18.12.2024
Liebe Leserinnen und Leser,
das Jahr 2024 hat die Welt erneut vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Wir freuen uns daher nun umso mehr auf ein fröhliches und besinnliches Weihnachtsfest. Rechtzeitig zu diesem können wir Ihnen – wie gewohnt – unseren Newsletter als Lektüre für die Feiertage anbieten.
Die Weihnachtsausgabe unseres Newsletters befasst sich schwerpunktmäßig mit Themen rund um die Digitalisierung der Arbeitswelt. Der Einsatz von KI in Betrieben gewinnt zunehmend an Bedeutung. § 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG ermöglicht dem Betriebsrat, in Angelegenheiten der KI leichter einen Sachverständigen hinzuziehen zu können. Die Norm ist in der betrieblichen Praxis zunehmend von hoher Relevanz, da sie erhebliches Konfliktpotential birgt. Andre Schüttauf gibt in seinem Beitrag einen ersten Überblick.
Paul Gooren befasst sich indes mit der Zukunft des Beschäftigtendatenschutzgesetzes. Auch wenn der im Herbst 2024 vorgelegte Referentenentwurf des BMAS und des BMI für ein Beschäftigtendatengesetz (BeschDG-E) wegen der vorgezogenen Neuwahlen nicht mehr verabschiedet wird, so besteht dennoch die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung dieses komplexen und für Arbeitgeber häufig schwer greifbaren Themenfeldes.
Beginnend mit dieser Ausgabe werden wir künftig in unseren Newslettern die neue Rubrik „bAV-aktuell“ aufnehmen, die sich mit den aktuellen Entwicklungen und Themen auf dem Gebiet der betrieblichen Altersversorgung befasst. Unsere Experten auf dem Gebiet der betrieblichen Altersversorgung, Annekatrin Veit und Marco Arteaga, zeigen in ihrem Beitrag, wie eine bestehende betriebliche Altersversorgung Möglichkeiten bieten kann, in wirtschaftlichen Belastungssituationen zusätzliche Finanzreserven zu mobilisieren. Unsere Experten erklären, wie es häufig möglich ist, die Verpflichtungen aus der betrieblichen Altersversorgung so zu optimieren, dass die Liquidität des Unternehmens verbessert wird.
Auch in dieser Ausgabe berichten wir wieder in unserem unyer-Newsflash über arbeitsrechtliche Themen aus dem europäischen Ausland. Xavier Drouin von FIDAL in Straßburg erläutert in seinem Beitrag eine aktuelle Entscheidung zur Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel im arbeitsgerichtlichen Verfahren. Ein Thema, das auch bei uns in der gerichtlichen Praxis häufig von hoher Relevanz ist.
Neben unseren Schwerpunktthemen erhalten Sie auch mit dieser Ausgabe den gewohnten Überblick über
aktuelle Entscheidungen der Arbeitsgerichte, die aus unserer Sicht für die Personalarbeit von besonderer
Relevanz sind.
Wir wünschen eine friedliche und besinnliche Weihnachtszeit, geruhsame Tage zwischen den Jahren
sowie ein glückliches, gesundes und erfolgreiches neues Jahr 2025.
Kommen Sie gut ins neue Jahr!
Ihr
Achim Braner
Mit dem Betriebsrätemodernisierungsgesetz von 2021 hat der Gesetzgeber das BetrVG erstmals um Bestimmungen zu künstlicher Intelligenz (KI) ergänzt. Diese Anpassungen spiegeln die wachsende Bedeutung von KI in Betrieben wider. Eine zentrale Neuerung stellt die Erweiterung des § 80 Abs. 3 BetrVG um einen zweiten Satz dar, der es dem Betriebsrat ermöglicht, in Angelegenheiten der KI leichter einen Sachverständigen hinzuziehen zu können. Ein erster Überblick:
I. Die Erforderlichkeitsfiktion: Vereinfachter Zugriff auf außerbetrieblichen Sachverstand
Die zentrale Neuerung von § 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG besteht darin, dass die Erforderlichkeit eines Sachverständigen für den Betriebsrat unwiderlegbar vermutet wird, wenn er die Einführung oder Anwendung von KI im Betrieb beurteilen muss. Damit darf der Betriebsrat verlangen, dass der Arbeitgeber der Hinzuziehung eines Sachverständigen zustimmt. Anders als bisher muss der Betriebsrat nicht mehr darlegen, warum er das Fachwissen eines externen Sachverständigen benötigt, wenn ein spezifischer Bezug zur KI gegeben ist. Selbst ein sachkundiger Betriebsrat darf danach einen Sachverständigen verlangen.
II. Reichweite der Fiktion
1. Aufgabenbezug
Die Fiktion gilt jedoch nur unter bestimmten Bedingungen. Der Betriebsrat muss darlegen, dass durch die Einführung oder Anwendung von KI ein Bezug zu seinen Aufgaben hergestellt ist, d.h. bspw. das Mitbestimmungsrecht bei der Einführung technischer Einrichtungen gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG oder sonst die im BetrVG geregelten Beteiligungsrechte. Aufgaben des Betriebsrates können sich sowohl aus der Anbahnungs-, der Durchführungs- wie auch der Beendigungsphase von Arbeitsverhältnissen ergeben.
2. Hinreichender Bezug zur KI
Zentrale Voraussetzung ist, das das der Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben die Einführung oder Anwendung von KI beurteilen muss. Es müssen daher einerseits überhaupt Bezugspunkte zu Elementen der KI bestehen. Andererseits greift die Fiktion nicht, wenn der Einsatz der KI nur einen marginalen Bezug zur Arbeit des Betriebsrats hat. Es dürfte daher nicht ausreichen, wenn eine Maßnahme nur „irgendwie“ mit KI zusammenhängt – der Zusammenhang muss konkret und relevant sein. Man denke hierbei etwa an KI-gestützte Systeme, die das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern analysieren, z. B. Fahrdatenanalyse in Dienstfahrzeugen oder Algorithmen, die Personalauswahl oder Leistungsbeurteilung beeinflussen. Enthält ein System sowohl KI-gestützte wie auch nicht KI-gestützte Elemente, muss die konkret zu untersuchende Verhaltenskontrolle im Einzelfall danach beurteilt werden, inwiefern diese einen maßgeblichen KI-Bezug aufweist.
3. Herausforderung der KI-Definition
Eine Definition von „künstlicher Intelligenz“ fehlt im Gesetz. Auch gibt es kein allgemeingültiges Verständnis von KI. Damit besteht für den Rechtsanwender die Schwierigkeit, den Begriff im spezifischen Kontext erst auslegen zu müssen, wenn es um die Beurteilung geht, ob der Aufgabenbereich des Betriebsrates eine hinreichende Verknüpfung zu KI-Sachverhalten aufweist. In der arbeitsrechtlichen Praxis wird KI häufig als nicht-deterministisches System verstanden, das Ergebnisse erzeugt, die nicht vollständig vorhersehbar sind sowie Komponenten der Selbstoptimierung, des Selbstlernens oder der selbstständigen Aufgabenerledigung beinhaltet. Begriffe wie maschinelles Lernen, „Deep Learning“, Robotik oder virtuelle Realität sind heutzutage prägend für das Begriffsverständnis von KI, wobei unser Verständnis von KI einem stetigen Wandel unterlegen ist.
III. Darlegungslast über die Voraussetzungen der Fiktion
Der Betriebsrat muss die Voraussetzungen der Fiktion darlegen. Er muss aufzeigen, dass durch die geplante Maßnahme des Arbeitgebers tatsächlich seine Aufgaben berührt werden. Außerdem entlastet die Regelung des § 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG den Betriebsrat nicht von der Darlegungspflicht, dass die von ihm wahrzunehmende Aufgabe im hinreichenden Zusammenhang mit KI steht. Eine Schwierigkeit besteht darin, überhaupt zu definieren, wann die erforderliche Schwelle eines hinreichenden KI-Bezugs gegeben ist. Gelingt es dem Betriebsrat nicht, einen solchen Aufgabenbezug zur KI darzulegen, kann er sich nicht auf die Fiktion des § 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG stützen. In diesen Fällen muss er sich ggf. unternehmensinterner Informationsquellen bedienen, um die Voraussetzungen der Fiktion darzulegen.
IV. Vereinbarung mit dem Arbeitgeber im Übrigen
Liegen die Voraussetzungen der Fiktion vor, darf der Betriebsrat nicht eigenständig und ohne Rücksprache mit dem Arbeitgeber einen Sachverständigen beauftragen. Stattdessen hat er eine Vereinbarung mit dem Arbeitgeber über die Hinzuziehung des Sachverständigen zu treffen. Diese soll die Festlegung der Person, die Aufgabenstellung und die Vergütung des Sachverständigen festlegen. Dies hat auch in dringenden Fällen zu erfolgen. Bestehen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Betriebsparteien muss der Betriebsrat die Zustimmung des Arbeitsgebers notfalls im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens ersetzen lassen. Gem. § 80 Abs. 3 Satz 3 BetrVG können sich die Betriebsparteien in Angelegenheiten des § 80 Abs. 3 Satz 2 BetrVG auch auf einen ständigen Sachverständigen einigen.
V. Fazit
Für den Arbeitgeber stellt die Neuregelung einen nicht zu vernachlässigenden Kostenfaktor dar. Darüber hinaus birgt das unscharfe Begriffsverständnis von KI Konfliktpotential. Zieht man das Kriterium der „selbstständigen Aufgabenerledigung“ heran, stellt man schnell fest, dass bereits jetzt ein großer Teil der vorhanden Tools auf Elemente von KI zurückgreifen. Je nach Auslegung könnten daher bereits Übersetzungsprogramme oder einfache Analysewerkzeuge als KI gelten. Der Arbeitgeber ist gehalten für Transparenz zu sorgen und mit dem Betriebsrat klare Abgrenzungen zu regeln, um Konfliktsituationen möglichst zu vermeiden und frühzeitig Akzeptanz zu schaffen.
Autor
Andre Schüttauf
Die Verarbeitung von Beschäftigtendaten wird überwiegend durch die Rechtsprechung geregelt, was Unternehmen in der Praxis vor erhebliche Herausforderungen stellt. Eine umfassende gesetzliche Regelung erscheint daher notwendig. Im Herbst 2024 haben das BMAS und das BMI einen Referentenentwurf für ein Beschäftigtendatengesetz (BeschDG-E) vorgelegt. Aufgrund der vorgezogenen Neuwahlen wird dieser zwar nicht verabschiedet werden. Diskussionsbedarf über die Notwendigkeit gesetzlicher Regelungen in diesem komplexen Themenfeld besteht trotzdem, da bestimmte Inhalte unabhängig von der politischen Ausrichtung des aktuellen Gesetzgebers erforderlich sind.
