09.03.2020
Welche rechtlichen Konsequenzen hat es, wenn ein Unternehmen aufgrund der aktuellen Krise nicht mehr mit den für seine Produktion notwendigen Vormaterialien versorgt wird? Oder der Lieferant nicht mehr produzieren kann, weil „produktionsrelevante“ Mitarbeiter in Quarantäne oder erkrankt sind? Unter welchen Voraussetzungen können Lieferanten von ihren Leistungspflichten befreit werden? Und was passiert mit dem Anspruch auf die jeweilige Gegenleistung? Kann eine der Parteien Schadensersatz verlangen? Oder sind die Verträge anzupassen?
Die nachfolgende Darstellung soll dabei helfen, eine Standortbestimmung vorzunehmen. Bitte beachten Sie, dass unsere Erläuterungen für Vertragsbeziehungen gelten, die unter deutschem Recht stehen. Steht ein Vertrag unter dem Recht eines anderen Staates – etwa weil die Parteien ausdrücklich ein anderes Recht gewählt haben oder weil sich die Rechtswahlklauseln in den jeweiligen AGB widersprechen – kann die Rechtslage von den nachfolgenden Erläuterungen abweichen. Dies sind Situationen, in welchen wir die geltende Rechtslage gemeinsam mit unseren Auslandsbüros oder mit unseren weltweiten Partnerkanzleien klären müssen
Wir geben Ihnen im Folgenden:
In vielen Verträgen haben die Parteien eine sogenannte Force Majeure- bzw. Höhere Gewalt-Klausel vereinbart. Diese Klauseln sind im Aufbau meist zweigeteilt und regeln einerseits die Voraussetzungen ihrer Anwendung und andererseits die Rechtsfolgen hieraus.
Liegen die Voraussetzungen einer Force Majeure-Klausel vor, gewährt diese meist alle oder zumindest einige der folgenden Punkte:
Epidemien werden als Anwendungsfall höherer Gewalt in diesen Klauseln selten ausdrücklich erwähnt. Wenn die Klausel diejenigen Fälle, die nach dem Vertrag als höhere Gewalt angesehen werden sollen, daher abschließend aufzählt, kann dies dazu führen, dass Epidemien davon auch nicht erfasst werden. Enthält der Vertrag dagegen keine konkrete Definition oder ist eine Aufzählung – wie meist – nicht als abschließende Aufzählung ausgestaltet, ist auf allgemeine Grundsätze zurückzugreifen.
Der Ausbruch des Covid-19 Virus wird als Epidemie eingestuft. Epidemien werden etwa in der Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung über den Reiseveranstaltungsvertrag als Fälle höherer Gewalt genannt.Entscheidend für die Anwendung einer Force Majeure-Vereinbarung ist allerdings, dass sich das Ereignis höherer Gewalt nicht nur in irgendeiner Weise auf den betreffenden Vertrag auswirkt. Vielmehr muss dieses die Vertragspflicht gerade derjenigen Partei, die sich von ihren Vertragspflichten lösen möchte, zeitweilig unmöglich oder unzumutbar machen. Ob dies vorliegt, kann nur in Bezug auf den jeweiligen Einzelfall geprüft werden.
Allein der Umstand, dass weltweit von einer Epidemie oder inzwischen gar von einer Pandemie gesprochen wird, führt nicht zur Beeinträchtigung jeglicher Lieferbeziehungen. Ausschlaggebend kann insbesondere sein, wo der Lieferant – oder auch der Kunde – sitzt. Sofern beispielsweise ein Lieferant in einer der abgeriegelten Städte der Provinz Hubei in China oder in Norditalien produziert und derzeit bereits gefertigte zeichnungsgebundene Spezialgussteile für seinen Kunden in Deutschland nicht ausliefern kann, ist höchstwahrscheinlich von einem Fall höherer Gewalt auszugehen. Ob bzw. wie lange dies ebenso gilt, wenn der Lieferant einer innerdeutschen Vertragsbeziehung ein marktgängiges Produkt, das er selbst aus China bezieht, nicht an seinen Kunden liefern kann, weil eine Containerladung im Hafen in Qingdao liegt und nicht verschifft wird, wird wiederum an den Gegebenheiten des konkreten Falls auszumachen sein. Abhängig davon, ob eine Lieferung aus Deutschland für einen Kunden in China nach den Incoterms ® 2020 Ex Works oder beispielsweise DAP Shanghai zu erfolgen hat, wird man ebenfalls zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Relevant kann zudem sein, ob die maßgeblichen vertraglichen Vereinbarungen einen Selbstbelieferungsvorbehalt vorsehen oder nicht. Welche Rechtsfolgen die vertraglichen Regelungen daraufhin jeweils vorsehen, bleibt wiederum zu prüfen.
