20.12.2021

Newsletter Arbeitsrecht 4. Ausgabe 2021

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Vorwort

Liebe Leserinnen und Leser,

auch im zweiten Jahr der Pandemie erleben wir dieses Jahr wieder aufgrund der erneut schwierigen Umstände eine besondere Weihnachtszeit. Das Jahr 2021 hat uns alle erneut vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Wir freuen uns daher nun umso mehr auf ein fröhliches und besinnliches Weihnachtsfest. Rechtzeitig zu diesem können wir Ihnen – wie gewohnt – unseren Newsletter als Lektüre unter den Christbaum legen.

Die Weihnachtsausgabe unseres Newsletters befasst sich schwerpunktmäßig mit zwei aktuellen Themen aus der Arbeitsrechtspraxis. In Zeiten der Digitalisierung der Arbeitswelt und des Remote-Work stellt sich für Unternehmen mehr und mehr die Frage der Einführung von elektronischen Signaturen. Diese sind bereits heute in den Unternehmen weit verbreitet. Aus arbeitsrechtlicher Sicht sind sie jedoch zum Teil mit Risiken verbunden und daher nicht unproblematisch. Kevin Brinkmann gibt Ihnen in seinem Beitrag einen Überblick über die Chancen und Risiken des Einsatzes von elektronischen Signaturen in Personalabteilungen.

Unsere Expertin auf dem Gebiet der betrieblichen Altersversorgung Dr. Annekatrin Veit weist in ihrem Beitrag auf die Folgen und den möglichen Handlungsbedarf für Arbeitgeber hin, die sich aus der Herabsenkung der Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung im Jahr 2022 ergeben. Aufgrund der Corona bedingten rückgängigen Bruttolohnentwicklung im Jahr 2020 sinkt im nächsten Jahr erstmals seit mehr als 60 Jahren die Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung.

In dieser Ausgabe präsentieren wir zudem eine neue Rubrik unseres Newsletters, in welcher wir über arbeitsrechtliche Entwicklungen und Themen aus unserem in diesem Jahr neu gegründeten globalen Netzwerk unyer berichten. Gemeinsam mit der französischen Kanzlei FIDAL haben wir im Mai diesen Jahres die globale Organisation unyer ins Leben gerufen. Wir freuen uns sehr, dass Xavier Drouin von FIDAL in Straßburg diese neue Rubrik mit einem Beitrag zum französischen Befristungsrecht eröffnet.

Neben unseren Schwerpunktthemen erhalten Sie auch mit dieser Ausgabe den gewohnten Überblick über aktuelle Entscheidungen der Arbeitsgerichte, die aus unserer Sicht für die Personalarbeit von besonderer Relevanz sind.

Wir wünschen Ihnen trotz der schwierigen Umstände eine friedliche und besinnliche Weihnachtszeit, geruhsame Tage zwischen den Jahren sowie ein glückliches, gesundes und erfolgreiches neues Jahr 2022.

Kommen Sie gut ins neue Jahr und bleiben Sie gesund!

Ihr

Achim Braner

Verwendung elektronischer Signaturen – Möglichkeiten und Risiken für Arbeitgeber

Die fortschreitende Digitalisierung macht auch vor den Personalabteilungen nicht halt. Es steht außer Frage, dass sich der Abschluss von Arbeitsverträgen durch die Nutzung einer elektronischen Signatur schlank und effektiv gestalten lässt. Dabei dürfen jedoch die gesetzlichen Formvorschriften nicht außer Acht gelassen werden.

Die elektronische Form als Ersatz der Schriftform

Bereits im Jahr 2001 führte der Gesetzgeber als Alternative zur klassischen Schriftform mit § 126a BGB die elektronische Form in den Rechtsverkehr ein. Schon damals wurde in der Gesetzesbegründung festgehalten, dass die Schriftform nach § 126 BGB nur unter Verwendung einer qualifizierten elektronischen Signatur (QES) durch die elektronische Form ersetzt werden kann und das auch nur dann, wenn die elektronische Form nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist.

Eine einfache (EES) oder fortgeschrittene elektronische Signatur (FES) reicht hingegen nicht aus. Ist eine elektronische Textdatei nur einfach oder fortgeschritten signiert, kann sie jederzeit beliebig verändert werden und ihr Verfasser ist nicht eindeutig identifizierbar. Diese wesentlichen Nachteile gegenüber der Schriftform können nur durch eine qualifizierte elektronische Signatur ausgeglichen werden.

Welche technischen Anforderungen eine elektronische Signatur erfüllen muss, ergibt sich aus der Verordnung (EU) Nr. 910/2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG (eIDAS-VO). Art. 3 Nr. 12 der eIDAS-VO definiert die qualifizierte elektronische Signatur als „eine fortgeschrittene elektronische Signatur, die von einer qualifizierten elektronischen Signaturerstellungseinheit erstellt wurde und auf einem qualifizierten Zertifikat für elektronische Signaturen beruht.

Die in der Verordnung festgehaltene Definition wirft zunächst mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Einzelheiten ergeben sich erst aus den weiterführenden Definitionen und Anlagen der eIDAS-VO, die die technischen Voraussetzungen ausführlich beschreiben.

Für den Endnutzer wird es in der Regel nicht relevant sein, wie die technischen Voraussetzungen an die qualifizierte elektronische Signatur im Detail aussehen, solange sie erfüllt werden. Es gibt bereits einige Anbieter auf dem Markt, die eine qualifizierte elektronische Signatur und die notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellen. Die Nutzung eines solchen Dienstes ist anzuraten, da in den wenigsten Fällen das technische „Know-how“ unternehmensintern vorhanden sein wird.

Grundsatz: Formfreiheit

Arbeitsverträge unterliegen im Grundsatz keinem Formerfordernis, können also formfrei abgeschlossen werden. Es steht den Vertragsparteien frei, sich auf die gewünschte Form (mündlich, Textform, Schriftform, elektronische Form unter Nutzung einer beliebigen Signaturform) zu verständigen. Selbiges gilt für ergänzende Vereinbarungen oder Vertragsänderungen.

Allein das Nachweisgesetz normiert, dass die wesentlichen Vertragsbedingungen spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses schriftlich festgehalten und dem Arbeitnehmer ausgehändigt werden müssen, § 2 Abs. 1 NachwG. Die elektronische Form ist ausdrücklich ausgeschlossen, § 2 Abs. 1 S. 3 NachwG. Ein Verstoß gegen das Nachweisgesetz führt zwar nicht zur Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags, aber gegebenenfalls zu Schadensersatzansprüche (z. B. bei Verfall etwaiger Ansprüche aufgrund einer „unbekannten“ Ausschlussfrist).

Der europäische Gesetzgeber hat die Notwendigkeit einer digitalen Lösung bereits erkannt. In der Richtlinie (EU) 2019/1152 über transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen ist in Art. 3 festgehalten, dass der Nachweis über die wesentlichen Arbeitsbedingungen zukünftig auch in elektronischer Form übermittelt werden kann, sofern die Informationen dem Arbeitnehmer zugänglich sind, gespeichert und ausgedruckt werden können und der Arbeitgeber einen Übermittlungs- und Empfangsnachweis erhält. Eine Umsetzung der Richtlinie im nationalen Recht muss bis August 2022 erfolgen.

Schriftformerfordernis bei Befristungsabreden

Eine Ausnahme von der Formfreiheit normiert § 14 Abs. 4 TzBfG für die Befristung von Arbeitsverhältnissen. Eine wirksame Befristung setzt die Einhaltung der Schriftform voraus. Es fehlt an einem ausdrücklichen Ausschluss der elektronischen Form, was die Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur als tauglichen Ersatz der eigenhändigen Unterschrift nach ganz herrschender Meinung der Literatur zulässt.

Neben dem Schriftformerfordernis „klassischer“ befristeter Arbeitsverträge wird oftmals übersehen, dass auch die in „unbefristeten“ Arbeitsverträgen überwiegend enthaltene Altersbefristung für ihre wirksame Vereinbarung der Schriftform bedarf.

Das Bundesarbeitsgericht stellte mit Urteil vom 25.10.2017 (Aktenzeichen: 7 AZR 632/15) klar, dass das Schriftformerfordernis nach § 14 Abs. 4 TzBfG ebenfalls für die Vereinbarung der Altersbefristung besteht. Denn nur so sei gewährleistet, dass neben der Warnfunktion auch die Beweisfunktion der Schriftform zum Tragen komme. Für eine teleologische Reduktion bestehe aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Norm kein Raum.

Eine Ausnahme von dem Schriftformerfordernis könne nur in den Fällen gemacht werden, in denen das Arbeitsverhältnis einem insgesamt einschlägigen Tarifvertrag unterfalle, der eine Befristung auf den Eintritt des Rentenalters vorsehe (BAG, Urteil vom 23.07.2014 – 7 AZR 771/12). Denn die einem Tarif­vertrag zukommende Ausgewogenheit mache insbe­son­de­­­­re die Warnfunktion des Schriftformerfordernisses entbehrlich, sofern der Tarifvertrag insgesamt aufgrund Allgemeinverbind­lichkeitserklärung, Tarifgebundenheit oder arbeitsvertragliche Bezugnahme Anwendung finde.

Im Ergebnis reicht folglich die Nutzung einer einfachen oder fortgeschrittenen elektronischen Signatur zur wirksamen Befristung eines Arbeitsverhältnisses in der Regel nicht aus. Soll die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden, sind der befristete Arbeitsvertrag oder der „unbefristete“ Arbeitsvertrag mit einer Klausel zur Altersbefristung mittels qualifizierter elektronischer Signatur zu signieren.

Rechtsprechung

Insbesondere höchstrichterliche Rechtsprechung zu den Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur sucht man bisher vergeblich. Mit der verstärkten Nutzung elektronischer Signaturen im Rechtsverkehr allgemein und bei dem Abschluss von Arbeitsverträgen im speziellen, ist jedoch zu erwarten, dass sich die Rechtsprechung in naher Zukunft mit den bisher ungeklärten Fragen im Zusammenhang mit der Nutzung elektronischer Signaturen befassen muss.

