22.07.2016
Die Europäische Kommission geht verstärkt gegen Geoblocking und Geo-Filtering vor. Sie stützt sich dabei auf das Kartellrecht, geht aber weit darüber hinaus, um den „Digitalen Binnenmarkt“ zu verwirklichen.
Die Europäische Kommission geht verstärkt gegen Geoblocking und Geo-Filtering vor. Sie stützt sich dabei auf das Kartellrecht, geht aber weit darüber hinaus, um den „Digitalen Binnenmarkt“ zu verwirklichen. Sie richtet sich also auch gegen solche Praktiken, die weder vom Kartellverbot noch vom Missbrauchsverbot untersagt sind.
Geoblocking bedeutet die Sperrung eines Online-Angebots für gebietsfremde Kunden. Dies erlebt, z.B. wer ein Produkt auf einer ausländischen Webseite nicht kaufen kann, weil er immer wieder auf eine Webseite seines Wohnsitz-Landes geleitet wird, wo dasselbe Produkt teurer angeboten wird (re-routing). Das Geo-Filtering hingegen lässt zwar die Bestellung des Kunden zu, ist er gebietsfremd, wird ihm das Produkt aber zu schlechteren Bedingungen verkauft.
Die Kommission hat am 18. März 2016 einen 80seitigen Zwischenbericht (ein „Issues Paper“) über ihre kartellrechtliche Sektoruntersuchung des elektronischen Handels vorgelegt. Sie hat in ihrer Marktbefragung zwischen dem Verkauf von Waren (Bekleidung, Sportartikel, Unterhaltungselektronik etc.) und von digitalen Inhalten (Filme, Musik usw.) unterschieden. Das Ermittlungsergebnis ist, dass Geoblocking von 38 % der befragten Waren-Einzelhändler und von 68 % der Anbieter digitaler Inhalte praktiziert wird.
Entscheidet sich ein Unternehmen autonom zum Geoblocking, kann es damit aus der Perspektive des Kartellrechts nur gegen das Verbot missbräuchlichen Verhaltens verstoßen. Das setzt allerdings eine marktbeherrschende Stellung voraus, die die meisten Händler nicht besitzen werden. Wenn das Geoblocking aber mit einem anderen Unternehmen abgestimmt ist, kann das Kartellverbot verletzt sein. Die Sektoruntersuchung hat gezeigt, dass es solche Abstimmungen gibt: 12 % der Waren-Einzelhändler gaben an, vertraglichen Beschränkungen des grenzüberschreitenden Verkaufs zu unterliegen. Solche Beschränkungen sind äußerst kritisch zu prüfen. Die Kommission vertritt bekanntermaßen die Auffassung, dass das Kartellverbot in der Regel verletzt ist, wenn ein Lieferant seine Händler darin beschränkt, das Internet als Vertriebskanal zu nutzen. Dies sei eine Beschränkung des passiven Verkaufs gemäß Art. 4 b) und Art. 4 c) Vertikal-GVO und führe somit zu einem Entfallen der Gruppenfreistellung. Angesichts der großen Aufmerksamkeit, die das Bundeskartellamt dem Internethandel zuwendet, sollten Unternehmen, die Händlern solche Vorgaben machen, ihre Vertragspraxis kritisch prüfen, um nicht Bußgeldern ausgesetzt zu werden. Außerdem können Händler Schadensersatz insbesondere wegen entgangenen Gewinns geltend machen.
59 % der Anbieter digitaler Inhalte erklärten, durch die Bereitsteller der Inhalte vertraglich zum Geoblocking verpflichtet zu sein. Die Kommission wird sich Einzelfälle näher ansehen müssen. Denn wegen der involvierten Schutzrechte (insbesondere Urheber- und Markenrechte) ist die Rechtslage komplizierter als beim reinen Warenverkehr. Urheberrechte zum Beispiel dürfen territorial beschränkt vergeben werden. Den Abschlussbericht der Sektoruntersuchung hat die Kommission für das erste Quartal 2017 angekündigt.
Gegen das Geoblocking von Filmstudios hatte die Kommission bereits im vergangenen Jahr ein Kartellverfahren eröffnet. Am 22. April 2016 hat sie nun das Angebot von Paramount Pictures auf Verpflichtungszusagen veröffentlicht und eine einmonatige Konsultation eröffnet. Akzeptiert die Kommission diese Zusagen, beendet sie das Verfahren, ohne eine Geldbuße zu verhängen. Neben Paramount sind noch weitere fünf US-Filmstudios betroffen.
In der bisherigen Lizenzvereinbarung zwischen Paramount Pictures und Sky UK verpflichtet sich Sky UK, den Zugang zu seinen Online-Diensten je nach Standort eines Verbrauchers zu blockieren. Auch passive Verkäufe sind Sky UK untersagt. Sky UK soll also auf Anfragen von Abnehmern außerhalb des Vereinigten Königreichs und Irlands seine Dienste nicht erbringen. Paramount soll dafür sicherstellen, dass Sender aus anderen Ländern keine Pay-TV-Dienste in das Vereinigte Königreich oder Irland aktiv oder passiv verkaufen. Sky UK erhält somit eine absolute Gebietsexklusivität für das Angebot der lizenzierten Paramount-Filme. Das ist nach Auffassung der Kommission ein kartellrechtswidriges Geoblocking. Die Vereinbarung ziele darauf ab, den grenzüberschreitenden Wettbewerb zwischen Pay-TV-Sendern zu beseitigen und den Binnenmarkt entlang der Grenzen einzelner Mitgliedsstaaten aufzuteilen. Das nunmehr von Paramount unterbreitete Angebot soll passiven Verkauf erlauben.
Während in der kartellrechtlichen Sektoruntersuchung Marktinformationen über das Geo-Filtering gesammelt werden, hat die Kommission – allerdings nicht die Generaldirektion Wettbewerb – ein erstes Verfahren gegen Disneyland Paris geführt. Das Unternehmen verlangte auf seiner Webseite von ausländischen Besuchern höhere Eintrittspreise als von französischen. Franzosen sollten für ein Premium-Paket 1346 Euro, Briten 1870 Euro und Deutsche 2447 Euro zahlen. Die Kommission intervenierte. Die Diskriminierung verstoße gegen den Grundsatz der Nichtdiskriminierung gemäß Art. 20 Abs. 2 der Dienstleistungsrichtlinie. Dieser erlaube zwar, in verschiedenen Märkten unterschiedliche Preise zu verlangen. Jedoch dürften Verbraucher nicht daran gehindert werden, das jeweils günstigste Angebot in Anspruch zu nehmen. Disneyland änderte sein Preisverhalten; die Kommission stellte ihr Verfahren im April 2016 ein. Das Kartellverbot hätte hier keine Handhabe geboten, da Kunden Verbraucher waren, es also an einer Vereinbarung zwischen Unternehmen fehlte. Auch das Missbrauchsverbot wäre wohl nicht einschlägig gewesen, weil Disneyland Paris zwar der größte Freizeitpark in Europa ist, aber vermutlich nicht marktbeherrschend.
