17.05.2024

Newsflash: Bindung von Krankenhäusern an die GOÄ (Gebührenordnung für Ärzte) bei der Erbringung ambulanter Leistungen

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Bundesgerichtshof, 3. Senat: Ambulante ärztliche Leistungen durch Krankenhäuser unterliegen auch der GOÄ-Bindung; die Vereinbarung einer Pauschalvergütung ist nichtig; nicht in den Abrechnungskatalogen enthaltene ambulante Leistungen sind über GOÄ-Analogziffern abzurechnen Die GOÄ findet auch dann Anwendung, wenn der Behandlungsvertrag mit einer juristischen Person, zum Beispiel einem Krankenhausträger, abgeschlossen wird und ambulante Leistungen durch Ärzte erbracht werden, die lediglich im Rahmen eines Anstellungs- oder Beamtenverhältnisses in der Erfüllung ihrer eigenen Dienstaufgaben tätig werden. Die Vereinbarung einer Pauschalvereinbarung für ambulante Leistungen ist wegen eines Verstoßes gegen § 2 Abs. 1 u. 2 GOÄ nichtig, die Abrechnung habe über GOÄ-Analogziffern zu erfolgen. Dies entschied der 3. Senat des Bundesgerichtshofs brandaktuell mit Urteil vom 4. April 2024 (Az.: III ZR 38/23).

Sachverhalt

Sachverhalt

Gegenstand des Revisionsverfahrens vor dem Bundesgerichtshof („BGH“) war die Behandlung eines gesetzlich versicherten Patienten wegen eines Prostatakarzinoms durch ein Universitätsklinikum. Die Behandlung erfolgte in diesem Fall ambulant mittels des innovativen Cyberknife-Verfahrens. Dabei handelt es sich um ein Bestrahlungsgerät, das auf einen Industrieroboter montiert ist und eine hochenergetische Präzisionsbestrahlung von Tumoren ermöglicht.

 

Das Verfahren unterliegt aufgrund seiner Neuartigkeit noch keinem der Abrechnungskataloge für medizinische Leistungen, weder für gesetzlich- noch für privatversicherte Patienten, sowohl in der ambulanten als auch in stationären Versorgung. So ist das Verfahren derzeit weder Teil des für gesetzlich krankenversicherte Patienten vorgesehenen Einheitlichen Bewertungsmaßstabs („EBM“) noch ist es bislang ausdrücklich in den für Privat- und Selbstzahler-Patienten vorgesehenen Katalog der Gebührenordnung für Ärzte („GOÄ“) oder auf sonstige Weise in das ambulante Abrechnungssystem für medizinische Leistungen aufgenommen worden.

 

Nachdem die gesetzliche Krankenversicherung („GKV“) des Patienten eine Kostenübernahme für die Behandlung abgelehnt hatte, vereinbarten das Universitätsklinikum und der Patient in einem Behandlungsvertrag eine vom Patienten zu zahlende Vergütung in Form eines Pauschalbetrags, welcher nicht den Vorgaben des (u. a.) für Selbstzahler vorgesehenen Abrechnungskatalogs der GOÄ unterlag. Nach der Behandlung forderte der Patient das Klinikum dennoch – entgegen der Vereinbarung – auf, ihm eine ordnungsgemäße Rechnung nach dem Abrechnungskatalog der GOÄ zu stellen, bezahlte aber ohne Erhalt einer solchen Rechnung sodann den vereinbarten Pauschalbetrag. Im Klagewege forderte er daraufhin den Pauschalbetrag zurück. Er argumentierte u. a., dass die Pauschalpreisvereinbarung den Bestimmungen der GOÄ widerspräche.

Revisionsentscheidung des BGH

Revisionsentscheidung des BGH

Der BGH entschied in seinem Urteil einen langjährigen Streit in Literatur- und obergerichtlicher Rechtsprechung, indem er die Vorschriften der GOÄ für ambulante Leistungen von juristischen Personen (z. B. eines Krankenhausträgers), die lediglich durch Ärzte im Rahmen eines Anstellungs- oder Beamtenverhältnisses in der Erfüllung ihrer eigenen Dienstaufgaben erbracht werden, für anwendbar erklärte. In diesem Zusammenhang stellte der BGH ergänzend klar, dass die durchaus nicht unübliche Praxis der Vereinbarung von Pauschalpreisen für die Erbringung ambulanter Selbstzahler-Leistungen nicht länger möglich sei. Die Vereinbarung von Pauschalpreisen widerspräche den Vorschriften der GOÄ, welche jedenfalls auch im Rahmen neuartiger Verfahren über Analogziffern zu berücksichtigen gewesen wäre.