I. Hintergrund
Im Koalitionsvertrag hatte die Ampel-Regierung vereinbart, Regelungen zum Beschäftigtendatenschutz zu schaffen, um Rechtsklarheit für Arbeitgeber sowie Beschäftigte zu erreichen und die Persönlichkeitsrechte effektiv zu schützen. Hinzu kam ein Urteil des EuGH (v. 30.3.2023 – C-34/21), aus dem sich ergibt, dass § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG – die deutsche Zentralnorm der Datenverarbeitung im Beschäftigungskontext – nicht mit der Öffnungsklausel aus Art. 88 DSGVO vereinbar ist.
Die Mitgliedstaaten sind nach dem EU-Recht nicht verpflichtet, spezifische Vorschriften zum Beschäftigtendatenschutz zu erlassen. Sollten sie jedoch von der hierzu bestehenden Öffnungsklausel des Art. 88 DSGVO Gebrauch machen, müssen sie deren Voraussetzungen und Grenzen einhalten. Wichtig ist hierbei, dass die mitgliedstaatlichen Vorschriften „spezifischer“ sind als die bereits unmittelbar geltenden Regelungen der DSGVO. Dies setzt voraus, dass sich die nationalen Vorschriften nicht auf eine Wiederholung der Bestimmungen der DSGVO beschränken, sondern auf den Schutz der Rechte und Freiheiten der Beschäftigten hinsichtlich der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten im Beschäftigungskontext abzielen sowie geeignete und besondere Maßnahmen zur Wahrung der menschlichen Würde, der berechtigten Interessen und der Grundrechte der betroffenen Person umfassen (EuGH, Urt. v. 30.3.2023 – C-34/21).
Die Schaffung eines einheitlichen Gesetzes zur Regelung des Umgangs mit Beschäftigtendaten ist grundsätzlich zu begrüßen. Für die Praxis sind klare gesetzliche Leitlinien hilfreicher als von der Rechtsprechung aus Einzelfallentscheidungen entwickelte Vorgaben. In welches Verhältnis dabei die Arbeitgeberinteressen zu den Beschäftigteninteressen gesetzt werden, ist zwar in erster Linie eine politische Entscheidung. Dennoch sollte ein Gesetz stets den praktischen Bedürfnissen der Rechtsanwender gerecht werden und den durch das EU-Recht abgesteckten Gestaltungsspielraum einhalten.
II. Praxisrelevante Regelungen
Erkennt man das Bedürfnis nach einem einheitlichen Beschäftigtendaten(schutz)gesetz an, stellt sich die Frage, welche Regelungen für eine Verbesserung zur derzeit geltenden Rechtslage nach DSGVO und BDSG in Betracht kommen. Ziel muss dabei stets ein fairer Interessenausgleich von Beschäftigtendatenschutz und Arbeitgeberinteresse sein, der für mehr Rechtssicherheit in der Praxis sorgt.
1. Erforderlichkeit der Datenverarbeitung
Die zentrale Frage im Datenschutzrecht ist die der Rechtfertigung der Datenverarbeitung. Art. 6 DSGVO gibt als allgemeine Norm hierzu den Grundsatz der Erforderlichkeit vor. Dies kann in einem nationalen Gesetz an die Besonderheiten des Beschäftigungskontextes angepasst werden, um auf diese Weise zugleich die Rechtsanwendung zu erleichtern. Dabei sollten spezifischere nationale Vorschriften i. S. d. Art. 88 DSGVO jedoch keine strengeren Voraussetzungen als die allgemeinen datenschutzrechtlichen Vorschriften vorsehen.
Die §§ 3, 4 BeschDG-E zeigen hierzu Licht und Schatten: Zu begrüßen ist die Benennung von beschäftigungsspezifischen Kriterien zur Bestimmung der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung. Allerdings muss nach dem Gesetzesentwurf die Datenerhebung nicht nur erforderlich (1. Stufe) sein, sondern es müssen zusätzlich auch noch die Arbeitgeberinteressen an der Verarbeitung die Schutzinteressen der Beschäftigten überwiegen (2. Stufe). Eine solche Erhöhung der Anforderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage schafft keinen praktischen Mehrwert, sondern führt primär zu Mehraufwand hinsichtlich des Risikomanagements der Arbeitgeber.
2. Einwilligung
Inwieweit die Einwilligung der Arbeitnehmer neben den allgemeinen Rechtfertigungsgründen – insbesondere dem der Durchführung des Arbeitsverhältnisses – eine Datenverarbeitung gestatten kann, ist aufgrund des generellen Machtungleichgewichts im Arbeitsverhältnis und der damit zusammenhängenden Frage der tatsächlichen Freiwilligkeit seit jeher umstritten. Hierzu bietet es sich an, klare gesetzliche Vorgaben zu schaffen. Diesen Versuch unternimmt § 5 BeschDG-E, wobei man im Einzelnen darüber streiten kann, welche Regelbeispiele sinnvoll sind und welche nicht. In diesem Kontext sollte zugleich gesetzlich klargestellt werden, dass im Fall einer unwirksamen oder widerrufenen Einwilligung auf die übrigen Rechtfertigungsgründe zurückgegriffen werden kann. Denn bei dieser Frage besteht nach wie vor Rechtsunsicherheit.
3. Beweisverwertung
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht kein generelles Sachvortrags- bzw. Beweisverwertungsverbot im Hinblick auf Daten, die rechtswidrig erlangt wurden; vielmehr bedarf es stets einer Einzelfallabwägung (BAG, Urt. v. 23.8.2018 – 2 AZR 133/18). Dies kann in einem Beschäftigtendatengesetz entweder klargestellt oder ein solches Verbot generell ausgeschlossen werden. Die Normierung eines pauschalen Verbots sollte hingegen tunlichst unterbleiben. Denn in Anbetracht der von schwierigen Bewertung einer Datenverarbeitung als rechtmäßig oder rechtswidrig, die von zahlreichen Faktoren abhängt, wäre ein solches Verbot – gerade bei geringfügigen Verstößen – völlig unverhältnismäßig (in diese Richtung aber § 11 BeschDG-E).
4. Flexibilität durch Kollektivvereinbarungen
Zu Kollektivvereinbarungen – d. h. Betriebs-/Dienstvereinbarungen und Tarifverträgen – wäre eine gesetzliche Regelung wünschenswert, die der unionsrechtlichen Dimension Rechnung trägt. Der EuGH vertritt die Auffassung, dass Kollektivvereinbarungen dem Gesetz in ihrer Regelungswirkung gleichwertig sind. Diese Rechtsprechung ist in Art. 88 Abs. 1 DSGVO, der die Möglichkeit von spezifischen mitgliedstaatlichen Vorschriften durch Rechtsvorschrift oder Kollektivvereinbarung vorsieht, angelegt. Der nationale Gesetzgeber sollte dem europarechtlichen Leitbild deshalb folgen und die Bedeutung von Kollektivvereinbarungen als praxisgerechtes Mittel zur Konkretisierung des Beschäftigtendatenschutzes stärken. Dies kann jedoch nur dann gelingen, wenn den entsprechenden Parteien – insbesondere Arbeitgeber und Betriebsrat – ein Ausgestaltungsspielraum „in alle Richtungen“ zugestanden wird. Eine Regelung wie § 7 Abs. 2 BeschDG-E, die den kollektivrechtlichen Spielraum ausschließlich darauf bezieht, wie das Niveau des Beschäftigtendatenschutzes erhöht werden kann, verfehlt dieses Ziel.
5. Mitbestimmungsrecht bei der Bestellung des betrieblichen Datenschutzbeauftragen?
Demgegenüber sollte dem Betriebsrat kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht hinsichtlich der Bestellung bzw. Abberufung des betrieblichen Datenschutzbeauftragen eingeräumt werden, weder hinsichtlich der Art (intern/extern) noch hinsichtlich der konkreten Person (so aber § 12 BeschDG-E). Zum einen würde dieses Thema hierdurch zum Gegenstand betriebsinterner Konflikte werden. Zum anderen dürfte ein solches Mitbestimmungsrecht gegen Art. 37 DSGVO verstoßen.
III. Fazit
Die Schaffung eines einheitlichen Gesetzes zum Umgang mit Beschäftigtendaten ist Chance und Risiko zugleich. In Anbetracht des derzeit unisono geforderten Abbaus bürokratischer Anforderungen an die Wirtschaft sollte der Gesetzgeber hierbei das Ziel vor Augen haben, die Verarbeitung von Beschäftigtendaten für die Arbeitgeber durch die Schaffung von Klarheit und Spielräumen zu erleichtern. Zudem sind die Vorgaben der DSGVO einzuhalten. Dies ist eine machbare Aufgabe. Die Chance sollte genutzt werden.
Autor
Dr. Paul Gooren
Ein weiteres Mal hat der Gesetzgeber die Entbürokratisierung an fortlaufende gesellschaftliche Entwicklungen sowie Bedürfnisse angepasst. Das Vierte Bürokratieentlastungsgesetz vom 23.10.2024 tritt im Wesentlichen, insbesondere hinsichtlich der arbeitsrechtlich relevanten Vorschriften, am 1.1.2025 in Kraft.
I. Änderungen
Das Bürokratieentlastungsgesetz enthält eine Vielzahl von Regelungen auf verschiedenen Rechtsgebieten. Im Folgenden werden die wesentlichen Änderungen auf dem Gebiet des Arbeitsrechts in den Blick genommen:
1. Nachweisgesetz
Die Verschärfung des Nachweisgesetzes im Jahr 2022 hat die verstärkte Bürokratisierung in den Fokus gerückt. Nunmehr wird das durchgehend kritisierte Schriftformerfordernis abgeschwächt. Die Niederschrift der wesentlichen Vertragsbedingungen des Arbeitsverhältnisses ist nunmehr in Textform (§ 126b BGB) möglich und kann elektronisch übermittelt werden. Aber: Die Informationen müssen für die Mitarbeitenden zugänglich, speicherbar und ausdruckbar sein und der Arbeitgeber muss einen Nachweis über den Empfang von dem Mitarbeitenden haben (§ 2 Abs. 1 Satz 2 NachwG). D.h. in der Praxis eine E-Mail mit PDF-Datei als Anhang und einen Empfangsnachweis. Der Schriftformzwang gilt aber weiterhin in den Wirtschaftsbereichen nach § 2a Abs. 1 SchwarzArbG (bspw. Baugewerbe, Gaststättengewerbe etc.) und wenn der Arbeitnehmer die schriftliche Zusendung verlangt, was er jederzeit machen kann.
