24.09.2024

Newsletter Arbeitsrecht 3. Ausgabe 2024

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Vorwort

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

der Sommer liegt hinter uns. Alle sind aus den Ferien zurück. Es ist die Zeit des Jahres, in der Strategien entwickelt und neue Projekte angestoßen werden. Auch wir haben die Zeit genutzt, um praxisrelevante arbeitsrechtliche Themen für Sie aufzubereiten. In dieser Ausgabe unseres Newsletters befassen wir uns daher wieder mit aktuellen Entwicklungen aus der Arbeitswelt.

Im letzten Newsletter haben wir uns mit der Digitalisierung der Arbeitsprozesse und den Fragen der damit einhergehenden Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sowie den Risiken von Hackerangriffen auf Unternehmen beschäftigt. Im Rahmen der rapide voranschreitenden Digitalisierung sowie eines starken Wettbewerbs gewinnt das Thema Geheimnisschutz im Arbeitsverhältnis für Unternehmen zunehmend tragende Bedeutung. In ihrem Beitrag befassen sich daher Klaus Thönißen und Christian Kuß mit Fragen rund um den Schutz von Geschäftsgeheimnissen sowie den sich Arbeitgebern bietenden Möglichkeiten der vertraglichen Gestaltung. Hierbei beleuchten sie auch sich daraus ergebende datenschutzrechtliche Fragestellungen.

Ein ganz anderer Gegenstand ist die von der Ampelkoalition geplante weitere Stärkung der betrieblichen Altersversorgung – ein Thema, welches für Unternehmen in Zeiten des Fachkräftemangels ebenfalls zunehmend an Bedeutung gewinnt, um sich am Markt als attraktiver Arbeitgeber durchzusetzen. Die Bundesregierung plant ein zweites Gesetz zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze. In ihrem Beitrag geben Marco Arteaga und Simon Alscher einen ersten Überblick zum vorliegenden Referentenentwurf. Das Thema ist hoch aktuell, da die Ampelkoalition bereits angekündigt hat, im September das Gesetzgebungsverfahren einzuleiten.

Selbstverständlich präsentieren wir Ihnen auch in dieser Ausgabe wieder unseren internationalen Newsflash aus Unyer. Dieses Mal schauen wir nach Österreich. Anna Mertinz von der Kanzlei KWR in Wien berichtet in ihrem Beitrag über Telearbeit. Während der Covid-19-Pandemie führte der österreichische Gesetzgeber die Arbeit von zu Hause aus in das österreichische Arbeitsrecht ein. Zum 1.1.2025 wird der Begriff des „Home Office“ nunmehr vom österreichischen Gesetzgeber durch „Telearbeit“ ersetzt. Anna Mertinz gibt einen Überblick zum gesetzlichen Rahmen.

Wie gewohnt befassen wir uns ferner wieder mit praxisrelevanten Entscheidungen der letzten Wochen und Monate in unserem Rechtsprechungsüberblick. Lassen Sie uns gern wissen, welche Themen und Trends der Arbeitswelt für Sie in der Praxis von besonderem Interesse sind. Wie würden uns freuen, diese in einer unserer nächsten Ausgaben aufzugreifen und näher zu beleuchten. Sprechen Sie uns daher auch gern direkt an, wenn Sie Anregungen oder Fragen haben.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre!

Ihr

Achim Braner

Geheimnisschutz und Arbeitsvertrag

Betriebliches Know-how kaufmännischer und betrieblicher Art stellt einen wesentlichen Wettbewerbsfaktor dar. Gerade in wettbewerbsintensiven Branchen wollen innovative Ideen geschützt werden – sie sichern die Positionierung des Unternehmens im Markt. Häufig stellen aber Mitarbeitende des Unternehmens ein ungewolltes Risiko dafür dar, dass über sie interne Informationen nach außen treten.

I. Das Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen (GeschGehG)

Die wohl wichtigste gesetzliche Regelung zu Geschäftsgeheimnissen ist das GeschGehG. Die dort normierten Pflichten sind nicht arbeitsrechtlicher Natur und gelten auch außerhalb von Arbeitsverhältnissen. Bei Verstößen bietet es zivilrechtliche und strafrechtliche Rechtsfolgen für den Fall des Geheimnisverrats, so etwa Auskunfts-, Unterlassungs- und Haftungsansprüche auch gegen Dritte, die die Information von dem ehemaligen Arbeitnehmer erhalten haben.

1. Definition

Laut § 2 Nr. 1 GeschGehG ist ein Geschäftsgeheimnis eine Information, die weder allgemein bekannt oder ohne Weiteres zugänglich ist und daher von wirtschaftlichem Wert ist, angemessen geschützt wird und bei der ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung besteht.

2. Angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen

Um den Anforderungen des GeschGehG zu genügen muss ein Arbeitgeber also „den Umständen nach angemessene Geheimhaltungsmaßnahmen“ ergreifen. Fallen das Unternehmen bzw. seine Geschäftsgeheimnisse mangels angemessener Geheimhaltungsmaßnahmen nicht unter das GeschGehG, sind die Reaktionsmöglichkeiten im Krisenfall stark limitiert. Denn oftmals sind die arbeitsvertraglichen Konsequenzen im Verhältnis zum Arbeitnehmer alleine nicht ausreichend, um einen umfassenden Schutz bzw. Handlungsmög­lichkeiten zu erreichen. Solche Geheimhaltungsmaßnahmen können dabei technische, organisatorische und rechtliche Maßnahmen sein. Zu den rechtlichen Maßnahmen zählen insbesonders wirksame arbeitsvertragliche Geheimhaltungsklauseln.

a) Catch-All-Klauseln

Sog. Catch-All-Klauseln erklären umfassend, auch zeitlich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus, sämtliche Geschäftsgeheimnisse sowie sonstige erlangte Kenntnisse und Vorgänge, auch Erfahrungswissen des Arbeitnehmers, für geheimhaltungsbedürftig. Sie sind folglich dadurch gekennzeichnet, dass sie sowohl in inhaltlicher also auch in zeitlicher Hinsicht keinerlei Beschränkung vornehmen. Da sie aufgrund ihres Umfangs in inhaltlicher und zeitlicher Hinsicht die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers nicht angemessen berücksichtigen sind die Catch-All-Klauseln unwirksam gem. § 138 Abs. 1 BGB. Zum anderen sind solche Klauseln auch nach §§ 310, 307 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB unwirksam, da sie eine unangemessene Benachteiligung des Arbeitnehmers darstellen.

b) Folgen

Die Gründe für die Unwirksamkeit einer solchen Klausel ergeben sich also nicht aus dem GeschGehG selbst, sondern vielmehr aus den allgemeinen zivilrechtlichen Unwirksamkeitsgründen (§§ 138, 305 ff. BGB). Aus der Rechtsprechung zur Unwirksamkeit von Catch-All-Klauseln ergeben sich dabei Anhaltspunkte für die inhaltliche Ausgestaltung einer wirksamen Geheimhaltungsklausel: Das Transparenzgebot gebietet es, die Informationen, die nach dem GeschGehG geschützt werden sollen, so konkret wie möglich und für den Arbeitnehmer klar erkennbar zu bezeichnen. Dazu bietet sich z. B. an, die Informationen nach verschiedenen Geheimnisarten und Geheimnisstufen zu katalogisieren und entsprechende Kategorien zu schaffen. Dies kann je nach Aufgabenbereich der Arbeitnehmer verschiedene Informationen umfassen. Auch der Abschluss nachvertraglicher Ergänzungsvereinbarungen über Informationen, die dem Geheimnisschutz unterfallen sollen, aber im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht absehbar waren, ist möglich.

III. Allgemeine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht

Um eine generelle Pflicht zur Geheimhaltung zu etablieren, ist nach ständiger Rechtsprechung (vgl. bspw. BAG, Urteil vom 24.3.2010 – 10 AZR 66/09) eine arbeitsvertragliche Klausel nicht zwingend notwendig, denn die Verschwiegenheitspflicht ist für den Arbeitnehmer schon eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB, die auch ohne entsprechende vertragliche Regelung gilt.

1. Schutzumfang

Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei zur Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Vertragspartners verpflichtet. Die speziell arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Verschwiegenheit bezieht sich dabei umfassend auf „Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse“. Der Schutzbereich ist folglich nicht weiter als jener des GeschGehG.

2. Arbeitsvertragliche Rechtsfolgen

Verstößt ein Arbeitnehmer während der Dauer des Arbeitsverhältnisses gegen die sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Geheimhaltungspflicht, kann dies einen Schadensersatzanspruch des Arbeitgebers begründen (BAG, Urteil vom 24.9.2009 – 8 AZR 444/08) oder bei entsprechender Erheblichkeit des Verstoßes auch einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen (BAG, Urteil vom 12.5.2010 – 2 AZR 845/08). Ferner stellt die ordentliche Kündigung die übliche und grundsätzlich ausreichende Reaktion auf eine Verletzung der Nebenpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB dar. Ob darüber hinaus etwa auch ein Straftatbestand erfüllt ist (§ 23 GeschGehG), ließ das BAG bisher regelmäßig offen, sodass es sich bei dem GeschGehG einerseits und § 241 Abs. 2 BGB andererseits um zwei verschiedene Anknüpfungspunkte betreffend die Rechtsfolge handelt.

3. Erfordernis einer Geheimhaltungsklausel

Da die arbeitsvertragliche Verschwiegenheitspflicht jedem Arbeitsvertrag als Nebenpflicht immanent ist, ist eine ausdrückliche Regelung der Verschwiegenheitspflicht im Arbeitsvertrag hinsichtlich bestehender Geheimhaltungsverpflichtungen lediglich deklaratorischer Natur. Allerdings dient eine solche Klausel dem Arbeitnehmer als klare Orientierung und Mahnung, welche spezifischen Pflichten er zu erfüllen hat. Darüber hinaus ermöglicht sie dem Arbeitgeber, sein Interesse an der Geheimhaltung bestimmter Informationen präzise zu dokumentieren. Schließlich stellt eine rechtlich wirksame Geheimhaltungsklausel eine angemessene Geheimhaltungsmaßnahme i. S. d. GeschGehG dar, sodass dessen Regelungen zur Anwendung kommen.