Am 25. Mai 2016 hat die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Verordnungsvorschlag über Maßnahmen gegen Geoblocking unterbreitet. Auch hier geht es nicht um Kartellrecht. Die Verordnung lässt die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften angeblich unberührt. Aufmerken lässt aber Art. 6 des Verordnungsvorschlags. Nach ihm sollen Vereinbarungen nichtig sein, die Anbietern Verpflichtungen „in Bezug auf passive Verkaufsgeschäfte“ auferlegen. Solche Vereinbarungen bestehen zwischen Unternehmen. Der Regelungsgegenstand des Art. 6 deckt also Sachverhalte ab, die auch von Art. 4 b) und c) der Vertikal-GVO erfasst sind. Vereinbarungen über die Beschränkung des passiven Verkaufs wären daher im Anwendungsbereich der neuen Verordnung nichtig – ganz unabhängig von einer kartellrechtlichen Bewertung. Die Nichtigkeitsfolge würde seltsamerweise etwa auch dann greifen, wenn eine kartellrechtliche Einzelfreistellung möglich wäre. Urheberrechtlich geschützte Inhalte und deren Lizenzvergabe sollen zunächst nicht von der Verordnung erfasst werden.
Außer den genannten Initiativen der Kommission gibt es weitere, mit denen die Kommission ihre Strategie für einen Digitalen Binnenmarkt umsetzen will. Das Kartellrecht ist dabei, wie gezeigt, nur eine Waffe unter anderen im Kampf gegen Geoblocking. Ob die Generaldirektion Wettbewerb geografischen Beschränkungen des Online-Vertriebs auch mit Geldbußen zu Leibe rücken wird, ist noch nicht ausgemacht. Bislang sind es in erster Linie die Gerichte, die sich mit dem Verbot passiver Verkäufe befasst haben, zumeist im Rahmen zivilrechtlicher Auseinandersetzungen. Auch das Bundeskartellamt hat solche Beschränkungen bislang immer nur bemängelt, nicht aber bebußt. Auch wenn dies noch eine Weile so bleiben dürfte, ist doch heute schon klar, dass es für Unternehmen immer schwieriger sein wird, unterschiedliche Preisniveaus zwischen verschiedenen EU-Mitgliedstaaten aufrecht zu erhalten.
Dr. Helmut Janssen, LL.M. (London) |
Martina Stasch, Maîtrise en droit, Mag. iur. |
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Das Bundeskartellamt hat Anfang März 2016 ein Verfahren gegen die Facebook Inc., USA, die irische Tochter des Unternehmens sowie die Facebook Germany GmbH, Hamburg, eingeleitet. Die Behörde geht dem Anfangsverdacht nach, dass die Nutzungsbedingungen von Facebook gegen datenschutzrechtliche Vorschriften verstoßen und deshalb Facebook seine mögliche marktbeherrschende Stellung auf dem Markt für soziale Netzwerke missbraucht. Das Bundeskartellamt wird unter anderem überprüfen, welcher Zusammenhang zwischen der möglichen marktbeherrschenden Position des Unternehmens und der Verwendung derartiger Klauseln besteht.
Dieser Fall rollt mehrere Fragen auf. Zunächst ist zu klären, auf welchem Markt Facebook marktbeherrschend sein soll. Das Bundeskartellamt geht davon aus, dass Facebook auf dem gesondert abzugrenzenden Markt für soziale Netzwerke marktbeherrschend ist. Hier wäre für das Bundeskartellamt nochmals ganz grundsätzlich zu klären, ob auch unentgeltliche „Märkte“ als kartellrechtlich relevante Märkte angesehen werden können. Dies ist von der tradierten Kartellrechtspraxis bisher abgelehnt worden. Erste Aufweichungserscheinungen konnte man allerdings bereits schon feststellen (vgl. z.B. beim Bundeskartellamt im Fall „Google/VG Media“ und im Kommissions-Fall „Microsoft/Skype“). Außerdem wird in der Diskussion vorgetragen, dass eine Unentgeltlichkeit gar nicht vorläge, da die Nutzer mit ihren Daten „bezahlen“ (vgl. auch Speaker’s Corner in diesem Newsletter, S. 8 f.). Im Referentenentwurf des BMWI vom 1.7.2016 ist eine entsprechende Gesetzesänderung für § 18 GWB vorgesehen.
Hat das Amt diese Hürde genommen und unterstellt man eine marktbeherrschende Stellung auf dem vom Amt anvisierten Markt für soziale Netzwerke, so stellt sich die Frage nach einem kartellrechtlich erheblichen Missbrauch dieser Stellung. Facebook erhebt von seinen Nutzern in großem Umfang persönliche Daten aus verschiedensten Quellen. Um den Zugang zum sozialen Netzwerk zu erhalten, muss der Nutzer zunächst in diese Datenerhebung und -nutzung einwilligen, indem er sich mit den Nutzungsbedingungen einverstanden erklärt. Dabei willigt er auch in eine relativ weitreichende Weiterverwendung personenbezogener Daten ein. Diese Daten nutzt Facebook u.a., um Unternehmen, die auf Facebook werben wollen, maßgeschneiderte und zielgruppenorientierte Werbung zu ermöglichen. Auch werden z.B. Standortinformationen dazu genutzt, Freunden einer Person mitzuteilen, dass sich die befreundete Person gerade in der Nähe befindet. Der Umfang der erteilten Einwilligung ist für die Nutzer nach Ansicht des Amts nur schwer nachzuvollziehen. So sammelt Facebook z.B. bei der Nutzung entsprechender Dienste, Informationen von finanziellen Transaktionen einer Person wie z.B. Kreditkarten- oder Kontonummern, sowie Angaben zu Abrechnungen oder dem Versand. Solch ein weitreichender Zugriff auf Nutzerdaten kann (personalisierte) Dienstleistungen erleichtern oder erst ermöglichen. Ferner ist es denkbar, dass auf Grundlage von Netzwerk- und Kundenbindungseffekten sowie Größenvorteilen wirtschaftliche Machtpositionen entstehen können. Das Amt hat sich im Fall Facebook zunächst auf die Frage des Konditionenmissbrauchs nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB gegenüber den Nutzern fokussiert. Es sollen somit erhebliche Zweifel an der Zulässigkeit dieser Vorgehensweise insbesondere nach dem geltenden nationalen Datenschutzrecht bestehen.