2. Arbeitnehmerüberlassungsgesetz
Für den Arbeitnehmerüberlassungsvertrag zwischen Ver- und Entleiher genügt nunmehr die Textform. Dies vermindert insbesondere bei kurzfristigen Einsätzen den Verwaltungsaufwand erheblich.
3. Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (ab 1.5.2025)
Für das Elternzeitverlangen, den Antrag auf Teilzeitbeschäftigung, die Ablehnung sowie die Begründung genügt die Textform. Dies ist mit Blick auf die Fiktionswirkung, sollte der Antrag nicht rechtzeitig abgelehnt werden, eine deutliche Vereinfachung. Achtung: Hier kommt dem Nachweis, dass die Ablehnung in Textform rechtzeitig zugegangen ist, aber eine besondere Bedeutung zu. Zu beachten ist außerdem, dass die Ablehnung der vorzeitigen Beendigung gem. § 16 Abs. 3 BEEG weiterhin nur in Schriftform möglich ist. Der Gesetzgeber schafft hier einen gefährlichen Fallstrick für Arbeitgeber.
4. Jugendarbeitsschutzgesetz
Bei sämtlichen Handlungen, welche bis zum 31.12.2024 der Schriftform bedurften, genügt zukünftig die Textform. Ausnahme: §§ 6 Abs. 4 Satz 1 JArbSchG (Entscheidung der Aufsichtsbehörde), 21a Abs. 2 JArbSchG (Übernahme tarifvertraglicher Regelungen in den Arbeitsvertrag).
5. Pflegezeitgesetz
Die Ankündigung des Arbeitnehmers, Pflegezeit zu beanspruchen, ist in Textform möglich.
6. Familienpflegezeitgesetz
Die Ankündigung der Beanspruchung von Familienpflegezeit und Freistellung ist auch in Textform möglich.
7. Arbeitszeugnisse
Die Ausstellung des Arbeitszeugnisses ist nach § 630 Satz 3 BGB n.F. mit Einwilligung des Arbeitnehmers in elektronischer Form möglich (qualifizierte elektronische Signatur). Angesichts der damit immer noch hohen Anforderungen wird dies in der Praxis vermutlich kaum relevant werden.
8. Aushangpflicht, § 16 Abs. 1 ArbZG und § 47 JArbSchG
Für die Erfüllung der „Aushangpflicht“ ist nun auch die Zurverfügungstellung über die im Betrieb oder in der Dienststelle übliche Informations- und Kommunikationstechnik ausreichend. Voraussetzung ist aber, dass die Mitarbeitenden Zugang zu den Informationsquellen haben.
9. Altersbefristung, § 41 Abs. 2 Satz 1 SGB VI
Die Altersbefristung, also die Vereinbarungen im Arbeitsvertrag, dass das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze beendet wird, kann nunmehr in Textform geschlossen werden. Wichtig ist jedoch weiterhin, dass der Arbeitsvertrag ordnungsgemäß abgeschlossen wird, bevor der Arbeitnehmer seine Tätigkeit aufnimmt. Für alle anderen Befristungen gilt weiterhin das Schriftformgebot.
II. Fazit
Insbesondere die ab dem 1.1.2025 vielfach genügende Textform bedeutet für die Arbeitgeber erhebliche Entlastung in der täglichen Arbeit der Personalabteilungen. Probleme werden jedoch weiterhin im Hinblick auf die nicht gelöste Frage nach dem möglichen Veröffentlichungsmedium, insbesondere bei allgemeinen nicht personalisierten Informationen bzw. Nachweisen, bleiben. Genügt die Veröffentlichung im Intranet oder sonstigen Mitarbeiterportalen - vermutlich nur, wenn vom Arbeitgeber nicht veränderbar und für die Mitarbeitenden speicherbar. Besondere Vorsicht wird außerdem geboten sein, wenn der Arbeitgeber dem Mitarbeitenden Nachweise etc. in Textform ausschließlich an dessen dienstliche E-Mail Adresse sendet. Da der Arbeitgeber diese (theoretisch) jederzeit sperren oder löschen kann, könnte es an den Voraussetzungen der Speicher- und Abrufbarkeit für die Mitarbeitenden fehlen. Soweit diese bekannt bzw. angeben wurde, kann sich daher die Versendung an die private E-Mail des Arbeitnehmers empfehlen.
Autoren
Hans-Christian Ackermann
Nils Zawinell
Während des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots und der Elternzeit verfällt weder zuvor nicht genommener noch während dieser Zeiten erworbener Urlaub. Das Recht des Arbeitgebers, den Jahresurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen, bezieht sich allein auf den bezahlten Erholungsurlaub, nicht aber auf die Urlaubsabgeltung.
BAG Urteil vom 16.4.2024 – 9 AZR 165/23
Der Fall
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Der jährliche Urlaubsanspruch der klagenden Arbeitnehmerin betrug 29 Arbeitstage. Ab August 2015 befand sie sich im Mutterschutz; zu diesem Zeitpunkt stand ihr noch ein Urlaubstag aus dem laufenden Kalenderjahr zu. Unmittelbar nach Ablauf der Mutterschutzfrist nahm die Klägerin ferner Elternzeit. Daran schlossen sich wiederum nahtlos die Mutterschutzfrist anlässlich der Geburt eines weiteren Kindes sowie eine weitere Elternzeitperiode an, die bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten durch Eigenkündigung der Klägerin im November 2020 andauerte. Die Klägerin begehrte daraufhin die Abgeltung von insgesamt 146 Urlaubstagen aus den Jahren 2015 bis 2020. Die Beklagte lehnte die Abgeltung hingegen ab. Der anschließenden Klage gab das ArbG statt, das LAG wies die Berufung der Beklagten zurück.
Die Entscheidung
Gleichermaßen entschied der Neunte Senat des BAG, der der Klägerin einen Anspruch auf Abgeltung von 146 Urlaubstagen gem. § 7 Abs. 4 BUrlG, § 17 Abs. 3 BEEG zusprach.
Sowohl die Zeiten im Mutterschutz als auch die Elternzeiten hätten das Entstehen von Urlaubsansprüchen nicht gehindert. Für den Mutterschutz folge dies uneingeschränkt aus § 24 Satz 1 MuSchG. Von der Möglichkeit des Arbeitgebers, die Urlaubsansprüche für die Zeiten der Elternzeit zu kürzen nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG, habe die Beklagte nicht wirksam Gebrauch gemacht, da dafür eine entsprechende Erklärung im bestehenden Arbeitsverhältnis abgegeben werden müsse. Das Kürzungsrecht des Arbeitgebers setze einen Anspruch auf Erholungsurlaub bei Zugang der Kürzungserklärung voraus. Urlaubsansprüche würden sich nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses jedoch nicht in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umwandeln. Die einst vertretene „Surrogatstheorie“ – nach welcher der Urlaubsabgeltungsanspruch als Erfüllungssurrogat des Urlaubsanspruchs angesehen wurde – sei aufgrund eines Widerspruchs zum Unionsrecht vollständig aufgegeben worden.
Die Urlaubsansprüche seien daneben auch nicht verfallen, da die für die Verjährung maßgebliche Fälligkeit des Urlaubsanspruchs nicht vor Ablauf der Mutterschutzfristen bzw. Beendigung der Elternzeit beginne. Eine Minderung der Urlaubsabgeltung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 BUrlG sei abzulehnen, da die Abwesenheitszeiten infolge Elternzeit eine unverschuldete Arbeitsversäumnis darstellen. Lediglich die dreizehn Wochen vor Beginn des (ersten) Mutterschutzes seien für die Berechnung der Urlaubsabgeltung als Referenzzeitraum zugrunde zu legen.
Unser Kommentar
Das Urteil bestätigt die bisherige Rechtsprechung des Senats hinsichtlich Entstehung und Verfall von Urlaubsansprüchen vor und während des Mutterschutzes und der Elternzeit (vgl. etwa BAG, Urt. v. 5.7.2022 – 9 AZR 341/21) sowie der Kürzungsmöglichkeit während der Elternzeit. Wesentlich für die Option der Kürzung ist stets eine entsprechende Erklärung des Arbeitgebers, die gleichwohl auch konkludent erfolgen kann – bspw., indem nur der gekürzte Urlaub gewährt wird (BAG, Urt. v. 19.3.2019 – 9 AZR 362/18). Ist eine Kürzung beabsichtigt, sollte eine entsprechende Erklärung indes möglichst früh nach Bestätigung der Inanspruchnahme von Elternzeit abgegeben werden. Eine „vorsorgliche“ Kürzungserklärung vor Entstehung der Elternzeit ist jedoch nicht möglich, da sich die Kürzung auf ein bereits geäußertes Elternzeitverlangen beziehen muss.
Autorin
Gina Susann Kriwat
Bestehen für eine Betriebsratsschulung verschiedene Seminarformate, so hat der Betriebsrat einen Beurteilungsspielraum darüber, ob seine Mitglieder an einer Online- oder einer Präsenzschulung teilnehmen.
BAG, Beschluss vom 7.2.2024 – 7 ABR 8/23
Der Fall
Die beteiligte Arbeitgeberin ist eine Fluggesellschaft mit Sitz in Düsseldorf, der Antragsteller ist die bei ihr errichtete Personalvertretung. Mitte 2021 rücken in diese zwei Mitglieder nach, woraufhin sie an einer Schulung auf Rügen teilnehmen sollen. Weil der Schulungsträger inhaltsgleiche Seminare in Nordrhein-Westfalen und auch ein Webinar anbietet, bittet die Arbeitgeberin darum, eine dieser Varianten wahrzunehmen. Ende August 2021 besuchen die beiden Gremienmitglieder letztlich ein Seminar in Potsdam, da an die ortsnäheren Termine ein Erholungsurlaub und dienstliche Verpflichtungen angrenzen. Die Arbeitgeberin lehnt anschließend die Erstattung der Unterkunfts- und Verpflegungskosten ab, da sie diese für nicht erforderlich hält. Die Personalvertretung ist der Ansicht, dass Online- und Präsenzschulung nicht dieselbe Qualität hätten. Der Tarifvertrag, welcher der Personalvertretung zugrunde liegt, enthält keine Bestimmungen zu Kostenerstattungsfragen, sondern verweist auf das BetrVG. ArbG und LAG entsprechen dem Kostenfreistellungsantrag.
