22.06.2021
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
in dieser Ausgabe unseres Newsletters beschäftigen wir uns mit gleich zwei aktuellen Gesetzesvorhaben, die Arbeitgeber vor Herausforderung stellen werden. Die jeweiligen Referentenentwürfe liegen bereits vor. Zeit für uns, Ihnen einen ersten Überblick zu geben.
Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) hat einen ersten Entwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz erarbeitet. Mit diesem Gesetzesvorhaben sollen die in der EU-Whistleblower-Richtlinie vom 23. Oktober 2019 (RL (EU) 2019/1937) enthaltenen Vorgaben umgesetzt werden. Der vorgelegte Referentenentwurf geht teils über die Vorgaben der EU-Richtlinie hinaus. Die Zeit drängt, da die EU-Whistleblower-Richtlinie bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden muss. Das Thema Whistleblowing wird vor dem Hintergrund zunehmend verschärfter Compliance- Regelungen sowie sich verändernden Arbeitsorganisationen globaler Konzernstrukturen künftig weiter an Bedeutung gewinnen. Alles Gründe für Nadine Ceruti und mich uns dem vorgelegten Referentenentwurf in dieser Ausgabe zu widmen und das Gesetzesvorhaben zu beleuchten.
Am 14. April 2021 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zudem einen Referentenentwurf zur „Eindämmung“ der Befristung von Arbeitsverträgen präsentiert. Hiermit sollen die Vorgaben des Koalitionsvertrags zur weiteren Reglementierung des Befristungsrechts noch vor dem Ende der aktuellen Legislaturperiode umgesetzt werden. Geplant sind unter anderem eine quotenmäßige Höchstgrenze von sachgrundlosen Befristungen sowie zahlreiche weitere Verschärfungen. Ob der Gesetzesentwurf noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird, ist fraglich. Paul Gooren gibt einen Überblick über die möglichen gesetzlichen Neuerungen.
Wie gewohnt befassen wir uns auch in diesem Newsletter selbstverständlich wieder mit den aus unserer Sicht wesentlichen Entscheidungen der letzten Monate, bei denen wir denken, dass sie für Sie von besonderem Interesse sind.
Sprechen Sie sehr gerne unsere Autorinnen und Autoren bei Fragen zu den jeweiligen Kommentaren und Artikeln an. Wir freuen uns auf Ihr Feedback und wünschen Ihnen nunmehr viel Spaß bei der Lektüre!
Bleiben Sie gesund!
Ihr
Achim Braner
Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz (BMJV) will hinweisgebenden Personen (sog. Whistleblower) in Zukunft umfassend vor beruflichen Nachteilen schützen und hat hierzu einen ersten Entwurf für ein Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG-E) erarbeitet. Mit diesem Gesetzesvorhaben sollen die in der EU-Whistleblower-Richtlinie vom 23. Oktober 2019 (RL (EU) 2019/1937) enthaltenen Vorgaben umgesetzt und teilweise auch erweitert werden: So soll das HinSchG nicht nur Verstöße gegen EU-Recht, sondern auch solche gegen nationales Recht umfassen. Die Zeit läuft für den Gesetzgeber. Die EU-Whistleblower-Richtlinie muss bis zum 17. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden.
Whistleblowing – das Aufdecken von Missständen in Unternehmen oder Behörden – ist ein konfliktbeladenes Thema. Whistleblower leisten einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung von Rechtsverstößen und Missständen in Betrieben, heißt es in der Begründung zum Referentenentwurf. Sie würden aber immer wieder infolge einer entsprechenden Meldung benachteiligt werden. Dies soll der Referentenentwurf des BMJV verhindern und Rechtsklarheit darüber schaffen, wann Whistleblower bei der Meldung von Verstößen geschützt werden.
Bislang ist der Schutz hinweisgebender Personen vor allem durch die nationale Rechtsprechung geprägt, die sich an den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) orientiert. Dieser hatte sich im Jahr 2011 in einer Grundsatzentscheidung, in dem es um die Meldung von Missständen in einem Pflegeheim und eine daraufhin ausgesprochene Kündigung ging, mit der Abwägung zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen beschäftigt und entschieden, dass im konkreten Fall eine Verletzung der Freiheit der Meinungsäußerung nach Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention vorlag. Der EGMR bestätigte die arbeitsvertragliche Verschwiegenheits- und Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers gegenüber seinem Arbeitgeber und bezeichnete den Gang an die Öffentlichkeit als letztes Mittel. Für Hinweisgeber bleibt demnach ein erhebliches Risiko, wenn sie einen Rechtsverstoß an externe Stellen melden.
Der persönliche Anwendungsbereich ist entsprechend den Vorgaben der EU-Whistleblower-Richtlinie weit gefasst. Dieser soll sich auf sämtliche natürliche Personen erstrecken, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an Meldestellen weitergeben oder offenlegen. Vom persönlichen Anwendungsbereich sollen auch Personengruppen, wie beispielsweise Selbstständige, Freiwillige und Organmitglieder von Gesellschaften erfasst werden. Nichts anderes soll für Hinweisgeber gelten, deren Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet wurde oder solche, deren Arbeitsverhältnis noch nicht begonnen hat. Ferner heißt es im Entwurf, dass über hinweisgebende Personen auch solche zu schützen sind, die Hinweisgeber bei einer Meldung oder Offenlegung unterstützen und deren Unterstützung vertraulich sein soll.
Der Referentenentwurf geht über die unionsrechtlichen Vorgaben hinaus und schützt nicht nur Personen, die Verstöße gegen das EU-Recht melden, sondern auch solche, die auf Verstöße gegen das deutsche Recht hinweisen. Dabei werden sämtliche Informationen über Verstöße gegen Rechtsnormen aller in § 2 HinSchG-E genannten Rechtsbereiche erfasst. Neben Verstößen gegen straf- und bußgeldbewehrte Vorschriften, bezieht sich der Entwurf auch auf solche gegen Gesetze, Rechtsverordnungen des Bundes und der Länder sowie gegen Rechtsakte der EU, soweit diese einen der in § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 HinSchG-E aufgezählten Rechtsbereiche (u. a. Datenschutzrecht, Umweltrecht, Vergaberecht und Finanzaufsichtsrecht) betreffen. Damit erfasst der Entwurf die in der Praxis am häufigsten auftretenden Whistleblower-Fälle.
Der Referentenentwurf stellt keine hohen Anforderungen an die Belastbarkeit der gemeldeten Verstöße. Es genügt, wenn die hinweisgebende Person zum Zeitpunkt der Meldung hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die von ihr offen gelegten Informationen der Wahrheit entsprachen. Nach der Begründung des Referentenentwurfs sind weder interne noch externe Meldestellen verpflichtet, technische Mittel oder Verfahren für anonyme Meldungen vorzuhalten. Es ist auch keine Pflicht zur Bearbeitung anonymer Hinweise vorgesehen.
Entsprechend den Vorgaben der EU-Whistleblower-Richtlinie sieht der Referentenentwurf in § 12 HinSchG-E für Arbeitgeber mit mindestens 50 Mitarbeitern eine Pflicht zur Errichtung einer internen Meldestelle vor, an die sich Beschäftigte wenden können. Dabei kommen als Arbeitgeber, nicht nur natürliche und juristische Personen, sondern auch rechtsfähige Personengesellschaften und sonstige rechtsfähige Personenvereinigungen in Betracht.
Das geplante Hinweisgeberschutzgesetz stellt insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen in personeller und fachlicher Hinsicht vor großen Herausforderungen. Der Referentenentwurf sieht deshalb für Unternehmen mit 50 bis 249 Beschäftigten eine verlängerte Einrichtungsfrist bis zum 17. Dezember 2023 vor und erlaubt diesen Unternehmen die Einrichtung einer gemeinsam betriebenen Meldestelle mit anderen Unternehmen. Kleinere Unternehmen werden sich künftig mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sie von dieser Option Gebrauch machen.
Zu den wesentlichen Aufgaben der internen Meldestellen gehört die Entgegennahme von Meldungen, die Prüfung auf ihre Stichhaltigkeit und die Einleitung geeigneter Folgemaßnahmen, insbesondere die interne Untersuchung des gemeldeten Sachverhalts einschließlich einer Rückmeldung über den Verfahrensstand innerhalb einer Frist von drei Monaten. Mit der Wahrnehmung dieser Aufgaben kann eine im Unternehmen beschäftigte Person, eine interne Organisationseinheit oder ein Dritter betraut werden. Als mögliche interne Meldestellen werden z. B. Mitarbeiter mit einer Doppelfunktion, Leiter der Complianceabteilung, Integritätsbeauftragte, Rechts- oder Datenschutzbeauftragte genannt. Alternativ können mit der Einrichtung und dem Betreiben einer internen Meldestelle auch externer Anwälte als Ombudspersonen, Berater, Prüfer, Gewerkschaftsvertreter oder Arbeitnehmervertreter beauftragt werden.
Der Entwurf sieht zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Meldewege für hinweisgebende Personen vor, zwischen denen sie frei wählen können. Dies sind zum einen interne Meldestellen bspw. innerhalb des Unternehmens und zum anderen auf Bundesebene eingerichtete externe Meldestellen. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung können sich Whistleblower demnach unmittelbar an eine externe Meldestelle wenden. In besonderen Ausnahmefällen ist der Gang an die Öffentlichkeit (z. B. Presse) auch vom Schutzbereich des Gesetzes umfasst.
Der Referentenentwurf sieht jedoch in § 7 Abs. 3 HinSchG-E auch vor, dass Arbeitgeber Anreize dafür schaffen sollen, dass Whistblower sich zunächst an die interne Meldestellen wenden. Die Möglichkeit einer externen Meldung darf hierdurch jedoch nicht erschwert oder beschränkt werden.