IV. Datenschutz

Handelt es sich bei dem relevanten Geschäftsgeheimnis um solche Informationen, die auch personenbezogene Daten beinhalten, kommt parallel auch die DS-GVO ins Spiel. Die beiden Gesetze sehen im Fall eines Verstoßes aber verschiedene Rechtsfolgen bzw. Adressaten vor – die DS-GVO den „Verantwortlichen“ (Art. 4 Nr. 7 DS-GVO), das GeschGehG den „Rechtsverletzer“ (§ 2 Nr. 3 GeschGehG). Da die DS-GVO auf den „Verantwortlichen“ abstellt, kann diese Regelung dazu führen, dass für die Haftung des einzelnen Arbeitnehmers kein Raum bleibt, da regelmäßig der Arbeitgeber der für die Datenverarbeitung Verantwortliche ist – auch im Zusammenhang mit Geschäftsgeheimnissen, wenn der Arbeitnehmer einen Verstoß begangen hat.

Von der Datenschutzkonferenz (DSK) ist hierzu anerkannt, dass im Fall eines sog. „Mitarbeiterexzesses“ der Arbeitgeber nicht nach der DS-GVO haftet. Der Arbeitnehmer befinde sich dann außerhalb seines arbeitsvertraglich vorgesehenen Aufgabenbereichs und verfolge eigene Zwecke, sodass eine Zurechnung seines Handelns an den Arbeitgeber dann nicht mehr gerechtfertigt sei. Eine Bewertung des BAG in diese Richtung existiert bislang noch nicht. Aus dem allgemeinen Schadensrecht ergibt sich aber die Möglichkeit eines innerbetrieblichen Regresses des Arbeitgebers im Innenverhältnis zum Arbeitnehmer, denn auch die Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben ist eine Sorgfaltspflicht im Rahmen des Arbeitsvertrags. Muss der Arbeitgeber also nach der DS-GVO haften, kann er vom Arbeitnehmer Regress nehmen. Der Umfang dieses Regressanspruchs bestimmt sich dabei nach den arbeitsrechtlichen Grundsätzen des sog. innerbetrieblichen Schadensausgleichs.

V. Nachvertragliche Pflichten

Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses gilt gem. § 60 HGB ein Wettbewerbsverbot. Damit ein solches auch nachvertraglich gilt, bedarf es einer expliziten Vereinbarung nach §§ 74 ff. HGB, wobei strenge Anforderungen an eine entsprechende Regelung gestellt werden. Insbesondere geht gem. § 74 Abs. 2 HGB mit dem nachvertraglichen Wettbewerbsverbot eine Entschädigungspflicht einher. Im Übrigen kann es nur für höchstens zwei Jahre wirksam vereinbart werden. Gemäß dem BAG (Urteil vom 15.6.1993 – 9 AZR 558/91) gilt die arbeitsvertragliche Verschwiegenheitspflicht nur in bestimmten Fällen auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses weiter. Zwar könne an sich eine nachwirkende Treuepflicht des Arbeitnehmers bestehen, dies gelte allerdings nur bezogen auf einzelne treuwidrige Verhaltensweisen des ehemaligen Arbeitnehmers, da eine nachvertragliche Verschwiegenheitspflicht den Arbeitnehmer nicht unzumutbar in seiner Berufsausübung beschränken darf. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Verschwiegenheitspflicht de facto einem Wettbewerbsverbot gleichkommt (so BAG, Urteil vom 19.5.1998 – 9 AZR 394/97). In diesem Fall werde die bloße Verschwiegenheitspflicht zweckentfremdet und die Einschränkungen der §§ 74 ff. HGB zum nachvertraglichen Wettbewerbsverbot konterkariert.

VI. Fazit

Mit dem GeschGehG bieten sich für den Arbeitgeber im Ergebnis hinreichende Möglichkeiten, im Fall einer Missachtung der Verschwiegenheitspflicht für Geschäftsgeheimnisse zu reagieren. Geheimhaltungsklauseln stellen also einen wesentlichen Baustein des betrieblichen Sicherungskonzepts dar. Für deren Wirksamkeit ist zu beachten, dass diese möglichst transparent sind und den Arbeitnehmer sowohl inhaltlich als auch zeitlich nicht unangemessen benachteiligen. Außerdem sollte ein geordneter Exit-Prozess für das Ausscheiden von Mitarbeitern geregelt werden. Durch Dokumentation, welche Unterlagen dem Mitarbeiter im Laufe des Arbeitsverhältnisses übergeben wurden, kann einer Weitergabe der Geschäftsgeheimnisse entgegengewirkt werden.

Autoren

Klaus Thönißen, LL.M. (San Francisco)

Christian Kuß, LL.M.

Weitere Verbesserung der Betriebsrenten durch das „Betriebsrentenstärkungsgesetz II“

Die Bundesregierung plant ein zweites Gesetz zur Stärkung der betrieblichen Altersversorgung und zur Änderung anderer Gesetze (kurz „Zweites Betriebsrentenstärkungsgesetz“). Zwischenzeitlich ist der Referentenentwurf bekannt geworden und die Ampelkoalition hat angekündigt, im September das Gesetzgebungsverfahren einzuleiten. Ein erster Überblick zu den geplanten Änderungen:

I. Hintergrund

Ende 2021 hatten ca. 18,4 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte bei ihrem aktuellen Arbeitgeber eine aktive Betriebsrentenanwartschaft. Damit sich die Situation signifikant verbessert, muss die betriebliche Altersversorgung als sinnvolle Ergänzung der gesetzlichen Rentenversicherung quantitativ und qualitativ weiter ausgebaut und gestärkt werden. Dies gilt vor allem für Bereiche, in denen nach wie vor große Verbreitungslücken bestehen, also in kleineren Unternehmen und bei Beschäftigten mit geringem Einkommen. Die Koalitionspartner haben im Koalitionsvertrag des Jahres 2021 das Ziel hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung wie folgt definiert:

„Die betriebliche Altersversorgung wollen wir stärken, unter anderem durch die Erlaubnis von Anlage Möglichkeiten mit höheren Renditen. Zusätzlich muss das mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz bereits in der vorletzten Legislaturperiode auf den Weg gebrachte Sozialpartnermodell nun umgesetzt werden.“

Insbesondere an dieser Zielsetzung ist der Referentenentwurf zu messen. Es stellen sich also folgende Kontrollfragen: Wird die betriebliche Altersversorgung tatsächlich durch diese Reformmaßnahme gestärkt? Werden die richtigen Anreize gesetzt und die Fehlanreize beseitigt?

In der Fachwelt wird der Referentenentwurf teilweise kritisch gesehen. Die sozialpolitisch notwendige Stärkung der betrieblichen Altersversorgung wird zwar durch die Bundesregierung erkannt, der Referentenentwurf ist allerdings weiterhin diskussionsbedürftig. Die Fachkreise sehen einen über den Entwurf hinausgehenden Handlungsbedarf.

II. Inhalte

Mit dem Zweiten Betriebsrentenstärkungsgesetz soll der rechtliche Rahmen für eine weiterhin grundsätzlich freiwillige betriebliche Altersversorgung zielgerichtet fortentwickelt werden. In den letzten Jahren deutlich gewordene Verbreitungshindernisse sollen beseitigt und neue Anreize gesetzt werden, damit in möglichst vielen Unternehmen gute Betriebsrenten selbstverständlich und zum festen Bestandteil der Altersvorsorge der Beschäftigten werden können. Die Bundesregierung setzt beim Zweiten Betriebsrentenstärkungsgesetz folgende Schwerpunkte im Arbeits-, Finanzaufsichts- und Steuerrecht. Im Arbeitsrecht wird u. a. das 2018 eingeführte und auf Tarifvertrag beruhende Sozialpartnermodell weiterentwickelt. Mit § 24 BetrAVG-E werden Wege aufgezeigt, wie auch nicht tarifgebundene Dritte und damit häufig kleinere Unternehmen und ihre Beschäftigten an Sozialpartnermodellen teilnehmen können. Das Arbeitsrecht soll im Hinblick auf eine möglichst hohe Verbreitungswirkung punktuell modifiziert werden. So soll das Zweite Betriebsrentenstärkungsgesetz die Möglichkeit erleichtern, die automatische Einbindung aller Beschäftigten in die Entgeltumwandlung auf Betriebsebene einzuführen (sog. „Opting-out-Systeme“).

Auch im Finanzaufsichtsrecht (VAG, Anlageverordnung) sollen neue Impulse gesetzt werden, um die Attraktivität der betrieblichen Altersversorgung zu steigern. Den Pensionskassen soll vor dem Hintergrund des neuen Hinzuverdienstrechts in der gesetzlichen Rentenversicherung gestattet werden, höhere Zahlungen bei vorzeitigem Leistungsbezug zu vereinbaren. Mit dem Ziel höherer Renditen und damit höherer Betriebsrenten bei Pensionskassen sollen die Anlagevorschriften erweitert und die Bedeckungsvorschriften flexibilisiert werden. Für Sozialpartnermodelle sollen die Möglichkeiten zur Pufferbildung verbessert werden, so dass Handlungsspielräume für offensivere Anlagestrategien geöffnet werden, ohne dass die Auszahlungen größeren Schwankungen unterliegen.

Im Steuerrecht soll die Förderung der Betriebsrenten von Beschäftigten mit geringeren Einkommen über den Förderbetrag zur betrieblichen Altersversorgung nach § 100 EStG verbessert werden. Ferner soll der fortschreitenden Digitalisierung insbesondere in Versicherungsunternehmen und beim Pensions-Sicherungs-Verein Rechnung getragen werden, für alle Beteiligten soll weniger Bürokratie notwendig sein. Der Pensions-Sicherungs-Verein soll in Zukunft z. B. Beitragsbescheide ohne Sachbearbeitung automatisch erlassen und mit Leistungsberechtigten rechtssicher digital kommunizieren können. Zwei Punkte ragen letztlich hervor: die geplanten Änderungen beim Sozialpartnermodell und die Verbesserungen der Geringverdienerförderung.