Nicht jeder Rechtsverstoß eines marktbeherrschenden Unternehmens ist gleichzeitig auch kartellrechtlich relevant. Einzelheiten sind noch nicht abschließend geklärt. Man wird jedoch nach unserer Einschätzung zumindest fordern müssen, dass das verletzte Recht auch die Marktstruktur oder das Marktverhalten betrifft und einen marktteilnehmerschützenden Charakter hat. Im vorliegenden Fall könnte die Verwendung rechtswidriger Nutzungsbedingungen durch Facebook einen sogenannten Konditionenmissbrauch nach § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB gegenüber den Nutzern darstellen, soweit ein Zusammenhang mit der Marktbeherrschung besteht. Auch die Monopolkommission hat bereits in einem Sondergutachten im Juni 2015 die Frage gestellt, ob ein marktbeherrschendes soziales Netzwerk seine marktbeherrschende Stellung missbrauche, indem es in einem übermäßigen Umfang Daten sammle und die Möglichkeit der Nutzer, ein solches Datensammeln zu begrenzen, erheblich einschränke. Ihr Hauptgutachten knüpft an die öffentliche Diskussion um die vermeintliche Macht von Internetdiensten wie der Betreiber von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und ähnlichen Diensten an.
Das Bundeskartellamt führt das Verfahren in engem Kontakt u.a. mit den zuständigen Datenschutzbehörden. Dies ist wichtig, da es nicht zu einer Vermischung von rechtlichen Schutzgütern kommen darf. Ein Datenschutzrechtsverstoß ist nämlich für die Feststellung eines missbräuchlichen Verhaltens nicht erforderlich, wenn die Konditionen – unabhängig von ihrer datenschutzrechtlichen Zulässigkeit – unter Verstoß gegen § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB vereinbart werden. Umgekehrt würde ein Datenschutzrechtsverstoß eines nicht marktbeherrschenden Unternehmens niemals ein entsprechendes Missbrauchsverfahren des Bundeskartellamts rechtfertigen. Plastisch formulierte es die Kommission im Fall „Facebook/Whatsapp“: “Any privacy-related concerns flowing from the increased concentration of data within the control of Facebook as a result of the Transaction do not fall within the scope of the EU competition law rules but within the scope of the EU data protection rules”. Allerdings kann Rechtstreue auch ein kartellrechtlich relevanter Rechtfertigungsgrund sein: Im Fall “Google/VG Media” hat sich Google – erfolgreich – gegen Verlage bzgl. der Einforderung einer Zustimmung nach § 87 f UrhG bei der Verbreitung von Snippets mit dem Argument verteidigt, dass es ein legales Geschäftsmodell betreiben und keinen Schadensersatzansprüchen ausgesetzt sein möchte.
Man kann daher zusammenfassen: Nicht jeder Rechtsbruch begründet auch einen Marktmachtmissbrauch, umgekehrt kann die Rechtstreue ein Verhalten eines Marktbeherrschers rechtfertigen.
Je nach Ausgang des Verfahrens wird das Bundeskartellamt gleichwohl seine Rolle als Verbraucherschützer unterstreichen, und auf den erhöhten Datenschutz verweisen. Dabei wird zu beachten sein, dass traditionell das Wettbewerbsrecht die Verbraucher nur indirekt als Reflex der Offenhaltung von Märkten schützt.
PS: Wer mehr zur Auseinandersetzung des Bundeskartellamts mit dem Thema „Plattformen und Netzwerkeffekte“ erfahren möchte, findet hierzu auch Informationen in dem ganz neuen Arbeitspapier des Bundeskartellamts vom Juni 2016 unter folgendem Link:
http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Berichte/Think-Tank-Bericht.pdf;jsessionid=D153F518A00D2D7BC053474AD6D67E16.1_cid378?__blob=publicationFile&v=2
Weitere Informationen zum Thema Big Data finden sich in dem am 10. Mai 2016 erschienenen Papier „Competition and Data“ von Bundeskartellamt und Autorité de la Concurrence unter dem Link:
http://www.bundeskartellamt.de/SharedDocs/Publikation/DE/Berichte/Big%20Data%20Papier.pdf?__blob=publicationFile&v=2
Dr. Thomas Kapp, LL.M. (UCLA) |
Im Jahr 2011 hatte der BGH im MAN-Fall (Az. KZR 6/09) eine markenspezifische Marktabgrenzung zur Beurteilung von Zulassungsansprüchen von Außenseitern zugrunde gelegt und damit eine andere Marktabgrenzung als die EU-Kommission gewählt. Bei Zugrundelegung der MAN-Marktabgrenzung schied eine marktbeherrschende Stellung des jeweiligen Kfz-Herstellers auf diesem Markt in der Regel aus. Diese Rechtsprechung hat der BGH in seinem jüngst veröffentlichten Jaguar-Urteil (Az. KZR 41/14) nunmehr weiterentwickelt.
Im Jahr 2011 hatte der BGH im MAN-Fall (Az. KZR 6/09) eine markenspezifische Marktabgrenzung zur Beurteilung von Zulassungsansprüchen von Außenseitern zugrunde gelegt und damit eine andere Marktabgrenzung als die EU-Kommission gewählt. Bei Zugrundelegung der MAN-Marktabgrenzung schied eine marktbeherrschende Stellung des jeweiligen Kfz-Herstellers auf diesem Markt in der Regel aus. Diese Rechtsprechung hat der BGH in seinem jüngst veröffentlichten Jaguar-Urteil (Az. KZR 41/14) nunmehr weiterentwickelt. Der Kartellsenat stellt klar, dass eine Einzelfallbetrachtung im konkreten Fall durchzuführen ist, bei der im Ergebnis auch eine markenspezifische Marktabgrenzung in Betracht kommt. Keinesfalls folgt aus dem Urteil, dass nun immer ein markenspezifischer Markt (und eine damit einhergehende marktbeherrschende Stellung) des Herstellers anzunehmen ist. Zudem enthält das Urteil Ausführungen zu der im Rahmen eines kartellrechtlichen Zulassungsanspruchs erforderlichen Interessenabwägung. Im Ergebnis ist das Urteil allerdings keineswegs eine kartellrechtliche Revolution. Allerdings können die Ausführungen des BGH im Rahmen der Interessenabwägung, die der BGH auch als Leitsatz formuliert hat, leicht missverstanden werden – wie entsprechende Äußerungen in der Kfz-Händlerfreundlichen Presse zeigen.
Dem Kläger war nach einer Kündigung sämtlicher Jaguar-Vertragswerkstattverträge kein Anschlussvertrag angeboten worden, wobei das Jaguar-Werkstattnetz weiterhin als qualitativ selektives Vertriebssystem ausgestaltet war. Die Vorinstanzen hatten – basierend auf der markenübergreifenden Marktabgrenzung analog des MAN-Urteils – die Klage auf Zulassung zum Werkstattnetz abgewiesen. Der BGH hob das Urteil auf und verwies den Fall zurück an das OLG Frankfurt.
