30.03.2022
Infolge des im Frühjahr 2014 aus den Euromaidan-Protesten hervorgegangenen und von der Russischen Föderation unterstützten bewaffneten Konflikts in den Regionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine sowie der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im März 2014, aber auch aufgrund der durch die frühere Regierung der Ukraine unter Präsident Wiktor Janukowytsch begangenen Menschrechtsverletzungen verhängte die Europäische Union noch im Jahre 2014 zahlreiche Embargomaßnahmen gegen Russland (und auch die Ukraine), die laufend erweitert und verlängert wurden und noch heute in Kraft sind. In Reaktion auf die jüngsten Ereignisse seit dem 21. Februar 2022 wurden diese bereits bestehenden Maßnahmen nun nochmals erweitert, verschärft und ergänzt.
Bei den bisherigen Embargomaßnahmen handelt es sich um die folgenden:
Zudem besteht gegen Belarus bereits seit dem Jahre 2006 ebenfalls ein Embargo:
Als Reaktion auf die von Präsident Wladimir Putin am 21. Februar 2022 erklärte Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk hat die EU am 23. Februar 2022 den bestehenden Sanktionskatalog erweitert und zugleich eine neue Embargo-Verordnung erlassen. Auf die am Morgen des 24. Februar 2022 begonnene Invasion nicht nur der Regionen Donezk und Luhansk, sondern der gesamten Ukraine durch das russische Militär hat die EU am 25. Februar 2022 mit zusätzlichen Sanktionen und Beschränkungen reagiert und sodann fortlaufend weitere Maßnahmen angekündigt und auch umgesetzt, nicht nur gegen Russland, sondern auch gegen Belarus.
Derzeit sind die folgenden Sanktionen (in chronologischer Reihenfolge) bereits in Kraft:
Gemäß Art. 2 Abs. 1 der VO (EU) 269/2014 werden zunächst sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen „eingefroren“. Für (deutsche und europäische) Wirtschaftsbeteiligte wesentlich bedeutsamer ist jedoch das in Art. 2 Abs. 2 normierte und in allen Mitgliedstaaten allgemeinverbindliche „Bereitstellungsverbot“: Danach dürfen den in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen oder den dort aufgeführten mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen „weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen“. Da einerseits „Gelder“ erfasst sind und es sich andererseits bei den „wirtschaftlichen Ressourcen“ gemäß der Definition in Art. 1 lit. d) um Vermögenswerte jeder Art handelt, unabhängig davon, ob sie materiell oder immateriell, beweglich oder unbeweglich sind, bei denen es sich nicht um Gelder handelt, die aber für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet werden können, im Ergebnis also sämtliche (Handels-) Güter, und auch die bloß „mittelbare“ Bereitstellung untersagt ist (was etwa der Fall wäre, wenn der Empfänger der Gelder oder Güter mehrheitlich von der gelisteten Person kontrolliert wird), wirkt dieses Bereitstellungsverbot – von wenigen Ausnahmetatbeständen abgesehen – faktisch wie ein Totalembargo gegenüber den gelisteten Personen, Einrichtungen und Organisationen.
Der Krieg in der Ukraine und die inzwischen in Kraft getretenen beispiellosen Sanktionen des Westens haben dazu geführt, dass die russische Wirtschaft erheblich gestört wird. In der Ukraine selbst sind durch die Kriegshandlungen die Aktivitäten der Unternehmen in großen Teilen zum Erliegen gekommen. Selbst die Kommunikationswege sind bereits massiv gestört. All dies zeigt auch bereits Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben außerhalb der Ukraine und Russlands. Angefangen von der Lieferung von Vorprodukten, die ausbleiben, was in der EU und anderswo zu Produktionsstillstand führt, bis hin zu Zahlungsausfällen bei Kunden können die Aktivitäten hiesiger Unternehmen eingeschränkt oder sogar erheblich gefährdet werden. Dies kann bis hin zu einer Bestandsgefährdung gehen, wenn durch Zahlungsausfälle massive eigene Liquiditätsprobleme entstehen.
Führungspersonal des Unternehmens auf Reisen kann zudem von Einschränkungen des Reiseverkehrs betroffen sein, sodass es notwendig werden kann, im Falle eigener Abwesenheit im Unternehmen die Handlungsfähigkeit durch Vertretungsregelungen, zugehörige Geschäftsanweisungen oder die Bestellung weiterer Organmitglieder oder die Erteilung von Vollmachten sicherzustellen.