Kürzlich entschied das Arbeitsgericht Berlin (Urteil vom 28.09.2021, Az. 36 Ca 15296/20), dass ein von beiden Seiten in elektronischer Form unterzeichneter befristeter Arbeitsvertrag jedenfalls dann nicht den Formerfordernissen genüge, wenn er nicht mittels qualifizierter elektronischer Signaturen signiert wurde. Der streitgegenständliche Arbeitsvertrag gilt deshalb als auf unbestimmte Zeit geschlossen.

In dem zugrundeliegenden Fall hatten der Arbeitnehmer und die Arbeitgeberin einen befristeten Arbeitsvertrag als Mechatroniker nicht durch eigenhändige Namensunterschrift auf dem Vertrag abgeschlossen, sondern unter Verwendung einer elektronischen Signatur. Die verwendete elektronische Signatur genügte laut dem Arbeitsgericht aber schon nicht dem Schriftformerfordernis. Auch wenn man annehme, dass eine qualifizierte elektronische Signatur im Sinne des § 126a BGB zur wirksamen Vereinbarung einer Befristung ausreichen würde, lag in dem zu entscheidenden Fall keine solche vor.

Das Arbeitsgericht Berlin führte aus, dass für eine qualifizierte elektronische Signatur eine Zertifizierung des genutzten Systems gemäß Art. 30 eIDAS-VO erforderlich sei. Eine solche Zertifizierung durch die gemäß § 17 Vertrauensdienstgesetz zuständige Bundesnetzagentur biete das verwendete System nicht. Entsprechend sei die Vereinbarung der Befristung schon mangels Einhaltung der Schriftform unwirksam.

Zu der grundsätzlichen Zulässigkeit der Nutzung einer qualifi­zier­ten elektronischen Signatur äußerte sich das Arbeitsgericht Berlin mangels Entscheidungserheblichkeit nicht abschließend, stellte jedoch klar, welche Mindestvoraussetzungen eine qualifizierte elektronische Signatur erfüllen muss, um die Schriftform ersetzen zu können.

Darüber hinaus sind derzeit zwölf Entfristungsklagen beim  Arbeitsgericht Berlin (Az. 20 Ca 8498/21; 20 Ca 8500/21 u. a.) anhängig. Die Arbeitnehmer des Lebensmittel-Lieferdienstes Gorillas machen geltend, dass die für die Wirksamkeit der Befristung ihrer in Kürze auslaufenden Arbeitsverträge erforderliche Schriftform durch die Nutzung des elektronischen Systems DocuSign nicht eingehalten worden sei. Sollte die Schriftform nicht gewahrt sein, hätte das die Unwirksamkeit der Befristung zur Folge und es wäre ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entstanden. Mit einer Entscheidung ist zu Beginn des Jahres 2022 zu rechnen, sollte es vorher nicht noch zu einer gütlichen Einigung zwischen den Parteien kommen.

Kombination aus Unterschrift und qualifizierter elektronischer Signatur

Eine Kombination einer händischen Unterschrift und einer elektronischer Signatur ist grundsätzlich zulässig, sofern ein gleichlautendes Dokument von einem Vertragspartner in Schriftform unterzeichnet und von dem anderen Vertragspartner qualifiziert elektronisch signiert wird. Die signierten Dokumente müssen den Vertragspartnern zugehen. Damit genügen beide Willenserklärungen jeweils für sich der notwendigen Form.

Schon der Gesetzgeber erkannte, dass diese Konstellation zwar grundsätzlich nicht dem Bedürfnis und so auch nicht der typischen Praxis des elektronischen Geschäftsverkehrs entspricht, da durch den Medienbruch die Vorteile einer elektronischen Willenserklärung verloren gingen. Im Einzelfall ist aber nicht auszuschließen, dass auf eine derartige „gespaltene Form“ beim Vertragsschluss zurückgegriffen werden muss, etwa wenn einer der Vertragsparteien wegen vorübergehender technischer Schwierigkeiten (z. B. an ihrer Hardware oder bei der elektronischen Übermittlung) eine Nutzung der elektronischen Signatur im Hinblick auf eine fristwahrende Erklärung nicht möglich wäre und sie daher auf die herkömmliche Schriftform und Übermittlung auf dem Postweg ausweichen müsste.

Chancen und Risiken in der Praxis

Solange der Arbeitsvertrag nur Klauseln enthält, die keinem Formerfordernis unterworfen sind, ist die elektronische Form unter Nutzung einer beliebigen Signaturart unbedenklich. Damit entfällt der Postweg und das Dokument kann direkt in der elektronischen Personalakte abgelegt werden, ohne es zuvor auszudrucken, zu unterschreiben und wieder einzuscannen. Der für den Vorgang notwendige Arbeitsaufwand und dabei anfallende Personalkosten werden reduziert. Nicht zuletzt werden Ressourcen und Zeit gespart und die Umwelt geschont. 

Sobald jedoch – auch nur für einzelne Klauseln des Arbeitsvertrags – die Schriftform gesetzlich vorgeschrieben ist, bleibt als einzige Alternative zur eigenhändigen Unterschrift die qualifizierte elektronische Signatur.

In der weit überwiegenden Anzahl der Fälle wird im Arbeitsvertrag eine Altersbefristung enthalten sein. Spätestens dann ist die Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur dringend anzuraten oder auf die händische Unterschrift zurückzugreifen. 

Zwar würde eine Signatur mit einer einfachen oder fortgeschrittenen elektronischen Signatur nicht zur Unwirksamkeit des Arbeitsvertrags in seiner Gesamtheit führen, jedoch wäre das Arbeitsverhältnis nicht wirksam auf den Eintritt in das Rentenalter befristet. Bei befristeten Verträgen führt ebenfalls kein Weg an der qualifizierten elektronischen Signatur vorbei, da andernfalls als Folge der Unwirksamkeit der Befristungsabrede ein unbefristetes Arbeitsverhältnis geschlossen wird.

Begehrt der Arbeitgeber sodann eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses, ist auf die üblichen Beendigungstatbestände (Kündigung, Aufhebungsvertrag) zurückzugreifen. Das führt in der Regel zu einem gesteigerten Kosten- und Personalaufwand. Verhandlungen mit dem betroffenen Arbeitnehmer kosten Zeit und münden in der Regel in einer Abfindungszahlung im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens oder durch eine entsprechende Vereinbarung im Aufhebungsvertrag.

Fazit

Durch das Einhalten der Formerfordernisse lässt sich die Unwirksamkeit von Befristungsabreden vermeiden. Soll die elektronische Form genutzt werden, ist die qualifizierte elektronische Signatur die rechtssicherste Variante. Sie allein kann die Schriftform ersetzen. Schnellen, unkomplizierten, medienbruchfreien – und vor allem wirksamen – Vertragsschlüssen steht sodann nichts mehr im Wege.

Autor

 

Kevin Brinkmann LL.M.

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg

 

Handlungsbedarf bei der Entgeltum­wandlung – Absinken der BBG in 2022

Warum zwei Euro pro Monat weniger ein Problem sein können

Absinken der BBG

Die Beitragsbemessungsgrenze (BBG) in der Rentenversicherung (West) wird in 2022 erstmals sinken und zwar von EUR 85.200 p. a. (2021) auf EUR 84.600 p. a. (2022). Das ist eine ungewöhnliche Situation, denn seit über 60 Jahren steigt sie jährlich an. Grund für das Absinken der BBG ist die in 2020 durch Corona rückgängige Bruttolohnentwicklung.

Bedeutung der BBG für die Entgeltumwandlung

Im Rahmen von Entgeltumwandlungen spielt die BBG in der Rentenversicherung eine große Rolle. Mehrere relevante Größen stehen in unmittelbaren Bezug zur BBG, wie die Höhe des Umwandlungsanspruchs (§ 1a BetrAVG) und die vom PSVaG in den ersten zwei Jahren der Entgeltumwandlung gesicherte Anwartschaft (§ 7 Abs. 5 BetrAVG), aber vor allem die Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit des Entgeltumwandlungsbetrages. Das umgewandelte Entgelt ist bis zu 8 % der BBG steuerfrei (das sind in 2021 EUR 568 mtl. und in 2022 werden es mit EUR 564 vier Euro mtl. weniger sein) und bis zu 4 % der BBG beitragsfrei (EUR 284 mtl. (2021) gegenüber EUR 282 mtl. (2021)).

Handlungsbedarf

Arbeitgeber sind gehalten zu prüfen, ob sie mit den Arbeitnehmern eine Änderung der zwischen ihnen bestehenden Entgeltumwandlungsvereinbarung treffen müssen. Ein solcher Anpassungsbedarf kann sich ergeben,

wenn tarifvertragliches Entgelt umgewandelt wird, der Tarifvertrag aber die Entgeltumwandlung begrenzt auf einen Prozentsatz (meist 4 %) der BBG. Bei Beibehaltung der bisherigen Höhe der Entgeltumwandlung droht, wenn die 4 % bisher vollständig ausgenutzt wurden, ein Rückforderungsanspruch des Arbeitnehmers in Höhe von 2 Euro mtl. Die Öffnungsklausel des Tarifvertrages zur Verwendung tariflichen Entgelts zur Entgeltumwandlung würde dann diesen Betrag nicht abdecken.

wenn eine Versteuerung und Verbeitragung des Beitrages vermieden werden soll, der 4 % bzw. 8 % der BBG 2022 übersteigt. Bei der Entscheidung ist zu bedenken, dass sich bei einer Beibehaltung des bisherigen Beitrages auch Änderungen für die Versteuerung und Verbeitragung der späteren Versorgungsleistung ergeben, soweit diese auf den überschießenden Beiträgen beruhen.

wenn bei einem versicherungsförmigen Durchführungsweg der Beitrag nach dem Versicherungsvertrag an die BBG gekoppelt ist. Dann sinkt der Beitrag automatisch ab, was sich auf der arbeitsrechtlichen Ebene entsprechend widerspiegeln muss.

um den Arbeitgeberzuschuss von 15 % (§ 1a Abs. 1a BetrAVG) an eine abgesenkte Entgeltumwandlung bzw. die sinkende SV-Ersparnis anzupassen.