Die Entscheidung
Ebenso wies das BAG die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin zurück. Diese sei gemäß den §§ 40 Abs. 1, 37 Abs. 6 BetrVG verpflichtet, die Personalvertretung von den Übernachtungs- und Verpflegungskosten freizustellen. Bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Schulungsteilnahme stehe dem Betriebsrat ein Beurteilungsspielraum zu, wobei die Pflicht des Arbeitgebers zur Kostentragung unter dem in § 2 Abs. 1 BetrVG normierten Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit stehe. Die Entscheidung über die Schulungsteilnahme dürfe nicht allein an subjektiven Bedürfnissen ausgerichtet werden, vielmehr sei der Betriebsrat verpflichtet, den Arbeitgeber nur mit Kosten zu belasten, die er für angemessen halten darf. Diese müsse er somit auf das notwendige Maß beschränken.
Ausgehend davon habe die Personalvertretung die hier besuchte Schulung in Potsdam für erforderlich halten dürfen. Insbesondere habe sie sich nicht auf ein Webinar verweisen lassen müssen, weil auch die Auswahl des Schulungsformats ihrem Beurteilungsspielraum unterfalle. Dieser umfasse auch die Wahl von Format und Methoden sowie Art und Weise der Wissens- und Kenntnisvermittlung, wobei auch die Erfahrungen und Präferenzen ihrer Mitglieder berücksichtigt werden dürften. Im Vergleich zu einem Webinar sei dabei auch die Annahme eines besseren kommunikativen Austauschs bei einer Präsenzschulung gerechtfertigt. Nur, wenn mehrere gleichzeitig angebotene Schulungen auch nach Ansicht der Interessenvertretung als gleichwertig anzusehen sind, kann eine Beschränkung der Kostentragungspflicht in Betracht kommen.
Unser Kommentar
Der aus dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit folgende Kostenschonungsgrundsatz bedingt eigentlich, dass die Teilnahme an teureren Betriebsratsschulungen nicht erforderlich ist und die Kosten dafür nicht vom Arbeitgeber getragen werden müssen, wenn der Betriebsrat sich in zumutbarer Weise die gleichen Kenntnisse günstiger verschaffen kann (anschaulich etwa BAG, Beschl. v. 14.1.2015 – 7 ABR 95/12). Was gleichwertig ist, bestimmt indes primär die subjektive Perspektive des Betriebsrats. Der Siebte BAG-Senat erweitert diesen Beurteilungsspielraum nunmehr auf die Frage, ob Präsenz- oder Online-Schulung bevorzugt werden, die Argumentation dafür ist allerdings schwach. Bei inhaltsgleichen Webinaren ist derselbe Lerneffekt möglich, weshalb das Kosteninteresse die Unterrichtsvorlieben der Betroffenen überwiegen muss. Ein „kommunikativer Austausch“ ist dazu auch online möglich, während Gespräche mit anderen Teilnehmern für die Aufgabenwahrnehmung des Betriebsrats irrelevant sind und somit nicht dem Zweck von § 37 Abs. 6 BetrVG dienen. Allein das Verhältnis eines späteren Termins zur Restlaufzeit der Amtsperiode muss hinsichtlich einer effektiven Mandatsausübung einbezogen werden; das BAG stuft hier vier Wochen bei nachgerückten Mitgliedern als zu lang ein – bei höheren Kosten zu Beginn einer regulären Amtszeit und einem kleineren Arbeitgeber könnte dies anders sein. Im Übrigen sagt der Senat nicht, dass Webinare an sich ungeeigneter sind. Auf solche (oder nähere Präsenzschulungen) kann verwiesen werden, wenn sie zeitnah mit gleichen Inhalten angeboten werden, vor allem vom selben Schulungsträger.
Autor
Stephan Sura
Ein Bewerber, der seine Schwerbehinderung bei einer Bewerbung berücksichtigt wissen will, muss den Arbeitgeber grundsätzlich hierüber in den Bewerbungsunterlagen in Kenntnis setzen. Ein Hinweis ist selbst bei internen Bewerbungen nicht ausnahmsweise entbehrlich, wenn für den Bewerber erkennbar ist, dass die das Bewerbungsverfahren durchführende Stelle keine Kenntnis von seiner Schwerbehinderung hat.
BAG, Urteil vom 25.4.2024 – 8 AZR 143/23
Der Fall
Die Arbeitnehmerin, die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, begehrte von dem beklagten Land (der Arbeitgeberin) die Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung aufgrund einer Behinderung. Sie war befristet in einer Universität beschäftigt und bewarb sich in einer anderen Fakultät derselben Hochschule. Die Arbeitgeberin lud die Arbeitnehmerin jedoch nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein. Das ArbG wies die Zahlungsklage der Arbeitnehmerin ab, das LAG gab der Klage insoweit statt. Mit der Revision begehrte die Arbeitgeberin die Klageabweisung.
Die Entscheidung
Das BAG lehnte einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG mangels Verstoßes gem. §§ 7 Abs. 1, 3 Abs. 1 AGG wiederum ab. Die Klägerin sei nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt worden. Sie habe keine hinreichenden Indizien i. S. d. § 22 AGG vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten ließen, weshalb es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen Benachteiligung und Behinderung fehle. Die Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Behinderung werde nicht durch die in § 165 Satz 3 SGB IX vorgeschriebene, aber unterbliebene Einladung indiziert. Zwar sei der Arbeitgeber gemäß der Norm verpflichtet, einen schwerbehinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, was sowohl bei externen Bewerbern als auch bei internen Stellenbesetzungen gelte. Die unterbliebene Einladung der öffentlichen Arbeitgeberin, begründe im vorliegenden Fall jedoch nicht die Vermutung, dass die Behinderung der Arbeitnehmerin ursächlich für deren Benachteiligung war. Denn die Arbeitnehmerin hatte ihre Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen in dem Bewerbungsverfahren nicht mitgeteilt.
Ein Hinweis war vorliegend auch nicht ausnahmsweise entbehrlich, da für die Arbeitnehmerin erkennbar war, dass die das Bewerbungsverfahren durchführende Fakultät keine Kenntnis von der Gleichstellung hatte. In den Stellenausschreibungen war angegeben, dass die Bewerbung unmittelbar an das bestimmte Institut in den unterschiedlichen Fakultäten zu richten ist. Deshalb komme es nicht darauf an, dass eine für Personal zuständige Abteilung in der zentralen Universitätsverwaltung bestehe, der die Gleichstellung der Klägerin bekannt war, da Kontaktdaten der zentralen Personalabteilung nicht in den Stellenausschreibungen enthalten waren.
Unser Kommentar
Die Entscheidung ist nicht nur für öffentliche Arbeitgeber relevant. Nach § 164 Abs. 2 SGB IX i. V. m. den Regelungen des AGG gilt das Benachteiligungsverbot ebenfalls für private Arbeitgeber. Auch private Arbeitgeber haben die in § 164 Abs. 1 SGB IX normierten Prüfungspflichten im Zusammenhang mit der Einstellung von schwerbehinderten Menschen zu beachten. Die Entscheidung bestätigt die bisherige Rechtsprechung., nach welcher der Arbeitgeber im Bewerbungsverfahren nur solche Umstände berücksichtigen kann, die ihm zuvor mitgeteilt worden sind (BAG, Urt. v. 17.12.2020 – 8 AZR 171/20). Ein solcher Hinweis ist bei einer internen Bewerbung nicht ausnahmsweise entbehrlich, wenn die das Bewerbungsverfahren durchführende Stelle erkennbar keine Kenntnis hatte. Arbeitgebern weiterhin jedoch weiterhin zu raten, jedenfalls die Bewerbungsunterlagen gründlich zu sichten. Bereits ein Hinweis im Lebenslauf an hervorgehobener Stelle kann einen ausreichenden Hinweis darstellen (vgl. BAG, Urt. v. 18.4.2014 – 8 AZR 759/13).
Autor
Daniel Greger
Der Vorbehalt in einem Standardarbeitsvertrag, dass der Arbeitgeber bei einer Bonuszahlung ohne weitere Voraussetzung von einer Zielvereinbarung absehen und eine (einseitige) Zielvorgabe machen kann, ist unangemessen benachteiligend im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB.
BAG, Urteil vom 3.7.2024 – 10 AZR 171/23
Der Fall
Der Arbeitnehmer ist in einer Führungsposition beschäftigt. Sein Gehalt setzt sich je zur Hälfte aus Festgehalt und Bonus zusammen. Der Vertrag sieht vor, dass der Bonus von Zielen abhängt, die jährlich zwischen Mitarbeiter und Gesellschaft vereinbart werden. Sollten Ziele nicht vereinbart werden, sollen diese seitens der Gesellschaft vorgegeben werden. Der Bonus sei eine freiwillige Leistung, der vom ungekündigten Bestand des Arbeitsvertrages am Auszahlungsstichtag und weiteren sechs Monaten abhängig sei. Die Arbeitgeberin bat den Kläger mit Schreiben vom 5.8. mit einer zweitägigen Frist um einen Vorschlag für eine Zielvereinbarung. Am 13.8. machte die Arbeitgeberin mit Stellungnahmefrist zum 19.8. selbst einen Vorschlag, der Arbeitnehmer unterbreitete wiederum am 19.8. einen Gegenvorschlag. Diesen lehnte die Arbeitgeberin am 26. 8. ab und gab gleichzeitig Ziele vor. Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung am 31.12., ein Bonus wurde nicht gezahlt. Auf die Zahlungsklage wurde der Bonus vom ArbG in voller Höhe, vom LAG zu 90 % zugesprochen.