Anwendbarkeit der GOÄ auf ambulante Leistungen einer juristischen Person

Die Frage, ob die GOÄ auf ambulante Leistungen einer juristischen Person (z. B. eines Krankenhausträgers) Anwendung findet, war in der Literatur und der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang umstritten. Einerseits wurde argumentiert, die GOÄ sei nicht anzuwenden, weil Adressaten der GOÄ ausschließlich Ärzte – jedoch keine juristischen Personen – als Vertragspartner des Patienten seien. Andererseits wurde argumentiert, die GOÄ sei auch dann anzuwenden, wenn der Behandlungsvertrag mit einer juristischen Person oder einem MVZ abgeschlossen und die Leistung durch Ärzte im Anstellungs- oder Beamtenverhältnis erbracht werde. Es komme schließlich auf den Wortlaut von § 1 Abs. 1 GOÄ an, worin von den „beruflichen Leistungen der Ärzte“ die Rede sei.

Der 3. Senat des BGH entschied nun, dass die GOÄ auch dann Anwendung findet, wenn der Behandlungsvertrag mit einer juristischen Person, zum Beispiel einem Krankenhausträger, abgeschlossen wird und ambulante Leistungen durch Ärzte erbracht werden, die lediglich im Rahmen eines Anstellungs- oder Beamtenverhältnisses in der Erfüllung ihrer eigenen Dienstaufgaben tätig werden.

Nach Auffassung des BGH sei die GOÄ auch deshalb bei Behandlungsverträgen (vgl. § 630a BGB) mit juristischen Personen anzuwenden, weil der in § 1 Abs. 1 GOÄ beschriebene Anwendungsbereich „für die beruflichen Leistungen der Ärzte“ nicht voraussetze, dass Behandlungsvertragspartner des Patienten ein Arzt sei. Vielmehr sei entscheidend, dass die Vergütung für die beruflichen Leistungen eines Arztes geltend gemacht wird, nicht aber mit wem der Behandlungsvertrag zustande komme. Nach § 1 Abs. 1 GOÄ sei die Verordnung auf alle „beruflichen Leistungen der Ärzte“ anwendbar, ohne dass zwischen Leistungen differenziert werde, die aufgrund eines Behandlungsvertrags zwischen Arzt und Patient oder von Ärzten im Rahmen eines Anstellungs- oder Beamtenverhältnisses ohne eine eigene vertragliche Beziehung zum Patienten erbracht würden.

Sinn und Zweck der GOÄ sei es, einen angemessenen Interessenausgleich zwischen denjenigen, die die Leistung erbringen, und denjenigen, die zur ihrer Vergütung verpflichtet seien, zu schaffen. Dies gelte unabhängig davon, ob der Arzt selbst oder ein Dritter Vertragspartner des Patienten werde. Dies gelte auch für § 11 Satz 2 und 3 der Bundesärzteordnung („BOÄ“), wonach ein Ausgleich zwischen dem Interesse des Leistungserbringers – aufgrund angemessener Einnahmen eine zuverlässige Grundlage für die Erbringung sorgfältiger und hochwertiger ärztlicher Leistungen – zu sichern und dem Interesse des Patienten, nicht durch unkontrollierbare und unzumutbare finanzielle Belastung überfordert zu werden, herbeigeführt werden soll. Vor diesem Hintergrund sei eine Unterscheidung in Abhängigkeit des Vertragspartners nicht nachvollziehbar. Es entspreche darüber hinaus nicht dem Sinn und Zweck der GOÄ, durch Zwischenschaltung einer dritten Person, die Etablierung eines für alle Ärzte zwingendes Preisrecht umgehen zu können.

Überdies stellt der BGH fest, dass der Annahme auch nicht die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung nach § 4 Abs. 2 Satz 1 GOÄ entgegenstehe, weil die Leistungen des Arztes der juristischen Person zuzurechnen seien, sodass die Voraussetzungen der GOÄ erfüllt würden. Ein Widerspruch ergebe sich auch nicht aus § 17 Abs. 3 Satz 7 KHEntgG für wahlärztliche Leistungen, weil diese Vorschrift auf ambulante Leistungen überhaupt nicht anwendbar sei.

Entsprechend dem Gegenstand der Entscheidung – die Durchführung einer ambulanten Behandlung – erstreckt der BGH den Anwendungsbereich ausdrücklich aber nur auf diese Behandlungsart, ohne auch stationäre Krankenhausbehandlungen einzubeziehen.

Nichtigkeit von Pauschalpreisvereinbarungen

Überdies bestätigte der BGH die Nichtigkeit der von den Parteien getroffenen Pauschalpreisvereinbarung aufgrund Verstoßes gegen § 2 Abs. 1, 2 GOÄ i. V. m. § 125 Satz 1 BGB bzw. § 134 BGB.