Der BGH betont, dass die Marktabgrenzung im Einzelfall zu prüfen sei. Es komme für die Marktabgrenzung aus der maßgeblichen Sicht des Betreibers einer Kfz-Reparaturwerkstatt u.a. darauf an, ob der Status einer Vertragswerkstatt für diesen eine unverzichtbare („schlechthin unentbehrliche“) Ressource bildet. (Nur) wenn das der Fall sei, sei der vorgelagerte Ressourcenmarkt markenspezifisch abzugrenzen und der jeweilige Hersteller auf diesem Markt wohl marktbeherrschend. Entscheidend seien dabei die Präferenzen der Fahrzeugeigentümer der jeweiligen Marke auf dem (nachgelagerten) Endkundenmarkt für die Erbringung der Werkstattleistungen. Während im MAN-Urteil unstreitig war, dass der überwiegende Teil der Werkstattleistungen an Fahrzeugen der Marke MAN von freien Werkstätten ausgeführt wurde, hatte die Vorinstanz im Fall Jaguar dazu keine konkreten Feststellungen getroffen. Daher hob der BGH die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies die Angelegenheit an diese zurück. Insbesondere liege es nicht fern, dass Werkstattleistungen „für (hochpreisige) Personenkraftwagen speziell der Marke Jaguar hinsichtlich der Ansprüche, Erwartungen und Gepflogenheiten der Fahrzeugeigentümer auf dem nachgelagerten Endkundenmarkt“ anders zu beurteilen seinen, als Werkstattleistungen für Nutzfahrzeuge.
Die Beweislast für die marktbeherrschende (oder marktstarke) Stellung liegt vorliegend bei der klagenden Werkstatt. Es bleibt daher abzuwarten, ob es dieser nun gelingen wird nicht nur darzulegen, sondern nachzuweisen, dass Jaguar-Fahrer generell einen so erheblichen Wert auf Werkstattleistungen durch eine Jaguar-Vertragswerkstatt legen, dass sie freie Werkstätten generell meiden – und zwar auch nach Ablauf der Garantiefrist und auch dann, wenn sie bereits langjährig Jaguar-Kunden betreut haben. Selbst wenn dies für die Marke Jaguar nachgewiesen werden sollte, wird auch eine solche Entscheidung eine Einzelfallentscheidung bleiben und eben nicht generell auf andere Marken (einschließlich anderer hochpreisiger Luxus-Marken) übertragbar sein. Hier wird es stark auf den jeweiligen Parteivortrag und die entsprechenden Beweisangebote ankommen. Angesichts einer hohen Anzahl von freien Werkstätten in Deutschland (2015: ca. 21.000) dürfte der Nachweis, dass Endkunden auch nach Ablauf der Garantiefrist den Besuch einer freien Werkstatt generell nicht in Betracht ziehen, jedenfalls nicht ohne weiteres zu führen sein. Das gilt insbesondere, da die freien Werkstätten mittlerweile über Zugang zu sämtlichen technischen Informationen, Diagnosegeräten und Spezialwerkzeugen verfügen, aber gleichzeitig nicht die Herstellerstandards erfüllen müssen. Daher können sie ihre Werkstattleistung kostengünstig(er) anbieten.
Der BGH prüft in der Folge, nach welchen Maßstäben sich ein Zulassungsanspruch ergeben könnte, unter der Voraussetzung, dass es der Werkstatt gelingen würde, eine unternehmensbedingte Abhängigkeit nachzuweisen. Er bestätigt zunächst den Grundsatz, dass bei unternehmensbedingter Abhängigkeit eine Kündigung ohne Grund in der Regel zulässig ist, solange diese eine hinreichend lange Frist zur Umstellung auf andere Geschäftstätigkeiten vorsieht. Denn grundsätzlich habe der Hersteller ein berechtigtes Interesse, sein Vertriebssystem nach eigenem Ermessen zu gestalten. Vorliegend kommt der BGH allerdings zu dem Schluss, dass ein etwaiges Interesse des Herstellers fortan seine Werkstätten nicht mehr ausschließlich nach qualitativen, sondern möglicherweise (auch) nach quantitativen (d.h. nicht qualitätsbezogenen) Kriterien auszuwählen, keine Berücksichtigung finden könne. In der Interessenabwägung könnten daher nur individuelle Gründe Eingang finden, die Jaguar dazu veranlasst hätten, die Zusammenarbeit gerade mit der klagenden Werkstatt nicht fortzusetzen. Auch insoweit wurde die Entscheidung daher an die zweite Instanz zurückverwiesen.
Die Erwägungen des BGH, wonach ein Interesse an der quantitativen Selektion kein berechtigtes, in der Abwägung zu berücksichtigendes Interesse sei, sind auch in die Leitsätze des Urteils eingegangen. Sie erscheinen allerdings missverständlich und in dieser Pauschalität auch im Ergebnis nicht richtig zu sein. So scheint der Leitsatz auf den ersten Blick zu suggerieren, dass ein Hersteller, der einmal (aus welchem Grunde auch immer) ein qualitativ-selektives Vertriebssystem gewählt hat, generell nicht mehr auf quantitative Selektion umstellen könnte, wenn und soweit die bestehenden Vertragspartner unternehmensbedingt abhängige Unternehmen sind. Diese Schlussfolgerung würde aber eine Umkehr und absolute Aufgabe der ständigen Rechtsprechung zur Freiheit des Herstellers bedeuten, sein Vertriebssystem nach eigenem Ermessen zu gestalten und sich – ohne Grund – mittelfristig von Vertriebspartnern zu trennen, mit denen er nicht mehr zusammenarbeiten möchte. Gerade die Geltung dieses Grundsatzes bekräftigt der BGH aber noch in demselben Urteil.
Der Leitsatz steht aber dann im Einklang mit der vom BGH schließlich nicht aufgegebenen ständigen Rechtsprechung, wenn man die Annahmen des Leitsatzes berücksichtigt, die der BGH für die Zwecke der Revision zugrunde gelegt hat. Hierbei unterstellt der BGH, dass Jaguar die qualitative Selektion (nur) deswegen gewählt hatte, weil im konkreten Fall eine Selektion auf Basis von anderen als Qualitätskriterien (quantitative Kriterien) zu einer unzulässigen Wettbewerbsbeschränkung führen würde. Wenn das tatsächlich der Fall sein sollte, steht die Aussage, das Interesse an der quantitativen Selektion könne (vorliegend) nicht berücksichtigt werden, im Einklang mit den bisher geltenden Grundsätzen der Interessenabwägung. Denn in diesem Fall würde der Hersteller von einem kartellrechtlich zulässigen auf ein kartellrechtlich unzulässiges Vertriebssystem umstellen wollen. Es ist einleuchtend, dass ein solches Interesse nicht in die Interessenabwägung einfließen darf. Ob das der Fall ist, wird das Berufungsgericht zu untersuchen haben.