II. Sozialpartnermodelle

Die Fachkreise begrüßen es, dass mit § 24 BetrAVG-E Wege aufgezeigt werden, wie auch nicht tarifgebundene Dritte an Sozialpartnermodellen teilnehmen können. Außerdem soll im Gesetz klargestellt werden, dass eine mangelhafte beziehungsweise unzureichende Beteiligung der Sozialpartner nicht zur Unwirksamkeit der reinen Beitragszusage führt. An verschiedenen Stellen wird allerdings noch Regelungsbedarf gesehen. So ist unter anderem die neue Zustimmungspflicht jedes einzelnen nicht tarifgebundenen Arbeitnehmers kritisch zu betrachten, da dies nicht praktikabel ist und Rechtsunsicherheit schafft. Des Weiteren ist erwähnenswert, dass für außertarifliche Mitarbeiter und leitende Angestellte der Zugang zu einem Sozialpartnermodell praktisch ausgeschlossen ist, da diese von den Anwendungsbereichen der Tarifverträge nicht erfasst werden, sofern nicht der Tarifvertrag für sie ausdrücklich geöffnet wird. Es sollte zumindest kritisch hinterfragt werden, ob ggfs. eine Regelung geschaffen werden sollte, die auch die Einbeziehung dieser Personengruppe zulässt.

Positiv wahrgenommen werden die Regelungen zur Wechselmöglichkeit zwischen Sozialpartnermodellen bzw. Versorgungsträgern und die geplanten Regelungen zu Abfindungen im Rahmen von Sozialpartnermodellen, wobei es auch dort noch weiterer Klarstellungen bedarf. Es muss geklärt werden, wie mit der Konkurrenz von Sozialpartnermodellen umzugehen ist, wenn mehrere Sozialpartnermodelle einschlägig sind. Dies kann relevant werden, wenn verschiedene Gewerkschaften für die Arbeitsverhältnisse zuständig sind oder für einzelne Betriebs- oder Konzernteile unterschiedliche Gewerkschaften zuständig sind. Der Tarifvorbehalt sperrt nur Sozialpartnermodelle anderer Branchen.

III. Verbesserungen der Geringverdienerförderung

Die Geringverdienerförderung nach § 100 EStG ist seit ihrer Einführung 2018 eine Erfolgsgeschichte. Zahlen des Statistischen Bundesamtes belegen, dass allein in den ersten drei Jahren nach Einführung der neuen Förderung mehr als 82.000 Unternehmen sie für über eine Million Arbeitnehmer nutzen. Vor diesem Hintergrund werden von der Fachwelt die Anhebung des Förderbetrags und die daraus resultierende Erhöhung der steuerlich geförderten Beiträge sowie die Kopplung der Einkommensgrenzen für die Förderberechtigten an die Beitragsbemessungsgrenze (3 % der Beitragsbemessungsgrenze) und die gegenüber dem aktuellen Stand leichte Erhöhung der Einkommensgrenze positiv aufgenommen. Die Höhe des Fördersatzes stellt für Arbeitgeber den Anreiz zur Erteilung solcher zusätzlichen Betriebsrentenzusagen dar. Vor diesem Hintergrund gibt es aus den Fachkreisen Vorschläge, dass der Fördersatz von 30 % auf 40 % oder sogar 50 % angehoben werden sollte, was zu einer deutlichen Ausweitung der betrieblichen Altersversorgung bei Geringverdienern führen dürfte.

IV. Bedeutung für die Praxis

Ob sich die Situation hinsichtlich der betrieblichen Altersversorgung aufgrund des Zweiten Betriebsrentenstärkungsgesetzes für kleinere Unternehmen und bei Beschäftigten mit geringen Einkommen signifikant verbessert, bleibt abzuwarten. Dennoch ist festzuhalten, dass die Stärkung der betrieblichen Altersversorgung sozialpolitisch notwendig ist und vom Gesetzgeber ständig weiterverfolgt wird.

Autoren

Dr. Marco Arteaga

Simon Alscher

Datenschutzverstöße durch Arbeitnehmer bedingen keine Haftungsbefreiung des Arbeitgebers

Eine Haftungsbefreiung bei Datenschutzverstößen gem. Art. 82 Abs. 3 DS-GVO für den datenschutzrechtlich Verantwortlichen greift nicht einfach nur deshalb, weil der Verstoß von einer ihm unterstellten Person verursacht wurde.

EuGH, Urteil vom 11.4.2024 – C-741/21 (juris)

Der Fall

Das Ausgangsverfahren stammt aus Deutschland. Der Kläger ist Rechtsanwalt und war Kunde der juristischen Datenbank juris. Ende 2018 wiederrief er alle seine Einwilligungen, Informationen zu erhalten, mit Ausnahme des Versands von Newslettern; dazu widersprach er jeglicher Verarbeitung seiner Daten. Anschließend erhielt er dennoch immer wieder Werbeschreiben, die auch nicht aufhörten, als er auf seinen Widerspruch hinwies, diesen erneuerte und Schadensersatz wegen rechtswidriger Verarbeitung seiner Daten verlangte. Jedes der Schreiben enthielt einen „persönlichen Testcode“, durch deren Eingabe auf der Website von juris eine Bestellmaske mit den voreingegebenen Daten des Klägers erschien. Daraufhin erhob er Klage auf materiellen und immateriellen Schadensersatz. Demgegenüber wies juris jede Haftung mit der Begründung zurück, die verspätete Berücksichtigung der Widersprüche beruhe entweder auf einem Mitarbeiterfehler oder darauf, dass es zu kostspielig gewesen wäre, die Widersprüche zu bearbeiten. Das mit der Klage befasste LG Saarbrücken (Beschluss vom 22.11.2021 – 5 O 151/19) legte dem EuGH anschließend mehrere Fragen zum Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DS-GVO vor, u. a., ob die Haftungsbefreiung nach Art. 82 Abs. 3 DS-GVO für einen Arbeitgeber greift, wenn ein Arbeitnehmer den Datenschutzverstoß begangen hat.

Die Entscheidung

Der EuGH bestätigte zunächst, dass ein bloßer Verstoß gegen die DS-GVO nicht allein ausreicht, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Das Vorliegen eines materiellen oder immateriellen Schadens sei eine der Voraussetzungen, ebenso wie ein Verstoß gegen die Verordnung und ein Kausalzusammenhang zwischen diesem und dem Schaden. Der Verstoß selbst begründe insofern nicht automatisch einen Anspruch, wobei gleichwohl schon der Verlust der Kontrolle über die eigenen personenbezogenen Daten einen immateriellen Schaden darstellen könne.

Anschließend ging der Gerichtshof zur Frage der Verantwortlichkeit über. Nach Art. 82 Abs. 3 DS-GVO werde ein datenschutzrechtlich Verantwortlicher (z. B. ein Arbeitgeber) von der Haftung befreit, wenn er nachweist, dass er in keinerlei Hinsicht für den Umstand, durch den der Schaden entstanden ist, verantwortlich ist. Aus Art. 29 DS-GVO gehe wiederum hervor, dass dem Verantwortlichen unterstellte Personen (bspw. Mitarbeiter), die Zugang zu personenbezogenen Daten haben, diese Daten grundsätzlich nur auf Grundlage von Weisungen des Verantwortlichen und im Einklang mit diesen Weisungen verarbeiten dürfen. Dazu ordne Art. 32 Abs. 4 DS-GVO an, dass der Verantwortliche sicherzustellen hat, dass dies nur auf seine Anweisung hin geschieht. Es sei daher Sache des Verantwortlichen, sich zu vergewissern, dass seine Weisungen korrekt ausgeführt werden, weshalb er sich nicht einfach von seiner Haftung befreien könne, indem er sich auf Fahrlässigkeit oder Fehlverhalten einer ihm unterstellten Person beruft. Eine Exkulpation komme nur in Betracht, wenn der Verantwortliche nachweisen kann, dass es keinen Kausalzusammenhang zwischen der Datenschutzverletzung und dem Schaden gibt. Dass ein Mitarbeiter weisungswidrig handelt, reiche nicht, da ansonsten die praktische Wirksamkeit von Art. 82 Abs. 1 DS-GVO beeinträchtigt würde.

Unser Kommentar

Der EuGH entschied zuletzt mehrmals zu Fragen des Schadensersatzanspruchs gem. Art. 82 DS-GVO, in Bezug auf eine potenzielle Haftungsbefreiung nach Art. 82 Abs. 3 DS-GVO jedoch nur im Hinblick auf die Erfüllung von technisch-organisatorischen Maßnahmen, zu denen die DS-GVO verpflichtet. Das vorliegende Urteil sagt nicht, dass eine Exkulpation bei Mitarbeiterfehlern stets ausgeschlossen ist, für eine nähere Determinierung bedarf es jedoch weiterer Vorlagen an den Gerichtshof. Präventiv sollten Aufgaben, bei denen eine Datenerhebung und -verarbeitung stattfindet, nur an dafür qualifizierte Mitarbeiter vergeben werden. Zudem bedarf es einer entsprechenden Aufklärung und Schulung, je nach datenschutzrechtlichem Risikoprofil turnusmäßig. Bei Anzeichen einer Überforderung oder eines Fehlverhaltens sind Umverteilungen der Aufgaben bzw. Versetzungen vorzunehmen. Insbesondere ist auf die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Pflichten aus der DS-GVO zu achten, dass eine Datenverarbeitung nur auf Weisung hin und nur in diesem Rahmen stattfindet, was regelmäßig zu kontrollieren ist. Eine Exkulpation in personeller Hinsicht kann überhaupt nur in Betracht kommen, wenn der Arbeitgeber insofern alle strukturell zumutbaren Maßnahmen erfüllt.

Autor

Stephan Sura

Wegfall der Karenzentschädigungspflicht bei Geschäftsführern

In Geschäftsführeranstellungsverträgen ist es wirksam, bei Zuwiderhandlung den rückwirkenden Wegfall der Karenzentschädigungspflicht zu vereinbaren.

BGH, Urteil vom 23.4.2024 – II ZR 99/22

Der Fall

Der Dienstvertrag des Geschäftsführers eines Unternehmens, das Pflege- Kur- und Betreuungseinrichtungen betreibt, enthielt ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot nebst Karenzentschädigung i. H. v. 50 % der zuletzt bezogenen Monatsbezüge. Weiter sah die Vereinbarung für den Fall, dass der Geschäftsführer gegen das Wettbewerbsverbot verstößt vor, dass die Zahlungspflicht rückwirkend entfällt und eine Rückzahlungsverpflichtung entsteht. Das Unternehmen erklärte nach siebenjährigem Bestand des Dienstverhältnisses die Kündigung. Ungefähr ein Jahr später nahm der Geschäftsführer eine Tätigkeit bei einer Unternehmen auf, das insbesondere im Bereich der Gesundheits- und Sozialwirtschaft sowie Seniorenwirtschaft Beratungsleistungen anbot. Nachdem das Unternehmen sich auf die Wirksamkeit der Vereinbarung zum Wegfall berief, machte der Geschäftsführer widerklagend die Zahlung der Karenzentschädigung geltend. Das LG Berlin lehnte einen Zahlungsanspruch ab, während das Kammergericht der Klage jedenfalls bis zur Aufnahme der Folgetätigkeit stattgab und sich im Wesentlichen darauf berief, die Wegfallregelung verstoße gegen das Übermaßverbot.