Gern unterstützen wir Sie bei der Feststellung des konkreten Handlungsbedarfs und der Umsetzung notwendiger Änderungsmaßnahmen.

Dr. Annekatrin Veit

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
München

Anspruch eines schwerbehinderten Arbeitnehmers auf Freistellung von als Rufbereitschaft angeordneten Bereitschaftszeiten

Schwerbehinderte Arbeitnehmer können die Ableistung von Bereitschaftsdiensten verweigern, wenn diese mit Mehrarbeit verbunden sind. Der Begriff der Mehrarbeit aus § 207 SGB IX ist nach dem BAG als jede über werktäglich acht Stunden gem. § 3 S. 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit zu verstehen.

BAG, Urteil vom 27.07.2021 – 9 AZR 448/20

Der Fall

Die Parteien streiten um eine Befreiung von als Rufbereitschaft angeordneten Bereitschaftszeiten aufgrund einer Schwerbehinderteneigenschaft. Der Kläger ist bei der Beklagten, einer Verbandsgemeinde, als Wassermeister mit einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von 39 Stunden, verteilt auf fünf Tage, beschäftigt. Er ist einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt. Der Beklagten obliegt u. a. die Aufrechterhaltung der Trinkwasserversorgung. Auf der Grundlage des TVöD-V und aufgrund einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung bestehen bei der Beklagten Bereitschaftsdienste, die als Rufbereitschaft angeordnet werden. Der Kläger will sich auf ärztliche Empfehlung von diesen Bereitschaftszeiten befreien lassen und stellt hierzu Freistellungsanträge. Die Beklagte kommt der Befreiung nur teilweise nach.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger im Hauptantrag die Feststellung der vollständigen Befreiung von jeglichen Bereitschaftsdiensten und mit zwei Hilfsanträgen die Feststellung der Befreiung von Bereitschaftsdiensten, zum einen im Anschluss an die tägliche Arbeitszeit vom montags 07.15 Uhr bis freitags 14.45 Uhr und zum anderen von Bereitschaftsdiensten an Sonntagen. Er ist der Auffassung, die Bereitschaftsdienste seien durchgehend als Arbeitszeit zu qualifizieren.

Die Entscheidung

Nachdem die Vorinstanzen die Klage abgewiesen haben, führt die in Bezug auf die Hilfsanträge erfolgreiche Revision zu einer Zurückverweisung an das LAG.

Der Kläger unterliegt mit seinem Hauptantrag, feststellen zu lassen von jeder Form von Bereitschaftsdiensten freigestellt zu werden. Die Möglichkeit der Anordnung von Bereitschaftsdienst wird für schwerbehinderte Arbeitnehmer durch § 207 SGB IX eingeschränkt, der gemäß § 151 Abs. 3 SGB IX auch für schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Arbeitnehmer gilt. Die Vorschrift räumt einem schwerbehinderten Arbeitnehmer die Möglichkeit ein, auf Verlangen von Mehrarbeit freigestellt zu werden. Das BAG greift für den Begriff der Mehrarbeit i.S.v. § 207 SGB IX auf das zu § 3 S. 1 ArbZG bestehende Verständnis von Mehrarbeit zurück. Mehrarbeit liegt demnach vor, wenn mehr als acht Stunden täglich gearbeitet wird. Das ArbZG geht von einer Sechstagewoche aus. Da der Kläger in einer Fünftagewoche arbeitet, wäre auch die Anordnung eines Bereitschaftsdienstes an einem sechsten Tag im Umfang von acht Stunden denkbar. Der Hauptantrag umfasst als Globalantrag auch diesen potentiell zulässigen Umfang von Bereitschaftsdiensten und unterliegt daher der Abweisung.

Als weitere Beschränkung der Anordnung von Bereitschaftsdiensten für schwerbehinderte Arbeitnehmer prüft und verneint das BAG § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 4 SGB IX. Durch diese Vorschrift kann im Rahmen des Anspruchs auf eine behinderungsgerechte Gestaltung der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit eine Befreiung von Bereitschaftsdiensten infrage kommen. Dazu hätte der Kläger allerdings nach allgemeinen Grundsätzen darlegen und beweisen müssen, dass er aufgrund seiner Einschränkungen nicht in der Lage ist, die Bereitschaftsdienste zu leisten. Der Kläger hat insoweit nicht vorgetragen, inwieweit er auch angesichts der von der Beklagten zugesagten Unterstützung durch andere Mitarbeiter nicht imstande ist, die angeordneten Bereitschaftsdienste als besondere Form der Arbeit zu erbringen. 

Für die rechtliche Bewertung der Hilfsanträge des Klägers kommt es entscheidend darauf an, ob die als Rufbereitschaft angeordneten Bereitschaftsdienste insgesamt als Arbeitszeit anzusehen sind. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Bereitschaftsdiensten, die unabhängig eines tatsächlichen Arbeitseinsatzes arbeitsrechtlich als Arbeitszeit bewertet werden und Rufbereitschaft, bei der nur die Zeiten der Inanspruchnahme als Arbeitszeit gilt. Bei regulären Bereitschaftsdiensten muss der Arbeitnehmer sofort seine Arbeit aufnehmen und unterliegt daher aufenthaltsbeschränkenden Vorgaben, wohingegen bei Rufbereitschaft der Aufenthaltsort frei gewählt werden kann und es dem Arbeitnehmer so möglich ist, sich seinen eigenen Interessen zu widmen. Nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 09.03.2021 – C-344/19, „Radiotelevizija Slovenija“) ist mit dem Wesen der Rufbereitschaft unvereinbar, wenn diese freie Zeitgestaltung erheblich beeinträchtigt wird. Dies ist etwa dann der Fall, wenn nur eine kurze Reaktionszeit zur Arbeitsaufnahme vorgegeben ist oder eine übermäßig häufige Inanspruchnahme erfolgt. Das BAG bemängelt eine unzureichende tatrichterliche Würdigung dieser Aspekte durch das LAG und verweist den Fall zurück, um die hierzu erforderlichen Feststellungen nachholen zu lassen.

Unser Kommentar

Die Anordnung von Bereitschaftsdiensten ist gegenüber schwerbehinderten Arbeitnehmern nur in sehr engen Grenzen möglich, wie diese Entscheidung aufzeigt. Eine wesentliche Beschränkung stellt dabei § 207 SGB IX dar, der für schwerbehinderte Arbeitnehmer die Möglichkeit einer Freistellung von Mehrarbeit eröffnet. Nach der inzwischen gefestigten Rechtsprechung des BAG liegt Mehrarbeit im Sinne des Schwerbehindertenrechts dann vor, wenn die gesetzliche Regelarbeitszeit des ArbZG von acht Stunden pro Werktag überschritten wird. Kritisiert wird diese starre Auslegung vereinzelt sowohl aus Arbeitnehmer- als auch aus Arbeitgeberperspektive. Aus Arbeitnehmersicht kann kritisiert werden, dass die Überschreitung der regelmäßigen tariflichen oder einzelvertraglichen Arbeitszeit unerheblich ist und somit z. B. Teilzeitbeschäftigte in größerem Umfang zu Bereitschaftsdiensten herangezogen werden können. Aus Arbeitgebersicht wird eine mangelnde Flexibilität durch die Anknüpfung an die regelmäßige Arbeitszeit von acht Stunden kritisiert. Letztlich ist die Einordnung von Mehrarbeit durch das BAG aber zu begrüßen, da sie für klare Verhältnisse sorgt.

Neben der nicht neuen Einordnung des Begriffs der Mehrarbeit in § 207 SGB IX ist die Entscheidung auch deshalb interessant, weil sie sich mit der Abgrenzung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdiensten beschäftigt. Für eine Beurteilung der Hilfsanträge des Klägers ist es von maßgeblicher Bedeutung, ob die als Rufbereitschaft angeordneten Bereitschaftsdienste tatsächlich Rufbereitschaft sind. Zu den maßgeblichen Abgrenzungskriterien hat der EuGH in der Rechtssache „Radiotelevizija Slovenija“ jüngst Stellung bezogen. Das BAG nutzt die Gelegenheit und rekurriert die Grundsätze des EuGH zur Abgrenzung von Rufbereitschaft und Bereitschaftszeit. Die Anwendung dieser Grundsätze bleibt in diesem Fall jedoch der letzten Tatsacheninstanz vorbehalten, da dem BAG für eine abschließende Entscheidung die hierfür notwendigen Sachverhaltsangaben fehlen.

 

Lukas Beismann

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hannover

Mindestlohn für ausländische Betreuungskräfte in Privathaushalten

Nach Deutschland in einen Privathaushalt entsandte ausländische Betreuungskräfte haben Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für Bereitschaftsdienstzeiten.

BAG, Urteil vom 24.06.2021 – 5 AZR 505/20

Der Fall

Die Klägerin ist eine in Bulgarien wohnhafte bulgarische Staatsbürgerin, die von der Beklagten – einem Unternehmen mit Sitz in Bulgarien – als „Sozialassistentin“ mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden auf Grundlage eines bulgarischen Arbeitsvertrags angestellt war, wobei das Wochenende arbeitsfrei sein sollte. Die Klägerin begehrt vom beklagten Arbeitgeber Differenzvergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns für Zeiten jenseits der vertraglich vereinbarten Wochenstunden, in denen sie tatsächlich Arbeit leistete oder sich zur Arbeitsleistung bereithalten musste. Ihr Einsatz erfolgte bei einer über 90-jährigen Person in Berlin, in deren Haushalt die Klägerin auch ein Zimmer bewohnte. Der Einsatz erfolgte im Rahmen eines Dienstleistungsvertrags zwischen der Beklagten und der zu betreuenden Person, der als Einsatz ausdrücklich „24 Stunden Betreuung/Pflege“ vorsah. Gegenstand dieses Dienstvertrags waren Betreuungsleistungen im Haushalt der zu betreuenden Person, die sowohl Haushaltstätigkeiten als auch allgemeine Hilfestellungen (Ankleiden, Körperhygiene, etc.) und soziale Aufgaben umfassten.