Whistleblower sollen einen umfangreichen Schutz vor Repressalien infolge einer Meldung über Missstände im Unternehmen erfahren. Nach § 35 Abs. 1 i. V. m. § 3 Abs. 6 HinSchG-E sind Repressalien durchgeführte, versuchte oder angedrohte „Handlungen oder Unterlassungen im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit, die eine Reaktion auf eine Meldung oder Offenlegung sind und durch die der hinweisgebenden Person ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht oder entstehen kann“. Laut Entwurf fallen darunter alle beruflichen Nachteile, wie beispielweise Kündigung, Versagung einer Beförderung, Disziplinarmaßnahmen, Diskriminierung oder Mobbing. Der erarbeitete Entwurf enthält in diesem Zusammenhang zugunsten des Hinweisgebers eine Beweislastumkehr. Erleidet ein Whistleblower nach einer Meldung eine Benachteiligung, so wird widerleglich vermutet, dass dies auf der Meldung des Whistleblowers beruht. Der Arbeitgeber muss dann darlegen und beweisen, dass die ergriffene Maßnahme nicht im Zusammenhang mit der Meldung steht. Gelingt dem Arbeitgeber kein Gegenbeweis, so kann die hinweisgebende Person eigene Unterlassungs- und verschuldensunabhängige Schadensersatzansprüche geltend machen.
Der Referentenentwurf enthält in §§ 5, 6 HinSchG-E Regelungen darüber, in welchen sensiblen Bereichen das Geheimhaltungsinteresse einer Meldung oder Offenlegung grundsätzlich entgegenstehen könnte. So sind bspw. Informationen, die dem richterlichen Beratungsgeheimnis oder der ärztlichen oder anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht unterfallen, vom Schutzbereich des Hinweisgeberschutzgesetzes ausgenommen. Etwas anderes gilt für die Fälle, in denen ein durch (Arbeits-)Vertrag der Geheimhaltungspflicht unterliegender Beschäftigter mit seiner Meldung zugleich auch Geschäftsgeheimnisse offenlegt. Laut Entwurf soll es hierbei besonders darauf ankommen, ob der Hinweisgeber hinreichend Grund zu der Annahme hatte, dass die Offenlegung zur Aufdeckung des Verstoßes notwendig ist.
Auch wenn es sich um einen ersten Referentenentwurf handelt, der sicherlich auf dem Weg des Gesetzgebungsverfahrens noch einzelne Änderungen erfahren wird, ist Arbeitgebern zu empfehlen, sich mit diesem Thema – soweit nicht schon bereits geschehen – frühzeitig intensiver zu beschäftigen. Da die Richtlinie bis 17. Dezember 2021 in nationales Recht umgesetzt werden muss, besteht für Arbeitgeber hier konkreter Handlungsbedarf. Zu beachten ist insbesondere, dass die Entwicklung und Einführung geeigneter Meldesysteme zahlreiche komplexe Fragestellungen aufwirft und deren betriebliche Umsetzung regelmäßig recht zeitaufwendig ist. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass regelmäßig Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates bei der Einführung solcher Systeme bestehen, was die Einführung ebenfalls erschweren kann. Schließlich sind die Mitarbeiter, welche das Meldesystem betreuen, umfassend zu schulen.
Achim Braner
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a. M.
Nadine Ceruti
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a. M.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat am 14. April 2021 einen Referentenentwurf vorgelegt, auf dessen Grundlage die Befristung von Arbeitsverträgen „eingedämmt“ werden soll. Mit diesem Entwurf sollen die entsprechenden Vorgaben des Koalitionsvertrags der Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD noch vor dem Ende der aktuellen Legislaturperiode umgesetzt werden. Geplant sind unter anderem eine quotenmäßige Höchstgrenze von sachgrundlosen Befristungen sowie zahlreiche weitere Verschärfungen. Hierüber soll dieser Beitrag einen Überblick geben.
Im Zuge der Koalitionsverhandlungen 2018 hatte die SPD den Eintritt in die Bundesregierung insbesondere davon abhängig gemacht, dass das Befristungsrecht reformiert würde. Dementsprechend wurde im Koalitionsvertrag der 19. Legislaturperiode vereinbart, den „Missbrauch bei den Befristungen“ abzuschaffen. Dies soll insbesondere durch folgende Instrumente erfolgen: (1.) Einführung einer Quote von maximal 2,5 % der Belegschaft, die bei Arbeitgebern mit mehr als 75 Mitarbeitern sachgrundlos befristet werden dürfen; (2.) Begrenzung der sachgrundlosen Befristung auf höchstens 18 Monate und dabei lediglich eine einmalige Verlängerung; (3.) Verhinderung von unendlich langen Befristungsketten durch Verbot einer Befristung nach fünf Jahren.
Diese Vorgaben greift der aktuelle Referentenentwurf des SPD-geführten Arbeitsministeriums nun auf und versucht, diese und weitere Regelungen noch vor der kommenden Bundestagswahl umzusetzen. Es ist damit zu rechnen, dass diese „Herzensangelegenheit“ der SPD eine prominente Rolle im aktuellen Wahlkampf einnehmen wird.
Darüber hinaus knüpft der Entwurf an die Entwicklung der Rechtsprechung der letzten Jahre an. Seit der Kücük-Entscheidung des EuGH im Jahr 2012 (Urteil vom 26. Januar 2012 – C-586/10) hat die Frage des Rechtsmissbrauchs langer Ketten von befristeten Arbeitsverträgen eine immer größere Bedeutung in den Entscheidungen der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit eingenommen. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu nach und nach konkrete Vorgaben entwickelt, die jedoch weiterhin sehr viel Spielraum beließen. Diesem sollen nun klare und deutlich engere Grenzen gesetzt werden, zu Lasten der Flexibilität der Arbeitgeber.
Die zentrale Neuerung in der vorgeschlagenen Gesetzesänderung ist die Einführung einer Höchstquote für Befristungen ohne Sachgrund. Gemäß § 14 Abs. 5 TzBfG-RefE dürfen Arbeitgeber mit in der Regel mehr als 75 Beschäftigten nur noch maximal 2,5 % ihrer Arbeitnehmer auf Grundlage von sachgrundlos befristeten Arbeitsverträgen beschäftigen. Wird diese Schwelle überschritten, so führt dies zur Unwirksamkeit (nicht aller, sondern) der darüber liegenden Befristungen.
Maßgeblich für die Einhaltung des Befristungsanteils von 2,5 % ist der Zeitpunkt der vereinbarten Arbeitsaufnahme und nicht, wie noch im Koalitionsvertrag vorgesehen, der Zeitpunkt der tatsächlichen Einstellung. Zur Erleichterung der Berechnung wird der Berechnungszeitpunkt allerdings vorverlegt auf den ersten Kalendertag des vorangegangenen Quartals. Wie sich dies auswirkt, zeigt das folgende Beispiel: Möchte ein Arbeitgeber zum 1. Mai einen neuen Arbeitnehmer sachgrundlos befristet einstellen, ist der 1. Januar zu betrachten. Hat der Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt beispielsweise 200 Arbeitnehmer, darf er fünf Arbeitsverhältnisse sachgrundlos befristen. Sind diese am 1. Mai noch nicht „verbraucht“, ist die Befristung zulässig.
Allerdings sind im Detail einige Besonderheiten zu berücksichtigen. So sollen Auszubildende nicht mitzuzählen sein, wohl aber Leiharbeitnehmer, soweit ihr Einsatz einen regelmäßigen Personalbedarf abdeckt. Die Quote gilt zudem nur für sachgrundlose Befristungen nach dem TzBfG, nicht aber nach anderen Rechtsgrundlagen. Die Regelungen gelten außerdem nicht nur für erstmalige Befristungen, sondern gleichsam für Verlängerungen von Befristungen.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Entwurf auf den „Arbeitgeber“ als maßgebliche Einheit abstellt. Es kommt damit auf die Gesellschaft, d.h. die juristische Person an, nicht etwa auf den Betrieb als Einheit. Insofern kann die Anwendung der Quote beispielsweise dadurch verhindert werden, dass ein Arbeitgeber mit mehreren kleineren Betrieben (z. B. Supermarkt- oder sonstige Filialen) diese jeweils in eigenständige Gesellschaften umwandelt.
Das BMAS hat gesehen, dass es nach der bisherigen Rechtslage äußerst schwierig sein kann, die Einhaltung der Quote zu überprüfen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Wirksamkeit einer Befristung stets objektiv zu überprüfen. Es kommt also grundsätzlich nicht auf die Formulierungen im Arbeitsvertrag an. Das bedeutet, dass eine Befristung praktisch im Einzelfall durchaus sowohl auf die Voraussetzungen einer sachgrundlosen Befristung als auch auf einen Sachgrund gestützt werden können. Es genügt, wenn einer der alternativen Rechtfertigungsgründe tatsächlich greift. Ein „Zitiergebot“ für die eine oder andere Alternative besteht gerade nicht. Insofern haben Arbeitgeber häufig auch gar keinen klaren Überblick, welche Arbeitsverträge nun rechtlich tatsächlich ohne Sachgrund befristet sind, da sich dies aus den Verträgen selbst nicht ergibt.
Um dies zu ändern, sieht der Entwurf in § 14 Abs. 6 TzBfG-RefE nun auch vor, dass in den Arbeitsverträgen anzugeben ist, wenn eine Befristung sachgrundlos erfolgt. Fehlt die schriftliche Angabe, so kann die Befristung hierauf nicht mehr gestützt werden; liegt sie indes vor, so kann die Befristung nicht mehr auf einen Sachgrund im Sinne des § 14 Abs. 1 TzBfG gestützt werden.
Diese formellen Anforderungen gelten damit allerdings nicht nur zur Kontrolle der Einhaltung der Quote, sondern für alle Arbeitgeber, d.h. auch solche mit weniger als 75 Mitarbeitern. Arbeitgeber müssen sich hiernach also entscheiden, ob sie die jeweilige Befristung auf einen Sachgrund stützen wollen oder sie sachgrundlos erfolgen soll. Im letzteren Fall muss der Arbeitgeber sich aber auch auf die konkrete Rechtsgrundlage der sachgrundlosen Befristung festlegen, also entweder auf die normale kalendermäßige Befristung nach § 14 Abs. 2 TzBfG (siehe zu deren Verkürzung sogleich), die kalendermäßige Befristung in den ersten vier Jahren nach einer Neugründung (§ 14 Abs. 2a TzBfG) oder die altersbedingte kalendermäßige Befristung gemäß § 14 Abs. 3 TzBfG.