Die Entscheidung

Vor dem BGH erhielt hingegen das Unternehmen Recht: Der Wegfall und die Rückzahlung seien wirksam vereinbart worden. Der Senat führt aus, dass die Wirksamkeit eines Wettbewerbsverbots mit einem Geschäftsführer nur daran gemessen wird, ob es notwendig ist, um „einen Vertragspartner vor einer illoyalen Verwertung“ der Arbeitskraft zu schützen. Maßstab sind also vor allem die §§ 138, 242 BGB, bei denen es auf eine Interessenabwägung ankomme, welche die besonderen Umstände des Einzelfall umfassend würdigt. Gemessen an diesem Maßstab sei die Vereinbarung vollumfänglich wirksam. Unter Bezugnahme auf seine knapp vierzigjährige Rechtsprechungspraxis stellte der BGH heraus, dass nicht nur die Höhe, sondern sogar das „Ob“ einer Karenzentschädigung mit dem Geschäftsführer frei verhandelbar sei. Es gebe also keine grundsätzlichen Bedenken, die Vereinbarung zur Anwendung zu bringen.

Den vom Geschäftsführer angeführten Einwand, in der Vereinbarung sei keine äquivalente Sanktion für Verstöße vonseiten des Unternehmens vorgesehen, ließ der BGH nicht gelten: Zu Recht führt der BGH aus, es sei schon unklar, welche Pflichtverletzung überhaupt sanktionierungsbedürftig sein könnte. Ausschlaggebend waren grundlegende Erwägungen um die Rechtsfolgen der Nichtigkeit gem. § 139 BGB: Die Nichtigkeit der Vereinbarung über den Wegfall bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Karenzentschädigungspflicht im Übrigen hätte die Qualität einer sog. geltungserhaltenden Reduktion – also der Rückführung einer unwirksamen Regelung auf das (gerade noch) zulässige Maß – und komme daher nicht in Betracht. Die in § 139 BGB normierte Rechtsfolge sei nämlich nicht der Erhalt der Regelung, sondern die gänzliche Nichtigkeit. Wenn also die Regelung zum Wegfall unwirksam ist, wäre auch die Zahlungspflicht dahin. Ziel von § 139 BGB sei es gerade, beiden Parteien das Risiko der Nichtigkeit einer Regelung zuzuweisen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn gerichtlich positiv feststellbar ist, dass die Parteien die Vereinbarung auch ohne die unwirksame Regelung getroffen hätten – und Hinweise auf eine solche Lage seien hier nicht ersichtlich.

Unser Kommentar

Für Dienstverträge von Geschäftsführern hat die Entscheidung an sich unternehmensfreundliche Auswirkungen: Es besteht ein Verbot gegen nachvertraglichen Wettbewerb, das nicht nur durch Vertragsstrafen abgesichert werden kann, sondern auch durch einen rückwirkenden Wegfall der Karenzentschädigungspflicht. Vorsicht ist jedoch für Arbeitgeber geboten: Das Regelungsregime der §§ 74 ff. HGB sieht bei nachvertraglichen Wettbewerbsverboten mit Arbeitnehmern eine nicht abdingbare Karenzentschädigungspflicht vor (§ 75d HGB). Arbeitgeber sollten sich daher bei der Formulierung von Wettbewerbsverboten unverändert am Wortlaut der §§ 74 ff. HGB orientieren.

Autor

Dr. Christoph Corzelius

Formwirksamer Arbeit­nehmerüberlassungs­vertrag zur Erfüllung der Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht

Damit die im AÜG normierte Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht erfüllt werden kann, muss vor Beginn der Arbeitnehmerüberlassung ein formwirksamer Überlassungsvertrag zwischen Verleiher und Entleiher bestehen. Ist dies nicht der Fall, kann zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher ein Arbeitsverhältnis entstehen.

BAG, Urteil vom 5.3.2024 – 9 AZR 204/23

Der Fall

Der klagende Arbeitnehmer wurde am 4.6.2012 von der A-GmbH eingestellt. Danach war er erst für die Rechtsvorgängerin der Beklagten tätig, die E-GmbH, und sodann bei der Beklagten als Lagerist. Der Einsatz erfolgte bis zum 15.12.2018 aufgrund eines als Werkvertrag bezeichneten Vertrages. Seit dem 16.2.2018 erfolgte der Einsatz auf Grundlage eines Arbeitnehmerüberlassungsvertrages, den die A-GmbH am 5.2.2018 unterzeichnete und die Rechtsvorgängerin der Beklagten am 28.2.2018. Innerhalb des Vertrages hielt eine zeitgleich von den Parteien unterzeichnete Anlage den Einsatz des Klägers vom 16.2.2018 bis zum 31.12.2018 fest. Die Beklagte informierte ihren Betriebsrat über den Einsatz des Klägers in dem in der Anlage festgehaltenen Zeitraum schriftlich am 5.2.2018, der dem Einsatz am 8.2.2018 zustimmte. Zum 1.1.2019 ging der Betrieb der A-GmbH mittels Betriebsübergang auf die W-GmbH über. Die Beklagte beschäftigte andauernd Arbeitnehmer von der W-GmbH bzw. dessen Rechtsvorgängerin, der A-GmbH.

Der Kläger vertrat die Rechtsauffassung, dass zwischen ihm und der Beklagten seit dem 16.2.2018 – aufgrund der Nichteinhaltung der von Gesetzes wegen her normierten Offenlegungs- und Konkretisierungspflichten vor der Überlassung seiner Person – ein Arbeitsverhältnis bestand. Das ArbG Herne gab der Klage statt, das LAG Hamm wies die Berufung der Beklagten zurück.

Die Entscheidung

Das BAG entschied, dass ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nach § 9 Abs. 1 Nr. 1a AÜG i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG besteht, weil die Beklagte gegen die in § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÜG normierte Offenlegungs- und Konkretisierungspflicht verstoßen hat. Diese könne nur erfüllt werden, wenn zum Beginn der Arbeitnehmerüberlassung zwischen dem Verleiher und dem Entleiher ein formwirksamer Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bestehe. Dafür spreche vor allem der Wortlaut. Beide Normen würden voraussetzen, dass ein wirksamer Arbeitnehmerüberlassungsvertrag bei Beginn der Arbeitnehmerüberlassung vorliege. Damit der Vertrag wirksam sei, müsse er dem in § 12 Abs. 1 Satz 1 AÜG normierten Schriftformerfordernis genügen. Es könne nicht angenommen werden, dass für die Pflichterfüllung auf einen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag abgestellt werde, der nicht den innerhalb des AÜG geregelten Wirksamkeitsvoraussetzungen entspreche. Ansonsten würden innerhalb eines Gesetzes unterschiedliche Anforderungen gestellt werden. Sofern der Arbeitnehmerüberlassungsvertrag nicht von den Parteien jeweils vorher unterschrieben werde, entspreche er nicht der Schriftform und sei gem. § 125 Satz 1 BGB nichtig. Er könne auch nicht nachträglich wirksam werden. Ein nichtiger Vertrag könne nicht die Grundlage dafür sein, die Offenlegungspflicht zu erfüllen. Für die Konkretisierungspflicht der Person des Leiharbeitnehmers sei zwar nicht unbedingt eine Regelung im Arbeitnehmerüberlassungsvertrag notwendig, allerdings werde an das Bestehen eines formwirksamen Arbeitnehmerüberlassungsvertrag angeknüpft, wie durch den Wortlaut deutlich werde. Ein anderes Auslegungsergebnis ergebe sich auch nicht aus systematischen Erwägungen. Ferner komme eine teleologische Reduktion des § 1 Abs. 1 Satz 5 und 6 AÜG nicht in Betracht, da keine planwidrige Regelungslücke im Sinne des Fehlens eines Ausnahmetatbestandes bestehe.

Unser Kommentar

Die Entscheidung reflektiert den gesetzgeberischen Willen, der durch die Änderung des AÜG zum Ausdruck gekommen ist. Das Wortlautargument wiegt schwer. Wenn Verleiher und Entleiher die Arbeitnehmerüberlassung nicht offenlegen, führt dies zur Unwirksamkeit des Leiharbeitsvertrages zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer. Dies wiederum hat zur Folge, dass ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher entsteht, sofern der Leiharbeitnehmer nicht eine Festhaltenserklärung abgibt. Der Gesetzeswortlaut differenziert nicht danach, in welchem Ausmaß der Verstoß gegen die Offenlegungspflicht erfolgt ist. Wer vorsorglich eine Verleiherlaubnis vorhält, soll nicht gegenüber demjenigen begünstigt werden, der eine Arbeitnehmerüberlassung ohne eine Erlaubnis betreibt. Ob eine Verdeckungsabsicht bestand oder mit noch vertretbaren Argumenten angenommen worden ist, dass eine Arbeitnehmerüberlassung vorliegt, ist nicht maßgeblich. Dies ist vor allem deshalb zu berücksichtigen, weil es durchaus auch Fälle gibt, bei denen die Rechtslage im Vorfeld eben nicht rechtssicher beantwortet werden kann. In der Praxis sollte deshalb ganz genau geprüft werden, ob eine andere Form des Fremdpersonaleinsatzes als die Arbeitnehmerüberlassung tatsächlich in Betracht kommt und etwaige damit verbundene Risiken eingegangen werden sollen. Wird auf die an sich rechtssichere Variante der Arbeitnehmerüberlassung zurückgegriffen, sind die dafür notwendigen – auch formalen – Voraussetzungen zwingend einzuhalten.

Autoren

Dr. Lisa Kraayvanger

Julius Siegel

Anforderung an Betriebs(teil)übergänge und Unterrichtungsschreiben

Ein Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 BGB setzt die Übertragung einer bereits existierenden funktionell selbständigen wirtschaftlichen Einheit auf den Erwerber voraus, welche auch allein zum Zweck der Ermöglichung der Übertragung geschaffen werden kann; an das Unterrichtungsschreiben dürfen in diesem Kontext keine unrealistischen Anforderungen gestellt werden.