Daraus kann aber nicht der Rückschluss gezogen werden, das Interesse der Einrichtung eines quantitativen Selektivsystems (oder der Wechsel von einem qualitativen auf ein quantitatives Selektivsystem) sei generell kein berechtigtes Interesse mehr. Denn ein quantitativ-selektives Vertriebssystem ist ein im Kartellrecht absolut anerkanntes, legitimes Vertriebssystem. Es ist z.B. im Rahmen der Gruppenfreistellungsverordnung ohne weiteres freigestellt bis zu 30% Marktanteil und kann darüber hinaus auch bei höheren Marktanteilen einzelfreigestellt sein – im Neuwagenvertrieb wird es laut den Leitlinien der EU-Kommission sogar in der Regel einzelfreigestellt sein, wenn die Marktanteile der beteiligten Unternehmen 40% nicht überschreiten. Dementsprechend muss der Leitsatz nach hiesiger Auffassung mit dem Vorbehalt gelesen werden, dass im konkreten Fall ein quantitativ-selektives Vertriebssystem nicht kartellrechtskonform wäre. Auch das wird – wie alle anderen Umstände in derartigen Fällen – nur im Einzelfall zu beurteilen sein und letztendlich auch von der Marktabgrenzung abhängen. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass selbst wenn das quantitative Selektivsystem im Einzelfall unzulässig sein sollte, dem Hersteller auch andere Möglichkeiten der kartellrechtlich zulässigen Ausgestaltung seines Vertriebssystems zur Verfügung stehen können – z.B. wenn er ein Vertriebssystem ohne Wiederverkaufsbeschränkung wählt. Auch die Umstellung auf ein solches, kartellrechtlich zulässiges System dürfte daher ein berechtigtes Interesse des Herstellers sein, dass bei ausreichend lang bemessener Frist zur Umstellung in der Regel das Interesse des abhängigen Unternehmens überwiegen dürfte.
Anne Caroline Wegner, LL.M. (European University Institute)
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Almuth Berger, LL.M. (Birmingham)
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Die Digitalisierung ist in aller Munde. Sie hat mehr oder weniger alle Lebensbereiche erfasst. Vielfach wird von einer „neuen industriellen Revolution“ im Sinne einer digitalen Revolution gesprochen. Attribute der Digitalisierung sind Qualitäten wie z.B. dynamisch, schnelllebig, innovationsfreudig, grenzenlos, allumfassend, wenig umweltschädigend und kostengünstig.
Auch das Kartellrecht bleibt von der Digitalisierung nicht unberührt. Seit einigen Jahren müssen sich die Kartellrechtspraktiker mit neuen Phänomenen befassen. Während man im letzten Jahrhundert noch annahm, dass ein kartellrechtlich relevanter Markt nur vor dem Hintergrund einer entgeltlichen Leistung definiert werden kann, wird heute intensiv diskutiert, inwieweit auch Märkte mit (tatsächlichen oder angeblichen) unentgeltlichen Leistungen kartellrechtlich relevante Märkte sein können. Entgegen früherer Praxis sieht man das heute nicht mehr notwendigerweise als Ausschlussgrund für das Bestehen eines kartellrechtlichen Marktes an. Immer mehr gewinnt die Sicht Oberhand, dass auch eine unentgeltliche Nutzung einer Internetdienstleistung nur auf den ersten Blick unentgeltlich ist. Auf den zweiten Blick stellt man fest, dass Nutzer Aufmerksamkeit investieren und (z.T. sehr persönliche) Daten über ihr Suchverhalten, Einkaufstätigkeit und sonstige persönliche Präferenzen Preis geben. Diese Daten können in mannigfaltiger Weise bearbeitet und weiterverkauft werden. Es wird hier bereits eine gesetzliche Klarstellung gefordert (Im Referentenentwurf zur 9. GWB-Novelle bereits enthalten).
Eine weitere Irritation für das Kartellrecht ist das Aufkommen von zwei- oder mehrseitigen Märkten. Dieses Phänomen findet man insbesondere bei Plattformen vor, welche Anbieter und Sucher zusammenführen und zwischen ihnen eine Transaktion ermöglichen, ohne selbst dabei beteiligt zu sein. Ob die Definition von solchen zwei- oder mehrseitigen Märkten für die kartellrechtliche Erfassung von Sachverhalten erforderlich ist, ist nicht abschließend geklärt. In vielen Fällen kommt man mit der traditionellen Marktabgrenzung (insbesondere bei Transaktionsplattformen) durchaus weiter (so z.B. das Bundeskartellamt im Fusionskontrollfall „Immowelt/Axel Springer“).
Im Rahmen der Missbrauchskontrolle stellt sich neben der Frage der zutreffenden Marktabgrenzung des Weiteren die Frage, wie ein Missbrauch definiert werden kann. Im aktuellen Facebook-Verfahren des Bundeskartellamts (siehe dazu separater Beitrag in diesem Newsletter Seite 4 f.) beschäftigt sich das Bundeskartellamt z.B. mit der Frage, ob auch eine vom Leistungsanbieter eingeforderte Datenschutzzustimmungserklärung einen Konditionenmissbrauch nach dem Kartellrecht darstellen kann. Auch die Monopolkommission hat bereits in einem Sondergutachten im Juni 2015 die Frage gestellt, ob ein marktbeherrschendes soziales Netzwerk seine marktbeherrschende Stellung missbrauche, indem es in einem übermäßigen Umfang Daten sammle und die Möglichkeit der Nutzer, ein solches Datensammeln zu begrenzen, erheblich einschränke. Im XX. Hauptgutachten, welches an die öffentliche Diskussion um die vermeintliche Macht von Internetdiensten wie der Betreiber von Suchmaschinen, sozialen Netzwerken und ähnlichen Diensten anknüpfte, erschien der Monopolkommission eine Erweiterung des wettbewerbsrechtlichen Instrumentariums im Rahmen der Missbrauchskontrolle allerdings (noch) nicht angezeigt. Auch im Fall „Google/VG Media“ kam das Bundeskartellamt noch mit den bisherigen Bordmitteln aus. Andererseits fordert der Präsident des Bundeskartellamts eine Anpassung der Marktmachtkriterien an internetspezifische Aspekte wie Netzwerkeffekte etc.