Wie immer in für das Unternehmen schwieriger werdenden Zeiten rückt die Pflicht zur Überwachung der Lebensfunktionen des Unternehmens insbesondere Beschaffung, Absatz und Zahlungsfähigkeit aber etwa auch die Funktionsfähigkeit der IT-Infrastruktur (Stichwort: Cyber-Attacken) verstärkt in den Blick der Unternehmensführung. Hierbei sind die jeweils ressortverantwortlichen Mitglieder des Leitungsorgans gefordert. Diese sind gehalten, nicht nur vorausschauend zu agieren, sondern auch – soweit möglich – Vorsorge zu treffen. Etwa kann es geboten sein, umgehend eine Ausweitung von Kreditlinien mit den Hausbanken zu verhandeln, wenn nennenswerte Zahlungsausfälle bei Kunden zu befürchten sind, die das Unternehmen nicht aus eigener Kraft kompensieren kann. In Krisenzeiten kommt bei den Organmitgliedern der Grundsatz der Gesamtverantwortung verstärkt zum Tragen. Die Aktivitäten in den anderen Ressorts sind immer zu verfolgen. In schwierigen Zeiten kann aber die Überwachungspflicht zu einer Eingriffspflicht werden – wenn etwa deutlich wird, dass der in einem Ressort gewählte Weg einer kritischen Beurteilung nicht standhält. Insofern gilt in den jetzigen Zeiten nichts anderes als auch sonst, wenn es für ein Unternehmen problematisch wird.
Dies meint vordergründig, dafür zu sorgen, dass das Unternehmen immer durch Organmitglieder in ausreichender Zahl vertreten ist. Bei mehrgliedrigen Geschäftsleitungsgremien stellt sich die Frage der hinreichenden Anzahl von vertretungsberechtigten Personen meist nicht oder nicht dringlich – jedenfalls dann nicht, wenn mehrere Organmitglieder jeweils einzelvertretungsbefugt sind. Ist dies nicht der Fall, sollte überlegt werden, ob Einzelvertretungsbefugnis gewährt werden sollte. Ist ohnehin nur ein/e Geschäftsleiter/in vorhanden, sollte geprüft werden, wie das Unternehmen handlungsfähig bleiben kann, wenn diese Person – etwa wegen Beschränkungen des Reiseverkehrs – nicht dort sein kann, wo er oder sie zum Zwecke der rechtlichen Vertretung des Unternehmens sein soll. Neben der Bestellung von weiteren Organmitgliedern kommt unter Umständen auch in Betracht, Vollmachten oder Generalvollmachten an Dritte zu erteilen, die im Innenverhältnis beschränkt werden. Vollmachten können schnell und auch ohne notarielle Mitwirkung erteilt werden, wobei eine notarielle Beurkundung der Vollmacht deren „Türöffnerfunktion“ sicherlich deutlich erhöht. Gerade bei der Ausstellung von Vollmachten durch Personen, die sich in einem Krisengebiet aufhalten, kann aber die Ausstellung einer privatschriftlichen Vollmacht die einzige verbleibende Möglichkeit sein, für eine (eingeschränkte) Handlungsfähigkeit des Unternehmens zu sorgen.
Viele Unternehmen, die unmittelbar oder mittelbar an Wirtschaftsbeziehungen mit Russland hängen, werden in den nächsten Tagen, Wochen und Monaten mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen konfrontiert werden. Die Lieferung von Waren nach Russland und von Russland ist infolge der Ereignisse in der Ukraine nahezu vollständig zusammengebrochen. Für Unternehmen, die in direkten wirtschaftlichen Beziehungen zu russischen Unternehmen stehen, leuchten die zu erwartenden Probleme unmittelbar ein: Entweder werden keine Teile mehr geliefert, die zur Produktion notwendig sind, oder bereits produzierte Teile sind nicht mehr absetzbar, oder, noch schlimmer: sind bereits an den russischen Kunden geliefert, werden aber nicht mehr bezahlt.
Aber auch mittelbar können deutsche Unternehmen von der Krise betroffen sein, beispielsweise, weil sie Teile von einem Unternehmen bekommen, was unmittelbar mit russischen Unternehmen Geschäfte betreibt.
Eine aus einer solchen Konstellation resultierende Krise kann existenzbedrohend sein. Wichtig ist es, die hieraus resultierenden Risiken schnell und möglichst umfassend einzuschätzen. Das deutsche Insolvenzrecht bietet für Unternehmen, die „unverschuldet“ in eine Krise geraten, ein großes Instrumentarium, um die Krise nicht nur unbeschadet, sondern verstärkt zu meistern.