BAG, Urteil vom 21.3.2024 – 2 AZR 79/23

Der Fall

Die Parteien streiten über die Weiterbeschäftigung des Klägers bei der beklagten Kraftfahrzeugherstellerin. Diese erbrachte Ingenieur- und Testleistungen für die Gesamtfahrzeugentwicklung in einem Entwicklungszentrum. Aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung mit einem Interessenten schuf die Beklagte innerhalb dieses Betriebes einen selbständigen Teilbereich zur Fahrzeug- und Antriebsstrangentwicklung mit eigener personeller Leitung und Organisation und optischer Abgrenzung zum restlichen Betrieb. In diesen Teilbereich versetzte sie ca. 2.000 Beschäftigte, darunter auch den Kläger. Nur einen Monat später veräußerte sie den Betriebsteil an den Erwerber. Zuvor unterrichtete sie den Kläger über die Versetzung und den Betriebsübergang, dem dieser widersprach. Mit seiner Klage richtet er sich gegen die Wirksamkeit des Betriebsübergangs, seiner Versetzung und des Unterrichtungsschreibens, womit er in den ersten beiden Instanzen keinen Erfolg hatte.

Die Entscheidung

Der Zweite Senat des BAG hob das Berufungsurteil unter Zurückverweisung der Entscheidung über eine wirksame Versetzung des Klägers auf. Die Erfurter Richter bestätigten aber die Ansicht des LAG, dass es sich bei der durch den Erwerber übernommenen Betriebsstätte um eine übergangsfähige wirtschaftliche Einheit nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB handele. Ein Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 BGB setze die Übertragung einer bereits existierenden funktionell selbständigen wirtschaftlichen Einheit auf den Erwerber voraus, welche auch allein zum Zweck der Ermöglichung der Übertragung geschaffen werden könne, solange es sich nicht um betrügerische oder missbräuchliche Fälle handele. Die Versetzung von Beschäftigten in diese (Teil-)Einheit mit Blick auf den Betriebsübergang sei möglich.

Zudem betonte das BAG, dass an die Unterrichtung über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB keine unrealistischen Anforderungen, nach denen das Unterrichtungsschreiben frei von sämtlichen „juristischen Fehlern“ sein muss, gestellt werden dürfen. Nur solche Fehler, die kausal für die Widerspruchsentscheidung der Beschäftigten sind, können den Beginn der Widerspruchsfrist verhindern. Es genüge ein Hinweis auf den Eintritt des Betriebserwerbers in die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis und die Haftungsverteilung nach § 613a Abs. 2 BGB sowie die Angabe der maßgeblichen Tatsachen. Über alle weiteren den Arbeitnehmer möglicherweise treffenden individuellen Folgen müsse nicht informiert werden. Hierüber habe sich der Arbeitnehmer Rechtsrat einzuholen.

Unser Kommentar

Das BAG lockert erfreulicherweise die ursprünglich in seinem Urteil vom 10.11.2011 – 8 AZR 430/10 aufgestellten strengen Anforderungen, nach denen das Unterrichtungsschreiben „keinen juristischen Fehler“ enthalten darf. Nur solche Fehler, die kausal für die Widerspruchsentscheidung sind, können den Beginn der Widerspruchsfrist verhindern. Zwar ist bei der Erstellung des Unterrichtungsschreibens und insbesondere der Darstellung der relevanten Tatsachen immer noch große Sorgfalt geboten. Zumindest wird aber klargestellt, dass keine umfassende Rechtsberatung geschuldet ist. Die Entscheidung zeigt zudem praxisrelevante Möglichkeiten für die Gestaltung von Betriebsübertragungen auf. Ein Betrieb(steil) darf auch allein zum Zwecke der Ermöglichung eines Betriebsübergangs geschaffen werden. Auch die Versetzung von Beschäftigten in diesen extra geschaffenen Betrieb(steil) ist möglich.

Autorin

Dr. Delia Jusciak

Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast bei Arbeitszeitbetrug

Im Wege der abgestuften Darlegungs- und Beweislast im Kündigungsschutzprozess muss der Arbeitgeber substantiiert bestreiten und weitere belastende Umstände darlegen, wenn der Arbeitnehmer konkrete entlastende Umstände vorträgt. Dass eine Arbeitnehmerin später ausstempelt als Teamkollegen, begründet an sich keinen hinreichenden Verdacht eines Arbeitszeitbetrugs; dies gilt insbesondere dann, wenn Nacharbeiten zu erledigen sind, die auch alleine erledigt werden können.

LAG Niedersachsen, Urteil vom 20.2.2024 – 9 Sa 577/23

Der Fall

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen Tat- und Verdachtskündigung wegen Arbeitszeitbetrugs. Die Klägerin war als Rettungssanitäterin beim Beklagten beschäftigt, der einen Rettungsdienst und ein Impfzentrum betreibt. Der Einsatz der Rettungssanitäter erfolgt stets im Team von zwei Personen. Nach den Rettungseinsätzen sind diverse Folgearbeiten durchzuführen, teilweise im Team, teilweise allein. Der Beklagte stellte bei einer Überprüfung der Arbeitszeitnachweise Auffälligkeiten fest: Die Klägerin hatte an 15 Arbeitstagen erheblich längere Einsatzzeiten pro Schicht, als der/die korrespondierende Teamkollege/Teamkollegin. Zudem ließ die Klägerin sich an einem Tag eine Pause gutschreiben, obwohl sie diese genommen habe. Zwischen den Parteien ist streitig, ob die Klägerin eingestanden hat, dass sie sich diese Pause zu Unrecht hat gutschreiben lassen. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zunächst außerordentlich fristlos, nahm davon jedoch wieder Abstand und kündigte ordentlich fristgerecht, nachdem er erfuhr, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung schwanger war. Die Klägerin trägt vor, sie habe die Folgearbeiten allein durchgeführt, was die längeren Arbeitszeiten erkläre. Die Pause sei zudem nur ein Ersatz für eine zuvor festgelegte, aber nicht genommene Pause gewesen. Das ArbG gab ihrer Kündigungsschutzklage statt.

Die Entscheidung

So entschied auch das LAG und wies die Berufung des Beklagten zurück. Es fehle an einem hinreichenden Kündigungsgrund. Grundsätzlich könne der vorsätzliche Verstoß der Klägerin gegen die arbeitsvertragliche Verpflichtung der korrekten Arbeitszeitdokumentation sowohl eine außerordentliche als auch eine ordentliche Kündigung rechtfertigen. Allerdings sei der Beklagte seiner Darlegungs- und Beweislast gem. § 1 Abs. 2 KSchG nicht nachgekommen.

Im Fall einer verhaltensbedingten Kündigung reiche zwar schon der Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung als Kündigungsgrund aus. Es gelte jedoch der Grundsatz der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Danach habe der Arbeitgeber auch solche Tatsachen durch konkretes Bestreiten und ggfs. Beweis zu widerlegen, die einen vom gekündigten Arbeitnehmer behaupteten Rechtfertigungsgrund betreffen. Gemessen an diesen Grundsätzen habe der Beklagte hier weder den Verdacht des systematischen Arbeitszeitbetrugs noch die Tat eines solchen hinreichend darlegen können. Allein aus dem Umstand, dass die Klägerin länger als das andere Teammitglied gearbeitet habe, sei kein Arbeitszeitbetrug zu schließen, da unstreitig auch Nacharbeiten durchzuführen seien, die allein erledigt werden können. Dass die von der Klägerin vorgetragenen Arbeitseinsätze während der ursprünglich geplanten Pausenzeit stattgefunden haben, habe der Beklagte nicht widerlegen können. Daran ändere auch das behauptete Geständnis nichts. Die Klägerin trug vor, welche Arbeiten sie in dem streitigen Zeitraum verrichtet hatte. Da sich dieses „Geständnis“ nicht anhand der erfassten Arbeitszeiten nachvollziehen lasse, könne kein Rückschluss auf einen Arbeitszeitbetrug gezogen werden. Zuletzt sei der Beklagte seiner Darlegungs- und Beweislast auch im Hinblick auf die Folgearbeiten nicht nachgekommen. Der Vortrag des Beklagten, dass es keine Richtzeiten für die Folgearbeiten gibt, sei nicht qualifiziert. Gleiches gelte für den Vortrag, andere Teams bräuchten im Vergleich weniger Zeit. Auch dies sei nicht aussagekräftig, da nichts zu der konkreten Aufgabenverteilung für die anfallenden Nacharbeiten vorgetragen worden sei.

Unser Kommentar

Die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast bei einem vermuteten Arbeitszeitbetrug für Arbeitgeber sind hoch. Der Arbeitgeber muss im Wege der abgestuften Darlegungs- und Beweislast zunächst den Sachverhalt umfassend aufklären. Eine lückenlose Dokumentation aller Einzelheiten des Falls ist unerlässlich. Es sollte im gerichtlichen Verfahren auf jeden Einwand der anderen Partei ausführlich eingegangen werden. Nicht ausreichend hierfür sind lediglich allgemeine Ausführungen zum betrieblichen Ablauf ohne konkreten Fallbezug. Dieser Grundsatz gilt auch im Rahmen der Verdachtskündigung und der damit verbundenen Anhörung. Im Betriebsalltag sollte im Übrigen grundlegend auf eindeutige Regelungen sowohl bei der Arbeitszeiterfassung als auch bei der Aufgabenverteilung geachtet werden.

Autorin

Barbara Enderle, LL.M.

Böswilliges Unterlassen eines anderweitigen Verdienstes - Verletzung sozialrechtlicher Handlungspflichten

Verletzt ein gekündigter Arbeitnehmer seine sozialrechtlichen Handlungspflichten, z. B. zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung seiner Arbeitslosigkeit, kann dies beim Merkmal der Böswilligkeit zu seinen Lasten zu berücksichtigen sein. Nicht anders zu bewerten ist, wenn der Arbeitnehmer mit seinem Verhalten den Grund dafür setzt, dass ihm die Agentur für Arbeit keine Vermittlungsangebote unterbreitet.