Des Weiteren sieht der Referentenentwurf vor, dass die allgemeine Höchstdauer von kalendermäßigen Befristungen ohne Sachgrund zeitlich beschränkt wird. Aktuell gestattet § 14 Abs. 2 TzBfG dies bis zu einer Gesamtdauer von zwei Jahren und – innerhalb dessen – maximal drei Verlängerungen. Die Höchstdauer soll nunmehr um ein halbes Jahr auf 18 Monate herabgesetzt werden und es soll nur noch eine einmalige Verlängerung möglich sein (§ 14 Abs. 2 TzBfG-RefE). In Tarifverträgen soll zwar auch weiterhin hiervon abgewichen werden können, allerdings kommt es auch dort zur Einziehung von Höchstgrenzen (54 Monate bzw. drei Verlängerungen).
Eine weitere allgemeine Begrenzung der Höchstdauer betrifft die generell erlaubte Gesamtdauer von befristeten Arbeitsverhältnissen. Es soll eine allgemeine Obergrenze von fünf Jahren etabliert werden. Diese gilt sowohl für sachgrundlose Befristungen (§ 14 Abs. 3 und 4 TzBfG-RefE) als auch bei Befristungen mit Sachgrund (§ 14 Abs. 1a TzBfG-RefE). Zeiten der Überlassung an den Arbeitgeber als Leiharbeitnehmer sind zudem mitzuzählen.
Diese Regelungsvorschläge dienen insbesondere dazu, die missbräuchliche Verwendung von sog. Kettenbefristungen zu verhindern. Arbeitgeber – speziell öffentliche – haben in der Vergangenheit vereinzelt den Sachgrund der Vertretung (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG) genutzt, um Arbeitnehmer über viele Jahre und mit vielen Verträgen in befristeten Arbeitsverhältnissen zu halten. Diese unrühmliche Praxis ging in Extremfällen teilweise so weit, dass sogar die Schwelle des Rechtsmissbrauchs (Verstoß gegen Treu und Glauben, § 242 BGB) überschritten wurde. Hintergrund dessen ist, dass nach der Rechtsprechung grundsätzlich jeweils nur die letzte Befristung gerichtlich überprüft wird und ein Arbeitgeber unter anderem nicht dazu verpflichtet ist, eine generelle Personalreserve vorzuhalten, um Vertretungsbedarf hierüber abzudecken. Diesen Auswüchsen hatte das Bundesarbeitsgericht nach und nach zwar gewisse Grenzen gesetzt (siehe etwa BAG, Urteil vom 26. Oktober 2016 – 7 AZR 135/15), diese sind jedoch weiterhin sehr weit und dazu auch relativ kompliziert ausgestaltet gewesen. Die Fünf-Jahres-Grenze soll daher zur Einhegung sowie Vereinfachung führen und würde die genannte Rechtsprechung größtenteils hinfällig werden lassen.
Allerdings sieht die Fünf-Jahres-Grenze wiederum Ausnahmen vor: Zum einen gilt sie nicht für alle Sachgründe (insbesondere nicht für den Befristungsgrund der „Eigenart der Arbeitsleistung“ nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG, d. h. etwa für Sportler, Schauspieler oder Künstler), zum anderen sind nur die Zeiten solcher Arbeitsverhältnisse zu berücksichtigen, zwischen denen nicht mehr als drei Jahre liegen. Es soll also eine „Karenzzeit“ von drei Jahren eingeführt werden; nach deren Ablauf können die fünf Jahre ggf. wieder voll ausgeschöpft werden.
Schließlich findet sich im Referentenentwurf auch noch die Abschaffung bisheriger und die Einführung neuer Sachgründe:
So soll der Sachgrund der Haushaltsmittelbefristung (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 TzBfG) vollständig aus dem Gesetz gestrichen werden. Über die europarechtliche Zulässigkeit dieses Sachgrunds hatte es seit längerem erhebliche Diskussionen gegeben. Die Mehrheit der Stimmen sah hierin eine rechtswidrige Bevorteilung öffentlicher Arbeitgeber, eine höchstrichterliche Klärung gibt es nach wie vor nicht. Dem würde der Entwurf nun zuvor kommen und den genannten Sachgrund gleich ganz wegfallen lassen.
Stattdessen soll ein neuer anderer Sachgrund eingeführt werden, und zwar bei der Beschäftigung in (bestimmten) Transfergesellschaften (§ 111 Abs. 10 SGB III-RefE), mit der Zielrichtung, hierdurch Entlassungen zu vermeiden und Eingliederungschancen in Anschlussbeschäftigungen bei neuen Arbeitgebern zu verbessern.
Die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil vorgelegten Änderungsvorschläge würden das bisherige Befristungsrecht erheblich umkrempeln. Ob man befristete Arbeitsverträge generell für „gut“ oder „schlecht“ hält, hängt im Wesentlichen vom politischen Standpunkt ab. Unbestritten haben derartige Flexibilisierungsinstrumente, die auch als Ausgleich für den äußerst hohen Kündigungsschutz zu sehen sind, zur allgemeinen Reduzierung der Arbeitslosenquote beigetragen. Die arbeitnehmer- und gewerkschaftsnahe SPD versucht nun, Befristungen weiter zu erschweren, in der Hoffnung, dass aus befristeten unbefristete Arbeitsverhältnisse werden. Einige Regelungen, wie etwa die Fünf-Jahres-Grenze oder auch das Zitiergebot, mögen vom Grundgedanken durchaus sinnvoll und der Rechtssicherheit förderlich sein. Hieran haben auch Arbeitgeber ein eigenes Interesse. Es spricht allerdings Bände, dass etwa die „schwarzen Schafe“ der missbräuchlichen Befristungsketten primär ein Thema des öffentlichen Diensts und in der Privatwirtschaft selten zu finden waren. Der Entwurf bekämpft damit zum Teil quasi ein hausgemachtes Problem. Erhebliche Neuerungen mit entsprechendem Organisationsaufwand wird allerdings die geplante Befristungsquote bewirken. Hier müssen Arbeitgeber betriebsübergreifende Strukturen schaffen, um die Einhaltung der Quote gewährleisten zu können. Zudem werden neue Rechtsfragen aufkommen, die bis zu ihrer Klärung wiederum für Rechtsunsicherheit sorgen.
Mit dem Ablauf jeder weiteren Woche und der nahenden parlamentarischen Sommerpause wird die Umsetzung des Entwurfs noch in dieser Legislaturperiode immer unwahrscheinlicher. Dies wird sich auch auf den kommenden Wahlkampf auswirken. Aber selbst nach der Bundestagswahl wird das Thema vermutlich weiterhin Brisanz haben. Die politische Entwicklung ist also mit Spannung auch aus dem arbeitsrechtlichen Blickwinkel zu beobachten!
Dr. Paul Gooren, LL.M. (Chicago)
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Berlin
Anspruch des Arbeitgebers auf Ersatz von erforderlichen anwaltlichen Ermittlungskosten bei Compliance-Verstößen eines Arbeitnehmers
BAG, Urteil vom 29.04.2021, 8 AZR 276/20, PM
Der Kläger war als Leiter des Zentralbereichs Einkauf und Mitglied der Führungsebene zu einem Bruttojahresgehalt von etwa EUR 450.000 bei der Beklagten beschäftigt. Nachdem die Beklagte anonyme Hinweise erhalten hatte, dass der Kläger gegen die Compliance-Regelungen verstieße, beauftragte sie eine auf solche Verstöße spezialisierte Anwaltskanzlei mit dahingehenden Ermittlungen. Diese fand heraus, dass der Kläger Personen auf Kosten der Beklagten zum Essen eingeladen hat, ohne dass hierfür ein dienstlicher Anlass bestanden habe. Zudem ermittelte sie, dass der Kläger u. a. auf Kosten der Beklagten zu Champions-League-Spielen des FC Bayern München gefahren ist. Die Tickets zu den Spielen hätten ihm Geschäftspartner der Beklagten auf Anforderung zur Verfügung gestellt. Die Anwaltskanzlei stellte der Beklagten für ihre Tätigkeit knapp EUR 210.000 in Rechnung. Diese Tätigkeit fiel zeitlich teilweise auch in den Zeitraum nach Ausspruch der Kündigung.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich fristgerecht. Die Kündigung begründete sie mit dem Verstoß gegen das sog. Schmiergeldverbot, der Abrechnung privater Auslagen auf Kosten der Beklagten und Spesenbetrug in mehreren Fällen. Die hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage wurde rechtskräftig abgewiesen. Die Kündigung war damit wirksam.
Die Beklagte hatte im Rahmen der Kündigungsschutzklage Widerklage auf Ersatz der Ermittlungskosten, die durch den Einsatz der spezialisierten Kanzlei entstanden waren, erhoben. Die Ermittlungen der spezialisierten Kanzlei waren auch nach Ausspruch der Kündigung noch fortgeführt worden, um etwaige Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit den Pflichtverletzungen zu bestimmen.
Das Arbeitsgericht (ArbG) Mannheim (Urteil vom 27. Juni 2019, 8 Ca 306/16) hatte in erster Instanz einen dahingehenden Schadensersatzanspruch insgesamt abgelehnt. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hat dem Ersatzanspruch insoweit stattgegeben, als es die Kosten, die durch die Tätigkeit der Kanzlei bis zum Ausspruch der Kündigung entstanden waren, als erstattungsfähig angesehen hat (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. April 2020, 19 Sa 46/19). Die darüber hinausgehenden Kosten seien nicht erstattungsfähig. Dies begründete es unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BAG damit, dass die weiteren Ermittlungen der Vorbereitung eines Schadensersatzanspruchs dienten, ein Ersatzanspruch aber nur bzgl. solcher Ermittlungen bestünde, die zur Abwehr drohender Nachteile erforderlich seien. Die weiteren Ermittlungen nach Ausspruch der Kündigung hatten nach Ansicht des LAG keinen Einfluss mehr auf die Beseitigung der Vertragsstörung oder eine Schadensverhütung. Die dahingehenden Kosten seien deshalb nicht erstattungsfähig.
Das BAG hat in dem o. g. Fall entschieden, dass ein Schadensersatzanspruch der Beklagten grundsätzlich denkbar sei, vorliegend aber an der Erforderlichkeit der Ermittlungen scheitere. Die Beklagte habe es unterlassen, konkret darzulegen, welche Tätigkeiten bzw. Ermittlungen wann und in welchem zeitlichen Umfang wegen welchen konkreten Verdachts gegen den Kläger von der beauftragen Kanzlei ausgeführt wurden.