Die Klägerin behauptete, sie habe 24 Stunden am Tag arbeiten oder sich zumindest für Arbeit – insbesondere nachts – bereithalten müssen. Die Beklagte behauptete, alle Aufgaben hätten im Rahmen der vereinbarten 30 Wochenstunden erbracht werden können und ein Bereitschaftsdienst sei weder vereinbart noch seitens der Beklagten angeordnet gewesen.

Das Landgericht hatte der Klage überwiegend stattgegeben und den Großteil der beantragten knapp EUR 43.000,00 zugesprochen. Zugrunde lag eine gerichtliche Schätzung der Arbeitszeit im Umfang von 21 Stunden pro Arbeitstag.

Die Entscheidung

Auf die Revision der Beklagten und die Anschlussrevision der Klägerin hob das BAG die Entscheidung des LAG auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurück. Das BAG stellte fest, dass die Klage dem Grunde nach begründet sei, lediglich die Höhe des tatsächlich geleisteten und vergütungspflichtigen Bereitschaftsdienstes nicht feststellbar sei.

Zunächst stellte das BAG die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach § 15 Satz 1 AEntG fest, da nach Deutschland entsendete Arbeitnehmer auch vor deutschen Gerichten Klage erheben können.

Auch sei das deutsche Mindestlohngesetz gem. §§ 1 Abs. 1, 20 MiLoG selbst dann anwendbar, wenn die Arbeitsvertragsparteien eine Rechtswahl zugunsten des Rechts eines anderen Staats (hier Bulgarien) vereinbart hatten. Gem. § 20 MiLoG erfasst die Mindestlohnpflicht ausdrücklich auch Arbeitgeber mit Sitz im Ausland. Überdies sind die Regelungen des MiLoG jedenfalls Eingriffsnormen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Rom I-VO, die unabhängig von der getroffenen Rechtswahl gelten.

Ein Anspruch auf Differenzvergütung bestehe nur, wenn der Arbeitnehmer für die geleisteten Arbeitsstunden in der Abrechnungsperiode im Ergebnis nicht mindestens den in § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG vorgesehenen Bruttolohn erhält. Es sei deshalb erforderlich, für jeden Kalendermonat ein konkret beziffertes Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns darzulegen, sodass eine bloße Durchschnittsangabe der tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden nicht ausreiche. Zwar könne das erkennende Gericht die Arbeitszeit gem. § 287 ZPO schätzen – hierfür bedürfe es einer erheblichen, auf gesicherter Grundlage beruhenden Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugungsbildung. An entsprechenden in der Berufungsinstanz festgestellten Tatsachen fehlte es vorliegend.

In Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung sowie der Rechtsprechung des EuGH führte das BAG weiter aus, dass Zeiten des Bereitschaftsdiensts Arbeitszeiten seien und eine Vergütung mindestens auf Mindestlohnniveau nach sich ziehen. Bereitschaftszeit bezeichnet dabei Zeiten, in denen der Arbeitnehmer sich an einem vom Arbeitgeber bestimmten Ort bereithalten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit von sich aus oder auf Anforderung aufzunehmen. Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst sind nicht nur arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit, sondern nach inländischem Recht vergütungspflichtige Arbeit. Das BAG sieht starke Anhaltspunkte dafür, dass Bereitschaftsdienst zumindest konkludent von der Beklagten angeordnet wurde – und dementsprechend vergütungspflichtig sein wird. Den genauen Umfang der geleisteten (Bereitschafts-)Arbeitszeit konnte das BAG jedoch nicht selbst feststellen, sodass es in dieser Frage an das Landesarbeitsgericht zurückverwies.

Unser Kommentar

Das BAG bleibt seiner bisherigen Rechtsprechung treu und legt den Finger in eine Wunde, auf welche seit Einführung des gesetzlichen Mindestlohns hingewiesen wurde. In einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft mit steigendem Pflegebedarf stellt die Entscheidung des BAG die wirtschaftliche Tragfähigkeit der Pflege in den eigenen vier Wänden auf eine harte Probe und wurde bisweilen gar als „Armageddon“ für dieses Pflegemodell bezeichnet.

Eine Eingrenzung dieser Vergütungsmehrkosten wird dennoch auf sich warten lassen: Bereitschaftsdienst kann zwar anerkanntermaßen mit geringerem Entgelt als Vollarbeit entlohnt werden – eine solche Differenzierung bedarf jedoch des Tätigwerdens des Gesetzgebers und kann nicht durch die Gerichte vorgenommen werden. Auch ist vollkommen offen, ob eine solche Differenzierung durch den Gesetzgeber – wie sie in § 2 Abs. 6 PflegeArbbV in Pflegebetrieben bereits existiert – den gesetzlichen Mindestlohn gem. § 1 Abs. 1 MiLoG unterschreiten würde. Eine Eingrenzung des Vergütungsrisikos durch vertragliche Gestaltungen scheitert jedenfalls an § 3 Satz 1 MiLoG.

Einzig die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers kommt hier als Rettungsanker in Betracht: Die Überzeugungsbildung des Gerichts muss auf hinreichender – unstrittiger oder bewiesener – Tatsachengrundlage beruhen. Nur sorgfältige Arbeitnehmer werden eine substantiierte Darlegung ihrer geleisteten (Mehr)Arbeits- und Bereitschaftszeiten leisten können. Das ist freilich keine Verteidigungslinie, auf die sich bauen lässt.

Dr. Christoph Corzelius

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Köln

Abmahnung eines Redakteurs bei Verletzung der Anzeigepflicht einer Nebentätigkeit

Die Verletzung der Pflicht zur Anzeige einer Nebentätigkeit kann eine Abmahnung rechtfertigen. Dies gilt auch im Falle von angestellten Zeitungsredakteuren, wie die sorgfältig begründete Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts unter Berücksichtigung der Grundrechte der Parteien des Arbeitsverhältnisses aufzeigt.

BAG, Urteil vom 15.06.2021 – Az. 9 AZR 413/19

Der Fall

Der seit vielen Jahren als Redakteur bei der beklagten Zeitschrift beschäftigte Kläger nahm im Rahmen einer Dienstreise an der Standorteröffnung eines deutschen Unternehmens in den USA teil, über die er für die Beklagte berichten sollte. Die Beklagte veröffentlichte im September 2017 den Beitrag des Klägers in einer gekürzten Fassung. In der gekürzten Fassung nicht mehr enthalten war eine den Kläger selbst betreffende Passage, in der er ein Vorkommnis am abendlichen Buffet zwischen der ausrichtenden Unternehmerin und ihm selbst schilderte. Der Kläger beschrieb, dass die Unternehmerin ihm im Beisein anderer Redakteure anderer Zeitschriften in die Hüfte gekniffen habe, nachdem er geäußert hatte, nichts essen zu wollen, da er „genug Speck über’m Gürtel“ habe.

Im Dezember 2017 fragte der Kläger seinen Chefredakteur, ob der ungekürzte Beitrag nicht im Rahmen der „#MeToo-Debatte“ von der Beklagten veröffentlicht werden könne. Der Chefredakteur lehnte dies ab. Der Chefredakteur wies den Kläger zudem mit Blick auf dessen Ankündigung, den Artikel anderweitig veröffentlichen zu wollen, auf das tarifliche und arbeitsvertragliche Konkurrenzverbot hin und forderte den Kläger auf, Rücksprache mit dem Leiter Personal und Recht bei der Beklagten zu halten.

Hiervon unbeeindruckt veröffentlichte der Kläger im März 2018 – ohne die Beklagte hierüber vorab unterrichtet zu haben – in einer überregionalen Tageszeitung einen Beitrag mit dem Titel „Ran an den Speck“ über den Vorfall am Buffet, ohne jedoch Zeit und Ort des Geschehens oder den Namen der Unternehmerin zu benennen. Der Beitrag war mit dem Hinweis versehen, dass der Kläger regelmäßig als Journalist über Wirtschaftsthemen berichtet. Wie der Kläger selbst einräumte, war es Interessierten mit diesen Angaben jedoch unschwer möglich, den konkreten Vorfall im Internet zu recherchieren.

Unter dem 14. März 2018 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung. Mit der Abmahnung rügte die Beklagte die ohne schriftliche Einwilligung der Chefredaktion erfolgte Veröffentlichung und drohte für den Wiederholungsfall die Kündigung des Arbeitsverhältnisses an.

Mit seiner Klage begehrte der Kläger die Entfernung dieser Abmahnung aus seiner Personalakte. Der Kläger argumentierte, dass der Erlaubnisvorbehalt für anderweitige Veröffentlichungen ihn in seinen Grundrechten verletze. Ferner sei es nicht erforderlich gewesen, die Einwilligung der Chefredaktion einzuholen, da der Chefredakteur die Veröffentlichung bereits endgültig abgelehnt hatte und es ihm aus zeitlichen Gründen nicht zumutbar gewesen sei, die Einwilligung einzuklagen. Jedenfalls aber sei die Abmahnung angesichts der langjährigen und störungsfreien Dauer des Arbeitsverhältnisses unverhältnismäßig.

Die Entscheidung

Der Kläger unterlag sowohl vor dem Arbeits- als auch dem Landesarbeitsgericht. Seine hiergegen gerichtete Revision hatte ebenfalls keinen Erfolg.

