
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Karin Hummel, M.A.
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Die Europäische Kommission hat am 11. Juni 2015 eine förmliche Untersuchung von Amazon mit Blick auf die Tätigkeit des Unternehmens im Markt für den Vertrieb elektronischer Bücher („E-Books“) eingeleitet. Sie konzentriert sich dabei zunächst auf die europäischen Märkte für englische und deutsche E-Books. Die Wettbewerbshüter wollen insbesondere Klauseln in Verträgen unter die Lupe nehmen, die Amazon mit Verlagen abschließt. Diese Klauseln regeln eine Informationspflicht der Verlage gegenüber Amazon, wenn sie den Wettbewerbern von Amazon günstigere Konditionen bieten. Im Anschluss müssen die Verlage Amazon vergleichbare Konditionen gewähren oder anderweitig eine ebenso gute Position von Amazon sicherstellen. Die Europäische Kommission sieht hierin eine mögliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung zum Nachteil anderer E-Book-Händler, die im Wettbewerb mit Amazon stehen. Dies könne auch eine Beschränkung der auswählbaren Anbieter zulasten des Letztverbrauchers zur Folge haben.
Gegen das kalifornische Unternehmen werden derzeit mehrere Kartellverfahren geführt. Neben den von der Europäischen Kommission offiziell bestätigten 19 Klagen privater Unternehmen hat die Kommission zwischenzeitlich auch selbst Untersuchungen in verschiedenen Bereichen eingeleitet. So wurde Google am 15. April 2015 sowohl eine formelle Beschwerde wegen unfairen Wettbewerbs übermittelt als auch die Einleitung einer förmlichen Untersuchung zum mobilen Betriebssystem Android bekannt gegeben. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens muss sich Google dem Vorwurf des Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) stellen. Durch die bevorzugte Behandlung der eigenen Preisvergleichsdienste sei vor allem die Konkurrenzfähigkeit anderer Dienste zum Nachteil des Verbrauchers beeinträchtigt. In dem Verfahren rund um das Betriebssystem Android will die Kommission prüfen, ob Google durch wettbewerbswidrige Vereinbarungen und/oder die missbräuchliche Ausnutzung einer etwaigen marktbeherrschenden Stellung illegal die Entwicklung und den Marktzugang konkurrierender mobiler Betriebssysteme sowie mobiler Kommunikationsanwendungen und -dienste im EWR behindert hat. Ein Bußgeld könnte bei Feststellung eines Missbrauchs rund EUR 6,2 Milliarden betragen. Nach einer Verlängerung der Frist, hat das Unternehmen nur bis zum 17. August 2015 Zeit, zu den Beschwerdepunkten Stellung zu nehmen.
Mit Mitteilung vom 22. April 2015 hat die Europäische Kommission Beschwerdepunkte an den russischen Erdgaslieferanten übermittelt. Hierin wird Gazprom vorgeworfen, durch einige seiner Geschäftspraktiken in der mittel- und osteuropäischen Gasversorgung den EU-Binnenmarkt zu segmentieren. Durch diesen Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung verstoße Gazprom gegen EU-Kartellvorschriften. Konkret wird Gazprom vorgeworfen, das Unternehmen habe eine umfassende Strategie zur Abschottung der mittel- und osteuropäischen Gasmärkte verfolgt, um in mehreren dieser Länder eine unlautere Preispolitik fortführen zu können. Diese Strategie umfasse drei Bereiche. Als erstes wurde auf die Behinderung des grenzübergreifenden Vertriebs von Erdgas in acht EU-Mitgliedsstatten durch entsprechende territoriale Ausfuhrbeschränkungsklauseln verwiesen. Als zweites wurde der Vorwurf der Berechnung unangemessener Preise in fünf mittel- und osteuropäischen Ländern kundgetan und drittens bestünde der Verdacht, dass eine Verknüpfung von Gaslieferungen mit infrastrukturbezogenen Zusagen von Großhändlern in Bulgarien (Teilnahme am „South Stream“-Pipeline Projekt) und Polen (Kontrolle über Investitionsentscheidungen bzgl. der polnischen Pipeline „Yamal“) bestanden habe. Die ursprüngliche Frist für eine Stellungnahme seitens Gazprom von 12 Wochen wurde inzwischen auf Antrag von Gazprom um weitere 6 Wochen bis Anfang September verlängert.