Darüber hinaus stellte es fest, dass § 12a ArbGG auf einen solchen Fall keine Anwendung findet. Nach der Regelung sei eine Erstattung von Kosten, die im Rahmen eines erstinstanzlichen Gerichtsverfahren entstehen, ausgeschlossen.
Diese Entscheidung steht im Einklang mit der strengen Rechtsprechung des BAG zum Ersatz von Detektivkosten. Danach kann ein Arbeitgeber die Kosten eines Detektivs erstattet verlangen, wenn er diesen aufgrund eines konkreten Verdachts gegen einen bestimmten Mitarbeiter beauftragt und ein vernünftiger, wirtschaftlich denkender Arbeitgeber diese Maßnahme nach den Umständen des Einzelfalls zur Beseitigung der Störung bzw. zur Schadensverhütung nicht nur als zweckmäßig, sondern auch als erforderlich ergriffen hätte (BAG, Urteil vom 28. Oktober 2010, 8 AZR 547/09).
Dieser Linie folgt das BAG auch mit der vorliegenden Entscheidung. Unabhängig von der ermittelnden Person (Detektiv, Rechtsanwalt usw.) muss der Arbeitgeber hohe Hürden überwinden, wenn er von einem Arbeitnehmer die Ermittlungskosten, die aufgrund des konkreten Verdachts einer Straftat oder/und eines Compliance-Verstoßes gegen den Arbeitnehmer entstanden sind, ersetzt verlangen möchte.
Der Arbeitgeber ist gut beraten, wenn er genau „Buch“ darüber führt, aufgrund welchen konkreten Verdachts eine Kanzlei oder ein Detektiv zur Ermittlung eingeschaltet wird und welche Tätigkeiten in Bezug auf welcher Verdachtslage erbracht werden. I. E. bedeutet dies auch, dass ein Ermittler seine Kostenrechnungen entsprechend detailliert gestalten muss. Vor Zahlung des Honorars sind also die Tätigkeitsaufstellungen dezidiert zu prüfen. Bezüglich weiterer Einzelheiten werden aber die Urteilsgründe abzuwarten sein. Bislang liegt lediglich die Pressemitteilung vor.
Jana Voigt
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf
BAG, Urteil vom 27.04.2021 – 2 AZR 342/20
Ein entlassener Arbeitnehmer kann nicht beanspruchen, dass ihm der frühere Arbeitgeber eine Kopie der gesamten E-Mail-Kommunikation, die ihn betrifft, überlässt. Insoweit hat das BAG entschieden, dass ein solcher Klageantrag nicht hinreichend bestimmt sei.
Der Kläger war bei der Beklagten als Wirtschaftsjurist beschäftigt. Schon nach einem Monat kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit. Mit seiner Klage verlangte der Kläger u. a. Auskunft über seine von der Beklagten verarbeiteten personenbezogenen Daten sowie die Überlassung einer Kopie dieser Daten gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO. Dem Auskunftsverlangen hatte die Beklagte entsprochen, weshalb die Parteien den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärten. Die Klage auf Erteilung einer Kopie der personenbezogenen Daten des Klägers hat das Arbeitsgericht abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr teilweise entsprochen und sie im Übrigen abgewiesen. Es hat angenommen, der Kläger habe zwar einen Anspruch auf Erteilung einer Kopie seiner personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Auskunft der Beklagten waren, nicht aber auf die darüber hinaus verlangten Kopien seines E-Mail-Verkehrs sowie der E-Mails, die ihn namentlich erwähnten.
Die Revision des Klägers vor dem Bundesarbeitsgericht hatte keinen Erfolg. Das BAG hat dabei ausdrücklich offen gelassen, ob das Recht auf Überlassung einer Kopie gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO die Erteilung einer Kopie von E-Mails umfassen kann. Jedenfalls müsse ein solcher zugunsten des Klägers unterstellter Anspruch entweder mit einem hinreichend bestimmten Klagebegehrten (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) oder – sofern dies nicht möglich ist – im Wege der Stufenklage nach § 254 ZPO gerichtlich geltend gemacht werden. Daran fehle es im konkreten Fall. Bei einer Verurteilung der Beklagten, eine Kopie des E-Mail-Verkehrs des Klägers zur Verfügung zu stellen sowie von E-Mails, die ihn namentlich erwähnen, bliebe unklar, welche E-Mails genau die Beklagte in Kopie zu überlassen hätte.
Aus Arbeitgebersicht ist das Urteil des BAG durchaus begrüßenswert: Mit Einführung der DSGVO hatten findige Arbeitnehmervertreter schnell den Auskunftsanspruch des Art. 15 Abs. 3 DSGVO als Druckmittel im Rahmen von Kündigungsschutzverfahren identifiziert. Entlassene Arbeitnehmer verlangten reihenweise Auskunft über die Verarbeitung personenbezogener Daten. Angesichts der Brisanz potentieller Datenschutzverstöße, nicht zuletzt durch die Bußgeldandrohung in Höhe von bis zu EUR 20 Mio. oder von bis zu 4 % des weltweiten Jahresumsatzes, war dies nicht selten geeignet, die Abfindung in die Höhe zu treiben.
Ungeachtet der Tatsache, dass die Frage, ob das Recht auf Überlassung einer Kopie gemäß Art. 15 Abs. 3 DSGVO die Erteilung einer Kopie von E-Mails umfassen kann, weiterhin ungeklärt bleibt, ist es jedenfalls sachgerecht, dass Arbeitnehmer ihr Auskunftsbegehr konkret fassen müssen. Damit liegt der Ball zunächst beim Arbeitnehmer; erst wenn er die E-Mails, die er einsehen möchte, konkret benennen kann, besteht u. U. die arbeitgeberseitige Pflicht, ihm hierzu Kopien zu überlassen.
Dr. Sarah Zimmermann
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Köln
Die Durchführung einer Vielzahl von Kleinstaufträgen („Micro-Jobs“) durch Nutzung einer Online-Plattform kann ein Arbeitsverhältnis zum Plattformbetreiber begründen. Maßgeblich sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls.
BAG, Urteil vom 01.12.2020 – 9 AZR 102/20
Die Parteien stritten unter anderem um die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung sowie Zahlungsansprüche.
Die Beklagte ist ein sogenanntes „Crowdworking-Unternehmen“, das insbesondere die Kontrolle der Präsentation von Markenprodukten bei Einzelhändlern und Tankstellen anbietet. Zu diesem Zweck zergliedert die Beklagte die Aufträge ihrer Kunden in eine Vielzahl von Kleinstaufträgen (sog. „Micro-Jobs“), die sie über eine App an sogenannte „Crowdworker“ zur Durchführung vermittelt.
Die Parteien verbindet eine Basisvereinbarung und weitere Nutzungsbedingungen zum Crowdworking. Hiernach war der Kläger als Crowdworker zur Nutzung der App der Beklagten verpflichtet. Das Nutzerkonto der App war weder übertragbar noch teilbar. In der jederzeit kündbaren Basisvereinbarung war ferner vorgesehen, dass nur zwischen dem Kläger und der Beklagten, nicht jedoch zu den Auftraggebern der Beklagten ein Vertragsverhältnis entsteht. Die über die Plattform vermittelten Aufträge waren nach detaillierten Vorgaben abzuarbeiten. Über die Anforderungen des Auftrags hinaus wurden dem Kläger keine Vorgaben zur Arbeitszeit und zum Arbeitsort gemacht. Durch die erfolgreiche Bearbeitung von Aufträgen stieg das Ranking des Klägers im System der Beklagten, wodurch ihm der Zugang zu lukrativeren Aufträgen ermöglicht wurde. Der Kläger war für die Beklagte seit Anfang 2017 tätig. Mit einem durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitseinsatz von etwa 20 Stunden erzielte der Kläger einen durchschnittlichen Verdienst von ca. EUR 1.750. Nach Unstimmigkeiten über die Durchführung von Aufträgen teilte die Beklagte dem Kläger per E-Mail mit, dass sie dem Kläger keine weiteren Aufträge mehr vermitteln würde, der Account des Klägers geschlossen werde und der Kläger das in der App befindliche Guthaben zur Auszahlung bringen möge. Der Kläger setzte sich hiergegen gerichtlich zur Wehr und machte u. a. seinen Arbeitnehmerstatus geltend.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab. Die Revision des Klägers beim BAG hatte hingegen Erfolg. Das BAG qualifizierte den klagenden Crowdworker als Arbeitnehmer. Ausgehend von § 611a BGB prüfte das BAG anhand der Umstände des Einzelfalls das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses. Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger im Rahmen der tatsächlichen Vertragsdurchführung in arbeitnehmertypischer Weise weisungsgebundene und fremdbestimmte Arbeit leistete. Dies deshalb, da der Kläger zur persönlichen Leistungserbringung verpflichtet war, die geschuldete Tätigkeit ihrer Eigenart nach einfach gelagert und ihre Durchführung inhaltlich vorgegeben war und die konkrete Nutzung der App als Mittel der Fremdbestimmung bei der Auftragsvergabe anzusehen war.
Die Verpflichtung zur persönlichen Leistungserbringung ergab sich daraus, dass es dem Kläger nach den vertraglichen Vereinbarungen mit der Beklagten untersagt war, sein Nutzerkonto in der App mit anderen Nutzern zu teilen oder zu übertragen. Faktisch konnte der Kläger die ihm vermittelten Aufträge daher nur selbst durchführen und nicht – wie ein Selbstständiger – durch Dritte (z. B. eigene Arbeitnehmer) abarbeiten lassen.
Dass die Tätigkeiten einfach gelagert gewesen seien, sprach nach Auffassung des BAG ebenfalls für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Denn dem Kläger war es gerade nicht möglich, seine Tätigkeit im Wesentlichen frei zu gestalten, da die von ihm zu benutzende App die einzelnen von ihm vorzunehmenden Arbeitsschritte detailliert vorgab, ohne dem Kläger einen eigenen relevanten Gestaltungsspielraum zu belassen.