Das von der Beklagten beanstandete Verhalten des Klägers als solches stand zwischen den Parteien außer Streit. Zu entscheiden war lediglich, ob die Abmahnung auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung seitens der Beklagten beruhte und / oder ob die Abmahnung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzte. Nach Auffassung aller Instanzen ist beides nicht der Fall.

Das BAG leitet zunächst her, dass der Kläger mit seiner eigenmächtigen Veröffentlichung eine ihm bei seiner Tätigkeit für die Beklagte bekannt gewordene Nachricht anderweitig verwertete. Dass der Kläger selbst Teil des geschilderten Vorfalls war, ändert hieran nichts. Dies zugrunde gelegt, war der Kläger zur Einholung der schriftlichen Einwilligung der Beklagten vor der beabsichtigten anderweitigen Veröffentlichung verpflichtet. Zwar steht dem Kläger außerhalb seiner Arbeitszeit die Verwendung seiner Arbeitskraft grundsätzlich frei, er darf dabei jedoch nicht gegen sein vertragliches Wettbewerbsverbot verstoßen und insbesondere nicht Wettbewerber der Beklagten unterstützen. Regelmäßig überwiegt daher das Interesse der Beklagten daran, den Kläger an der Unterstützung von Wettbewerbern durch die Veröffentlichung von Gastbeiträgen zu hindern, wenn in dem Gastbeitrag Nachrichten verwertet werden, die dem Kläger bei seiner Tätigkeit für die Beklagte bekannt geworden sind. Dabei kommt der vorherigen Anzeigepflicht – auch unter Berücksichtigung der Grundrechte des Klägers (hier waren sein Persönlichkeitsrecht und die Pressefreiheit betroffen) – eine entscheidende Bedeutung zu, da die Beklagte erst durch die vorherige Anzeigepflicht in die Lage versetzt wird zu prüfen, ob die beabsichtigte Veröffentlichung ihren Interessen widerspricht und ob sie ihre rechtlichen Möglichkeiten, die Veröffentlichung zu verhindern, ausschöpfen möchte.

Darauf, ob der Kläger bei objektiver Betrachtung einen Anspruch auf Erteilung der Einwilligung gehabt hätte, kommt es regelmäßig nicht an, sofern nicht ausnahmsweise unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ein besonders gesteigertes Interesse an der Verwertung der Nachricht besteht. Da die Anzeigepflicht somit nicht – wie der Kläger meinte – eine „bloße Förmelei“ war, sondern sich der Kläger trotz Hinweises des Chefredakteurs bewusst über die Anzeigepflicht hinwegsetzte, war die Abmahnung auch verhältnismäßig. Die Beklagte war berechtigt, den Kläger abzumahnen und auf diese Weise deutlich zu machen, dass sie gleichartige Pflichtverletzungen nicht hinnehmen werde.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des BAG überzeugt. Nebentätigkeitsverbote sind in der Regel mit einem Erlaubnisvorbehalt versehen und bestehen damit aus zwei separaten Komponenten. Es ist zum einen zu prüfen, ob die Nebentätigkeit als solche aufgrund von überwiegenden Interessen des Arbeitgebers versagt werden kann. Zum anderen unterliegt der Arbeitnehmer bei einem Erlaubnisvorbehalt einer vorherigen Anzeigepflicht, deren Verletzung bereits für sich genommen eine Abmahnung – und im Wiederholungsfall ggf. auch eine Kündigung – rechtfertigen kann. Wird diese Anzeigepflicht durch den Arbeitnehmer verletzt, setzt er sich in der Praxis häufig mit der Argumentation gegen die Abmahnung des Arbeitgebers zur Wehr, dass die Nebentätigkeitserlaubnis bei objektiver Betrachtung ohnehin hätte erteilt werden müsse und daher bloße Förmelei sei. Angesichts der Entscheidung des BAG wird diese Strategie regelmäßig zum Scheitern verurteilt sein, selbst wenn der Arbeitnehmer – wie hier – gewichtige betroffene Grundrechte ins Feld führen kann.

Joschka Pietzsch

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg

Umkleide- und innerbetriebliche Wegzeiten als vergütungspflichtige Arbeitszeit

BAG, Urteil vom 21.07.2021 – 5 AZR 110/21

Grundsätzlich handelt es sich bei Umkleide- und innerbetrieblichen Wegzeiten um Arbeitszeit, so dass ein Vergütungsanspruch besteht. Allerdings können tarifvertragliche Regelungen – wie im vorliegenden Fall – abweichende Regelungen vorsehen, so dass seitens des Arbeitnehmers kein Vergütungsanspruch besteht.

Der Fall

Der Kläger ist bei der Beklagten, die in mehreren Werken in Deutschland Kraftfahrzeuge produziert, in einem Presswerk in Niedersachsen als Werkzeugmechaniker beschäftigt. Er ist Mitglied der Gewerkschaft IG Metall. Der Kläger ist verpflichtet, vor Arbeitsantritt eine auffällige und umfangreiche persönliche Schutzausrüstung, d. h. spezielle Kleidung, anzulegen. Zu diesem Zweck muss er innerhalb des Betriebes Wegstrecken zu den Umkleideräumen und Spinden zurücklegen. Diese Umkleide- und Wegzeiten werden außerhalb der eigentlichen Arbeitszeit zurückgelegt und von der Beklagten nicht vergütet.

Gemäß § 12 des zwischen der Beklagten und der IG Metall abgeschlossenen Manteltarifvertrags wird geleistete Arbeit und Arbeitsbereitschaft bezahlt, es sei denn, dass durch Tarifverträge andere Regelungen getroffen sind. In § 28 des vorgenannten Tarifvertrages ist geregelt, dass Beschäftigte, die besonders schmutzige Arbeiten verrichten,täglich eine bezahlte Waschzeit bis zu 20 Minuten erhalten, die innerhalb der Arbeitszeit liegt.

Der Kläger begehrte u. a. die Vergütung der Umkleide- und innerbetrieblichen Wegzeiten, hilfsweise die bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht für die Dauer der Umkleide- und Wegzeiten. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab.

Die Entscheidung

Die Revision des Klägers hatte ebenfalls keinen Erfolg. Das BAG kam zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf Vergütung von Umkleide- und innerbetrieblichen Wegzeiten durch den Tarifvertrag ausgeschlossen sei. Zwar handele es sich bei Umkleide- und damit verbundenen innerbetrieblichen Wegzeiten grundsätzlich um vergütungspflichtige Arbeitszeit i.S.d. § 611a Abs. 2 BGB, allerdings könne durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche Tätigkeit – und damit auch für Umkleide- und Wegezeiten – getroffen werden. Genau eine solche abweichende Vergütungsregelung sei im vorliegenden Fall durch die Regelungen in § 12 und § 28 des Tarifvertrages getroffen worden. Bereits der Wortlaut in § 12 des Tarifvertrages, welcher den Begriff der „geleisteten Arbeit“ verwende, lege nahe, dass dieser beschränkt auf die konkrete Tätigkeit des jeweiligen Arbeitnehmers zu verstehen sei. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang folge sodann, dass die Parteien des Tarifvertrages eine Vergütungspflicht für Zusammenhangtätigkeiten wie Umkleiden oder das Zurücklegen von innerbetrieblichen Wegen nicht unter den Begriff der „geleisteten Arbeit“ fassen und mithin eine Vergütung hierfür ausschließen wollten. Dies zeige sich anhand der Regelung in § 28.2 des Tarifvertrages, nach welcher Arbeitnehmer, die besonders schmutzige Tätigkeiten erbringen, eine innerhalb ihrer Arbeitszeit liegende Waschzeit gewährt bekommen, deren konkrete Dauer sich nach der Art der Tätigkeit bemisst. Da nur für diese eine nicht wertschöpfende Tätigkeit des Waschens eine Vergütungspflicht im Tarifvertrag bestimmt werde, nicht aber für andere Tätigkeiten, die mit der unmittelbaren Arbeit in einem inhaltlichen Zusammenhang stehen, zeige, dass die Tarifvertragsparteien für das Anlegen der persönlichen Schutzkleidung und das Zurücklegen der hierfür notwendigen innerbetrieblichen Wegstrecken gerade keine Vergütungspflicht vereinbaren wollten.

Der tarifliche Vergütungsausschluss für das Anlegen der persönlichen Schutzkleidung verstoße auch nicht gegen § 3 Abs. 3 ArbSchG. Diese Norm verbietet es dem Arbeitgeber, die Kosten für Maßnahmen des Arbeitsschutzes auf den Arbeitnehmer abzuwälzen. Selbst wenn man unterstelle, dass das An- und Ablegen der persönlichen Schutzkleidung sowie die damit verbundenen innerbetrieblichen Wegzeiten eine Maßnahme des Arbeitsschutzes darstelle, würden dem Arbeitnehmer hierdurch keine Kosten auferlegt. Unter dem Begriff der „Kosten“ seien nur Aufwendungen für Sachmittel zu fassen, jedoch nicht zeitliche Dispositionen des Arbeitnehmers. Auch das Unionsrecht verlange kein anderes Verständnis, da auch der unionsrechtliche Kostenbegriff nicht die Vergütung von Arbeitszeiten erfasse, die erforderlich sind, um die Arbeitsschutzmittel anzuwenden.

Da tarifvertraglich ein Anspruch auf Vergütung der Umkleide- und Wegzeiten ausgeschlossen sei, sei der Kläger hierfür auch nicht bezahlt freizustellen.