Die Entscheidung
Das BAG bestätigte die Entscheidung des LAG, wenn auch mit anderer Begründung. Während das LAG die Klausel nach der Unklarheitenregel (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB) als unwirksam ansah, hatte der Senat insoweit keine Bedenken. Allerdings sei die Klausel unangemessen benachteiligend, wenn der Arbeitgeber ohne weitere Voraussetzungen von Zielvereinbarung auf Zielvorgabe umschwenken dürfe. Dabei betont das BAG, das sowohl eine Zielvereinbarung als auch eine Zielvorgabe zulässige Vertragsgestaltungen seien. Mit letzterem weiche ein Vertrag wegen § 315 BGB nicht vom Gesetz ab. Wer aber vertraglich eine Zielvereinbarung vorsehe, müsse auch mit dem Arbeitnehmer verhandeln. Der Grundsatz, von dem bei voraussetzungslosem Schwenk abgewichen werde, sei schlichtweg pacta sunt servanda. Die Freiwilligkeits- und Bindungsklauseln seien im Übrigen sämtlich unwirksam, da der Zielbonus zumindest auch im unmittelbaren Synallagma zu erbrachter Arbeitsleistung stand, so dass die Gegenleistung nicht unter Freiwilligkeitsvorbehalt, Stichtags- oder Rückzahlungsbeschränkungen stehen dürfe.
Unser Kommentar
Zielvereinbarungen mögen bei viel gutem Willen beider Parteien ein probates Mittel zur Incentivierung sein, in der betrieblichen Praxis werde sie aber sehr selten so schulbuchmäßig gelebt wie es nach Meinung mit der Umsetzung befasster außenstehender Dritter sein müsste. Die hiesige Entscheidung sollte Anlass genug sein, von Zielvereinbarungen Abschied zu nehmen und gleich Ziele vorzugeben. Wenn der hinter den Zielen stehende Betrag in EUR passend ist, wird das im Hinblick auf die Incentivierung keinen Unterschied machen, und der ersparte Zeitaufwand für die Zielvereinbarungsgespräche könnte schon in die Erreichung der Ziele investiert werden.
Autor
Axel Braun
Im Rahmen einer Vergütungsklage trägt ein Betriebsratsmitglied auch bei einer Kürzung der Vergütung durch den Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Anspruch auf die klageweise geltend gemachte, bisher bezogene Vergütung besteht.
LAG Niedersachsen, Urteil vom 12.6.2024 – 8 Sa 687/23
Der Fall
Der Kläger war freigestelltes Betriebsratsmitglied bei dem beklagten Automobilhersteller. Vor seiner Freistellung übernahm er in einem Projektteam Tätigkeiten aus den Bereichen Personal, Tarifwesen und Arbeitsorganisation/Arbeitsplatzgestaltung und war in Entgeltstufe 13 eingruppiert. Nachdem der Kläger im Jahr 2013 über eine interne Schulung eine Führungslizenz erwarb, schloss er mit der Beklagten eine Vereinbarung, dass für ihn die Tarifregelungen für Beschäftigte mit Spezialisten- oder Führungsfunktion („Tarif-Plus“) greifen. Ab Juli 2016 war er in Entgeltgruppe II des Tarif-Plus eingruppiert. Im Nachgang an ein Urteil des BGH (v. 10.1.2023 – 6 StR 133/22) überprüfte die Beklagte die Vergütung ihrer Betriebsräte und kürzte die Vergütung des Klägers ab Februar 2023 auf Entgeltstufe 13. Der Kläger machte mit seiner Klage Vergütung nach Entgeltgruppe II des Tarif-Plus – also seiner bisherigen Vergütung – geltend. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt.
Die Entscheidung
Das LAG Niedersachsen wies die gegen das Urteil des Arbeitsgerichts eingelegte Berufung der Beklagten zurück. Der Kläger habe einen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe II des Tarif-Plus aus § 611a Abs. 2 i. V. m. § 78 Satz 2 BetrVG. Das Gericht war davon überzeugt, dass der Kläger ohne Ausübung des Betriebsratsamts einen Karriereverlauf genommen hätte, der ihm eine entsprechende Vergütung gewährleistet. Zur Darlegungs- und Beweislast stellt das LAG Niedersachsen klar, dass diese auch dann beim klagenden Betriebsratsmitglied liegt, wenn es sich gegen eine arbeitgeberseitige Vergütungskürzung wehrt und lediglich die Fortzahlung der bisherigen Vergütungshöhe begehrt.
Dieser Darlegungslast sei der Kläger nachgekommen, indem er vortrug, dass regelmäßig Stellen als Industrial Engineer sowie als Vergütungsexperte zu besetzen gewesen seien, dass diese Stellen eine Vergütungsentwicklung jedenfalls bis Entgeltgruppe II des Tarif-Plus ermöglicht hätten, dass der Kläger die notwendigen Qualifikationen für die Stellen mitbringe und dass er sich nur wegen seiner Betriebsratstätigkeit nicht beworben habe. Diesen Behauptungen sei die Beklagte nicht substantiiert entgegengetreten. Insoweit folgte das Gericht nicht der Ansicht der Beklagten, der Kläger müsse zunächst auf ein bestimmtes Stellenbesetzungsverfahren Bezug nehmen, um eine anschließende Stellungnahme der Beklagten zu ermöglichen.
Unser Kommentar
Die Entscheidung zeigt das Dilemma, in welchem sich viele Arbeitgeber zurzeit befinden. Für die beklagte Arbeitgeberin ließ sich nicht zweifelsfrei feststellen, welchen hypothetischen Karriereverlauf das klagende Betriebsratsmitglied genommen hätte, sodass sie zur Vermeidung strafrechtlicher Risiken eine Kürzung der Vergütung vornehmen musste, im Arbeitsgerichtsprozess aber ihrer Darlegungslast nicht nachkommen konnte. Hintergrund ist das Urteil des BGH vom 10.1.2023 – 6 StR 133/22, nach welchem die Gewährung zu hoher Vergütung an Betriebsräte den Straftatbestand der Untreue gem. § 266 StGB erfüllen kann. Daraus folgend reicht es für die Erhöhung der Vergütung eines Betriebsratsmitglieds nicht aus, wenn der unterstellte Karriereverlauf bloß möglich oder plausibel ist. Vielmehr sollten Arbeitgeber die Vergütung ihrer Betriebsräte nur erhöhen, wenn dies der betriebsüblichen Entwicklung entspricht (vgl. § 37 Abs. 4 BetrVG) oder es konkrete Anhaltspunkte gibt, dass das Betriebsratsmitglied einen Karriereverlauf genommen hätte, der Anspruch auf eine entsprechende Vergütung gewährleistet. Wurden diese Grundsätze in der Vergangenheit nicht gewahrt, sollte eine Kürzung der Vergütung vorgenommen werden. Dies kann auch mit dem Ziel geschehen, anschließend Rechtssicherheit durch ein arbeitsgerichtliches Verfahren zu erlangen.
Autor
Leif Born
Der Verstoß eines Arbeitnehmers gegen Arbeitsanweisungen in grob fahrlässiger Art und Weise kann einen an sich wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB insbesondere dann darstellen, wenn der Arbeitnehmer mit besonders verantwortungsvollen Aufgaben betraut war.
LAG Niedersachsen, Urteil vom 29.7.2024 – 4 Sa 531/24
Der Fall
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlich fristlosen, hilfsweise außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Der Kläger war seit 1990 bei der Beklagten, zuletzt als Kranfahrer für ferngesteuerte Krananlagen, beschäftigt und aufgrund tarifvertraglicher Regelung ordentlich unkündbar. Bei der Beklagten bestehen Betriebs- sowie Arbeitsanweisungen für ein sicherheitsgerechtes Arbeiten und den Umgang mit den vom Kläger geführten Kränen sowie für das Arbeiten im Wirkbereich dieser Maschinen. In der Vergangenheit war der Kläger mehrfach durch unachtsames Verhalten aufgefallen und zuletzt 2022 abgemahnt worden.
Im Jahr 2022 stellte der Kläger fest, dass sich der von ihm an diesem Tag geführte Kran nicht mehr an seiner ursprünglichen Position befand. Der Kran war während seiner Abwesenheit von Elektrikern, die an einem anderen Kran Reparaturarbeiten durchführten, versetzt worden. Hiervon hatte der Kläger keine Kenntnis. Nachdem der Kläger die Funkfernsteuerung seines Krans auf dem Boden vorgefunden hatte, setzte er diesen in Bewegung, ohne sich vorab über dessen Position Klarheit verschafft zu haben. Sein Kran kollidierte in der Folge mit dem Kran, auf dem sich die Elektriker befanden. Die Beklagte kündigte aufgrund dieses unachtsamen Verhaltens das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Das ArbG Braunschweig gab zunächst der Kündigungsschutzklage statt.
Die Entscheidung
Die hiergegen eingelegte Berufung der Beklagten vor dem LAG Niedersachsen hatte Erfolg. Das grob fahrlässige Verhalten des Klägers – die Steuerung des Krans ohne vorherige Vergewisserung einer freien Fahrbahnfläche – sei an sich geeignet, einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Eine Schlecht- bzw. unzureichende Arbeitsleistung sei in der Regel zwar nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Eine außerordentlich fristlose Kündigung könne dann zulässig sein, wenn das fahrlässige Verhalten des Arbeitnehmers geeignet sei, besonders schwere Schäden herbeizuführen und der Arbeitnehmer eine besondere Verantwortung für das Eigentum des Arbeitgebers und insbesondere für Leib und Leben der mit der Gefahrenquelle in Berührung kommenden Kolleginnen und Kollegen übernommen habe. Das grob fahrlässige Verhalten resultiere daraus, dass der Kläger seinen Kran in Bewegung setzte, ohne sich vorab darüber zu versichern, dass dessen Fahrbahn frei sei. Zudem könne er sich nicht darauf zurückziehen, dass die Elektriker ihrerseits entsprechende Sicherheitsvorkehrungen unterließen. Aufgrund des Verhaltens der Vergangenheit, könne die Beklagte auch damit rechnen, dass der Kläger zukünftig bedeutsame Betriebs- und Arbeitsanweisungen nicht einhalten werde. Trotz einschlägiger Abmahnungen habe der Kläger sein Verhalten nicht angepasst.
Eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit – insbesondere als Wachmann – habe die Beklagte zudem nicht anbieten müssen. Das Verhalten des Klägers zeige, dass er grundsätzlich nicht über die notwendige Sorgfalt hinsichtlich der Umsetzung von Arbeitsanweisungen verfüge.
Unser Kommentar
Das Gericht betont die Bedeutung der Einhaltung von Sicherheitsvorschriften und stärkt die Handlungsoptionen von Arbeitgebern in Fällen schwerwiegender Verstöße gegen (sicherheitsrelevante) Betriebs- und Arbeitsanweisungen. Zugleich erinnert es an die Notwendigkeit einer sorgfältigen Prüfung der Verhältnismäßigkeit sowie möglicher Alternativen zur Kündigung. Arbeitgeber sollten Pflichtverletzungen dokumentieren und Abmahnungen konsequent als Vorstufe zur Kündigung nutzen.