Schließlich ergab sich die Fremdbestimmtheit der Tätigkeit des Klägers aus der sich für die Beklagte aus der App ergebenden Steuerungsmöglichkeiten des Beschäftigungsbedarfs. Die Annahme einzelner Micro-Jobs durch den Kläger war wirtschaftlich unbedeutend. Erst die Möglichkeit, eine hohe Anzahl von Aufträgen annehmen zu können, ermöglichte dem Kläger eine wirtschaftlich lohnende Beschäftigung. Die Möglichkeit, in einem bestimmten Umkreis eine Vielzahl von Aufträgen annehmen zu können, war jedoch an das Ranking im System der Beklagten geknüpft. Das Ranking des Klägers stieg mit der ordnungsgemäßen Durchführung von Aufträgen. Das System der Beklagten führte somit – ohne dass die Beklagte hierzu ausdrücklich Weisungen erteilen musste – zu einer automatisierten Disposition einer Vielzahl von Aufgaben an eingearbeitete Crowdworker.
Dies zugrunde gelegt kam das BAG zu dem Ergebnis, dass die langfristige und kontinuierliche Beschäftigung des Klägers zu einer Verklammerung der einzelnen Micro-Jobs zu einem einheitlichen Arbeitsverhältnis führte.
Festzustellen ist zunächst, dass die Entscheidung des BAG nicht zur Folge hat, dass Crowdworker generell als Arbeitnehmer einzuordnen sind. Aus der Entscheidung des BAG folgt auch keine Vermutung, dass Crowdworker regelmäßig als Arbeitnehmer anzusehen sind. Maßgeblich bleiben die Umstände des Einzelfalls.
Gleichwohl stellt die Entscheidung des BAG die Praxis vor Abgrenzungsschwierigkeiten. Plattformbetreiber dürften ihre Vertragsbedingungen dahingehend anpassen müssen, dass den einzelnen Crowdworkern genügend Flexibilität bei der Durchführung der vermittelten Aufträge verbleibt. Vor dem Hintergrund der verbleibenden Rechtsunsicherheit beim Einsatz von Crowdworkern wäre eine klarstellende Regelung durch den Gesetzgeber wünschenswert. Das BMAS hatte sich Ende 2020 – noch vor Veröffentlichung der Entscheidung des BAG – erstmals mit einem Eckpunkte-Papier zu den zukünftigen Arbeitsbedingungen von Crowdworkern, insbesondere mit Blick auf deren Einbeziehung in die Sozialversicherung und die Klärung von deren Arbeitnehmerstatus, geäußert. Abzuwarten bleibt, inwieweit der Gesetzgeber dies nun in Ansehung der Rechtsprechung des BAG vorantreiben wird.
Joschka Pietzsch
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
Der in § 14 Abs. 1 BetrVG verankerte Grundsatz der geheimen Wahl ist verletzt, wenn bei einer Betriebsratswahl bei der Stimmabgabe keine Wahlumschläge verwendet werden. In diesem Fall wird gegen die wesentlichen Verfahrensvorschriften in § 11 Abs. 1 WO und § 12 Abs. 3 WO verstoßen, die die Verwendung von Wahlumschlägen vorsehen, sodass ein Grund zur Anfechtung der Betriebsratswahl gegeben ist.
BAG, Urteil vom 20.01.2021 – 7 ABR 3/20
Die Beteiligten stritten über die Wirksamkeit einer im Mai 2018 durchgeführten Betriebsratswahl. Der Wahlvorstand hat bei der im Betrieb der Arbeitgeberin durchgeführten Betriebsratswahl im Wahllokal keine Wahlumschläge für die persönliche Stimmabgabe zur Verfügung gestellt. Die persönliche Stimmabgabe erfolgte daher ohne die Verwendung von Wahlumschlägen. Drei wahlberechtigte Arbeitnehmer machten die Nichtigkeit, hilfsweise die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl geltend. Die Anfechtung stützen die Antragsteller auf die Verletzung der in der Wahlordnung enthaltenen Vorschriften, dass bei der persönlichen Stimmabgabe Wahlumschläge zu verwenden sind.
Die Vorinstanzen gaben dem Hilfsantrag der Antragsteller, die Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären, statt. Die vom Betriebsrat beim BAG eingelegte Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.
Das BAG stützt die erfolgreiche Wahlanfechtung darauf, dass der Wahlvorstand gegen die Vorschriften der Wahlordnung in § 11 Abs. 1 und § 12 Abs. 3 verstoßen habe, indem er die persönliche Stimmabgabe ohne die Verwendung von Wahlumschlägen habe durchführen lassen. § 11 Abs. 1 Satz 2 WO sieht vor, dass die Stimmabgabe durch Abgabe von Stimmzetteln in den hierfür bestimmten Umschlägen erfolgt. Nach § 12 Abs. 3 WO gibt die Wählerin oder der Wähler ihren oder seinen Namen an und wirft den Wahlumschlag, in den der Stimmzettel eingelegt ist, in die Wahlurne ein, nachdem die Stimmabgabe in der Wählerliste vermerkt worden ist. Das BAG führt aus, dass die Nichtbeachtung dieser beiden Vorschriften einen Anfechtungsgrund begründet, da es sich um wesentliche Wahlvorschriften im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG handele. Grund hierfür sei, dass die beiden Vorschriften dem Grundsatz der geheimen Wahl dienen würden, der festlegt, dass die Stimmabgabe des Wählers keinem anderen bekannt werden dürfe. Zweck sei, den Wähler vor jeglichem sozialen Druck zu schützen. Zudem sei sicherzustellen, dass jeder Arbeitnehmer seine Wahl nach seiner freien Überzeugung treffen könne.
Diese Grundsätze seien in den Vorschriften der §§ 11 ff. WO formalisiert und unabdingbar ausgestaltet. Das Wahlgeheimnis werde bei der Stimmabgabe dadurch gewährleistet, dass der Wähler den Stimmzettel unbeobachtet persönlich kennzeichne und in den Wahlumschlag einlege. So werde verhindert, dass das Stimmverhalten bei der Stimmabgabe sichtbar werde. Auch könne auf die Verwendung von Wahlumschlägen bei der Durchführung der Betriebsratswahl nicht deshalb verzichtet werden, weil bei der Durchführung anderer Wahlen, zum Beispiel der Bundestagswahlen oder der Wahlen der Arbeitnehmervertreten im Aufsichtsrat, keine Wahlumschläge mehr verwendet werden.
Bei den zuvor genannten Wahlen würde dem Grundsatz der geheimen Wahl durch das Falten des Stimmzettels und das Einwerfen des gefalteten Stimmzettels in die Wahlurne Rechnung getragen, sodass die Stimmabgabe nicht für andere erkennbar sei. Dies sei in den entsprechenden Wahlvorschriften ausdrücklich vorgesehen, wohingegen die Wahlordnung für Betriebsratswahlen die Verwendung von Wahlumschlägen vorschreibe. Weiter führt das BAG aus, dass nicht auszuschließen sei, dass das Wahlergebnis bei der Verwendung von Wahlumschlägen zu einem anderen Ergebnis geführt hätte, da nicht undenkbar sei, dass sich Arbeitnehmer bei der Stimmabgabe von der Annahme beeinflussen ließen, ihr Stimmverhalten könnte mangels Verwendung von Wahlumschlägen bekannt werden.
Das BAG bestätigt mit seiner Entscheidung seine ständige Rechtsprechung, dass ein Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften, also gegen solche, die die Grundprinzipien der Betriebsratswahl betreffen, einen Anfechtungsgrund darstellt. An den Grundsatz der geheimen Wahl als ein solches Grundprinzip sind besonders strenge Anforderungen zu stellen, sodass auch ein Verstoß gegen die Vorschriften der Wahlordnung, die den Grundsatz der geheimen Wahl konkretisieren, einen Anfechtungsgrund begründet. Wesentliche Wahlvorschriften sind insbesondere solche Regelungen, die anders als bloße Soll-Bestimmungen oder Ordnungsvorschriften zwingend einzuhalten sind. Da die Wahlordnung für die Betriebsratswahl die Verwendung von Wahlumschlägen bei der Stimmabgabe zwingend vorsieht, sind die unter Verstoß hiergegen abgegebenen Stimmen ungültig. Dies ist konsequent, da die Wähler nur so sicher sein können, dass ihr Stimmverhalten geheim bleiben wird. Während eines Beschlussverfahrens, indem die Unwirksamkeit bei (möglichen) Verstößen geklärt werden soll, bleibt der gewählte Betriebsrat bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Amt, sodass der Arbeitgeber die Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auch insoweit zu beachten und mit diesem vertrauensvoll zusammenzuarbeiten hat. Grund hierfür ist, dass die rechtskräftig festgestellte Unwirksamkeit der Betriebsratswahl nur für die Zukunft wirkt. Anders ist dies bei einem Verstoß, der zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl führt. Eine Nichtigkeit wird bei Verstößen gegen wesentliche Grundsätze in so hohem Maße angenommen, dass nicht einmal mehr ein Anschein einer gesetzesmäßigen Betriebsratswahl vorliegt (BAG, Beschluss vom 19. November 2003 – 7 ABR 24/03). Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl ist auf absolute Ausnahmefälle beschränkt und kann zum Abbruch der Betriebsratswahl führen. Liegt eine Nichtigkeit voraussichtlich vor, kann diese auch durch den Arbeitgeber im einstweiligen Verfügungsverfahren geltend gemacht werden, was im Einzelfall zu prüfen ist.
Dr. Anna Mayr
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
Ein Leiharbeitnehmer, der einen Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt geltend macht, muss zur Darlegung des Anspruchs alle für die Berechnung erforderlichen Tatsachen vortragen und bei der Geltendmachung des Anspruchs die im Arbeitsvertrag wirksam vereinbarten Ausschlussfristen beachten.
BAG, Urteil vom 16.12.2020 – 5 AZR 22/19
Die Klägerin machte einen Anspruch auf gleiches Entgelt („equal pay“) nach § 8 Abs. 1 AÜG (bzw. § 10 Abs. 4 AÜG in der bis zum 31. März 20217 geltenden Fassung) geltend. Sie war von Januar bis September 2017 auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrages als Leiharbeitnehmerin bei der beklagten Arbeitgeberin, einem Personaldienstleistungsunternehmen, beschäftigt. Während dieses Zeitraums wurde sie bei zwei Entleiherinnen eingesetzt. Der zwischen der Klägerin und der Beklagten geschlossene Arbeitsvertrag enthielt eine Bezugnahme auf die Tarifverträge für Zeitarbeit igZ-DGB. Darüber hinaus war im Arbeitsvertrag eine zweistufige, jeweils dreimonatige Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen vereinbart.