Bitte beachten Sie: In der Regel besteht eine Pflicht der betroffenen Partei, die andere Partei über das Eintreten des Ereignisses und dessen voraussichtliche Dauer unverzüglich zu unterrichten – und das unabhängig davon, ob der Vertrag sich hierzu verhält oder nicht. Nimmt sie eine Force Majeure-Anzeige nicht schnellstmöglich vor, nachdem sie hiervon Kenntnis erhält, haftet sie gegebenenfalls bereits aufgrund verspäteter Anzeige für daraus resultierende Schäden.
Was aber gilt, wenn die vertraglichen Vereinbarungen die Problematik nicht adressieren (keine Force-Majeure-Klausel, kein wirksamer Selbstbelieferungsvorbehalt)? Dann richten sich die Rechtsfolgen grundsätzlich nach den gesetzlichen Bestimmungen. Für den Fall, dass die Leistung dem Lieferanten oder jedermann unmöglich ist, regelt das Gesetz, dass der Anspruch auf Leistung ausgeschlossen ist. Hierbei ist allerdings der Grundsatz zu beachten, dass nur dann ein Fall von Unmöglichkeit vorliegt, wenn der Lieferant auch zur Beschaffung der Ware – selbst bei Berücksichtigung der Mithilfe Dritter – nicht in der Lage ist.
Bedeutsam ist also,
Es führt damit nicht jede Form der Leistungserschwerung unmittelbar zur Unmöglichkeit der Leistungserbringung.
Ebenfalls zu beachten ist, dass die Leistungspflicht nicht schon deshalb entfällt, weil eine am Markt mögliche Ersatzbeschaffung ungeplant teuer ist. Ob der Lieferant in Fällen bloßer wirtschaftlicher Unmöglichkeit die Leistung verweigern könnte, ist im Einzelnen umstritten.
Liegt ein Fall der Unmöglichkeit vor, wird der Schuldner von seiner Leistungspflicht befreit und ist der jeweilige Gläubiger berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten. Ob dies der Fall ist, ist wie so vieles eine Einzelfallfrage.
Liegt kein Fall der Unmöglichkeit vor, kommt ggfs. noch eine Vertragsanpassung oder Vertragsaufhebung über den Wegfall/die Störung der Geschäftsgrundlage in Betracht. Ob unter Berufung auf die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage eine Vertragsanpassung oder sogar -aufhebung verlangt werden kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab.
Eine Vertragsanpassung kommt damit also nur ausnahmsweise in Betracht, wenn durch Umstände außerhalb des Einfluss- und Risikobereichs des Lieferanten ein so krasses Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung entsteht, dass ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht mehr möglich ist. Die Hürden, die die Rechtsprechung hier gesetzt hat, sind allerdings recht hoch.
Zu beachten ist dabei noch, dass es sich bei vertraglichen Force Majeure-Klauseln in der Regel um Allgemeine Geschäftsbedingungen der einen oder anderen Partei handeln wird. Daher ist in Hinblick auf die in der Klausel bestimmten Rechtsfolgen durchaus die Frage erlaubt, ob die jeweiligen Rechtsfolgen aus AGB-rechtlichen Gesichtspunkten im Einzelfall tatsächlich wirksam sind, beispielsweise im Hinblick auf Regelungen, die bestimmen, welche Partei letztlich den wirtschaftlichen Schaden trägt.
Nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage ist eine Berufung auf Leistungserschwerungen zwar grundsätzlich ausgeschlossen, wenn der Lieferant das Beschaffungsrisiko übernommen hat, so in der Regel bei sogenannten marktbezogenen Gattungsschulden. Umgekehrt hätte der Lieferant das Beschaffungsrisiko beispielsweise gerade nicht übernommen, wenn er aus seinem Vorrat liefern soll. Die Grenzen des übernommenen Risikos werden aber dann überschritten sein, wenn infolge nicht vorhersehbarer Umstände so erhebliche Leistungshindernisse entstanden sind, dass dem Lieferanten die Beschaffung nicht mehr zugemutet werden kann.
Ob in einer dieser Konstellationen diejenige Partei, die die vereinbarte Pflicht nicht erfüllt, zur Leistung von Schadensersatz verpflichtet ist, hängt zunächst davon ab,
Im Grundsatz gilt, dass der Schuldner nur verschuldensabhängig haftet, und umgekehrt für unverschuldete tatsächliche oder rechtliche Leistungshindernisse grundsätzlich nicht, zum Beispiel bei Betriebsstörungen durch höhere Gewalt oder ein behördliches Einreiseverbot. Dies gilt nach dem Gesetz und setzt daher nicht die Vereinbarung einer Force Majeure-Klausel voraus. Auch ohne solche Vereinbarung gilt daher, dass der Lieferant im Regelfall keinen Schadensersatz schuldet, wenn er wegen eines Ereignisses höherer Gewalt nicht rechtzeitig liefern kann. Darüber hinaus haftet der Schuldner aber auch, soweit er eine Garantie oder das Beschaffungsrisiko übernommen hat.
Wenn der Lieferant das Beschaffungsrisiko übernommen hat, dann haftet er in der Regel auch, wenn ihn keine Schuld am Leistungshindernis trifft. Solche Fälle hingegen, in denen infolge nicht vorhersehbarer Umstände so erhebliche Leistungshindernisse entstanden sind, dass dem Lieferanten die Beschaffung nicht mehr zugemutet werden kann, sind üblicherweise nicht mehr dem übernommenen Beschaffungsrisiko zuzurechnen.
Unvorhersehbar sind der Ausbruch der Epidemie und die daraus resultierenden Folgen inzwischen nicht mehr, wenn auch die konkreten Ausmaße ungewiss sind. Nutzen Sie daher unbedingt die Möglichkeiten, die individuelle Vertragsgestaltungen bieten. Eine Berufung auf höhere Gewalt dürfte für jetzt – nach Ausbruch der Covid-19-Epidemie – neu abgeschlossene Lieferverträge schwierig sein.
Hierzu sollten Regelungen vereinbart werden, die es den Parteien ermöglichen, flexibel auf die sich ändernden und noch ungewissen Umstände zu reagieren, beispielsweise durch Nennung konkreter Annahmen, unter denen eine Leistung bis zum vereinbarten Zeitpunkt für machbar befunden wird sowie konkreter Mechanismen, die greifen, falls sich die Annahmen ändern sollten
Ob der Dienstleister sich auf höhere Gewalt oder Unmöglichkeit berufen kann und damit (vorübergehend) von seiner Leistungspflicht frei wird, ohne sich schadensersatzpflichtig zu machen, bzw. ob er unter Berufung auf die Grundsätze der Störung der Geschäftsgrundlage eine Vertragsanpassung verlangen kann, hängt wie schon oben beschrieben von den Umständen des Einzelfalls ab, vorliegend insbesondere davon, ob die Reise zum Kunden praktisch ausgeschlossen ist, die Erbringung der Dienstleistung ggfs. sogar behördlich untersagt wurde oder aber für den Dienstleister mit einer nicht zumutbaren Gesundheitsgefährdung verbunden wäre.
Verweigert ein Mitarbeiter dagegen unberechtigterweise die Reise, so ist sein Verschulden dem Dienstleister wohl zuzurechnen.
Volker Steimle
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Dr. Maresa Hormes
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