Bei der Missbrauchskontrolle kommt durch die Digitalisierung und die mit ihr verbundene Veränderungsgeschwindigkeit unserer Welt eine weitere Herausforderung hinzu: War man bisher von der Vorstellung ausgegangen, dass ein marktmächtiges Unternehmen relativ lange am Markt seine Marktmacht genießen kann und daher einer Missbrauchskontrolle zu unterwerfen ist, stellt sich in der sehr schnelllebigen digitalen Welt die Frage, ob derartige Überlegungen auch in der digitalen Wirtschaft in entsprechender Weise Anwendung finden können. Wenn Missbrauchsverfahren nämlich zu lange dauern, wird der Beurteilungsgegenstand zum „moving target“. Monopolkommission und Bundeskartellamt fordern daher, Missbrauchsverfahren schneller abzuwickeln.
Im Rahmen der Fusionskontrolle ist die Frage aufgeworfen worden, ob die bisherigen Umsatzschwellen als Aufgreifkriterium ausreichend sind. Der bekannte Facebook/Whatsapp-Zusammenschlussfall konnte in Deutschland mangels ausreichender Umsätze nicht der Fusionskontrolle unterworfen werden. In diesem Zusammenhang wird daher vom Bundeskartellamt und der Monopolkommission gefordert, neben den Umsatzwerten ähnlich wie im amerikanischen Recht auch Transaktionswerte als Kriterien für eine Zusammenschlusskontrolle einzuführen. Andere fordern die Berücksichtigung der Anzahl der Nutzer oder der kontrollierten Datenmenge. Der Referentenentwurf zur 9. GWB-Novelle sieht als neue Aufgreifschwelle eine Gegenleistung von mehr als 350 Mio. Euro vor.
Dieser kleine Überblick mag zeigen, dass das Kartellrecht an vielfacher Stelle von der Digitalisierung unseres Wirtschaftslebens herausgefordert werden wird. Nach unserer Einschätzung werden allerdings viele durch die Digitalisierung aufgeworfene Kartellrechtsthemen auch mit den traditionellen Instrumenten bewältigt werden können. Manche meinen daher, dass das Kartellrecht nicht grundsätzlich neu erfunden werden müsse.
Zu diesem Thema interessiert uns Ihre Meinung:
1. Halten Sie eine Reform der Zusammenschlusskontrolle in Deutschland für erforderlich?
2. Sind zwei- oder mehrseitige Märkte eine besondere Herausforderung für das Kartellrecht, die Reformbedarf schaffen?
3. Inwieweit spielt Unentgeltlichkeit bei einer Marktdefinition nach wie vor eine Rolle?
4. Kann die Überlassung von Daten als Gegenleistung für eine Marktleistung angesehen werden?
5. Sehen Sie angesichts der fortschreitenden Digitalisierung unserer Welt weiteren Reformbedarf des Kartellrechts?
Dr. Thomas Kapp, LL.M. (UCLA) |
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Das OLG Frankfurt a. M. hat den EuGH u.a. zur Klärung der Frage angerufen, inwieweit Hersteller von Luxusartikeln ihren Vertriebspartnern innerhalb selektiver Vertriebssysteme den Verkauf über Drittplattformen wie Amazon verbieten dürfen (OLG Frankfurt a.M., Az. Beschluss v. 19.04.2016, Az. 11 U 96/14 (Kart)). Parfümhersteller Coty hatte gegen einen seiner autorisierten Einzelhändler geklagt, weil dieser gegen die qualitativen Bestimmungen seines selektiven Vertriebssystems verstoßen habe, indem er auch über die Plattform Amazon verkauft habe. Am 22. Dezember 2015 hatte der gleiche Senat des OLG Frankfurt bereits entschieden, dass der Rucksackhersteller Deuter den Verkauf seiner Produkte über Amazon untersagen darf (siehe den Beitrag im Newsletter 2. Quartal 2016). Dieser Rechtsstreit ist nun vor dem Bundesgerichtshof anhängig. Das Vorabentscheidungsverfahren in Sachen Coty wird vor dem EuGH unter dem Aktenzeichen C-230/16 geführt.
Der österreichische Oberste Gerichtshof (OGH) hat den EuGH zur Anmeldepflicht eines Gemeinschaftsunternehmens nach der Europäischen Fusionskontrollverordnung (FKVO) angerufen. Es geht um die Frage, ob im Falle eines Wechsels von alleiniger zu gemeinsamer Kontrolle an einem bestehenden Unternehmen, wobei das vormals allein kontrollierende Unternehmen weiterhin mitkontrollierend beteiligt bleibt, eine Anmeldepflicht nach der FKVO auch ohne eine sog. Vollfunktion gegeben ist. Dem OGH geht es hierbei um die Klärung des Verhältnisses zwischen Art. 3 Abs. 4 FKVO und Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO. Er meint, unabhängig vom Vorliegen der Vollfunktion sei ein Zusammenschluss nach Art. 3 Abs. 1 lit. b FKVO gegeben, da es sich um einen Kontrollerwerb handele.
Mit seinen Urteilen vom 28. Juni 2016 (Rs. T-216/13 und T-208/13) hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) ein vertragliches Wettbewerbsverbot im Rahmen des Erwerbs der Anteile an dem brasilianischen Telekommunikationsunternehmen Vivo von Portugal Telecom durch Telefónica als bezweckte Wettbewerbsbeschränkung qualifiziert. Die Beschränkung des Wettbewerbsverbots auf „den rechtlich zulässigen Umfang“ ändere daran nichts. Entgegen den Ausführungen der klagenden Unternehmen weise nichts darauf hin, dass die Formulierung das Inkrafttreten des Wettbewerbsverbots von einer „Selbstbewertung der Rechtmäßigkeit des Wettbewerbsverbots“ durch die Parteien abhängig mache. Die Formulierung der Klausel stelle nicht eindeutig heraus, dass die Parteien keine Wettbewerbsbeschränkung bezweckten, sondern sich rechtskonform verhalten wollten. Das EuG bestätigte damit die diesbezügliche Auffassung der EU-Kommission.
Wie bereits im Newsletter 2. Quartal 2016 berichtet, liegt der EU-Kommission eine formale Beschwerde der Formel 1 Teams Force India und Sauber wegen missbräuchlicher Praktiken der Formula One Group vor. Die Bearbeitung durch die Kommission hatte sich durch eine interne Reorganisation zur Bündelung von sportbezogenen Beschwerden verzögert. Die Beschwerdeführer hoffen nun auf eine baldige Entscheidung der Kommission.