Es gibt in Deutschland zwei zwingende Insolvenzantragsgründe für Kapitalgesellschaften: Die Zahlungsunfähigkeit und die Überschuldung. Beide hängen letztlich an der Liquidität des Unternehmens. Zahlungsunfähigkeit tritt ein, wenn das Unternehmen nicht in der Lage ist, seine Verbindlichkeiten zu bedienen.
Überschuldung liegt vor, wenn das vorhandene Vermögen (zu Liquidationswerten), nicht ausreicht, um sämtliche Verbindlichkeiten zu bedienen, es sei denn, das die Fortführung überwiegend wahrscheinlich ist. Hierfür ist eine Liquiditätsplanung für die nächsten zwölf Monate erforderlich. Dies ist freilich aufgrund der unsicheren, mittelfristigen Entwicklung keine einfache Aufgabenstellung. Allerdings wird aus kaufmännischer Vorsicht damit zu planen sein, dass die aktuellen Einschränkungen zunächst fortbestehen.
Plötzliche Lieferstopps, wie sie aus den jetzt beschlossenen Sanktionen resultieren, führen zu Liquiditätsverlusten durch Zahlungsausfälle, Überkapazitäten aufgrund entfallender Aufträge von russischen Unternehmen (Maschinenpark, Personal, etc.), abnehmende Kapitaldienstfähigkeit und damit einen höheren Verschuldungsgrad.
Durch ein Insolvenzverfahren wird ein Schuldenschnitt erreicht, d. h. die Verbindlichkeiten werden nur quotal befriedigt. Defizitäre Verträge können beendet werden, Arbeitsverhältnisse mit verkürzten Fristen gekündigt.
Ein Insolvenzverfahren kann in Eigenverwaltung geführt werden. Das bedeutet, dass die Geschäftsführung die Geschäfte weiter führt, allerdings mit Hilfe eines rechtssicheren Verfahrens und unter Aufsicht eines gerichtlich bestellten Sachwalters. Es ist jedenfalls eine Möglichkeit, eine Krise wie die aktuelle zu überstehen, ohne die wirtschaftliche Existenz komplett aufs Spiel zu setzen. Es verbleiben einige Restrisiken, die aber durch gute Vorbereitung beherrschbar sind.
Krise
Es ist klar, dass eine Krise vorliegt und Liquiditätsengpässe drohen. Idealerweise ist noch keine Zahlungsunfähigkeit eingetreten. In dieser Phase wird ein Sanierungskonzept erstellt und eine Finanzplanung erstellt. Außerdem wird der Insolvenzantrag vorbereitet.
Idealerweise verbleibt für diese Phase eine Zeit von vier bis sechs Wochen.
Einreichung Insolvenzantrag
Der vorbereitete Insolvenzantrag wird mit dem Sanierungskonzept (inklusive Planung) bei Gericht eingereicht. Das Zulassungsverfahren dauert selten mehr als 48 Stunden.
Anordnung der Eigenverwaltung und Eröffnungsverfahren
Das Gericht ordnet idealerweise antragsgemäß die Eigenverwaltung an und bestimmt einen vorläufigen Sachwalter, der in gewissen Grenzen vom Schuldner mitbestimmt werden kann. Im Eröffnungsverfahren werden die Kosten für Löhne und Gehälter für maximal drei Monate von der Agentur für Arbeit übernommen, was die Liquidität verbessert. Altverbindlichkeit dürfen und müssen nicht bedient werden.
Eröffnungsbeschluss und eröffnetes Verfahren
Nach etwa drei Monaten eröffnet das Insolvenzgericht dann das Insolvenzverfahren. Im eröffneten Verfahren sind wieder alle (Neu-)Verbindlichkeiten in voller Höhe zu bedienen. Jetzt können die verschiedenen Maßnahmen (Beendigung von überzähligen, kostenträchtigen Verträgen, Personalmaßnahmen, etc.) umgesetzt werden. Gleichzeitig wird das Unternehmen saniert, entweder durch einen Insolvenzplan oder durch eine übertragende Sanierung. Nach drei bis sechs Monaten sollte auch diese Phase abgeschlossen sein und das sanierte Unternehmen kann fortbestehen.
Wichtig ist, dass mit der Vorbereitung eines Verfahrens frühzeitig begonnen wird. Nicht erst, wenn die Löhne nicht mehr gezahlt werden können und die Gläubiger mit Zwangsvollstreckung drohen. Ist Zahlungsunfähigkeit einmal eingetreten, sind die Aussichten auf eine erfolgreiche Sanierung deutlich eingeschränkt.