Unser Kommentar

Die Entscheidung des BAG ist gut begründet und nicht sonderlich überraschend. Das BAG bestätigt mit seiner Entscheidung zunächst seine ständige Rechtsprechung, nach welcher Umkleidezeiten für das Anlegen besonders auffälliger Arbeits- oder Schutzkleidung und dadurch veranlasste Wegezeiten grundsätzlich vergütungspflichtig sind, wenn keine abweichenden Regelungen in einem Tarif- oder Arbeitsvertrag getroffen sind. Kern dieser Rechtsprechung ist die „besonders auffällige“ Dienstkleidung. „Besonders auffällig“ ist nach der Rechtsprechung des BAG solche Dienstkleidung, die den Arbeitnehmer „im öffentlichen Raum ohne Weiteres als Mitarbeiter“ erkennbar werden lässt oder es ermöglicht, ihn einem bestimmten Berufszweig bzw. einer bestimmten Branche zuzuordnen. Kann die vorgeschriebene Dienstkleidung hingegen bereits zu Hause angelegt und – ohne besonders auffällig zu sein – auch auf dem Weg zur Arbeit getragen werden, besteht dagegen keine Vergütungspflicht. Dass im vorliegenden Fall die Tarifvertragsparteien eine Vergütungspflicht für das Anlegen der persönlichen Schutzkleidung und der im Zusammenhang stehenden Wegstrecken ausgeschlossen hatten, wurde durch das BAG durch überzeugende Auslegung des Wortlauts und der Systematik des Tarifvertrags begründet.

Nadine Ceruti

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Frankfurt a.M.

 

Berücksichtigung von Zuschlägen für Spät- und Nachtarbeit bei der tariflichen Alterssicherung

BAG, Urteil vom 24.06.2021 – 5 AZR 529/20

Bei der Berechnung des Alterssicherungsbetrages nach den Vorschriften des Manteltarifvertrages für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie in Nordwürttemberg/Nordbaden werden Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit nur berücksichtigt, wenn die den Zuschlägen zugrunde liegenden Arbeiten zu den regelmäßigen Arbeitsaufgaben des Arbeitnehmers gehören.

Der Fall

Die Parteien streiten über die Höhe eines tariflichen Alterssicherungsbetrages. Die Beklagte ist Zulieferin für die Automobilindustrie und Mitglied im Verband der Metall- und Elektroindustrie Baden-Württemberg e.V. Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1998 beschäftigt und nach den vertraglichen Vereinbarungen verpflichtet, seine Tätigkeit in Normalschicht und Schichtarbeit auszuüben. Im Übrigen gelten aufgrund arbeitsvertraglicher Bezugnahme die jeweiligen Tarifverträge für die Metallindustrie Nordwürttemberg und Nordbaden. Die Beklagte beschäftigte den Kläger zunächst in Schichtarbeit und zahlte ihm Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit. Der Kläger erlitt im Juli 2014 einen Arbeitsunfall, aufgrund dessen er bis zum 21. September 2014 arbeitsunfähig erkrankte. Seit der Wiederaufnahme seiner Tätigkeit beschäftigte die Beklagte den Kläger ausschließlich in Normalschicht. Der Kläger wurde lediglich im Rahmen einer Elternzeitvertretung in der Zeit vom 23. Februar 2017 bis zum 1. März 2018 und in den Zeiten 4. März bis 9. März 2018, 19. März bis 23. März 2018 und 15. April bis 20. April 2018 in der Spät- bzw. Nachtschicht vertretungsweise eingesetzt und hat die entsprechenden Zuschläge erhalten. Seit dem 1. Mai 2018 hat der Kläger Anspruch auf die tarifliche Verdienstsicherung, die Beschäftigen zusteht, die das 54. Lebensjahr vollendet haben. Die Beklagte errechnete einen Alterssicherungsbetrag, wobei sie Spät- und Nachtarbeitszuschläge nicht berücksichtigt hat. Zur Begründung berief sich die Beklagte auf die Regelung in § 6.4.1.1 des Manteltarifvertrages zum ERA-TV für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden, der wie folgt lautet: „Die den genannten Zuschlägen und Zulagen zugrunde liegenden Arbeiten müssen zu den regelmäßigen Arbeitsaufgaben des Beschäftigten gehören (z. B. Pförtner, Feuerwehrleute).“

Der Kläger hat nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung die Neuberechnung des Alterssicherungsbetrages unter Einbeziehung der Spät- und Nachtarbeitszuschläge mit seiner Klage verlangt. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das LAG hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den Alterssicherungsbetrag unter Einbeziehung der Spät- und Nachtarbeitszuschläge neu zu berechnen.

Die Entscheidung

Das BAG hat der Revision stattgegeben und entschieden, dass die Beklagte nicht verpflichtet gewesen ist, bei der Berechnung des Alterssicherungsbetrages die vom Kläger in den letzten 12 Kalendermonaten vor Beginn der Verdienstsicherung erzielten durchschnittlichen Zuschläge für Spät- und Nachtarbeit einzubeziehen. Grund hierfür sei, dass die den Zuschlägen zugrunde liegenden Arbeiten nicht zu den regelmäßigen Arbeitsaufgaben des Klägers gehört hätten. Aus dem Wortlaut der Vorschrift (§ 6.4.1.1) ergebe sich bereits, dass es sich um solche Aufgaben handeln müsse, die in gleichen Abständen, also sich wiederholend, anfallen. Der Kläger hätte also im Normalfall seine Arbeitsleistung in der Schichtarbeit erbringen müssen. Dieses Verständnis würde auch durch die in der Regelung genannten Beispiele der Pförtner und Feuerwehrleute gestützt. Diese verrichteten üblicherweise zulagen- und/oder zuschlagspflichtige Arbeiten, weil die Arbeitsaufgabe gewöhnlich im Schichtbetrieb zu erfüllen oder weil sie – wie bei Feuerwehrleuten – mit erschwerenden Umständen verbunden sei. Auch unter Zugrundelegung des Zwecks der Vorschrift, der darin bestehe, die Arbeitnehmer vor einem durch das altersbedingte Nachlassen ihrer körperlichen Kräfte verursachten Einkommensverlust zu schützen, gelange man zu keinem anderen Ergebnis. Der Kläger habe nicht erwarten können, dass die Spät- bzw. Nachtarbeitszuschläge bei der Alterssicherung berücksichtigt würden, da die Spät- und Nachtschichtarbeit nur in Ausnahmesituationen angefallen sei.

Auch die Tarifsystematik würde diese Auslegung stützen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass Zuschläge und Zulagen gemäß § 6.4.1.3 MTV ERA in den Alterssicherungsbetrag auch noch nach Beginn der Verdienstsicherung einbezogen werden könnten. Hierdurch würde lediglich sichergestellt, dass solche nach Beginn der Verdienstsicherung dauerhaft zu erfüllenden Arbeitsaufgaben berücksichtigt würden. Soweit das LAG aufgrund dieser Regelung darauf abgestellt habe, dass es der Arbeitgeber bei gleichbleibender Arbeitsaufgabe durch einseitige Bestimmung der Lage der Arbeitszeit in der Hand habe, in ggf. missbräuchlicher Weise Einfluss auf die Einbeziehung von Schichtzuschlägen in den Alterssicherungsbetrag zu nehmen, hat das BAG darauf hingewiesen, dass es sich um eine atypische Situation handele, für die vorliegend keine Anhaltspunkte vorlägen. Ein missbräuchliches Verhalten des Arbeitgebers sei vielmehr im konkreten Einzelfall zu prüfen.

Unser Kommentar

Der Entscheidung des BAG ist zuzustimmen. Wie das BAG zutreffend erläutert hat, ergibt sich dies sowohl aus dem Wortlaut der Regelung sowie aus dem Zweck der tariflichen Alterssicherung. Die tarifliche Alterssicherung soll sicherstellen, dass die Arbeitnehmer ihren bisherigen Lebensstandard weiterführen können, sie wird also als Mindestverdienst garantiert. Aufgrund dieses Zwecks können daher nur solche Zuschläge und Zulagen bei der Berechnung des Alterssicherungsbetrages berücksichtigt werden, auf deren Erhalt sich der Arbeitnehmer aufgrund seiner bisher erbrachten Arbeitsleistung berechtigterweise hat einstellen können. Dies trifft bei Zuschlägen für Nacht- und Spätschichtarbeit nur zu, wenn der Arbeitnehmer regelmäßig in den letzten 12 Monaten vor Beginn der Verdienstsicherung in der Nacht- bzw. Spätschicht gearbeitet hat. Allein der Umstand, dass Arbeitnehmer hierzu arbeitsvertraglich verpflichtet sind oder in Ausnahmefällen, z. B. beim Ausfall anderer Arbeitnehmer, vertretungsweise in der Nacht- oder Spätschicht ihre Arbeitsleistung erbringen, reicht dafür nicht aus. Anderenfalls würde die von den Tarifvertragsparteien vereinbarte Regelung leer laufen. Bei der Gestaltung von Tarifverträgen ist daher auf eine konsequente Ausgestaltung der Berücksichtigung von Zuschlägen und Zulagen im Rahmen der Alterssicherung zu achten.

Dr. Anna Mayr

Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg

Zugangsnachweis einer Kündigung bei Einwurf-Einschreiben

LAG Baden-Württemberg,
Urteil vom 28.07.2021 – AZ 4 Sa 68/20

Für den Zugang eines Einwurf-Einschreibens besteht ein Anscheinsbeweis, wenn neben dem Einlieferungsbeleg auch eine Kopie des Auslieferungsbeleges vorgelegt wird. Die Vorlage des bloßen Sendungsstatus ist für den Nachweis des Zugangs nicht ausreichend.

Entscheidungsgründe

Das LAG Baden-Württemberg hatte im Rahmen eines Kündigungsschutzverfahrens unter anderem darüber zu entscheiden, ob die Durchführung eines bEM-Verfahrens ordnungsgemäß eingeleitet worden ist.

Die langjährig beschäftigte Arbeitnehmerin war innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Die beklagte Arbeitgeberin nahm dies zum Anlass und leitete das in § 167 SGB IX geregelte betriebliche Eingliederungsmanagement ein, um künftig Arbeitsunfähigkeitszeiten zu vermeiden oder zumindest zu verringern. Eine von der Arbeitgeberin ausgesprochene krankheitsbedingte Kündigung folgte.