Die EU-Kommission hat die geplante Übernahme von O2 durch Hutchison nach der EU-Fusionskontrollverordnung unterbunden, mit der „O2“ von Telefónica UK und „Three“ von Hutchison 3G UK zu einem neuen Marktführer auf dem britischen Mobilfunkmarkt zusammengeschlossen worden wären. Durch die Übernahme wäre ein wichtiger Wettbewerber wegfallen, so dass nur noch zwei Mobilfunknetzbetreiber, nämlich Vodafone und Everything Everywhere (EE) von BT, mit dem zusammengeschlossenen Unternehmen konkurriert hätten. Der erheblich verringerte Wettbewerb auf dem Markt hätte nach Auffassung der EU-Kommission wahrscheinlich höhere Preise für Mobilfunkdienste im Vereinigten Königreich und weniger Auswahl für die Verbraucher zur Folge gehabt. Die Übernahme dürfte auch den Ausbau der Mobilfunknetzinfrastruktur im Vereinigten Königreich behindert und sich damit negativ auf die Qualität der Dienstleistungen für die britischen Verbraucher ausgewirkt haben, so die Kommission. Zudem hätte sich die Zahl der Mobilfunknetzbetreiber verringert, die bereit sind, in ihren Netzen andere Mobilfunkbetreiber zu bedienen. Die von Hutchison vorgeschlagenen Abhilfemaßnahmen konnten die durch die Übernahme aufgeworfenen ernsthaften Bedenken nicht ausräumen. Die geplante Übernahme von O2 durch Hutchison wies nach Auffassung der EU-Kommission einige besondere Merkmale auf, die sie klar von vorangegangenen Zusammenschlüssen in anderen Mitgliedstaaten (Österreich, Dänemark, Irland und Deutschland) unterschieden hat, durch die die Zahl der Mobilfunknetzbetreiber ebenfalls von vier auf drei gesunken ist. Insbesondere hätte das neu aufgestellte Unternehmen Vereinbarungen über die gemeinsame Netznutzung mit beiden verbleibenden Netzbetreibern, EE und Vodafone, gehabt. Die geplante Übernahme hätte sich folglich auf die gesamte Mobilfunkinfrastruktur im Vereinigten Königreich ausgewirkt.
Die Kommission hat Google mitgeteilt, dass sie der vorläufigen Auffassung ist, das Unternehmen nutze seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich aus, indem es Herstellern von Android-Geräten und Mobilfunknetzbetreibern bestimmte Beschränkungen auferlege. Die Kommission geht hierbei davon aus, dass Google auf den Märkten für allgemeine Internet-Suchdienste, für lizenzpflichtige Betriebssysteme für intelligente Mobilgeräte sowie für Android-App-Stores eine beherrschende Stellung einnimmt. Google verpflichtet die Hersteller, die den Google Play Store auf ihren Geräten vorinstallieren möchten, auch die Google-Suche auf diesen Geräten vorzuinstallieren und als Standardsuchdienst festzulegen. Darüber hinaus müssen Hersteller, die den Play Store oder die Google-Suche vorinstallieren möchten, auch den Browser Google Chrome vorinstallieren. Gegenstand der Beschwerdepunkte ist auch die Tatsache, dass Google einigen der größten Smartphone- und Tablet-Herstellern sowie Betreibern von Mobilfunknetzen hohe finanzielle Anreize gewährt, um zu erreichen, dass auf ihren Geräten ausschließlich die Google-Suche vorinstalliert wird. Auch das Verlangen eines sog. „Anti-Fragmentation Agreements“ bewertet die Kommission in ihrer vorläufigen Analyse als Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Google.
Wie bereits im Newsletter 2. Quartal 2016 berichtet, hatte der Wettbewerber REWE gegen die Ministererlaubnis vom 17. März 2016 Beschwerde (Hauptverfahren) beim OLG Düsseldorf eingelegt (Az. VI Kart 4/16 (V)). REWE hatte darüber hinaus die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde (Eilverfahren) beantragt (VI Kart 3/16 (V)), mit der die Wirkungen der Ministererlaubnis bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Kraft gesetzt werden sollten. Nach Redaktionsschluss erreichte uns nun die Nachricht, dass das OLG Düsseldorf am 12. Juli 2016 in dem Eilverfahren die Ministererlaubnis für die Supermarkt-Fusion vorerst gestoppt hat. Die FAZ titelte in ihrer Ausgabe vom 13. Juli 2016, Seite 15: „Eine Ohrfeige für Sigmar Gabriel“. Offenbar führte der Bundeswirtschaftsminister in „Sechs-Augen-Gesprächen“ Verhandlungen mit Vertretern von EDEKA und Kaiser‘s Tengelmann, ohne eine transparente Einbeziehung und Information aller Verfahrensbeteiligten vorzunehmen. Die Entscheidung erging im Eilverfahren, die Entscheidung im Hauptverfahren wird erst in den kommenden Monaten ergehen. Das OLG Düsseldorf hat den Termin zur mündlichen Verhandlung im Hauptverfahren mittlerweile auf den 7. September 2016 verschoben. Eine ausführliche Besprechung der Eilentscheidung des OLG Düsseldorf wird sich im nächsten Newsletter (4. Quartal 2016) finden.
Der Ligaverband und die Deutsche Fußball Liga (DFL) hatten sich gegenüber dem Bundeskartellamt zur Beachtung umfangreicher Kriterien bei der Vergabe der Medienrechte an den Spielen der Bundesliga und der 2. Bundesliga ab der Saison 2017/18 verpflichtet. Auf dieser Grundlage sah das Bundeskartellamt keinen Anlass zum Einschreiten gegen die Zentralvermarktung. Um kartellrechtliche Bedenken des Amts auszuräumen, hatten Ligaverband und DFL verschiedene Selbstverpflichtungen, insbesondere ein sogenanntes Alleinerwerbsverbot, zugesagt. Es wird einem Bieter damit zukünftig nicht mehr möglich sein, alleiniger Rechteinhaber für alle Live-Spiele der Bundesliga zu werden. Nachdem das Bundeskartellamt diese Selbstverpflichtungen für rechtsverbindlich erklärt hatte, hat Sky Deutschland hiergegen nunmehr Beschwerde beim OLG Düsseldorf eingelegt. Der Sender meint, das Bundeskartellamt sei von einer fehlerhaften Marktabgrenzung ausgegangen.
Das Bundeskartellamt hat am 14. Juni 2016 mitgeteilt, dass es die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens Deutsche Medien-Manufaktur GmbH & Co. KG, Münster durch Gruner + Jahr und den Landwirtschaftsverlag Münster freigegeben hat. Das Gemeinschaftsunternehmen wird sechs Zeitschriftentitel aus den Bereichen Wohnen, Essen und Landleben bündeln. Auch nach dem Zusammenschluss seien mehrere bedeutende Wettbewerber auf den betroffenen Märkten tätig, die ausreichenden Wettbewerbsdruck ausüben würden.