Mit Entscheidung vom 9. März 2015 (Az. T-175/12) hat das EuG nunmehr entschieden, dass der geplante Zusammenschluss zwischen der Deutschen Börse und der NYSE Euronext zurecht wegen kartellrechtlicher Bedenken durch die Kommission am 1. Februar 2012 (Az. COMP/M.6166) untersagt
worden war. Die Kommission hatte in ihrem Beschluss die geplante Fusion als mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt, da aufgrund der zu erwartenden beherrschenden Stellung bzw. Quasimonopolstellung eine erhebliche Beeinträchtigung des wirksamen Wettbewerbs wahrscheinlich sei. Aufgrund des Zusammenschlusses sei die Entstehung einer einzigen vertikalen Struktur zu befürchten gewesen, die den Handel und die Verrechnung von mehr als 90 % der weltweiten Transaktionen mit börsengehandelten europäischen Derivaten abgewickelt hätte. Die Deutsche Börse und die NYSE Euronext hatten am 29. Juni 2011 ihr Fusionsvorhaben sowie die Neugründung der „HoldCo“, einer Gesellschaft niederländischen Rechts, bei der Kommission angemeldet. Gegen die Fusionsuntersagung der Kommission war die Deutsche Börse vor das EuG gezogen. Nach der Bestätigung der Rechtsauffassung der Kommission hatte sich die Deutsche Börse zunächst den Schritt in die nächste Instanz vorbehalten. Nunmehr hat sie die Entscheidung des EuG akzeptiert. Bereits in der Vergangenheit waren geplante Fusionsvorhaben der Deutschen Börse (Londoner Börse und Vierländerbörse Euronext) gescheitert. Die NYSE wurde hingegen zwischenzeitlich von der amerikanischen Börse ICE übernommen.
Am 17. Juni verhängte die EU-Kommission gegen den badenwürttembergischen Automobilzulieferer Eberspächer ein Bußgeld in Höhe von 68,175 Millionen Euro. Das Unternehmen habe, so die Kommission, zwischen 2001 und 2011 mit seinem Wettbewerber Webasto die Preise für Standheizungen und Zuheizer abgesprochen und somit künstlich hochgehalten. Zudem seien die Kunden untereinander aufgeteilt, jährliche Preislisten ausgetauscht und Rabatte für die Händler angeglichen worden. Diese Absprachen waren nach Auffassung der Kommission als besonders schwerwiegend zu bewerten, da Eberspächer und Webasto die einzigen Standheizungshersteller in Europa sind. Aufgrund eines Kronzeugenantrags erließ die Kommission Webasto das Bußgeld. Eberspächer erhielt wegen seiner Kooperation mit der Kommission eine Bußgeldermäßigung. Beide Unternehmen hatten sich mit der Kommission zudem auf eine Einigung im sog. Settlement- Verfahren verständigt, so dass Eberspächer nochmals eine Reduktion der Geldbuße in Höhe von 10 % erreichen konnte.
In einem Rechtsmittelverfahren der Deutschen Bahn AG (Rs. C-583/13) u. a. gegen ein Urteil des EuG vom 6. September 2013 (verb. Rs. T-289/11 u. a.) hat Generalanwalt Nils Wahl dafür plädiert, die Durchsuchungen gegen die Bahn aus dem Jahr 2011 für unzulässig zu erklären. Die Durchsuchungen hätten zwar den damals bestehenden Vorwürfen gegenüber der Deutschen Bahn AG und Tochtergesellschaften nachgehen dürfen. Diese standen unter dem Verdacht, sich an einem wettbewerbswidrigen Preissystem für Strom zum Antrieb elektrischer Eisenbahnen beteiligt zu haben. Allerdings seien in Vorbereitung auf die Durchsuchung die Kommissionsmitarbeiter dazu angehalten worden, bei der Durchsuchung auch einem anderweitigen Sachverhalt nachzugehen, der die Deutsche Umschlaggesellschaft Schiene-Straße mbH („DUSS“) und einen Vorwurf der Zugangsverhinderung zu Bahninfrastruktur betraf. Auf diese Weise seien vorsätzlich oder jedenfalls fahrlässig die für Durchsuchungen einzuhaltenden Regelungen verletzt worden. Da die erste Durchsuchung illegal gewesen sei und sich auf die nachfolgenden beiden Durchsuchungsbeschlüsse ausgewirkt habe, seien die Beschlüsse insgesamt aufzuheben. Die Dokumente zu angeblichen Wettbewerbsverstößen, die im Rahmen der Nachprüfung außerhalb des Untersuchungsgegenstandes erlangt wurden, als Zufallsfunde zu werten, obwohl diese einem Verwertungsverbot unterlagen, sah der Generalanwalt als unzulässig an.