Die Klägerin machte Differenzvergütung nach dem equal pay-Grundsatz geltend auf der Grundlage der Tarifverträge, die bei den Entleihunternehmen für Stammarbeitnehmer gelten. Die Klägerin begründete ihren Anspruch auf Differenzvergütung damit, dass eine Abweichung vom Gleichstellungsgrundsatz durch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung der Anwendung entsprechender Tarifverträge, durch die von den im Entleiherbetrieb geltenden Tarifverträgen abgewichen werde, nicht mit Art. 5 der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit vereinbar sei.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auch die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Klägerin war mit dem geltend gemachten Anspruch auch beim Bundesarbeitsgericht nicht erfolgreich. Über die von der Klägerin aufgeworfene unionsrechtliche Frage, ob es mit Art. 5 der Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit vereinbar ist, durch eine arbeitsvertragliche Vereinbarung der Anwendung entsprechender Tarifverträge von den im Entleiherbetrieb geltenden Tarifverträgen abzuweichen, hatte das BAG nicht zu entscheiden, da es hierauf nach der Auffassung des BAG nicht entscheidungserheblich ankam. Das BAG wies den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch wegen Nichteinhaltung der arbeitsvertraglichen Ausschlussfristen und fehlender Substantiierung des von der Klägerin geltend gemachten Anspruchs ab.
Der von der Klägerin gegen die erste Entleiherin geltend gemachte Anspruch war nach Auffassung des BAG verfallen, da die Klägerin die 1. Stufe der im Arbeitsvertrag vereinbarten Ausschlussfrist für die Ansprüche auf Arbeitsentgelt nicht gewahrt hatte. Dem steht nach Auffassung des BAG die in § 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG geregelte Unabdingbarkeit des Anspruchs aus § 8 Abs. 1 AÜG nicht entgegen. Ausschlussfristen betreffen ausschließlich die Art und Weise der Durchsetzung eines entstandenen Anspruchs und gehören nicht zu dessen Inhalt. Da der Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis ist, konnte die eigenständige arbeitsvertragliche Ausschussfristenregelung den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch erfassen.
Ebenso stand der Klägerin kein Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt gegen die zweite Entleiherin gemäß § 8 Abs. 1 AÜG zu, da sie die Höhe eines solchen Anspruchs nicht hinreichend substantiiert dargelegt hat. Für die Höhe des Anspruchs ist grundsätzlich der Leiharbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig. Hierzu steht dem Leiharbeitnehmer ein Auskunftsanspruch gemäß § 13 AÜG zu. Wenn sich der Leiharbeitnehmer nicht auf einen solchen Anspruch beruft, muss er zur Darlegung des Anspruchs auf gleiches Arbeitsentgelt alle für dessen Berechnung erforderlichen Tatsachen vortragen. Dazu gehört vorranging die Benennung eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers und das diesem vom Entleiher gewährte Arbeitsentgelt. Beruft sich er Leiharbeitnehmer alternativ auf ein allgemeines Entgeltschema, hat er nicht nur dessen Inhalt, sondern auch darzulegen, dass ein solches im Betrieb des Entleihers im Überlassungszeitraum tatsächlich Anwendung fand und wie er danach fiktiv einzugruppieren gewesen wäre. Diesen Anforderungen genügte der Sachvortrag der Klägerin nicht, die sich zur Darlegung des Anspruchs allein auf die Zugehörigkeit des Entleihers zur Metall- und Elektroindustrie berufen hat.
Das BAG hat in dieser Entscheidung die bisherige Rechtsprechung zur Vereinbarung von Ausschlussfristen im Leiharbeitsverhältnis und den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast des Leiharbeitnehmers für die Geltendmachung von Arbeitsentgelt auf der Grundlage des Gleichstellungsgebotes bestätigt und konkretisiert. Die Anwendung von im Arbeitsvertrag als Allgemeine Geschäftsbedingungen (§ 305 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB) vereinbarten Ausschlussfristen auch für den Anspruch auf Arbeitsentgelt nach dem Gleichstellungsgebot bietet dem Arbeitgeber, der gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung betreibt, ein Instrument zur Risikobegrenzung. Zwar entfalten Ausschlussfristen keine Wirkung bezüglich Nachzahlungspflichten gegenüber Sozialversicherungsträgern und schließen auch Sanktionen wegen Verstößen gegen das Gleichstellungsgebot nicht aus, können aber im Verhältnis zu den Leiharbeitnehmern das Risiko einer Inanspruchnahme zeitlich begrenzen. Die Vertragsregelung muss sich dabei sowohl an den Anforderungen des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes als auch des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen messen lassen.
Das BAG äußert sich ferner dazu, dass die Klägerin ihrer Substantiierungspflicht hinsichtlich der Höhe der Differenzvergütung nicht nachgekommen ist. Wenn der Leiharbeitnehmer sich nicht auf eine Auskunft der Verleiherin nach § 13 AÜG stützen kann, steigen die Anforderungen an die Darlegung des für die Gleichstellung maßgeblichen Arbeitsentgelts.
Keine Notwendigkeit bestand für das BAG hingegen, sich zu der Vereinbarkeit der Abweichung vom Grundsatz der Gleichbehandlung durch die Vereinbarung von Tarifverträgen mit dem Unionsrecht (Art. 5 Abs. 3 der Leiharbeitsrichtlinie) zu äußern, weil die Klage aus anderen Gründen nicht erfolgreich war. Diese Frage, die in der Rechtsprechung der Instanzgerichte soweit ersichtlich ganz überwiegend zugunsten der Vereinbarkeit beantwortet wird, wird die Gerichte daher auch in Zukunft beschäftigen.
Martina Ziffels
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
Kernpunkt des Vorlagebeschlusses (EuGH) ist, ob zur Beurteilung des Vorliegens einer Ungleichbehandlung wegen Teilzeitbeschäftigung eine Gesamtbetrachtung aller Vergütungsbestandteile oder die Einzelbetrachtung der konkreten Entgeltregelung anzuwenden ist. Weiterhin wird zu entscheiden sein, ob das Erreichen bestimmter Schwellenwerte den Anforderungen an das Vorliegen eines objektiven Grundes für die Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitbeschäftigten genügt und mit dem Pro-rata-temporis-Grundsatz vereinbar ist.
BAG, Urteil vom 11.11.2020 – 10 AZR 185/20 (A)
Gegenstand des Verfahrens ist eine Klage auf erhöhte Vergütung, sog. Mehrflugstundenvergütung, eines in 90%iger Teilzeit beschäftigten Piloten. Neben einer Grundvergütung besteht ein tarifvertraglicher Anspruch auf die Mehrflugstundenvergütung, wenn eine bestimmte Anzahl an Flugdienststunden im Monat geleistet und damit die Grenzen für die erhöhte Vergütung ausgelöst werden. Die tariflichen Bestimmungen enthalten keine Regelung dazu, dass diese Grenzen für Teilzeitbeschäftigte entsprechend ihrer Arbeitszeit verringert werden. Der Kläger meint, die Auslösegrenzen seien entsprechend seinem Teilzeitfaktor abzusenken, sodass er bereits bei Überschreitung dieser individuellen Auslösegrenzen einen Anspruch auf die erhöhte Vergütung habe. Die Beklagte meint, dass die Ungleichbehandlung durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sei, da die Mehrflugdienststundenvergütung dem Ausgleich einer besonderen Arbeitsbelastung diene.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht wies die Klage ab.
Zur abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits bedarf es nach Ansicht des Zehnten Senates des BAG einer Vorabentscheidung des EuGHs.
Zunächst habe der EuGH zu entscheiden, ob eine nationale Vorschrift Teilzeitbeschäftigte nach § 4 Abs. 1 der Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der Richtlinie 97/81/EG („Richtlinie“) schlechter behandelt, wenn sie es zulässt, eine zusätzliche Vergütung für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte einheitlich daran zu knüpfen, dass dieselbe Zahl von Arbeitsstunden überschritten wird und es damit erlaubt, auf die Gesamtvergütung, nicht aber auf den konkreten Entgeltbestandteil der zusätzlichen Vergütung abzustellen.
Der EuGH habe ua. in der Rechtssache Helmig (1994) einen Vergleich der Gesamtvergütung vorgenommen und festgestellt, dass Teilzeitbeschäftigte die gleiche Gesamtvergütung erhalten wie Vollzeitbeschäftigte, wenn sie bei Überschreitung der tarifvertraglich festgesetzten Regelarbeitszeit eine Überstundenzulage erhielten.
In der Rechtssache Elsner-Lakeberg (2004) hingegen habe der EuGH die Entgeltbestandteile isoliert betrachtet. Es wurde eine Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten angenommen, da die Anzahl der zusätzlich zu leistenden Stunden zur Erreichung einer Mehrarbeitsvergütung nicht proportional zur jeweiligen Arbeitszeit bestimmt worden war.
In der Rechtssache Voß (2007) schließlich habe der EuGH die Methoden der Gesamt- und Einzelbetrachtung gegenübergestellt und eine Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten angenommen, wenn diese von einer abgesenkten Stundenvergütung früher betroffen seien als Vollzeitbeschäftigte.
Die zunächst von verschiedenen Senaten des BAG angewandte Gesamtmethode, gab der Sechste Senat unter Bezug auf die Entscheidung Elsner-Lakeberg 2017 auf und nahm eine isolierte Betrachtung des Entgeltbestandteils der Überstundenzuschläge vor. Eine Differenzierung zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten hinsichtlich der Erreichung einheitlicher Stundenzahlen zum Erwerb eines Überstundenzuschlags begründete der Senat mit einer höheren Belastungsgrenze von Teilzeit- und Vollzeitkräften. Der Zehnte Senat schloss sich 2018 dieser Sichtweise an und gab seine Rechtsprechung zur Gesamtbetrachtung auf. Das Entgelt für die Regelarbeitszeit und solches für Mehr- oder Überarbeit seien gesondert zu vergleichen. Ob die Rechtssache Elsner-Lakeberg tatsächlich eine Rechtssprechungsänderung des EuGHs darstelle, sei in den unteren Instanzen und dem Schrifttum jedoch auf große Bedenken gestoßen.