BAG, Urteil vom 7.2.2024 – 5 AZR 177/23

Der Fall

Der Kläger begehrt Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 1.1.2018 bis 30.8.2020. Die Beklagte kündigte dem Kläger am 23.11.2017 fristlos, hilfsweise ordentlich. Er meldete sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos. Nach einer Sperrzeit bezog der Kläger bis zum 25.1.2019 ALG I. Bewerbungsbemühungen erfolgten in dieser Zeit nicht. Im Gegenteil äußerte der Kläger, dass er keine Vermittlungsangebote wünsche, sich nur unter Zwang bewerben werde und potenziellen Arbeitgebern vor einem Vorstellungsgespräch über das Kündigungsschutzverfahren informieren und signalisieren werde, dass er eine Weiterbeschäftigung wünsche. Für den Zeitraum ab Februar 2019 trug der Kläger Bewerbungsbemühungen vor, welche die Beklagte bestritt. Vom 29.7.2019 bis 31.8.2019 und vom 1.2.2020 bis 31.7.2020 übte der Kläger Tätigkeiten aus. Die Kündigungsschutzklage hatte zweitinstanzlich Erfolg, woraufhin der Kläger ab dem 31.8.2020 weiterbeschäftigt wurde. Das ArbG hat der Klage auf Annahmeverzugslohn für den Zeitraum vom 1.4.2019 bis zum 30.8.2020, das LAG zusätzlich für den Zeitraum von 1.1.2018 bis 31.3.2019 stattgegeben.

Die Entscheidung

Das BAG verwies die Sache an eine andere Kammer des LAG zurück. Es sei versäumt worden, bei der Prüfung der Böswilligkeit nach § 11 Nr. 2 KSchG eine Gesamtabwägung vorzunehmen und die Verletzung sozialrechtlicher Handlungspflichten zu berücksichtigen. Hierzu zähle neben der Pflicht, sich arbeitssuchend zu melden (§ 38 Abs. 1 SGB III), auch die Pflicht zur aktiven Mitarbeit bei der Vermeidung oder Beendigung der Arbeitslosigkeit (§ 2 Abs. 5 SGB III). Zulasten des Klägers sei zu berücksichtigen, dass er durch sein Verhalten selbst die Ursache für das Ausbleiben von Vermittlungsversuchen der Arbeitsagentur gesetzt habe. Auch ein ungefragter Hinweis auf ein laufendes Kündigungsschutzverfahren schon vor einem Vorstellungsgespräch entspräche nicht dem Verhalten einer tatsächlich um eine neue Tätigkeit bemühten Person. Unter Berücksichtigung von § 162 BGB sei die Darlegungs- und Beweislast interessengerecht abzustufen. Die Beklagte habe hinreichend konkret vorzutragen, ob dem Kläger zumutbare Tätigkeiten im maßgeblichen Zeitraum hätten angeboten werden können. Dieser trage dann die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass seine Bewerbung erfolglos geblieben wäre.

Unser Kommentar

Begrüßenswert ist die Fortentwicklung der Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines böswilligen Unterlassens anderweitigen Verdienstes durch das BAG. Die Aufgaben des „arbeitssuchenden Klägers“ während eines Kündigungsschutzprozesses sind die Meldung bei der Agentur für Arbeit und das ernsthafte Nachgehen von unterbreiteten Vermittlungsangeboten. Dann wird ihm regelmäßig nur schwerlich ein Untätigkeitsvorwurf gemacht werden können, der eine Böswilligkeit begründet. Dies gilt insbesondere, da das BAG der teilweise vertretenen Auffassung, dass Bewerbungsbemühungen im Umfang einer Vollzeitstelle entfaltet werden müssten, in einem Nebensatz eine Absage erteilt. Verhindert der Kläger jedoch, dass die Agentur für Arbeit ihrer Vermittlungsaufgabe überhaupt nachgehen kann, kann dies eine Böswilligkeit begründen.

Den darlegungs- und beweisbelasteten Arbeitgebern wurden mithin neue Gründe für ein böswilliges Unterlassen aufgezeigt. Unverändert sollten für den Zeitraum des laufenden Kündigungsschutzverfahrens konkrete Stellenausschreibungen recherchiert, dokumentiert und nachweisbar an den Kläger übermittelt werden. Zusätzlich kann ein Auskunftsanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer hinsichtlich der Vermittlungsbemühungen der Arbeitsagentur geltend gemacht werden und eine amtliche Auskunft über offene Stellen eingeholt werden. So vorbereitet, kann der Darlegungs- und Beweislast genügt werden, sodass der Arbeitnehmer unter dem Gesichtspunkt der Bedingungsvereitelung die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass seine Bewerbung auf diese Stellen erfolglos gewesen wäre.

Autor

Kevin Brinkmann, LL.M.

Zulässiger Verfall virtueller Optionsrechte nach Ende des Arbeitsverhältnisses

Die individualvertragliche Regelung eines sukzessiven Verfalls bereits gevesteter virtueller Optionsrechte nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist wegen ihres primär spekulativen Charakter zulässig und benachteiligt einen Arbeitnehmer nicht unangemessen.

LAG München, Urteil. v. 7.2.2024 – 5 Sa 98/23

Der Fall

Der klagende Arbeitnehmer war seit 1.4.2018 bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt. Ende August 2019 erhielt er ein Zuteilungsschreiben, durch das ihm der Bezug virtueller Optionsrechte eingeräumt wurde. Dafür sollte er explizit keine Gegenleistung erbringen, vielmehr sollten die Optionen allein als Anreiz für den Beitrag zum künftigen Unternehmenserfolg fungieren. Deshalb sollten sie auch erst nach und nach ausübbar werden.

Die konkreten Bedingungen für die Optionen wurden in den „Employee Stock Option Provisions“ geregelt, die dem Zuteilungsschreiben beigefügt waren. Hierin wurde u. a. bestimmt, dass die Vesting-Periode vier Jahre lang ab dem Zuteilungstag läuft. Die ersten 25 % der zugeteilten Optionen sollten nach zwölf Monaten ausübbar werden, der Rest sukzessive danach. Optionen, die nicht ausgeübt werden, sollten verfallen, wenn das Arbeits- oder Dienstverhältnis des Berechtigten vor einem Ausübungsereignis endet, unabhängig vom Grund für die Beendigung. In diesem Zusammenhang wurde ebenfalls ein gradueller Verfall der ausübbaren Optionen geregelt: alle drei Monate nach Ende des Beschäftigungsverhältnisses sollten 12,5 % der Optionen verfallen, alle ausübbaren Optionen also nach zwei Jahren.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete durch Eigenkündigung zum 31.8.2020; zu diesem Zeitpunkt waren 31,25 % seiner Optionsrechte ausübbar. Mit Schreiben vom 2.6.2022 machte er seine Optionsansprüche erstmals geltend. Seines Erachtens sind diese nicht aufgrund seiner Kündigung verfallen; die Verfallbestimmung verstoße gegen den Grundsatz, dass bereits erarbeitetes Entgelt nicht wieder entzogen werden darf. Seine nachfolgende Klage wies das ArbG München ab.

Die Entscheidung

Ebenso wies das LAG München die Berufung des Klägers zurück. Dieser geltend gemachten Optionsrechte seien durch die Bestimmungen in den „Employee Stock Option Provisions“ verfallen. Danach sollten ausübbare Optionen innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen. Die Regelung verstoße nicht gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB, da der über zwei Jahre hinweg eintretende Verfall übersichtlich geregelt sei. Ferner liege auch keine unangemessene Benachteiligung gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB vor. Die Bestimmung führe nicht dazu, dass eine im Synallagma stehende Vergütung wieder entfällt. Zwar handele es sich bei virtuellen Optionen an sich um einen Bestandteil der arbeitsvertraglichen Vergütung; auch Aktienoptionen hätten trotz ihrer im Vergleich zu anderen Sondervergütungen spekulativen Natur an sich Entgeltcharakter, woran hier auch die Tatsache nichts ändere, dass der Kläger keine Gegenleistung erbringen musste. Virtuelle Optionen könnten insofern ebenso als eine Mitarbeiterbeteiligungsform verstanden werden. Anders als Sondervergütungen hätten sowohl Aktien- als auch virtuelle Optionen aber eben einen ungleich größeren spekulativen Charakter. Sie seien daher weniger eine Gegenleistung für die Arbeit als vielmehr eine Gewinnchance und ein Anreiz für den zukünftigen Einsatz. Klauseln, die für die Ausübung von Aktienoptionen nach Ablauf der Wartefrist das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses verlangen, seien somit zulässig und nicht unangemessen benachteiligend. Entzogen werde kein verdienter Lohn, sondern nur eine Verdienstchance. Diese Grundsätze würden auch für virtuelle Optionen gelten. Die Revision wurde zugelassen.

Änderung der Kriterien für eine Sonderleistung ist mitbestimmungspflichtig

Gewährt der Arbeitgeber eine neue Sonderleistung oder ändert er die Voraussetzungen einer etablierten Prämie, so beeinflusst er damit die Verteilung der Gesamtvergütung und die Festlegung des Verhältnisses der Entgeltbestandteile zueinander, weshalb dem Betriebsrat ein zwingendes Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zusteht.

BAG, Urteil vom 21.2.2024 – 10 AZR 345/22

Der Fall

Die drei klagenden Arbeitnehmer in den in der Revision verbundenen Verfahren sind bei der beklagten Arbeitgeberin beschäftigt, die Windenergieanlagen errichtet und instand hält. Seit Mitte der 1990er-Jahre zahlte ihre Rechtsvorgängerin den Arbeitnehmern ein jährliches Urlaubsgeld. Erstmals Mitte 2008 bis inklusive 2013 übersendete die Rechtsvorgängerin der Beklagten hinsichtlich des Urlaubsgeldes ein Schreiben, worin sie u. a. erklärte, dass die Urlaubszuwendung „allen Mitarbeitern/innen gewährt [wird], die am Stichtag 1. Juni in einem ungekündigten, unbefristeten Dauerarbeitsverhältnis“ stehen. Dazu enthielt das Schreiben Regelungen zur maximalen Höhe des Urlaubsgeldes, über die jedes Jahr neu entschieden werden und die sich auch nach der Betriebszugehörigkeit richten sollte. Ferner enthalten war eine Bestimmung, wonach das Urlaubsgeld „eine einmalige, freiwillige und jederzeit widerrufliche soziale Leistung“ ist.