Autor
Denis Miller
Die Unterschrift des Betriebsratsvorsitzenden begründet keine Tatsachenvermutung des Inhalts, dass die Unterschrift von einem ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss gedeckt ist.
LAG Düsseldorf, Urteil v. 5.6.2024 – 5 Sa 506/23
Der Fall
Die Parteien streiten darüber, nach welcher Versorgungsordnung sich die Betriebsrentenansprüche des Klägers richten. Dem Kläger wurden ab dem 1.5.1980 Leistungen der betrieblichen Altersversorgung über eine Pensionskasse zugesagt. Die Beklagte und ihre Rechtsvorgänger verzeichneten in den Jahren 2003 bis 2005 Verluste im Millionenbereich. Am 13.6.2007 unterzeichneten die Geschäftsführung und der damalige Betriebsratsvorsitzende eine „Betriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung“. Diese Betriebsvereinbarung sollte mit Wirkung für die Zukunft die Betriebsrente bei der Beklagten neu regeln. Es ist streitig, ob ein wirksamer Betriebsratsbeschluss vorliegt. Das ArbG gab dem Zahlungsantrag statt.
Die Entscheidung
Die Berufung der Beklagten hatte zwar hinsichtlich des Zahlungsantrags (aus formalen Gründen) Erfolg, der Feststellungsantrag war jedoch überwiegend begründet. Zwar lägen sachlich-proportionale Gründe im Sinne der Drei-Stufen-Theorie des BAG zur Ablösung der Versorgungsordnung durch eine Betriebsvereinbarung vor. Jedoch habe die Betriebsvereinbarung die dem Kläger zugesagte Versorgung dennoch nicht rechtswirksam abgelöst, weil sie mangels Betriebsratsbeschluss aus formellen Gründen unwirksam sei. Nach Durchführung der Beweisaufnahme sei unter Würdigung der Aussagen der vernommenen Zeugen und der vorliegenden Unterlagen nicht mit der gem. § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit festzustellen, dass der Betriebsvereinbarung ein wirksamer Betriebsratsbeschluss zugrunde liege. Die Unaufklärbarkeit des Vorliegens eines ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschlusses gehe hier zulasten der Beklagten. Die erkennende Kammer ging davon aus, dass eine Tatsachenvermutung i. S. v. § 292 ZPO nicht bestehe. Dies habe zur Folge, dass die Unaufklärbarkeit zulasten der Beklagten, die sich auf die ablösende Wirkung der Betriebsvereinbarung berufe, und nicht zulasten des Klägers gehe, der sich auf ein unbefugtes Handeln des Betriebsratsvorsitzenden berufe.
Arbeitgeberseitige Bestimmungen zum Desk Sharing und einer zusammenhängenden Clean-Desk-Policy sind grundsätzlich nicht mitbestimmungspflichtig; etwas anderes kann für flankierende Nebenregelungen gelten, bspw. im Hinblick auf die Lagerung von persönlichen Arbeitsmitteln oder privaten Gegenständen in arbeitsfreien Zeiten.
LAG Baden-Württemberg, Beschluss vom 6.8.2024 – 21 TaBV 7/24
Der Fall
Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle. Die Arbeitgeberin stellte im Herbst 2023 ein neues Konzept zur Nutzung von Großraumbüros in einem ihrer Betriebe vor. Zuvor waren die dortigen Arbeitsplätze fest zugeordnet, künftig sollte aber ein Desk Sharing stattfinden. Zusammenhängend plante sie die Einführung einer Clean-Desk-Policy, durch die Arbeitnehmer verpflichtet werden, die genutzten Arbeitsplätze bei Feierabend aufzuräumen und private Gegenstände sowie persönliche Arbeitsmittel in Schränken zu lagern. Ferner sollte die Betriebsfläche in die Bereiche „Ankommen“, „Arbeiten“, „Community“ und „Austausch“ strukturiert werden. Ein technisches Buchungstool für die Reservierung der Arbeitsplätze war nicht vorgesehen, eine Gefährdungsbeurteilung für das neue Konzept fand nicht statt.
Der vor Ort gebildete Betriebsrat machte daraufhin Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 6 und Nr. 7 BetrVG sowie aus § 111 BetrVG geltend. Als die Arbeitgeberin dies zurückwies, beantragte er die Einsetzung einer Einigungsstelle samt Bestimmung eines von ihm genannten Vorsitzenden und jeweils vier Beisitzern. Das ArbG wies die Anträge zurück, da die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei.
Die Entscheidung
Das LAG Baden-Württemberg hat der Beschwerde des Betriebsrats wiederum teilweise stattgegeben. Zwar würden das Desk Sharing und die Clean-Desk-Policy an sich nicht der Mitbestimmung unterliegen. Das neue Raumkonzept enthalte aber zwei Teilbereiche, die herausgelöst werden könnten und für die jeweils die Voraussetzungen zur Einsetzung einer Einigungsstelle gegeben seien. Zum einen sei dies die Ordnung hinsichtlich von den Arbeitnehmern eingebrachter persönlicher Gegenstände, wofür ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bestehen könnte. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG habe der Betriebsrat in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Das Ordnungsverhalten im Sinne der Norm werde berührt, wenn eine Maßnahme des Arbeitgebers auf die Gestaltung des kollektiven Miteinanders oder die Gewährleistung und Aufrechterhaltung der vorgegebenen Ordnung des Betriebs zielt. Gegenstand sei demnach das betriebliche Zusammenleben und das kollektive Zusammenwirken der Arbeitnehmer. Maßnahmen, die das Arbeitsverhalten regeln, seien dagegen nicht mitbestimmungspflichtig. Wirkt sich eine Maßnahme sowohl auf das Arbeits- als auch auf das Ordnungsverhalten aus, sei der überwiegende Regelungszweck für die Einordnung maßgebend. Da vorliegend mit dem neuen Konzept auch Regelungen darüber verbunden seien, welche privaten Gegenstände mitgebracht werden dürfen und wie diese im Betrieb aufzubewahren sind, sei nicht sofort ausgeschlossen, dass überwiegend das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betroffen ist. Ob dies tatsächlich so ist, sei von der Einigungsstelle zu prüfen.
Der andere Teilbereich, der mitbestimmungspflichtig sein könnte und für den mithin keine offensichtliche Unzuständigkeit der Einigungsstelle bestehe, sei die Ordnung hinsichtlich des Verhaltens auf Flächen mit sogenannten überlagernden Nutzungen. Die neue Aufteilung des Büros in verschiedene Bereiche beinhalte schon nach der Planung der Arbeitgeberin die Möglichkeit fließender Übergänge, also dass etwa in einem „Community“-Bereich wie der Küche auch Spontanmeetings stattfinden können. Hierdurch sei das betriebliche Zusammenleben und das kollektive Zusammenwirken betroffen, da sich anwesende, aber nicht tangierte Mitarbeiter diesem Übergang anpassen müssen. Auch hier könne somit das Ordnungsverhalten berührt sein. Das Desk Sharing und das Aufräumen der Arbeitsplätze betreffe hingegen eindeutig nur das Arbeitsverhalten. Ein Mitbestimmungsrecht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG scheide im Übrigen aus, weil keine technische Einrichtung mit dem neuen Konzept verbunden sei. Dasselbe gelte für § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG, da es keine Feststellung konkreter Gefährdungen gegeben habe. Für einen Fall des § 111 BetrVG fehle es schließlich an Verhandlungen über einen Interessenausgleich oder Sozialplan. Die Zahl der Beisitzer sei auf zwei festzusetzen, da keine besonders schwierigen oder umfangreichen Regelungsfragen zu entscheiden seien.
Zwar haben sog. Vorfeldinitiatoren einer Betriebsratswahl gem. § 15 Abs. 3b KSchG einen besonderen Kündigungsschutz, der Anwendungsbereich der Norm bezieht sich jedoch schon nach ihrem Wortlaut nicht auf betriebsbedingte Kündigungen.
LAG Köln, Urteil vom 19.1.2024 – 7 GLa 2/24
Der Fall
Die Parteien streiten im einstweiligen Rechtsschutz über einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung und zuletzt noch auf Zugang zu betrieblichen Kommunikationsmitteln. Der Verfügungskläger war seit Herbst 2020 bei der Verfügungsklägerin beschäftigt, einem IT-Unternehmen. Sämtliche Arbeitnehmer dort arbeiten permanent im Home Office. Im Sommer 2023 wurde der Kläger von einem Kollegen in eine WhatsApp-Gruppe eingeladen, in der die Gründung eines Betriebsrats diskutiert wurde. Besagter Kollege führte zu diesem Thema im September 2023 ein Informationsgespräch mit ver.di und übersendete dem Kläger anschließend Informationsmaterial der Gewerkschaft. Am 27.10.2023 gab der Kläger eine öffentlich beglaubigte Erklärung darüber ab, dass er eine Betriebsratswahl durchführen will. Darin gab er zudem an, bestimmte Vorbereitungshandlungen unternommen zu haben, u. a. Absprachen mit Kollegen und Beratungsgespräche.
Drei Tage später kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen zum 30.11.2023 und stellte ihn frei. Der Kläger erhob daraufhin Kündigungsschutzklage und stellte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Weiterbeschäftigung bis zur Einladung zu einer Betriebs- oder Wahlversammlung oder bis spätestens 27.1.2024. Mit der Freistellung sei ihm der Zugang zu den dienstlichen Kommunikationsmitteln entzogen worden; eine Weiterbeschäftigung sei essenziell, damit er seine Rolle als Vorfeldinitiator erfüllen könne. Am 11.12.2023 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut, diesmal außerordentlich, da der Kläger in seiner notariellen Erklärung falsche Angaben gemacht habe. Das ArbG Bonn gab dem Antrag statt.