Im vorliegenden Fall war streitig, ob der klagenden Arbeitnehmerin eine Einladung zu einem Gespräch im Rahmen eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements zugegangen ist. Das Schreiben wurde als Einwurf-Einschreiben bei der Post aufgegeben. Aus dem Sendungsstatus ergibt sich die Zustellung des Schreibens. Ein Auslieferungsbeleg konnte nicht vorgelegt werden.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben, die hiergegen eingelegte Berufung der Arbeitgeberin blieb erfolglos. Die Kündigung erwiese sich jedenfalls im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung als nicht sozial gerechtfertigt. Die Beklagte habe trotz Notwendigkeit der Durchführung eines bEM ein solches nicht oder nicht ordnungsgemäß eingeleitet. Zwar betont das LAG in seiner Entscheidungsbegründung, dass die Durchführung des bEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung sei. § 84 II SGB IX konkretisiere jedoch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

Das LAG führte in seiner Entscheidung weiter aus, dass bei einem Einwurf-Einschreiben der Beweis des ersten Anscheins erbracht werden kann, wenn der Einlieferungsbeleg zusammen mit einer Kopie des Auslieferungsbelegs vorgelegt wird. In diesem Fall sprächen diese Belege dafür, dass die Sendung durch Einlegen in den Briefkasten bzw. das Postfach zugegangen ist, sofern das Verfahren zum Einwurf-Einschreiben eingehalten worden ist.

Etwas anderes gelte dann, wenn neben dem Einlieferungsbeleg nur ein Sendungsstatus vorgelegt werde. Aus dem Sendungsstatus ergebe sich nämlich weder der Name des Zustellers noch beinhalte er eine technische Reproduktion einer Urschrift des Zustellers, mit der dieser beurkundet, die Sendung eingeworfen zu haben.

Anwaltskosten im Berufungsverfahren – Zweckentsprechende Rechtsverfolgung

LAG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 08.09.2021 – AZ 26 Ta (Kost) 6166/21

Bei der Frage, ob aus Anlass eines Berufungsverfahrens aufgrund einer Tätigkeit des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten nach Zugang des erstinstanzlichen Urteils Gebühren angefallen sind, ist zunächst danach zu unterscheiden, ob die ausgeführte Tätigkeit eine sonstige Einzeltätigkeit darstellt oder noch zum erstinstanzlichen Verfahren gehört. Trifft letzteres zu ist diese Tätigkeit mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG abgegolten.

Entscheidungsgründe

Die erstinstanzlich unterlegene Beklagte legte zur Fristwahrung gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung ein. Der Schriftsatz enthält weder Anträge noch eine Begründung, aber die Anmerkung, es möge sich noch kein Prozessbevollmächtigter bestellen. Nachdem der Schriftsatz der Klägerin zugestellt worden ist, wurde durch die erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin eine Vertretungsanzeige und der Antrag auf Zurückweisung der Berufung beim LAG eingereicht.

Nach Rücknahme der Berufung durch die Beklagte begehrte die Klägerin im Rahmen der Kostenfestsetzung eine 1,1-Verfahrensgebühr nach Nr. 3201 VV-RVG.

Das Arbeitsgericht Berlin kam dem nicht nach. Die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Nach Auffassung des LAG sei der Klägerin keine Verfahrensgebühr durch die Beklagte zu erstatten, da die vorgenommenen Tätigkeiten des erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten teilweise noch zum ersten Rechtszug gehörten.

Nach Zugang des erstinstanzlichen Urteils sei danach zu unterscheiden, ob die Tätigkeit noch zum erstinstanzlichen Verfahren gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV RVG abgegolten ist oder eine sonstige Einzeltätigkeit darstellt, die eine gesonderte Verfahrensgebühr auslöst. Die Entgegennahme und Weiterleitung der Berufung gehörten laut Entscheidung des LAG noch zum erstinstanzlichen Verfahren, sodass hierfür keine Gebühr in Betracht käme. Demgegenüber liege eine Gebühr auslösende sonstige Einzeltätigkeit vor, wenn der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte im Auftrag des Rechtsmittelgegners die Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde prüft und sich sachlich damit auseinandersetzt.

Das LAG führte weiter aus, dass auch für die Vertretungsanzeige sowie für den Zurückweisungsantrag keine Gebühr zu erstatten sei. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin seien aufgrund ihrer Vertretung im erstinstanzlichen Verfahren ohnehin als Bevollmächtigte im Berufungsverfahren zu behandeln gewesen (§ 87 Abs. 1 ZPO). Auch der Zurückweisungsantrag sei mangels Vorliegens einer Berufungsbegründung nicht prozessfördernd. Eine sachgerechte Prüfung des Rechtsmittels sei mangels Vorliegen einer Berufungsbegründung nicht möglich gewesen.

Diese Maßnahmen seien zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig gewesen und verstießen gegen die Obliegenheit, die Kosten der Rechtsverteidigung möglichst niedrig zu halten.

Keine Einladung zum Vorstellungsgespräch bei fehlender persönlicher Eignung

LAG Nürnberg, Urteil vom 20.05.2021 – AZ 5 Sa 418/20

Ein öffentlicher Arbeitgeber muss eine schwerbehinderte Person nicht zu einem Vorstellungsgespräch nach § 165 S. 3 SGB IX einladen, wenn feststeht, dass der Stellenbewerber persönlich für eine neu ausgeschriebene Stelle nicht geeignet ist.

Die persönliche Ungeeignetheit kann sich etwa daraus ergeben, dass der Bewerber kurz zuvor bei derselben Arbeitgeberin beschäftigt war und während der Probezeit aus verhaltensbedingten Gründen fristlos gekündigt wurde.

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten um Entschädigungsansprüche des schwerbehinderten Klägers wegen Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung auf die von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Angestellter im Bauamt.

Bei dem Kläger handelte es sich um eine schwerbehinderte Person, die befristet bei einer Kommune in der Kämmerei im Bereich Beitragswesen/Feuerwehrwesen beschäftigt war. Zu Beginn seiner Beschäftigung hatte er jedoch zahlreiche Auseinandersetzungen mit der beklagten Arbeitgeberin und seinen Kollegen. Sodann folgte eine fristlose Kündigung während der Probezeit wegen massiver Störung des Arbeitsfriedens. Der Kläger erhob daraufhin Kündigungsschutzklage. Im Rahmen des Verfahrens schlossen die Parteien einen das Arbeitsverhältnis beendenden Vergleich.

Der Kläger bewarb sich in der Folgezeit auf eine andere von der Beklagten ausgeschriebene Stelle als Verwaltungsfachangestellter für das Bauamt. Auf die Bewerbung bekam der Kläger eine Absage, ohne zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein. Sodann erhob der Bewerber Klage auf Zahlung einer Entschädigung wegen Diskriminierung, welche das Arbeitsgericht zurückwies. Das LAG bestätigte die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Zwar diene das gesetzlich vorgeschriebene Einladungsgebot zu einem Vorstellungsgespräch dazu, dass schwerbehinderte Bewerber den Arbeitgeber von ihrer Eignung überzeugen können. Die Pflicht entfalle allerdings nach Ansicht des LAG, wenn nicht die Qualifikation in Frage stehe, sondern es darum gehe, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer persönlich für eine neu ausgeschriebene Stelle nicht geeignet sei. In diesem Fall bestand innerhalb eines Jahres bereits ein Arbeitsverhältnis mit derselben Arbeitgeberin, welches während der Probezeit aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt worden ist. Ein Anspruch auf Einladung zu einem Vorstellungsgespräch für eine neue Stelle bestehe demnach nicht, da die mangelnde persönliche Eignung des Klägers zum Ausdruck gebracht wurde, so die Entscheidung des LAG. Dem Bewerber sei es nicht möglich, die Arbeitgeberin noch von seiner persönlichen Eignung zu überzeugen, weshalb die Pflicht zur Einladung reine Förmelei wäre.

Wirksamkeit einer Pauschalvergütungsabrede für Überstunden LAG Mecklenburg-Vorpommern,

Eine arbeitsvertragliche Regelung, mit der zehn Überstunden pro Monat mit der vereinbarten Vergütung abgegolten sind, ist wirksam.

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten um Überstundenvergütung. Der Kläger arbeitete bei der Beklagten im Bereich der Lohn- und Finanzbuchhaltung und erhielt hierfür ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von EUR  1.800,00. Die regelmäßige Arbeitszeit betrug 40 Wochenstunden. Laut Arbeitsvertrag war mit dem Lohn auch „etwaige über die betriebliche Arbeitszeit hinausgehende Mehrarbeit im Umfang von bis zu zehn Stunden pro Monat abgegolten“.

Der Kläger hat erstinstanzlich die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Überstundenvergütung für 92 Stunden begehrt. Der Kläger trug vor, dass die regelmäßige Arbeitszeit nicht 40, sondern vielmehr 42 oder 44 Wochenstunden betrug. Die arbeitsvertragliche Klausel zur Überstundenvergütung sei überraschend und damit unwirksam.

Das Arbeitsgericht hat die Klage zurückgewiesen, die dagegen eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg.

Die Regelung sei, so das LAG, wirksam. Sie stelle keine überraschende Klausel im Sinne des § 305c BGB dar.

Die arbeitsvertragliche Klausel ist im Vertrag unter der Überschrift „Vergütung“ aufgeführt worden und damit nicht an einer ungewöhnlichen Stelle eines Arbeitsvertrages, an welcher nicht mit einer derartigen Regelung gerechnet werden muss.

Die Pauschalvergütungsabrede sei auch ausreichend transparent. Der Kläger habe bei Vertragsschluss bereits erkennen können, was auf ihn zukomme und welche Leistungen er für die vereinbarte Vergütung maximal erbringen müsse. Aus der Formulierung der Klausel ergab sich für den Kläger eindeutig, dass dieser für die vereinbarte Vergütung in Höhe von EUR 1.800,00 brutto ggf. monatlich bis zu zehn Überstunden ohne zusätzliche Vergütung leisten müsse. Die Formulierung der Klausel sei daher klar und verständlich und damit transparent.