Im Juni 2014 sendete die Rechtsvorgängerin der Beklagten ein abweichendes Schreiben an ihre Arbeitnehmer, das neben einem Urlaubs- auch ein Weihnachtsgeld thematisierte und durch das Änderungen bei den Anspruchsvoraussetzungen vorgenommen wurden, etwa bei der Stichtagsregelung. Der bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten bestehende Betriebsrat wurde dabei nicht beteiligt. Mitte 2020 wurde den Arbeitnehmern sodann mitgeteilt, dass die Zahlung des Urlaubsgeldes für das laufende Jahr ausgesetzt wird. Unmittelbar danach machten die Kläger die Zahlung des Urlaubsgeldes für das Jahr 2020 entsprechend ihrer Betriebszugehörigkeit geltend. Ihren nachfolgenden Klagen gab das ArbG statt, das LAG wies sie auf die Berufungen der Beklagten hin ab.

Die Entscheidung

Der Zehnte BAG-Senat entsprach wiederum den Revisionen der Kläger. Diese hätten einen Anspruch auf Urlaubsgeld für das Jahr 2020 aus der Gesamtzusage der Rechtsvorgängerin der Beklagten von 2008. Darin habe sich diese verpflichtet, ein Urlaubsgeld zu zahlen, dass sie jährlich nach billigem Ermessen festzulegen hat. Für die Schaffung eines Anspruchs würden diverse Formulierungen sprechen, etwa, dass die Urlaubszuwendung „gewährt“ wird. Die Regelung, wonach es sich um eine freiwillige und jederzeit widerrufliche soziale Leistung handeln sollte, stehe dem nicht entgegen, da die Kombination von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt intransparent sei und damit eine unangemessene Benachteiligung i. S. d. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB darstelle, die zur Unwirksamkeit der Klausel führt.

Mit den abweichenden Schreiben ab 2014 habe die Rechtsvorgängerin der Beklagten den Anspruch mangels Beteiligung des Betriebsrats nicht wirksam zulasten der Begünstigten modifizieren können. Auch anschließend galt deshalb weiterhin die Gesamtzusage aus dem Jahr 2008. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG habe der Betriebsrat in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung mitzubestimmen, insbesondere bei der Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen. In Fortführung der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung könnten Arbeitnehmer bei einem Verstoß gegen das Mitbestimmungsrecht eine Vergütung auf Grundlage der zuletzt mitbestimmungsgemäß eingeführten Entlohnungsgrundsätze fordern. Zu den bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten eingeführten Entlohnungsgrundsätzen i. S. v. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG gehöre auch das durch die Gesamtzusage von 2008 geleistete Urlaubsgeld. Da ab 2014 ein Weihnachtsgeld – also ein neuer Entgeltbestandteil – eingeführt wurde und die Voraussetzungen bzw. Ausschlussgründe für das Urlaubsgeld angepasst wurden, sei eine Änderung der bestehenden Entlohnungsgrundsätze erfolgt, wodurch ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ausgelöst wurde. Dieser wurde jedoch nicht beteiligt, weshalb sich die Kläger weiterhin auf die vorherigen Regelungen berufen könnten. Die Festsetzung des Urlaubsgeldes auf „Null“ im Jahr 2020 entspreche im Übrigen nicht billigem Ermessen gem. § 315 Abs. 1 BGB und sei daher nicht verbindlich, da die Beklagte zwar auf die Herausforderungen durch die SARS-CoV-2-Pandemie hingewiesen, aber keine hinreichend substantiierten Angaben zu ihrer wirtschaftlichen Situation gemacht habe.

Keine Umwandlung eines Arbeits- in ein Dienstverhältnis bei Verschmelzung

Wird ein Arbeitnehmer unter Aufrechterhaltung seines Arbeitsverhältnisses bei einer anderen Konzerngesellschaft zum Geschäftsführer berufen, so führt eine spätere Verschmelzung seines Vertragsarbeitgebers auf diese andere Gesellschaft nicht zur Transformation seines Arbeits- in ein Dienstverhältnis.

LAG Düsseldorf, Beschluss vom 7.12.2023 – 3 Ta 273/23

Der Fall

Der Kläger war seit Ende 2015 auf Grundlage eines Arbeitsvertrages bei der U-GmbH als Produktmanager beschäftigt. Im Jahr 2017 wurde er zum Geschäftsführer der konzernangehörigen V-GmbH berufen, der im vorliegenden Verfahren Beklagten. Weitere Vereinbarungen wurden nicht geschlossen, in späteren Vertragsergänzungen in Bezug auf die Geschäftsführertätigkeit wurde lediglich durchweg betont, dass „alle übrigen Bedingungen des Arbeitsverhältnisses unverändert bestehen bleiben“. Mitte 2020 wurde der Kläger informiert, dass die U-GmbH auf die V-GmbH verschmolzen wird und sein Arbeitsverhältnis im Wege des Betriebsübergangs auf die V-GmbH übergeht. Nachdem der Verschmelzung stellte die Beklagte den Kläger im Herbst 2020 unwiderruflich frei. Kurz vor Weihnachten 2020 wurde seine Abberufung als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen, für die Beklagte tätig wurde er nicht mehr.

Mit seiner im März 2023 erhobenen Klage machte der Kläger Urlaubsabgeltungsansprüche i. H. v. 33.884,61 € brutto geltend. Seines Erachtens ist der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet. Das ArbG Wuppertal verwarf die Klage als unzulässig und verwies den Rechtsstreit an die ordentlichen Gerichte. Der sofortigen Beschwerde des Klägers half das ArbG nicht ab, sondern legte sie dem LAG vor.

Die Entscheidung

Das LAG Düsseldorf bestätigte zunächst die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte, da eine Streitigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus dem Arbeitsverhältnis vorliege. Die Fiktionswirkung des § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG, wonach solche Personen nicht als Arbeitnehmer gelten, die zur Vertretung der juristischen Person berufen sind, hindere den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten hier nicht, weil sie mit der Abberufung des Klägers als Geschäftsführer der Beklagten bereits Ende 2020 geendet habe. Die Vorschrift habe die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte daher jedenfalls seitdem nicht mehr gesperrt. Der Wegfall der Fiktion führe indes nicht automatisch schon dann zur Zuständigkeit der Arbeitsgerichte, wenn die klagende Partei nur behauptet, in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt (gewesen) zu sein. Der rechtliche Charakter des Anstellungsverhältnisses eines Organvertreters ändere sich zwar nicht allein durch dessen Abberufung, gleichzeitig werde dadurch aber auch ein bisheriges Dienstverhältnis des Geschäftsführers nicht zu einem Arbeitsverhältnis. Der Kläger sei allein auf Grundlage einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung tätig geworden, auch als Geschäftsführer der Beklagten; alle weiteren Vereinbarungen hätten sich zudem stets auf diesen Arbeitsvertrag bezogen.

Etwas anderes ergebe sich auch nicht durch den Eintritt der Beklagten in das Arbeitsverhältnis des Klägers. Durch diesen Vorgang habe sich das Arbeitsverhältnis nicht in ein (freies) Geschäftsführerdienstverhältnis gewandelt, auch nicht dadurch, dass Vertrags- und Organverhältnis nunmehr zusammenfielen. Für eine gegenteilige Annahme finde sich weder eine vertragliche noch eine gesetzliche Grundlage. Organ- und Anstellungsverhältnis seien grundsätzlich voneinander unabhängig. Obwohl ein GmbH-Geschäftsführer regelmäßig auf Grundlage eines Dienstvertrages tätig wird, sei nicht ausgeschlossen, dass die Tätigkeit anhand der vertraglichen Vereinbarung auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses stattfinden kann. Ist wiederum ein Arbeitsverhältnis explizit vereinbart, sei es auch regelmäßig als solches einzuordnen. Für eine Statuskorrektur unter Berücksichtigung der tatsächlichen Vertragsdurchführung bestehe hinsichtlich der besonderen Schutzregeln für Arbeitsverhältnisse kein Anlass; auch § 611a Abs. 1 Satz 6 BGB sehe dies nicht vor. Aus der Verschmelzung folge ebenfalls nichts anderes. Infolge dieser sei die Beklagte gem. § 324 UmwG a. F., § 613a BGB in das Arbeitsverhältnis des Klägers eingetreten. Die Begründung eines solchen als vertragliche Grundlage der Geschäftsführertätigkeit sei ohne Weiteres auch dann möglich, wenn die Anstellung direkt bei der Gesellschaft erfolgt, deren Organvertreter der Geschäftsführer sein soll. Auch bei einem Betriebsübergang auf diese Gesellschaft wandle sich das Arbeits- nicht in ein Dienstverhältnis.

Pflicht zur Durchführung einer Notversorgung während eines Streiks

Im Rahmen eines Arbeitskampfes können Notstandsarbeiten auch bei einem Verkehrsunternehmen erforderlich sein, wenn dieses mit der Beförderung schulpflichtiger Kinder beauftragt ist; alternativ bedarf es einer ausreichenden Ankündigungsfrist für die nächste Streikmaßnahme.

LAG Sachsen, Urteil vom 10.6.2024 – 4 GLa 10/24

Der Fall

Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die Einführung einer Notversorgung zur Beförderung von Schülern während anhaltender Streikmaßnahmen. Die Verfügungsklägerin ist ein Verkehrsdienstleister im öffentlichen Nahverkehr, die Verfügungsbeklagte ist eine Gewerkschaft. Seit Ende 2023 verhandeln die Parteien über den Neuabschluss eines Tarifvertrags zum Thema Arbeitszeit. Seitdem rief die Beklagte mehrmals zu Streiks auf, zuletzt immer häufiger und kurzfristiger in Form von Wellenstreiks. Als die Beklagte Mitte Mai 2024 nach dem insgesamt zehnten Streik unmittelbar zur nächsten Arbeitsniederlegung aufrief, welche auch einen regulären Schultag betraf, legte die Klägerin ihr den Entwurf einer Notstandsvereinbarung vor, um bei künftigen Streiks eine Basisversorgung zum Transport von Schülern zu ermöglichen. Die Beklagte lehnte diesen Entwurf ab und rief anschließend zwei weitere Male zum Streik auf, in beiden Fällen mit einer Ankündigung nur wenige Stunden zuvor. Am 23.5.2024 beantragte die Klägerin einstweiligen Rechtsschutz, um die Beklagte zur Mitwirkung an einer Notversorgung zu verpflichten und für die Zwischenzeit einen Basisnotdienstplan zu erlassen. Weil sie täglich rund 1.800 Schüler befördere, bedürfe es dringend eines solchen Plans oder zumindest längerer Ankündigungsfristen für Streikmaßnahmen, damit Eltern und Schüler alternative Transportmöglichkeiten organisieren können. Das ArbG Chemnitz gab den Anträgen überwiegend statt.