Die Entscheidung
Das LAG Köln hat wiederum der Berufung der Beklagten entsprochen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrte Verpflichtung. Wird ein Arbeitsverhältnis gekündigt und dessen Fortbestehen streitig, so entstehe ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung, das den Beschäftigungsanspruch für die Prozessdauer entfallen lasse. Sofern die Kündigung nicht bereits offensichtlich unwirksam ist, bestehe ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung nur, wenn besondere Gründe dafür geltend gemacht werden. Solche seien hier nicht ersichtlich. Vorliegend ergebe sich auch keine offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigungen aus § 15 Abs. 3b KSchG. Zwar falle der Kläger in den Schutzbereich der Norm, weil er eine öffentlich beglaubigte Erklärung darüber abgegeben hat, einen Betriebsrat errichten zu wollen. Auch habe er Vorbereitungshandlungen im Sinne der Vorschrift unternommen, worunter z. B. Gespräche mit anderen Arbeitnehmern fielen, um die Unterstützung für eine Betriebsratsgründung zu ermitteln, um das Für und Wider einer solchen zu besprechen oder um Schritte zu planen, die für die Planung und Durchführung der Betriebsratswahl relevant sein können. Auch habe er sich gewerkschaftliches Informationsmaterial besorgt.
Der besondere Kündigungsschutz erstrecke sich jedoch nicht auf betriebsbedingte Kündigungen, genauso wenig wie auf personen- oder verhaltensbedingte Kündigungen aus wichtigem Grund. Beide Kündigungen hier würden somit nicht in den Anwendungsbereich der Vorschrift fallen. Der Status des Klägers als Vorfeldinitiator bilde auch keinen besonderen Grund, der die Interessenabwägung hinsichtlich des Weiterbeschäftigungsanspruchs anders ausfallen ließe. Der Kläger werde durch die Vorenthaltung des Zugangs zu den betrieblichen Kommunikationskanälen nicht bei mit der Betriebsratswahl zusammenhängenden Handlungen behindert. Ebenso wenig folge daraus eine Behinderung der Wahl selbst.
Schließt ein Pilot mit einem Unternehmen einen Rahmenvertrag über Flugeinsätze auf Abruf, die er zwar auch ablehnen kann, für die er aber kostenfrei ein Flugzeug des Unternehmens nutzt und bei deren Durchführung er keine eigene unternehmerische Gestaltungsfreiheit hat, so liegt in der Gesamtschau eine abhängige Beschäftigung i. S. d. § 7 Abs. 1 SGB IV vor.
BSG, Urteil vom 23.4.2024 – B 12 BA 9/22 R
Der Fall
Die Beteiligten streiten um den versicherungsrechtlichen Status des beigeladenen Beschäftigten. Die Klägerin ist ein Unternehmen, das Wurstwaren produziert und vertreibt. Eine ihrer Schwestergesellschaften verfügt über ein Flugzeug, das unternehmensübergreifend u. a. für die Beförderung von Personal zu Produktionsstätten genutzt wird. Anfang 2015 schloss die Klägerin mit dem Beigeladenen einen „Rahmen-Dienstvertrag für freie Mitarbeiter eines Flugzeugführers“, der im Januar 2017 endete. Der Beigeladene sollte im Rahmen dessen Einsätze für die Klägerin fliegen, die jeweils individuell vereinbart wurden und die er auch ablehnen konnte. Gemäß der Vereinbarung unterlag er nicht den Weisungen der Klägerin. Bei jedem Flug erhielt er EUR 300 pro Einsatztag, zudem durfte er auch für Dritte tätig zu sein. Außer dem bereitgestellten Flugzeug erhielt er keine anderen Arbeitsmittel. Nach Beendigung des Rahmenvertrags stellte die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund die Versicherungspflicht des Beigeladenen in der gesetzlichen Rentenversicherung fest. Der hiergegen gerichteten Klage gab das SG statt. In der mündlichen Verhandlung vor dem LSG änderte die Beklagte ihre Feststellung dahin gehend, dass der Beigeladene erst ab dem ersten Flugeinsatz für die Klägerin der Versicherungspflicht unterlag. Das LSG gab daraufhin der Berufung der Beklagten statt und stellte die Versicherungspflicht fest.
Die Entscheidung
So entschied auch der Zwölfte Senat des BSG. Unter die Versicherungspflicht gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB VI fielen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind. Beschäftigung sei nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere – aber nicht zwingend – in einem Arbeitsverhältnis. Entscheidend sei die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung der Vertragsverhältnisse. Vorliegend spreche das Gesamtbild für eine abhängige Beschäftigung: Bei Gestaltungen, in denen auf Grundlage eines Rahmenvertrags die Übernahme einzelner Dienste individuell vereinbart wird, sei für die Versicherungspflicht allein auf die Ausführung der Einzelaufträge abzustellen. Relevant seien hier mithin nur die durchgeführten Einsätze des Beigeladenen. Für eine abhängige Beschäftigung spreche, dass dieser in die von der Klägerin geplanten Abläufe eingegliedert war und das zur Verfügung gestellte Flugzeug als zentrales Betriebsmittel genutzt hat, ohne selbst nachhaltig unternehmerischen Einfluss nehmen zu können.
Dass der Klägerin kein typisches Weisungsrecht zustand, sei irrelevant, da dieses gem. § 106 Satz 1 i. V. m. § 6 Abs. 2 GewO nach billigem Ermessen näher bestimmt werden könne. Kennzeichnend sei dabei die einseitige Ausübung im Gegensatz zu einvernehmlich vereinbarten Vertragsinhalten. Eine Weisungsgebundenheit könne sich – wie § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB zeige – auch aus einer detaillierten und den Freiraum für die Erbringung der geschuldeten Leistung stark einschränkenden Vertragsgestaltung oder -durchführung ergeben. Dazu könne eine abhängige Beschäftigung allein aus der Eingliederung in den Betrieb resultieren; selbst Dienste höherer Art könnten daher fremdbestimmt sein. Maßgeblich sei, ob und inwieweit noch Raum für unternehmerische Freiheit zur Gestaltung der Tätigkeit mit entsprechenden Chancen und Risiken verbleibt. Hier hätten die Aufgabengestaltung und die Durchführungspflicht des Beigeladenen keinen solchen Raum gelassen. Neben der Eingliederung in die vorgegebenen Abläufe habe dieser ferner ausschließlich Betriebsmittel der Klägerin genutzt. Das für seine Dienste unentbehrliche Flugzeug wurde ihm kostenfrei zur Verfügung gestellt, ein eigenes unternehmerisches Risiko habe nicht vorgelegen. Außerdem habe er sich an die zeitlichen Vorgaben der Klägerin halten müssen; die Möglichkeit zum Abschluss eines Flugauftrags habe nur bei deren Bedarf bestanden. Dass der Beigeladene auch für andere Auftraggeber tätig werden durfte, überwiege nicht dessen Gesamtabhängigkeit von den Aufträgen der Klägerin.
Eine Inflationsausgleichsprämie kann als arbeitsleistungsbezogene Sonderzuwendung ausgestaltet werden, indem sie nur solchen Arbeitnehmern gewährt wird, die im Bezugszeitraum eine Arbeitsleistung erbracht haben; die steuerliche Privilegierung der Prämie steht dieser Zweckbindung nicht entgegen
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 14.8.2024 – 10 Sa 4/24
Der Fall
Der klagende Arbeitnehmer erbrachte für die beklagte Arbeitgeberin im gesamten Jahr 2023 keine Arbeitsleistung, weil er bereits länger arbeitsunfähig erkrankt war. Die Beklagte leistete in 2023 mithin auch keine Entgeltfortzahlung, vielmehr bezog der Kläger durchweg Krankengeld. Im März 2023 zahlte die Beklagte an ihre Arbeitnehmer eine Inflationsausgleichsprämie i. H. v. EUR 1.500 netto, jedoch nur an Mitarbeiter, die im laufenden Jahr eine Vergütung für geleistete Arbeit erhielten. Arbeitnehmer, die Entgeltersatzleistungen bezogen, wurde keine Prämie gewährt, auch nicht anteilig, weshalb der Kläger auch keine erhielt. Anfang Mai 2023 forderte er daher die Zahlung der vollen Prämie, was die Beklagte ablehnte. In der Folge erhob er Klage; seines Erachtens steht ihm die Prämie in voller Höhe zu, da die Beklagte bei der Gewährung keine Unterscheidung dahin gehend vornehmen dürfe, ob das Arbeitsverhältnis ruhe, weil ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig ist. Das ArbG wies die Klage ab.
Die Entscheidung
So entschied auch das LAG Baden-Württemberg und wies die Berufung des Klägers zurück. Dieser habe keinen Anspruch auf die Prämie, auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Zwar habe die Beklagte ihn aus der Gruppe vergleichbarer und vorteilhaft behandelter Personen ausgenommen, allerdings durfte sie die Leistung unter die Voraussetzung stellen, dass ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine arbeitsleistungsbezogene Vergütung hatte. Darin liege keine sachfremde Gruppenbildung. Die Inflationsausgleichsprämie sei von der Beklagten als arbeitsleistungsbezogene Sonderzahlung ausgestaltet worden. Arbeitnehmer, die keine Vergütung für ihre Arbeitsleistung und auch nicht Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 3 Abs. 1 EFZG erhielten, wurde keine Prämie gewährt. Damit seien nur Arbeitnehmer ausgeschlossen worden, die im gesamten Jahr 2023 überhaupt keine Arbeitsleistung erbracht und keinerlei Entgeltleistungen erhalten haben. Grundsätzlich dürfe ein Arbeitgeber eine Sonderzahlung an diese Voraussetzung knüpfen; es handele sich dann um Arbeitsentgelt für geleistete Arbeit, das zu einem anderen Zeitpunkt fällig wird.
Einer derartigen Ausgestaltung stehe auch nicht der gesetzgeberische Zweck des § 3 Nr. 11c EStG entgegen. Laut den Gesetzesmaterialien zu der 2022 eingeführten steuerfreien Prämie seien an den Zusammenhang zwischen Leistung und Preissteigerung keine besonderen Anforderungen zu stellen seien. Zusätzliche Zwecke seien somit nicht ausgeschlossen. Eine Inflationsausgleichsprämie müsse gem. § 3 Nr. 11c EStG neben dem geschuldeten Arbeitslohn gewährt werden. Daraus lasse sich nicht mit Sicherheit sagen, ob der Arbeitgeber mit der Zahlung der Prämie über den in § 3 Nr. 11c EStG verfolgten Sozialzweck hinaus auch rein arbeitsrechtliche Ziele wie die Vergütung der Arbeitsleistung verfolgen darf. Die Zielerreichung der Inflationsausgleichsprämie – eine Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise sowie die Vermeidung einer Lohn-Preis-Spirale – werde nur möglich, wenn Arbeitgeber hierfür freiwillig eigene Mittel bereitstellen. Verwehre man jegliche Differenzierung durch weitere Zwecksetzungen, da alle Arbeitnehmer von den Verbraucherpreisen gleichermaßen betroffen sind, so dürfte die Prämie etwa hinsichtlich des Umfangs bei Teilzeitkräften nicht vom Umfang der Arbeitsleistung im Verhältnis abhängig gemacht werden. Dies erscheine nicht sachgerecht; wer freiwillig leiste, müsse auch über die Verteilung der Leistung bestimmen dürfen. Ferner würde dies dazu führen, dass von der Prämie eher zurückhaltend Gebrauch gemacht wird. Ob eine Verfehlung des von § 3 Nr. 11c EStG verfolgten Zweckes vorliege, könne dahinstehen, da der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz auch dann nicht verletzt wäre. Die Revision wurde zugelassen und eingelegt (Az. beim BAG: 10 AZR 240/24).