Grund sei, dass die Vereinbarung eines Pauschalpreises § 2 Abs. 1, 2 GOÄ verstoße. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GOÄ dürfe eine Abweichung von der GOÄ zwar vereinbart werden, jedoch dürfe diese gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 GOÄ nicht in einer abweichenden Punktzahl oder in einem abweichenden Punktwert begründet werden. Soweit eine Abweichung von der GOÄ vereinbart werden soll, so müsse es sich gem. § 2 Abs. 2 Satz 1 GOÄ um eine individuelle Absprache im Einzelfall zwischen Arzt und Zahlungspflichtigem handeln. Die Vereinbarung müsse schließlich gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 GOÄ schriftlich getroffen werden und – mit Blick auf hinreichend Transparenz – die Nummer und die Bezeichnung der Leistung, den Steigerungssatz und den vereinbarten Betrag enthalten. Nach Auffassung des BGH folge aus diesen Regelungen, dass die GOÄ nicht zugunsten eines Pauschalhonorars abdingbar sei. Eine entsprechende Vereinbarung sei nichtig und es könne schließlich dahinstehen, ob diese auf § 125 BGB oder § 134 BGB beruhe.

Analoge Anwendung bei bislang nicht in der GOÄ aufgeführten Positionen

Nach Auffassung des BGH könne auch die Argumentation, es handele sich um eine Leistung, die in dem Gebührenverzeichnis der GOÄ bisher keinen Anklang finde, nicht durchgreifen. § 6 Abs. 2 GOÄ sehe schließlich vor, dass Leistungen einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung aus dem Gebührenverzeichnis entsprechend berechnet werden könne (sog. Analogberechnung).

Rechtsfolge der Nichtigkeit

Als Folge der Nichtigkeit billigte der BGH dem Patienten ein Recht auf Rückzahlung des gesamten Pauschalhonorars gem. § 812 Abs. 1 Alt. 1 BGB zu. Diesen Anspruch schließe auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben gem. § 242 BGB aus. Auch wenn der Patient sich auf den Abschluss einer Pauschalvereinbarung verständigte und diese im Anschluss bezahlte, aber erst dann die Unwirksamkeit einwende, stelle keine besonders schwere Treuepflichtverletzung des Patienten dar. Denn dem Patienten war die Unwirksamkeit erstmals im sozialgerichtlichen Prozess, welchen er zunächst gegen seine Krankenkasse führte, bewusst geworden. Ein Anspruchsausschluss wegen einer Existenzgefährdung des Universitätsklinikums sah der BGH vorliegend auch nicht als gegeben an.

Bewertung und Handlungsempfehlung

Bewertung und Handlungsempfehlung

Der BGH hat den schwelenden Streit um die Anwendbarkeit der GOÄ auf Leistungen von Krankenhäusern und Privatkliniken jedenfalls in Bezug auf ambulante Behandlungen abschließend entschieden: Die GOÄ ist zwingend anzuwenden.

Für Krankenhausträger und Privatkliniken führt das Urteil jedoch zu einer zwingenden Überprüfung der bisher angewendeten Vergütungsregelungen im ambulanten Sektor. Gerade für innovative oder nicht im Gebührenverzeichnis der GOÄ enthaltene Leistungen (insbesondere im Rahmen von Schönheits- oder Lifestylebehandlungen), die ambulant erbracht werden und für die bisher am Markt Vergütungspauschalen vereinbart wurden, muss nun eine GOÄ basierte Abrechnung erfolgen. Inwieweit dabei eine leistungsadäquate Vergütung mittels Analogabrechnung gesichert werden kann, gilt es im Einzelfall zu prüfen.

Keine Aussage zu stationären Leistungen

Nicht einbezogen in diese Entscheidung hat der BGH die Frage, ob und inwieweit die GOÄ auch auf stationäre Leistungen anzuwenden wäre. Der BGH hat bei seiner Auseinandersetzung mit dem Streitstand in Literatur und Rechtsprechung zum Anwendungsbereich der GOÄ bei der Leistungserbringung durch Kliniken zwar nicht grundsätzlich zwischen Stimmen differenziert, die sich nur auf ambulante Leistungen beziehen. Allerdings stellen die Urteilsgründe stets ausschließlich auf die hier entscheidungserheblichen ambulanten Leistungen ab, sodass sich die Entscheidung ersichtlich nicht ohne weiteres auf stationäre Leistungen erstrecken lässt. Vielmehr hat der BGH zugestanden, dass für solche ohnehin noch anderes Preisrecht in Betracht komme.

Treuepflicht und Vertrauensschutz

Der Umstand, dass der BGH den Bestand des Rückzahlungsanspruchs gem. § 812 Abs. 1 Alt. 1 BGB mit den Grenzen des § 242 BGB abgleicht, eröffnet u. U. eine Option zur Verteidigung von Abrechnungen aus der Vergangenheit. Der BGH konzentriert sich insoweit auf massive Rückforderungen, die die Grenze zur Existenzgefährdung überschreiten. Insoweit kommt es allerdings maßgeblich auf den Einzelfall an. Zum Beispiel hatte der Patient in der Entscheidung des BGH erst im sozialgerichtlichen Verfahren vom Streit um die Anwendbarkeit der GOÄ erfahren. Insoweit könnte daher die konkrete Kostenaufklärung u. ä. noch Spielraum für die Verteidigung von Rechnungen eröffnen.

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