Der Einwand des Klägers, er sei über die tatsächliche regelmäßige Arbeitszeit getäuscht worden, greife nicht. Sie sei, so das LAG, für die Frage der Transparenz der getroffenen Regelung ohne Bedeutung und zudem nicht geeignet, einen Unwirksamkeitsgrund herbeizuführen. Die Beklagte habe im Arbeitsvertrag keine Aussage zur Häufigkeit des Anfallens von Überstunden getroffen. Die Regelung beziehe sich allein auf das zu leistende Entgelt.

Keine weitere Aussetzung eines Kündigungsschutzverfahrens bei laufendem Strafverfahren

LAG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 06.10.2021 – AZ 11 Ta 1120/21

Wird einer Mitarbeiterin wegen des Verdachts, Tötungsdelikte begangen zu haben, gekündigt, so darf das von ihr angestrengte Kündigungsschutzverfahren nicht mit Blick auf das noch laufende Strafverfahren ausgesetzt werden.

Entscheidungsgründe

Das LAG Berlin-Brandenburg hatte zu entscheiden, ob das Kündigungsschutzverfahren betreffend eine Mitarbeiterin in der Behindertenhilfe fortzuführen ist.

Der Arbeitgeber ist eine Einrichtung, die Teilhabeleistungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Behinderungen anbietet. Als vier Bewohner getötet und eine weitere Person verletzt wurden, stand die dort beschäftigte Pflegerin unter Verdacht, die Tötungsdelikte begangen zu haben. Der Arbeitgeber kündigte der Mitarbeiterin das Arbeitsverhältnis daraufhin fristlos, wogegen sie Kündigungsschutzklage erhob.

Das Arbeitsgericht Potsdam hatte das Kündigungsschutzverfahren ausgesetzt und verwies auf das laufende Strafverfahren und eine im Strafverfahren veranlasste Begutachtung der Mitarbeiterin zur Feststellung der Schuldfähigkeit.

Gegen die Aussetzung legte der Arbeitgeber die sofortige Beschwerde vor dem LAG Berlin-Brandenburg ein.

Das LAG hat den Beschluss zur Aussetzung des Verfahrens aufgehoben. Zur Begründung führte es aus, dass ein Aussetzungsgrund nur gegeben sei, wenn die strafrechtlichen Ermittlungen maßgeblich für die Entscheidung des Arbeitsgerichts sind. Auf die Schuldfähigkeit komme es dabei jedoch nicht an. Für die Entscheidung im Kündigungsschutzprozess sei es nämlich unerheblich, ob die Schuldunfähigkeit der Mitarbeiterin im laufenden Strafverfahren festgestellt wird. Es käme vielmehr auf den Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten und einen damit verbundenen Vertrauensbruch an.

Für die hier neben einer verhaltensbedingten Kündigung zusätzlich ausgesprochene personenbedingte Kündigung käme es jedenfalls nicht auf die Schuldfähigkeit an. Denn auch bei fehlender Schuldfähigkeit fehle es der Mitarbeiterin im Sinne eines personenbedingten Kündigungsgrundes in jedem Fall an der erforderlichen Eignung für die Tätigkeit. Eine weitere Zusammenarbeit mit der Mitarbeiterin sei weder dem Arbeitgeber noch den weiteren Beschäftigten zumutbar.

Arbeitgeberhaftung wegen nicht geltend gemachter staatlicher Zuwendung – Pendler-Zuschuss wegen Corona-Pandemie

LAG Mecklenburg-Vorpommern,
Urteil vom 28.09.2021 – AZ 5 Sa 65/21

Die Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers kann es im Einzelfall gebieten, eine dem Arbeitnehmer zugutekommende staatliche Zuwendung geltend zu machen. Diese Pflicht ist jedoch nicht verletzt, wenn rechtlich zweifelhaft ist, ob alle Voraussetzungen für die Auszahlung der Zuwendung erfüllt sind. Der Arbeitgeber muss sich nicht dem Risiko einer Haftung gegenüber dem Zuwendungsgeber aussetzen.

Entscheidungsgründe

Die Parteien streiten darüber, ob die Arbeitgeberin verpflichtet war, eine wegen der Corona-Pandemie eingeführte staatliche Zuwendung für Mehraufwendungen bei Pendlern aus Polen zu beantragen und auszuzahlen.

Der Kläger war bei der Beklagten als Busfahrer bis April 2020 beschäftigt und ist täglich 37 Kilometer von seiner in Polen gelegenen Wohnung zu seiner Arbeitsstätte nach Deutschland gependelt.

Anlässlich der Corona-Pandemie erließ das Wirtschaftsministerium Mecklenburg-Vorpommerns im März 2020 eine Verwaltungsvorschrift, die einen Pendlerzuschuss von pauschal EUR 65 pro Tag vorsah. Dieser sollte zur Finanzierung von Mehraufwendungen für Unterbringung und Verpflegung von Pendlern mit Hauptwohnsitz im Ausland und einer Arbeitsstätte in Mecklenburg-Vorpommern aufgrund von Pandemie bedingten Einreisebeschränkungen und Quarantäneregelungen dienen. Diesen Zuschuss galt es vom Arbeitgeber zu beantragen und sodann an den Arbeitnehmer auszahlen. Die Beklagte beantragte zwar den Zuschuss für den Kläger und erhielt ihn auch, zahlte diesen aber nicht an den Kläger aus, sondern erstattete ihn dem zuständigen Landesamt wieder. Die Beklagte begründete die Rückerstattung damit, dass sie nicht sicher war, ob es nicht möglicherweise dazu verpflichtet wäre, Nachweise über tatsächliche Mehraufwendungen für die Unterbringung zu erbringen. Solche Nachweise konnte die Beklagte nicht vorzeigen.

Nach Ansicht des Klägers stelle die Nicht-Geltendmachung des Pendlerzuschusses durch die Arbeitgeberin eine schadensersatzbegründende Pflichtverletzung dar, auf deren Zahlung er klagte. Während die Klage vor dem Arbeitsgericht Stralsund Erfolg hatte, wies das LAG Mecklenburg-Vorpommern die gegen das Urteil eingelegte Berufung ab. Zur Begründung führte das LAG aus, nach der Richtlinie über den Pendlerzuschuss konnte nicht ausgeschlossen werden, dass geförderte Unternehmen später Nachweise über tatsächliche Mehraufwendungen ihrer pendelnden Arbeitnehmer erbringen müssten.  Dem damit verbundenen Risiko, einen Zuschuss wieder erstatten zu müssen, müsse sich der Arbeitgeber, so das LAG, nicht aussetzen.

Befristete Arbeitsverträge nach französischem Arbeitsrecht

In Frankreich ist der Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen nur in bestimmten Fällen möglich. Im Prinzip soll der Arbeitnehmer durch einen unbefristeten Arbeitsvertrag eingestellt werden und eine Befristung ist sehr erschwert.

Nach § L 1242-1 code du travail ist ein Sachgrund erforderlich. Sechs Sachgründe sind in diesem Artikel aufgelistet, tatsächlich werden hauptsächlich drei Sachgründe gebraucht:

Zeitweiser Arbeitszuwachs der üblichen Aufgaben,

Saisonarbeit (Restaurants, etc.),

Vertretung eines anderen Arbeitnehmers, insbesondere bei Krankheitsfällen oder Schwangerschaft.

Beim zeitweisen Arbeitszuwachs ist die Höchstdauer der kalendermäßigen Befristung auf 18 Monate beschränkt. Seit den Macron-Reformen von 2017 kann allerdings in Tarifverträgen eine andere Höchstdauer festgelegt werden. Wenn der Vertrag für weniger als 18 Monate abgeschlossen wurde, darf er zweimal bis zur Gesamtdauer von maximal 18 Monaten verlängert werden (L 1242-8-1 code du travail). Der Vertrag endet mit dem Ablauf der vertraglich vereinbarten Dauer. In den anderen Fällen endet der Vertrag mit der Rückkehr des vertretenen Arbeitnehmers oder mit der Erfüllung der Saisonarbeit.

Mit dem Ablauf des befristeten Vertrags hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Prämie in Höhe von 10 % der gesamten erhaltenen Bruttovergütung (Ausnahme bei Saison-Arbeitsverträgen). Der Arbeitsvertrag muss den Sachgrund sowie die Dauer der Befristung beinhalten. Bei Nichteinhaltung der Schriftform oder bei einem falschen Sachgrund wird der Arbeitsvertrag als unbefristet beurteilt. Dann hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Zahlung einer Abfindung, die wegen Einhaltung der Kündigungsfrist und Schadenersatz ungerechtfertigter Kündigung.

Nach einer Studie des Institut National de La Statistique et des Etudes Economiques (INSEE) vom 2. Juli 2019 ist trotz dieser Hindernisse die Quote der befristeten Einstellungen in Unternehmen mit mindestens zehn Beschäftigten in 20 Jahren von 30 % auf 90 % gestiegen.

Xavier Drouin

FIDAL
Straßburg

Gemeinsam mit der französischen Kanzlei FIDAL haben wir im Mai die globale Organisation unyer ins Leben gerufen. Vier Monate nach seiner Gründung expandierte unyer bereits nach Italien und nahm die renommierte italienische Kanzlei Pirola Pennuto Zei & Associati als neues Mitglied auf. Unyer ist eine globale Organisation führender internationaler Unternehmen aus dem Bereich Professional Services. Unyer ist nicht nur offen für Anwaltskanzleien, sondern auch für andere verwandte Professional Services, insbesondere aus dem Legal-Tech-Sektor, und ermöglicht eine Beratung in allen Angelegenheiten und über alle Jurisdiktionen hinweg unter einer internationalen Dachmarke. In dieser Ausgabe präsentieren wir daher eine neue Rubrik unseres Newsletters, in welcher wir über arbeitsrechtliche Entwicklungen und Themen aus unyer berichten.

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