Am 11. Dezember haben Vertreter der Mitgliedsstaaten den Vorschlag begrüßt, wegen der bestehenden Überlastung des Gerichts die bisherige Richterzahl am EuG von 28 auf 56 zu verdoppeln (s.a. NL Quartal 1/2015). Außerdem soll das Gericht für den öffentlichen Dienst mit dem EuG zusammengelegt werden. Was die Erhöhung der Richterzahl angeht, sollen in einem ersten Schritt die Tschechische Republik, Schweden, Spanien, Bulgarien, Ungarn, Polen, Zypern, Litauen, Griechenland, Lettland, Luxemburg und die slowakische Republik neue Richter vorschlagen. Die Reihenfolge der Länder lehnt sich an die rotierende Ratspräsidentschaft der EU an. Dementsprechend sollen (bei der Planung von insgesamt 28 neuen Stellen) zunächst 12 Richter im September ihr Amt antreten dürfen. Die jährlichen Kosten für diesen Ausbau des Gerichts wurden zuletzt mit ca. EUR 14 Millionen beziffert. Der offizielle Standpunkt der Mitgliedsstaaten soll im Juli 2015 verkündet werden. Im Anschluss hat das Europäische Parlament drei Monate Zeit, sich zu der Verordnung zur Änderung der Satzung des Gerichts zu äußern. Ob das Parlament die Erhöhung der Richterzahl befürworten wird, ist derzeit indes unklar. Der Rechtsausschuss hat eine Untersuchung verlangt, auf welche Weise zusätzliche Richter tatsächlich zum Abbau der Überbelastung beitragen können. Zudem war bekannt geworden, dass einige Richter des EuG die avisierte Erweiterung des Gerichts ablehnen. Die Richter sollen klargestellt haben, das Problem könne nicht durch die Ernennung neuer Richter gelöst werden. Hilfreich könne aber beispielsweise die Anstellung von zusätzlichem Hilfspersonal sein. Der zuständige Berichterstatter des Europäischen Parlaments, António Marinho e Pinto, äußerte kürzlich ebenfalls seine Ablehnung hinsichtlich der Reformpläne. Die Forderung wird hingegen weiterhin gestützt durch den Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs, Vassilios Skouris, der allerdings im Oktober dieses Jahres sein Amt verlassen wird. Der Rat hingegen positionierte sich am 23. Juni 2015 offiziell als Befürworter der Reform des EuG.
Mit Beschluss vom 16. Dezember 2014 (KRB 47/13) hat der Bundesgerichtshof die St. Gobain Weber GmbH von einem Bußgeld freigesprochen. Der Bundesgerichtshof bestätigte damit im Rechtsbeschwerdeverfahren die vorangegangene Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Die Voraussetzungen für eine bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit lägen nicht vor. Grund hierfür waren zwischenzeitlich durchgeführte Umstrukturierungsmaßnahmen. Der BGH stellte heraus, die Verhängung einer Geldbuße setze eine unmittelbare Beziehung zwischen dem Täter und der juristischen Person voraus, für die er gehandelt hat. In den Fällen der Gesamtrechtsnachfolge durch Verschmelzung entfalle diese Beziehung mit der Wirksamkeit der Verschmelzung, weil die verschmolzene juristische Person ab diesem Zeitpunkt erloschen ist. Hintergrund der Entscheidung des Bundesgerichthofs ist das Trockenmörtelkartell. Im Jahr 2009 hatte das Bundeskartellamt hier neun Hersteller bebußt. Darunter war auch das Unternehmen maxit Deutschland GmbH, das eine Geldbuße in Höhe von EUR 12 Millionen erhalten hatte. Die maxit Deutschland GmbH war wenige Monate nach Abschluss des Kartellverfahrens im Sommer des Jahres 2009 von St. Gobain Weber GmbH übernommen und auf diese verschmolzen worden. Der Bundesgerichtshof sah bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise keine „Nahezu-Identität“ mehr zwischen dem Vermögen der bebußten verschmolzenen Gesellschaft und dem der Gesamtrechtsnachfolgerin St. Gobain Weber GmbH. Der Gesetzgeber hat mit Blick auf die Situation der Rechtsnachfolge zwar zwischenzeitlich durch das Einfügen der Vorschrift des § 30 Abs. 2a OWiG reagiert. Danach kann im Falle einer Gesamtrechtsnachfolge oder einer partiellen Gesamtrechtsnachfolge durch Aufspaltung (§ 123 Abs. 1 UmwG) die Geldbuße gegen den oder die Rechtsnachfolger festgesetzt werden. Wegen des Grundsatzes nulla poena sine lege konnte diese Vorschrift im Fall indes nicht zulasten von St. Gobain Weber GmbH rückwirkende Anwendung finden.
Als einer der mutmaßlichen Geschädigten des Zucker-Kartells (Südzucker, Nordzucker und Pfeifer & Langen) hat nun das Unternehmen Vivil Klage gegen das Unternehmen Südzucker vor dem Landgericht Mannheim erhoben. Die als Schadensersatz wegen kartellbedingt überhöhter Zuckerpreise geltend gemachte Klageforderung beläuft sich auf 1,3 Millionen Euro. Die erste mündliche Verhandlung in dieser Sache hat am 3. Juli 2015 stattgefunden. Weitere Klagen anderer Süßwarenhersteller sollen wahrscheinlich sein, sind aber derzeit noch nicht offiziell bestätigt. Zumindest der Getränkehersteller Mineralbrunnen Überkingen-Teinach (u. a. Afri Cola, Bluna) hat verlauten lassen, eine etwaige Schadensersatzklage werde geprüft. Nach Angaben des Bundeskartellamtes haben rund 100 Unternehmen Einsicht in die Akten des Zucker- Kartellverfahrens beantragt. Im Rahmen des so genannten Zucker-Kartells waren die Unternehmen Südzucker, Nordzucker und Pfeifer&Langen im Februar 2014 wegen Gebiets- und Preisabsprachen zu einem Bußgeld von insgesamt EUR 280 Millionen verurteilt worden. Der größte Anteil hiervon entfiel mit EUR 195 Millionen auf Südzucker.
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