Die Entscheidung

So entschied auch das LAG Sachsen und wies die Berufung der Beklagten zurück. Diese sei verpflichtet, an einer Notdienstplanung mitzuwirken; bis dahin gelte ein Notdienstplan, der eine Basisversorgung während der Schultage vorsieht. Dessen Anwendung könne die Beklagte indes durch die Ankündigung eines Streiks mit mindestens vier Kalendertagen Vorlaufzeit vermeiden. Die daraus resultierende Untersagung sehr kurzfristiger Arbeitskampfmaßnahmen ermögliche Schülern und Sorgeberechtigten, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, um eine alternative und sichere Beförderung zu ermöglichen. Die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit, die auch das Streikrecht umfasse, sei zwar ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet, unterliege zum Schutz von Rechtsgütern und Gemeinwohlbelangen aber dennoch Schranken, wenn diesen gleichermaßen ein verfassungsrechtlicher Rang zukommt. Dabei sei ein strenger Maßstab anzulegen, da durch gerichtliche Maßnahmen die Kampfparität verschoben werde – auch bei Anordnung eines Notdienstes. Da die Parteien bisher keine Vereinbarung über einen Notdienst geschlossen hätten, könne dessen Inhalt und Umfang auch gerichtlich bestimmt werden. Eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Abwägung der hier betroffenen, grundrechtlich geschützten Rechtsgüter ergebe, dass die Beklagte während eines Streiks an Schultagen, der von ihr nicht mindestens vier Kalendertage vorher angekündigt wird, an dem beantragen Notdienst zur Beförderung schulpflichtiger Personen mitzuwirken hat. Die Klägerin habe infolgedessen einen Anspruch auf Einrichtung des beantragten Notdienstes.

Zwar seien Wellenstreiks nicht bereits deshalb unzulässig, wenn sie sich auf einen Betrieb der Daseinsvorsorge beziehen. Aufgrund ihrer kurzen Ankündigungsfristen bedürfe es aber einer besonderen Abwägung mit den Grundrechten Dritter. Vorliegend gingen mit den Streiks erhebliche Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit von Personen einher, die der Schulpflicht unterliegen, wodurch deren Grundrechte nach Art. 2 und Art. 7 GG beeinträchtigt würden. Durch die kurzen Ankündigungsfristen seien alternative Beförderungsmöglichkeiten oft nicht zu organisieren, was zur Notwendigkeit von im Zweifel gefährlicheren Fußwegen führe. Ohne elterliche Hilfe könnten diese Schüler ggfs. auch gar nicht zur Schule gelangen. Der temporäre und der einzurichtende Notdienst hätten sich mithin an den Unterrichtszeiten zu orientieren.

Inflationsausgleichsprämie als pfändbares Arbeitseinkommen

Der Fall

Über das Vermögen des Schuldners, der als Krankenpfleger bei der Arbeitgeberin beschäftigt ist, wurde am 27.2.2023 das Insolvenzverfahren eröffnet, nachdem dieser zuvor einen entsprechenden Eigenantrag gestellt hatte. Für Mitte 2023 und Mitte 2024 wurde dem Schuldner von der Arbeitgeberin eine Inflationsausgleichsprämie von 3.000 EUR in zwei Raten à 1.500 EUR am 30.6.2023 und 30.6.2024 zugesagt. Kurz bevor die erste Rate ausgezahlt wurde, beantragte der Schuldner die Unpfändbarkeit und Freigabe der Prämie, was durch die Instanzen hinweg abgelehnt wurde.

Die Entscheidung

Auch der BGH entschied in diesem Sinne, dass die Inflationsausgleichsprämie als Arbeitseinkommen nach § 850c ZPO pfändbar sei. Anders als bei der Energiepreispauschale habe der Gesetzgeber keine Unpfändbarkeit der Prämie vorgesehen. Dazu sei die Inflationsausgleichsprämie eine aus eigenen Mitteln des Arbeitgebers freiwillig gezahlte Zusatzleistung zum Lohn und damit Arbeitseinkommen i. S. d. § 850 Abs. 1 ZPO. Im vorliegenden Fall würde sich der Pfändungsschutz für die Inflationsausgleichsprämie nach den §§ 850a-850h ZPO, insbesondere nach § 850c ZPO bemessen, und nicht nach § 850i Abs. 1 Satz 1 Fall 1 ZPO zu nicht wiederkehrend zahlbare Vergütungen. Die Prämie sei Teil des wiederkehrenden zahlbaren Arbeitseinkommens, auch wenn sie formal als Einmalzahlung bezeichnet gilt und auch nur einmal ausgezahlt wurde. Maßgeblich sei, dass die Prämie das laufende Gehalt erhöhe und dabei die regelmäßige Arbeitsleistung vergüte.

Darüber hinaus stelle die Prämie mangels besonderer Belastung bei oder durch die Erbringung der Arbeitsleistung keine unpfändbare Erschwerniszulage gem. § 850a Nr. 3 ZPO dar. Überdies sei sie auch nicht als Aufwandsentschädigung nach § 850a Nr. 3 ZPO unpfändbar, da keine tatsächlich entstandenen Auslagen zu ersetzen seien. Die Inflationsausgleichsprämie diene lediglich der Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise. Anders als bei staatlichen Hilfsmaßnahmen bestehe keine zweckgebundene Verwendungspflicht für den Empfänger. Da eine hier vorliegende einfache Zweckbestimmung nicht ausreiche, um den Inhalt der Forderung bei Abtretung zu ändern, greife das Abtretungsverbot nicht. Zuletzt liege auch keine unbillige Härte nach § 765a ZPO vor, da gem. § 850c ZPO nur die Hälfte der Prämie pfändbar sei und ferner die Möglichkeit eines Antrags nach § 850f Abs. 1 ZPO bestehe. Die pfandfrei bleibende Hälfte der Prämie könne zur Abmilderung der Preissteigerungen verwendet werden.

Kündigungszugang: Sendungsstatus begründet keinen Anscheinsbeweis

Ist der Zugang einer schriftlichen Erklärung streitig und beruft sich der darlegungs- und beweisbelastete Absender auf einen Zugang beim Empfänger per Einwurf-Einschreiben, begründet die Kombination von Einlieferungsbeleg und Sendungsstatus der Post noch keinen Beweis des ersten Anscheins für den Zugang.

LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2023 – 15 Sa 20/23

Der Fall

Die Klägerin war bei der Beklagten als medizinische Fachangestellte beschäftigt. Mit Schreiben vom 14.3.2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis. Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage. Im Laufe des Verfahrens behauptete die Beklagte, das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26.7.2022, das der Klägerin am 28.7.2022 als Einwurf-Einschreiben zugegangen sei, ein zweites Mal gekündigt zu haben. Dazu legte sie einen Einlieferungsbeleg sowie den Sendungsstatus der Post vor. Die Klägerin hat den Zugang bestritten. Die Beklagte unternahm im Anschluss weitere Kündigungsversuche, zuletzt am 3.12.2022. Das ArbG hat die Kündigung vom 14.3.2022 als unwirksam, die Kündigung vom aber 26.7.2022 als wirksam angesehen.

Die Entscheidung

Das LAG Baden-Württemberg stellte hingegen, dass das Arbeitsverhältnis erst mit ordentlicher Kündigung vom 3.12.2022 aufgelöst worden ist. In Bezug auf die zweite Kündigung vom 26.7.2022 sei schon der für die Wirksamkeit erforderliche Zugang nicht nachgewiesen. Die Beklagte habe für den Zugang keinen Beweis – etwa durch Benennung des Zustellers als Zeuge – angetreten. Auch die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme eines Anscheinsbeweises für den Zugang der Kündigung lägen nicht vor. Werde kein Auslieferungsbeleg, sondern nur der Sendungsstatus vorgelegt, begründe dies auch in Kombination mit dem Einlieferungsbeleg keinen Beweis des ersten Anscheins. Könne eine Reproduktion des Auslieferungsbelegs nicht mehr erlangt werden, falle dies in die Risikosphäre des Absenders. Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen.

Öster­­reich: Telearbeit ist das neue Home Office

Während der COVID-19-Pandemie führte der österreichische Gesetzgeber die Arbeit von zu Hause aus in das österreichische Arbeitsrecht ein. Gleichzeitig wurden indes andere praktizierte Formen des mobilen Arbeitens, insbesondere das Arbeiten von anderen Orten als vom eigenen Wohnort aus, von diesen Regelungen nicht erfasst. Ab 1.1.2025 wird der Begriff des „Home Office“ vom österreichischen Gesetzgeber deshalb durch „Telearbeit“ ersetzt.

Die Regelungen zum „Home Office“ gelten für Arbeitnehmer, die ihre Arbeit regelmäßig von ihrem Haupt- und/oder Nebenwohnsitz und/oder der Wohnung eines nahen Angehörigen und/oder des Partners aus verrichten. Die künftige Regelung zur „Telearbeit“ wird hingegen für alle Arbeitnehmer gelten, die ihre Arbeit regelmäßig schlichtweg an einem Ort außerhalb der Geschäftsräume des Arbeitgebers verrichten. Arbeitgeber werden im Zuge dessen verpflichtet, ihren Arbeitnehmern, die Telearbeit leisten, „digitale Arbeitsmittel“ (PC/Laptop, Mobiltelefon, Datenverbindung etc.) zur Verfügung zu stellen. Vereinbarungen über Telearbeit bedürfen der Schriftform haben, wobei Arbeitnehmer weder einen Anspruch auf Telearbeit haben noch vom Arbeitgeber dazu verpflichtet werden können. Die Änderungen gelten für alle Vereinbarungen über Telearbeit, die nach dem kommenden Jahreswechsel geschlossen werden. Bestehende Vereinbarungen über Home Office müssen überprüft und überarbeitet werden.

Neben den arbeitsrechtlichen Aspekten bringt „Telearbeit“ neue Herausforderungen für Arbeitgeber mit sich, insbesondere im Hinblick auf den Datenschutz und die Datensicherheit. Der Arbeitgeber bleibt der für die Datenverarbeitung Verantwortliche und haftet für alle Verstöße gegen die DS-GVO, die während der Telearbeit eines Mitarbeiters auftreten. Arbeitgeber, die Telearbeit einführen wollen, müssen ihre technischen und organisatorischen Maßnahmen überprüfen und ggfs. anpassen, um Datensicherheit und Datenschutz zu gewährleisten.

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