Im vorliegenden Fall sei bei isolierter Betrachtung des Entgeltbestandteils der Mehrflugdienststunden eine Ungleichbehandlung anzunehmen. Teilzeitbeschäftige würden erst dann in den Genuss der zusätzlichen Vergütung gelangen, wenn sie die Differenzstunden zwischen ihrer persönlichen Arbeitszeit und der Arbeitszeit eines vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten geleistet hätten. Sei hingegen auf die Gesamtvergütung abzustellen, liege keine Ungleichbehandlung vor. Teilzeitbeschäftigte erhielten danach für die Differenzstunden die gleiche (Grund-)Vergütung wie ein Vollzeitbeschäftigter. Eine Vorabentscheidung des EuGHs sei erforderlich.
Bejaht der EuGH die Anwendung der Einzelbetrachtung, stelle sich die Folgefrage, ob der Zweck der Mehrvergütung als Ausgleich einer besonderen Arbeitsbelastung die Anforderungen des sachlichen Grundes zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung (§ 4 Absatz 4 der Richtlinie) erfülle und mit dem in § 4 Absatz 2 der Richtlinie enthaltenen Pro-rata-temporis Grundsatz vereinbar sei.
Der EuGH habe hierzu bislang nicht entschieden. Der Pro-rata-temporis-Grundsatz enthalte kein absolutes Benachteiligungsverbot, sondern bestimme nur, dass allein ein unterschiedliches Arbeitspensum nicht zur unterschiedlichen Behandlung rechtfertige. Gerechtfertigt sei eine Ungleichbehandlung, wenn sich der Grund dafür aus dem Verhältnis von Leistung und Umfang der Teilzeitarbeit ergebe. Diese Voraussetzungen erfülle die Tarifnorm der Mehrflugdienststundenvergütung. Unklar sei jedoch, ob die Begründung, die zusätzliche Vergütung diene als Ausgleich einer besonderen Belastung, zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung die Anforderungen eines sachlichen Grundes erfülle. Eine Vorabentscheidung des EuGHs sei zur Entscheidung der Sache erforderlich.
Es bleibt abzuwarten, wie der EuGH sich zu diesen beiden Vorlagefragen positionieren wird. Zu begrüßen ist, dass mit der ersten Vorlagefrage die Möglichkeit zur Klarstellung der in der Rechtssache Elsner-Lakeberg getroffenen Entscheidung ermöglicht wird. Es bleibt zu hoffen, dass diese Entscheidung auf nationaler Ebene zur Klarheit über die anzuwendenden Methoden bei der Ermittlung einer Ungleichbehandlung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten beitragen wird. Nicht erst den Instanzgerichten würde mit dieser Entscheidung eine einheitliche Methodik an die Hand gereicht. Bereits die Arbeitgeber könnten einer Ungleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten durch Anwendung der entsprechenden Methodik vorbeugen. Ob der EuGH sich letztendlich auf die Anwendung einer Auslegungsmethode festlegen wird oder beide Methoden je nach Einzelfall der zu beurteilenden Vergütungsregelung für anwendbar hält, wird abzuwarten sein.
Mit Blick auf die zweite Vorlagefrage bleibt abzuwarten, ob der EuGH diese zu entscheiden haben wird oder er ohne Erforderlichkeit in der konkreten Sache insoweit abstrakt Stellung nehmen wird. Eine erste Entscheidung zu den inhaltlichen Anforderungen des sachlichen Grundes wäre aus Sicht der Praxis zu begrüßen, um in Zukunft und mit Blick auf die sich wandelnden Bedürfnisse von Arbeitnehmern und Arbeitgebern interessengerechte und rechtssichere Lösungen gestalten zu können.
Cyrielle Therese Ax
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a. M.
Ein Arbeitnehmer kann nicht gegen eine überflüssige Änderungskündigung klagen, wenn er das mit der Kündigung verbundene Vertragsangebot unter der Bedingung angenommen hat, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen sozial gerechtfertigt ist. Selbst wenn die Kündigungserklärung des Arbeitgebers den Bestand des Arbeitsverhältnisses unnötig gefährdet hat und deshalb unverhältnismäßig war, muss der Arbeitnehmer in diesem Fall die Kosten des Rechtsstreits tragen.
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.03.2021 – 8 Sa 125/20
Die klagende Arbeitnehmerin ist im Rahmen einer Tarifordnung beschäftigt, wonach sich die tarifliche Eingruppierung der Arbeitnehmer automatisch nach ihrem Tätigkeitsfeld bemisst. Nach Auffassung der Arbeitgeberin entsprach das Tätigkeitsspektrum der Arbeitnehmerin nicht ihrer bisherigen Eingruppierung. In Anbetracht des Tarifautomatismus erklärte die Arbeitgeberin der Arbeitnehmerin unnötiger Weise eine Änderungskündigung und berief sich zur Begründung auf dringende betriebliche Erfordernisse. Die Arbeitnehmerin nahm das mit der Kündigung verbundene Änderungsangebot vorbehaltlich deren sozialer Rechtfertigung an. Zudem reichte sie beim Arbeitsgericht eine Änderungsschutzklage ein, die das Arbeitsgericht als unbegründet abgewiesen hat. Die dagegen eingelegte Berufung blieb ebenfalls erfolglos.
Das Berufungsgericht führte dazu aus, dass Gegenstand der Änderungsschutzklage nach § 2 KSchG die soziale Rechtfertigung der veränderten vertraglichen Arbeitsbedingungen im Vergleich zu denjenigen Arbeitsbedingungen ist, die beim Zugang der Änderungskündigung und weiter bis zum Änderungstermin bestanden. Hier fehlte es jedoch an einer solchen Änderung der Arbeitsbedingungen; die Rückgruppierung der Arbeitnehmerin ergab sich nicht aus veränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen, sondern aus dem Tarifautomatismus. Deshalb konnte die Rückgruppierung aber auch nicht im Wege der Änderungsschutzklage gerichtlich überprüft werden. Die prozessualen Konsequenzen hängen in einem solchen Fall der überflüssigen Änderungskündigung von der Reaktion des Arbeitnehmers ab: Erstens, nimmt er – wie hier – den Änderungsantrag unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung der vermeintlich veränderten Arbeitsbedingungen an und erhebt er Änderungsschutzklage, wird diese abgewiesen; es fehlt gerade an den veränderten Arbeitsbedingungen. Um umfassenden Rechtsschutz zu erlangen, muss der Arbeitnehmer in einem solchen Fall, geeignete Hilfsanträge stellen. Zweitens, lehnt er den mit der Änderungskündigung verbundenen Änderungsantrag ab, verbleibt von der Änderungskündigung die Beendigungskündigung. Die hiergegen erhobene Kündigungsschutzklage nach § 4 S. 1 KSchG führt zum Erfolg, weil eine überflüssige Änderungskündigung unverhältnismäßig und deshalb unwirksam ist.
LAG Düsseldorf, Urteil vom 12.03.2021 – 6 Sa 824/20
Der jährliche Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers ist anteilig um Zeiträume zu kürzen, während welcher er aufgrund konjunktureller „Kurzarbeit Null“ keine Arbeitspflicht hat.
Die Arbeitgeberin hatte 2020 wegen Covid-19 Kurzarbeit eingeführt und auch mit der drei Tage pro Woche beschäftigten Arbeitnehmerin vereinbart, ohne eine gesonderte Urlaubsregelung zu treffen. Im Juni und Juli sowie Oktober befand sich die Arbeitnehmerin dann in „Kurzarbeit Null“. Ihr Urlaubsanspruch wurde von der Arbeitgeberin um ein Zwölftel gekürzt. Dagegen klagt die Arbeitnehmerin mit dem Antrag festzustellen, dass ihr ein ungekürzter Urlaubsanspruch von 14 Tagen (der 3-Tage-Woche entsprechender Anteil aus 28 Urlaubstagen) zustehe.
Das abweisende Urteil des Arbeitsgerichts wurde vom Landesarbeitsgericht bestätigt. Zwar entstehe der Urlaubsanspruch nach §§ 1, 3 Abs. 1 BurlG automatisch nach sechsmonatigem Bestehen eines Arbeitsverhältnisses und sei in seinem Bestand nicht von der Kurzarbeit betroffen. Allerdings hänge die Zahl der Urlaubstage und damit die Höhe des Urlaubsanspruchs von der Anzahl der Tage ab, an welchen Arbeitspflicht besteht. Das folge aus dem Erholungszweck des Urlaubs. Der jährliche Mindesturlaub von 24 Tagen orientierte sich so an einer 6-Tage-Woche. Deshalb sei aber auch eine Befreiung von der Arbeitspflicht im Rahmen einer „Kurzarbeit Null“ zu berücksichtigen. Dasselbe folge auch aus dem Unionsrecht, für welches der EuGH schon zuvor festgestellt hat, dass der Anspruch auf bezahlen Jahresurlaub grundsätzlich an die Bedingung geknüpft ist, dass der Arbeitnehmer im fraglichen Zeitraum auch tatsächlich gearbeitet hat. Dieser Grundsatz leidet verschiedene Ausnahmen, zu welchem laut LAG Hamm auch ein Fall der „Kurzarbeit Null“ im gesamten Kalenderjahr auf Grundlage eines Sozialplanes und unter Inanspruchnahme von Transferkurzarbeitergeld gehört. Der hier zu entscheidende Fall konjunkturbedingter „Kurzarbeit Null“ für mehrere Monate liege jedoch anders: Diese Form der Kurzarbeit sei ein Fall der Teilzeitarbeit, für die eine Kürzung des Urlaubsanspruchs anerkannt ist. Auch das entspricht dem Unionsrecht, zu welchem der EuGH schon zuvor festgestellt hat, dass Kurzarbeit als tatsächliche vorübergehende Teilzeitbeschäftigung anzusehen ist, weil der Kurzarbeiter nur formell betrachtet einen Vollzeitarbeitsvertrag hat.
LAG Hessen, Beschluss vom 08.02.2021 – 16 TaBV 185/20
Bestreitet der Arbeitgeber die Beschlussfassung des Betriebsrats mit Nichtwissen, muss dieser Ladung, Tagesordnung und Beschlussfassung im Einzelnen substantiieren. Eine solche Substantiierung genügt aber auch, sofern der Arbeitgeber in die Lage versetzt wird, einzelne Aspekte zu bestreiten.