Das Bundeskartellamt hat am 9. Juni 2016 ein Arbeitspapier zum Thema „Marktmacht von Plattformen und Netzwerken“ veröffentlicht. Das Amt befasst sich darin mit den Faktoren zur Bewertung der Marktposition von Plattformen und Netzwerken und den Besonderheiten der Kartellrechtsanwendung im Bereich der Internet-Ökonomie. Das Bundeskartellamt hatte Anfang 2015 einen Think Tank Internet eingerichtet. Das Papier stellt die ersten Arbeitsergebnisse vor und behandelt insbesondere Fragen der Marktabgrenzung und der Marktmachtbestimmung im Bereich digitaler Plattformen. Das Amt hat neben dem ausführlichen Bericht auch eine Zusammenfassung sowie eine Kurzdarstellung der Ergebnisse und Handlungsempfehlungen auf seinen Internetseiten zur Verfügung gestellt (siehe auch den Beitrag zum Facebook-Verfahren in diesem Newsletter, S. 4).
Das Bundeskartellamt hat Ende Mai eine Sektoruntersuchung im Bereich des Krankenhauswesens eingeleitet, wie das Amt mitteilte. Das Bundeskartellamt sei in letzter Zeit regelmäßig mit Fusionskontrollverfahren bezüglich verschiedener Krankenhausträger befasst. Die Sektoruntersuchung diene auch dem Zweck, Beurteilungskriterien für die fusionskontrollrechtliche Prüfung weiter zu entwickeln. Das Bundeskartellamt beabsichtigt bundesweit rund 500 Krankenhäuser zu befragen.
Das Bundeskartellamt hatte der Deutschen Bahn vorgeworfen, seine Marktmacht zu missbrauchen, um die Wettbewerber im Nah- und Fernverkehr zu behindern (siehe Newsletter 2. Quartal 2016). Das Bundeskartellamt hat die von dem Unternehmen vorgelegten Verpflichtungszusagen nunmehr für ausreichend erachtet, diese für verbindlich erklärt und das Verfahren eingestellt. Die Deutsche Bahn hat sich unter anderem verpflichtet, Provisionen für den Fahrkartenverkauf zu vereinheitlichen und überwiegend zu senken, Wettbewerbern zu gestatten, auch Fernverkehrstickets der Deutschen Bahn über eigene Fahrkartenautomaten zu verkaufen und den Zugang von Wettbewerbern zum Verkauf von Fahrkarten in Bahnhofsläden zu vereinfachen. Das Amt hat seine Entscheidung bis zum 31.12.2023 befristet.
Das Bundeskartellamt hat ein Verwaltungsverfahren eingeleitet, um die Lieferbedingungen von Molkereien gegenüber den Landwirten zu überprüfen. In einem Pilotverfahren werden laut Bundeskartellamt zunächst die Lieferbedingungen der Großmolkerei Deutsches Milchkontor untersucht. Hierbei liege der Fokus insbesondere auf langen Vertragslaufzeiten sowie Klauseln, die die erzeugenden Landwirte verpflichten, ihre gesamte Produktionsmenge an die Molkerei zu liefern. Untersucht würden auch Referenzpreissysteme, die dazu führen, dass Preisänderungen einer Molkerei umgehend entsprechende Preisänderungen bei anderen Molkereien zur Folge haben. Das Bundeskartellamt behält sich vor, in der Folge sämtliche deutsche Molkereien zu untersuchen. Bereits im Endbericht zur Sektoruntersuchung Milch aus dem Jahr 2012 hatte das Bundeskartellamt auf kartellrechtliche Probleme in Bezug auf die Lieferbedingungen für Rohmilch aufmerksam gemacht.
Im Rahmen der im Newsletter 2. Quartal 2016 geschilderten Konsultation hat das Bundeskartellamt nunmehr auf seinen Internetseiten die bis zum Fristablauf am 31. Mai 2016 eingegangenen Stellungnahmen zur Erstellung eines Leitfadens zur kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht in der Stromerzeugung veröffentlicht. Stellung genommen haben BDEW, EEX, EFET, EnBW, EPEX SPOT, EWeRK, Statkraft und Uniper.
In einem gemeinsamen Projekt haben die französische Wettbewerbsbehörde und das Bundeskartellamt Konsequenzen und Herausforderungen für Wettbewerbsbehörden in Bezug auf die Sammlung von Daten in der digitalen Wirtschaft bzw. anderen Industrien untersucht. Das Ergebnis haben beide Behörden Anfang Mai 2016 veröffentlicht. Es sei für die Wettbewerbsbehörden weltweit wichtig beurteilen zu können, warum, wie und in welchem Umfang Daten zu einem Instrument von Marktmacht werden können, so das Bundeskartellamt. Für das Bundeskartellamt dürfte sich eine praktische Relevanz bereits für das gegen Facebook eingeleitete Verfahren (siehe hierzu den ausführlichen Beitrag in diesem Newsletter, S. 4, und die Kurznachricht im Newsletter 2. Quartal 2016) ergeben.
Das Bundeskartellamt hat bestimmte Regelungen der Online-Banking-Bedingungen der Deutschen Kreditwirtschaft für rechtswidrig erklärt. Die Behörde ist der Ansicht, dass die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken den Wettbewerb der verschiedenen Anbieter von Bezahlverfahren im Internet beschränken und gegen deutsches und europäisches Kartellrecht verstoßen. In den Sonderbedingungen für das Online-Banking ist festgelegt, dass Online-Banking-Kunden im Internethandel im Rahmen der Nutzung bankenunabhängiger Bezahlverfahren ihre PIN und TAN nicht als Zugangsinstrumente bei Dritten, zu denen auch sogenannte Zahlungsauslösedienste gehören, eingeben dürfen. Durch diese Regelung werde die Nutzung von bankenunabhängigen und innovativen Bezahlverfahren beim Einkauf im Internet erheblich behindert, so die Behörde.
Das Bundeskartellamt hat am 30. Juni 2016 einen Bericht über die Trinkwasserversorgung in deutschen Großstädten veröffentlicht. Es beschreibt darin die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Strukturen der öffentlichen Wasserversorgung, insbesondere werden auch die erheblichen Unterschiede einzelner Strukturbedingungen der Wasserversorger dargestellt und den Preisniveaus gegenübergestellt.
Zusammen mit anderen britischen Behörden hat die britische Competition and Markets Authority (CMA) nach der Abstimmung zugunsten des britischen Austritts aus der EU, sog. Brexit, betont, dass das Wettbewerbsrecht in seiner bisherigen Form unverändert weitergelte, solange Regierung bzw. Parlament dieses nicht ändern. Das Ergebnis der Abstimmung habe – jedenfalls kurzfristig – keinen Einfluss auf das bisher geltende Recht. Im Übrigen ist aber noch völlig unklar, wie sich der Brexit langfristig auf die Kartellrechtspraxis auswirken wird. Erste Hinweise können unserer Homepage unter http://www.luther-lawfirm.com/publikationen/newsletter/inhalt/brexit.html entnommen werden.
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