Die Einhaltung der Übermittlungspflicht nach § 17 Abs. 3 KSchG dient lediglich der Bundesagentur für Arbeit eine Vorabinformation zu erhalten und bezweckt nicht den individuellen Schutz des einzelnen Arbeitnehmers.
BAG, Urteil vom 23.5.2024 – 6 AZR 155/21
Der Fall
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer im Rahmen einer Massenentlassung erklärten ordentlichen, betriebsbedingten Kündigung des Klägers. Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter der Schuldnerin. Am 17.1.2020 beschloss die Schuldnerin, den Betrieb vollständig einzustellen und übermittelte dem Betriebsrat den Entwurf eines Interessenausgleichs. Mit den Interessensausgleichsverhandlungen sollte die aufgrund der beabsichtigten Massenentlassung erforderliche Konsultation mit dem Betriebsrat durchgeführt werden. Die Schuldnerin sendete keine Abschrift der das Konsultationsverfahren einleitenden Mitteilung an die Agentur für Arbeit. Die Schuldnerin kündigte die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter nach Erstattung der Massenentlassungsanzeige am 28.1.2020 zum 30.4.2020. Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Berufung zurückgewiesen.
Die Entscheidung
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Die Kündigung ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 30.4.2020 aufgelöst. Ein Verstoß gegen die Übermittlungspflicht durch das fehlende Übersenden der Abschrift des Konsultationsverfahren an die zuständige Agentur für Arbeit aus § 17 Abs. 3 KSchG (bzw. Art. 2 und Art. 3 Massenentlassungsrichtlinie – MERL) liegt vor. Ein solcher Verstoß führt nicht zu der Unwirksamkeit der Kündigung. Aus § 17 Abs. 3 Satz 1 KSchG lässt sich keine Verbotsanordnung entnehmen, die Norm ist kein Verbotsgesetz i. S. d. § 134 BGB. Sie soll nicht den individuellen Schutz des einzelnen Arbeitnehmers bezwecken. Durch die Übermittlung der Informationen, zu dem Zeitpunkt, in dem eine Massenentlassung lediglich beabsichtigt ist, soll sich die Behörde erstmalig einen Überblick verschaffen. Der Verlauf des Konsultationsverfahrens kann schließlich noch modifiziert und ergänzt werden. Die Unwirksamkeit der Kündigung als Rechtsfolge eines Verstoßes gegen die Übermittlungspflicht ist mangels vorgesehener Rechtsfolgen in der MERL nicht durch den unionsrechtlichen Äquivalenzgrundsatz geboten.
Rund vier von fünf Unternehmen haben sich ihren Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet, sie mit einer betrieblichen Altersversorgung im Alter, bei Invalidität oder im Todesfall ihre Angehörigen zu unterstützen. Diese Versorgungsverpflichtung nehmen Unternehmen oftmals nur als eine finanzielle Belastung wahr. Zu Unrecht, denn tatsächlich können diese Verpflichtungen ein Schlüssel dafür sein, in wirtschaftlichen Belastungssituationen zusätzliche Finanzreserven zu mobilisieren. Häufig ist es möglich, die Verpflichtungen aus der betrieblichen Altersversorgung derart zu optimieren, dass die Liquidität verbessert wird, die Kosten reduziert werden.
I. Verbesserung der Liquidität
Unterbrechung von Beitragszahlungen: Durch die Unterbrechung von Beitragszahlungen an externe Versorgungsträger kann der Abfluss von Liquidität gestoppt werden.
Beleihung von Deckungsmitteln: Rückdeckungsversicherungen und Direktversicherungen sind prinzipiell beleihbar. Durch die Beleihung von Deckungsmitteln kann die Liquidität ad hoc verbessert werden.
II. Kostenreduktion
Schließung der Versorgungspläne: Die Schließung von Versorgungsplänen spart künftige Kosten ein. Die Kostenwirkung ist größer, wenn die Schließung der Versorgungspläne nicht nur neueintretende Mitarbeiter betrifft, sondern auch Bestandsmitarbeiter. So können bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die weiteren Zuwächse bei den Versorgungsansprüchen gebremst werden oder sogar vollständig entfallen.
Umstieg auf Pensionsfonds-Versorgung: Durch den Wechsel des Durchführungsweges von einer Direktzusage auf eine Pensionsfonds-Versorgung können die Beiträge zur gesetzlichen Insolvenzsicherung (PSVaG) deutlich reduziert werden.
III. Bilanzielle Entlastung
Abfindungsangebot an Mitarbeiter: Bieten Sie Ihren aktuell beschäftigten Mitarbeitern eine Abfindung für die bisher erworbenen Versorgungsanwartschaften an: Im bestehenden Beschäftigungsverhältnis können betriebliche Versorgungszusagen grundsätzlich gegen Zahlung einer Abfindung aufgehoben werden. Die Abfindung führt zu einer rechtlichen Befreiung von den Versorgungsverpflichtungen und senkt dadurch die Pensionsrückstellung.
Rückstellungssenkungen durch neuen Leistungsplan: Grundsätzlich kann in betriebliche Versorgungsrechte eingegriffen werden. Eingriffe sind umso eher möglich, je gewichtiger die Eingriffsgründe sind.
Einführung von Wahlrechten: Durch die Einführung von Wahlrechten kann eine Reduktion der Pensionsrückstellungen erreicht werden. Sieht eine Versorgungsregelung bislang nur eine Auszahlung der Leistungen in Form von laufenden Renten vor, kann die Einführung weiterer Auszahlungsoptionen (Ratenzahlung oder Kapitalzahlung) rückstellungsmindernd wirken.
Wechsel des Durchführungsweges: Durch den Wechsel des Durchführungsweges von einer unmittelbaren Versorgungszusage (Direktzusage) auf mittelbare Zusagen (Unterstützungskasse, Direktversicherung, Pensionskasse, Pensionsfonds) können Pensionsrückstellungen vollständig eliminiert werden.
IV. Fazit
Die betriebliche Altersversorgung in ihren vielfältigen Erscheinungsformen bietet eine wertvolle Gestaltungsoption, um Unternehmen erfolgreich durch herausfordernde Zeiten zu navigieren. Es gibt zahlreiche flexible Möglichkeiten zur Verbesserung von Liquidität, Profitabilität (Kosten) und bilanzieller Verschuldung. Die Wahl des richtigen Instruments hängt von der konkreten Situation des Unternehmens, seiner Historie und anderen Faktoren ab. Hier ist der Rat eines kompetenten Experten gefragt, um rechtlich zulässige und für das Unternehmen passende Maßnahmen auszuwählen.
Autoren
Dr. Marco Arteaga
Dr. Annekatrin Veit
Der französischen Kassationsgerichtshof hat Ende 2023 seine Rechtsprechung bezüglich der Verwertung von Beweismitteln geändert (Cour de Cassation, Urt. v. 22.12.2023 – 20-20.648). In einem Prozess können nun auch Beweismittel berücksichtigt werden, die auf „unfaire“ – also rechtswidrige – Weise erlangt wurden. Die französische Rechtsprechung passt sich damit dem EU-Recht an.
Im zugrunde liegenden Fall wurde ein Vertriebsleiter, der im Home Office arbeitete, durch eine außerordentliche Kündigung entlassen, weil er sich ausdrücklich geweigert hatte, seinem Arbeitgeber Berichte über seine Geschäftstätigkeit vorzulegen. Der Arbeitgeber konnte diese Weigerung des Arbeitnehmers nur mithilfe einer heimlichen Gesprächsaufnahme beweisen. Im Berufungsverfahren hatten die Richter den Beweis für unzulässig erklärt, da er rechtswidrig erlangt worden war. Weil es keine weiteren Beweise für die Weigerung des Arbeitnehmers gab, seine Geschäftsberichte vorzulegen, kamen die Richter zu dem Schluss, dass die Entlassung nicht gerechtfertigt war. Der Arbeitgeber legte Einspruch ein und argumentierte, dass Tonaufnahmen, selbst wenn sie ohne das Wissen eines Arbeitnehmers gemacht wurden, zulässig sind, wenn sie die Rechte des Arbeitnehmers nicht beeinträchtigen, für das Beweisrecht und den Schutz der Interessen des Arbeitgebers unerlässlich sind und in einem fairen Verfahren besprochen werden konnten.
Bisher weigerte sich das Kassationsgericht, Beweise zu akzeptieren, die auf unfaire Weise erlangt wurden. Nun änderte es aber seine Position und hält sich damit an das europäische Recht. Die Richter weisen darauf hin, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Beweise, die als unlauter angesehen werden, nicht grundsätzlich für unzulässig hält. Infolgedessen seien Beweise, die auf unlautere Weise erlangt wurden, unter bestimmten Bedingungen zulässig sind. Das Recht auf Beweise kann daher künftig die Vorlage von Elementen rechtfertigen, die andere Rechte verletzen, sofern diese Vorlage unerlässlich ist und der Eingriff in die anderen Rechte in einem strikten Verhältnis zum verfolgten Ziel steht. Gemäß dem Kassationshof gehe es um die Notwendigkeit, jemandem nicht die Möglichkeit zu nehmen, seine Rechte zu beweisen, wenn der einzige Beweis, der ihm zur Verfügung steht, eine Verletzung der Rechte der Gegenpartei voraussetzt. In der Konsequenz können damit beide Arbeitsvertragsparteien Beweismittel wie geheime Aufnahme oder Aufnahmen einer versteckten Kamera verwenden, aber nur unter der Voraussetzung, dass dies der einzige Beweis ist, der zur Durchsetzung der eigenen Rechte besteht. Ferner muss das Beweismittel in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen.
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