Für die Teilnahme an einer Betriebsratssitzung ist Arbeiten im Homeoffice kein Hinderungsgrund. Das Gremium entscheidet durch Beschluss über die Teilnahme an einer solchen Sitzung per Video- oder Telefonkonferenz.
Der Arbeitgeber organisiert den in der Betriebsvereinbarung geregelten Einlass zum Betrieb über eine Personenvereinzelungsanlage und Werksausweise. Auf diese Weise habe der Arbeitgeber den Beschäftigen den Zugang zum Betrieb vor 5:30 Uhr verwehrt, wogegen der Betriebsrat Unterlassung beantragt. Der Arbeitgeber bestritt insbesondere die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats zur Einleitung dieses Verfahrens.
Das Arbeitsgericht hatte den Antrag als unzulässig abgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde wurde vom Landesarbeitsgericht zurückgewiesen, das den Antrag zum Arbeitsgericht zwar nicht als unzulässig, aber als unbegründet einschätzt. Die Darlegung der ordnungsgemäßen Beschlussfassung obliege dem Betriebsrat. Dagegen könne sich der Arbeitgeber nach §138 Abs.4 ZPO auf Nichtwissen berufen, weil ihm insoweit die eigene Wahrnehmung fehle. Sofern der Betriebsrat die Voraussetzungen einer wirksamen Beschlussfassung substantiiert, sei eine pauschale Erklärung des Arbeitgebers mit Nichtwissen aber unbeachtlich. Durch den substantiierten Vortrag dazu in die Lage versetzt, müsse er vielmehr die konkret bestrittenen Tatsachen angeben. Nur dann sei darüber Beweis zu erheben. Die Beschlussfassung des Betriebsrates sei im Übrigen auch nicht deshalb unwirksam gewesen, weil ein Betriebsratsmitglied nicht zugegen war. Die Teilnahme an der Sitzung des Betriebsrates stehe nicht im Belieben des einzelnen Mitglieds, das sich im Homeoffice befand. Eine andere Entscheidung könne sich allenfalls aus § 29 Abs. 3 BetrVG ergeben, wonach der Betriebsrat aber infolge eines entsprechenden Antrags beschließen müsse, dass eine hybride Sitzung stattfindet.
In der Sache falle die Bestimmung der Betriebsöffnungszeiten aber nicht in den mitbestimmungsbedürftigen Bereich des Betriebsrates. Der Arbeitgeber übe insoweit sein Hausrecht aus. Daher war der Antrag an das Arbeitsgericht zwar zulässig, aber dennoch abzuweisen.
LAG Düsseldorf, Urteil vom 09.12.2020 – 12 Sa 554/20
Ein betriebliches Eingliederungsmanagement ist erneut durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer nach einem ersten betrieblichen Eingliederungsmanagement binnen zwölf Monaten erneut länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig wird. Dafür ist die Ursache seiner Erkrankung belanglos.
Der seit 2001 beschäftigte Arbeitnehmer war zwischen 2010 und 2016 an insgesamt 762 Tagen arbeitsunfähig erkrankt, was erhebliche Entgeltfortzahlungskosten verursacht hat. Die Arbeitgeberin kündigte ihm 2015 betriebsbedingt, aber unwirksam wegen seines Sonderkündigungsschutzes als Betriebsratsmitglied. 2016 kündigte sie ihm krankheitsbedingt erneut, wogegen der Arbeitnehmer erfolgreich Kündigungsschutzklage erhob. Von 2017 bis 2019 hatte der Arbeitnehmer erneut erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten. Auf Betreiben der Arbeitgeberin wurde 2019 ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt. Der Arbeitnehmer gab an, dass seine Abwesenheit auch auf Durchzug am Arbeitsplatz zurückzuführen sei, die ihn krank mache. Sein Vorgesetzter stellte fest, dass sich dieser Durchzug nicht vollständig beheben lasse. Im Oktober 2019 hörte der Arbeitgeber dann wegen einer geplanten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses den Betriebsrat an und beantragte im November die Zustimmung des Inklusionsamtes. Letzteres wies den Antrag zurück, weil kein Sonderkündigungsschutz bestehe. Anfang 2020 kündigte die Arbeitgeberin erneut und beschäftigte den Arbeitnehmer im Rahmen eines Prozessarbeitsverhältnisses weiter. Mit seiner Kündigungsschutzklage wehrt sich der Arbeitnehmer gegen diese Kündigung.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, die dagegen eingelegte Berufung des Arbeitgebers blieb erfolglos. Die Kündigung sei nicht sozial gerechtfertigt und daher rechtsunwirksam. Ob dem Arbeitnehmer eine für eine krankheitsbedingte Kündigung erforderliche negative Gesundheitsprognose gestellt werden kann und ob diese Beeinträchtigungen billigerweise nicht mehr vom Arbeitgeber hinzunehmen sind, lässt das Gericht dahinstehen. Jedenfalls sei die Kündigung zur Beseitigung der Störung im Arbeitsverhältnis nicht erforderlich, weil die Umgestaltung des Arbeitsplatzes entsprechend der Bedürfnisse des Arbeitgebers als milderes Mittel zur Verfügung stehe. Insbesondere sei der Arbeitgeber gem. § 167 Abs. 1 S. 1 SGB IX zur erneuten Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements verpflichtet gewesen. Der Arbeitnehmer war nach dem ersten betrieblichen Eingliederungsmanagement nämlich erneut an 74 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Das verpflichte den Arbeitgeber zu einem erneuten betrieblichen Eingliederungsmanagement in Ansehung dessen Zwecks.
LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 09.03.2021 – 5 Sa 226/20
Die Aufforderung des Arbeitgebers zur Wiederaufnahme der Arbeit nach Stattgabe der Kündigungsschutzklage und Verurteilung zur vorläufigen Weiterbeschäftigung lässt nicht auf seinen Willen schließen, einen Arbeitsvertrag abzuschließen und ein neuerliches Arbeitsverhältnis zu begründen. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer keine Zwangsvollstreckung angedroht oder den Arbeitgeber auf den Weiterbeschäftigungstitel hingewiesen hat.
Ein vorangegangenes Kündigungsschutzverfahren führte zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung. Arbeitnehmer und Arbeitgeber streiten aber weiter um die Wirksamkeit verschiedener Kündigungen und insbesondere über die Folgen einer Prozessbeschäftigung.
Das Arbeitsgericht hatte seine Kündigungsschutzklage abgewiesen, was nunmehr durch das Landesarbeitsgericht bestätigt wurde. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien war bereits zuvor aufgelöst worden. Insoweit kam es nur noch darauf an, ob sie während des laufenden Kündigungsschutzprozesses ein neues Arbeitsverhältnis begründet haben. Das ist den Vertragsparteien unbenommen und kann sowohl ausdrücklich wie stillschweigend erfolgen, insbesondere mit der Maßgabe, dass das Prozessbeschäftigungsverhältnis mit rechtskräftigem Abschluss des Kündigungsschutzprozesses automatisch ende. Ein derart bedingtes Prozessbeschäftigungsverhältnis liege insbesondere nahe, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses auffordert, seine Tätigkeit bis zur gerichtlichen Entscheidung wieder aufzunehmen und fortzusetzen.
Diese Überlegung treffe aber dann nicht zu, wenn der Kündigungsschutzklage stattgegeben wurde. Der Arbeitgeber sei dann nämlich zur tatsächlichen Weiterbeschäftigung verpflichtet, nicht aber zum Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages. Deshalb sei die Weiterbeschäftigung aber auch nur als Vermeidung der Zwangsvollstreckung zu deuten und nicht als Wille zum Abschluss eines Arbeitsvertrages. Deshalb komme ein solcher nach allgemeinen Grundsätzen auch nicht zustande.
LAG Köln, Urteil vom 05.03.2021 – 10 Sa 802/20
Der Arbeitgeber verstößt gegen seine Schadensminderungspflicht, wenn er die mögliche Beschäftigung eines Arbeitnehmers während der Auslaufzeit des einvernehmlich aufgelösten Arbeitsverhältnisses von der Rückrechnung bereits erdienter Vergütung abhängig macht.
Arbeitnehmerin und Arbeitgeber hatten ihr Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgelöst, weil sich für die Arbeitnehmerin eine bessere Beschäftigungsmöglichkeit auftat. Allerdings war die Arbeitgeberin nur mit einer Auflösung mit Ablauf der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist einverstanden. Die Arbeitnehmerin stellte ihre Tätigkeit gleichwohl ein. Sie klagt nunmehr offene Vergütungsansprüche aus dem beendeten Arbeitsverhältnis ein, welchen die Arbeitgeberin Schadensersatzansprüche wegen Nichterbringung der Arbeitsleistung entgegen hält, diese aufrechnet und sie im Übrigen hilfsklageweise einfordert.
Das Arbeitsgericht gab der Arbeitnehmerin recht und auch die dagegen eingelegte Berufung der Arbeitgeberin blieb erfolglos. Zwar sei die Arbeitnehmerin dem Grunde nach aus § 280 Abs. 1 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie pflichtwidrig keine Arbeitsleistungen erbrachte und sie insoweit auch ein Verschulden treffe. Allerdings konnte die Arbeitgeberin nicht nachweisen, dass dies ursächlich für einen ihr eingetretenen Schaden war. In Betracht käme wohl ein entgangener Gewinn im Sinne des § 252 BGB, den sie jedoch nicht substantiiert habe. Jedenfalls habe sie aber gegen ihre Schadensminderungsobliegenheit verstoßen: Zur Möglichkeit einer alternativ zu beschäftigenden Honorarkraft hatte sich die Arbeitgeberin widersprüchlich geäußert. Weiterhin hat die Arbeitnehmerin unwidersprochen vorgetragen, dass ein Teil ihrer Arbeit von einer anderen Kraft übernommen wurde. Insofern bestand eine Minderauslastung, die kompensiert wurde und einen entgangenen Gewinn ausschließt. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass die Arbeitnehmerin in geringerem Umfang habe weiterbeschäftigt werden können und dazu auch bereit war. Damit sei allein die Arbeitgeberin nicht einverstanden gewesen. Indem sie diese Beschäftigung der Klägerin von der Rückrechnung bereits erdienter variabler Vergütung abhängig gemacht habe, habe sie diese Schadensminderungsmöglichkeit nicht in Anspruch genommen
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