Obwohl die EU, anders als die USA, derzeit noch von sektoralen Sanktionen gegen die russische Energieindustrie absieht, erreichen die Marktpreise für Erdöl, Erdgas und Elektrizität ständig neue Höchststände. Grund ist die Erwartung der Märkte, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Europa entweder zu Einfuhrbeschränkungen durch den Westen, alternativ Ausfuhrbeschränkungen durch Russland oder technischen Lieferunterbrechungen im Transit durch die Ukraine aufgrund von Kriegshandlungen kommen könnte. Jede dieser möglichen Entwicklungen trägt bereits heute zu Preisen im Spot- und auch Terminmarkt bei, die für die betroffenen Unternehmen erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen nach sich ziehen. Da die politisch angedachten Lösungsmöglichkeiten wie die Errichtung von LNG-Importterminals, der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien oder eine mögliche Verlängerung der Kernenergielaufzeiten jedenfalls keine kurzfristige Entlastung bedeuten, müssen Unternehmen ihre Handlungsoptionen jetzt aktiv selbst prüfen.
Die Marktpreiserwartung wirkt sich global aus und betrifft jedenfalls Erdöl, Erdgas und Elektrizität. Letzteres insbesondere deswegen, weil die preissetzenden Kraftwerke im EU-Binnenmarkt für Elektrizität in erster Linie Gaskraftwerke sind, bei denen der gestiegene Erdgaspreis auf die Erzeugungskosten durchschlägt. Hinzu kommt, dass eine Vielzahl von Steinkohlekraftwerken mit russischer Steinkohle betrieben werden, bei der Liefereinschränkungen zumindest zu erwarten sind. Folgende Schaubilder verdeutlichen diese bislang beispiellose Entwicklung:
Strompreise Deutschland; Quartal 2/2022, Quelle EEX
Gaspreise Deutschland, Front Month, Quelle EPEX SPOT
Neben der besorgniserregenden Preisentwicklung kann jedenfalls für den Bereich Erdgas auch nicht von einer jederzeitigen physischen Verfügbarkeit ausreichender Mengen ausgegangen werden. Für den Fall notwendiger Einschränkungen greift der Notfallplan der Bundesregierung. Hier sind zunächst marktliche Mechanismen vorgesehen, die bei Verschärfung der Lage durch direkte Vertragseingriffe abgelöst werden können. Den Notfallplan finden Sie hier: Emergency Plan for Gas.
Im Vorfeld solcher Notfallmaßnahmen kann es jedoch bereits zu einseitigen Lieferstörungen im Verhältnis Gasexporteur und Gasimporteur kommen, die sich in der Lieferkette fortsetzen. Zur Risikominimierung sollte deshalb eine Diversifizierung des Bezuges hin zu alternativen Vorlieferanten für Teilmengen sowie die Teilnahme am Handelsmarkt oder die Etablierung eines Börsenzuganges erwogen werden.
Neben der Diversifizierung des Bezuges ist es eine Absicherung gegen den insolvenzbedingten Ausfall von Vorlieferanten oder Kunden erforderlich. Anknüpfungspunkte sollten neben allgemeinen Kreditrisikoindikatoren insbesondere auch Marktpreisschwankungen sein. Denn bei Ausfall eines Vorlieferanten muss der Abnehmer für die Ersatzbeschaffung den vollen Marktpreis zahlen, der derzeit massiv über den langfristigen vertraglichen Bezugspreisen liegen dürfte. Neben einer solchen Absicherung beispielsweise durch die Vereinbarung von Margining werden möglicherweise die bilateral vereinbarten Force Majeure und Hardship Klauseln relevant, jedenfalls dann, wenn es tatsächlich zu physischen Liefereinschränkungen kommen sollte. Folgendes Schaubild verdeutlicht die betroffenen Handlungsfelder:
Auch bei einer – derzeit nicht absehbaren – Entspannung der Situation ist insgesamt nicht mit deutlich sinkenden Energiepreisen zu rechnen. Der Markt wird vielmehr die derzeit sichtbaren Risikoprämien fortschreiben. Die benannten Handlungsfelder sollten deshalb nachhaltig bearbeitet werden, um auch für zukünftige Krisen optimal aufgestellt zu sein.
In den letzten Tagen hat sich die Lage in der Ukraine brisant zugespitzt. Auch die notarielle Praxis ist von dem Krieg in der Ukraine betroffen. Während in Kiew das Geschäft zusammengebrochen ist und es vor allem darum geht, das Personal in Sicherheit zu bringen, stellen sich auch mit Blick auf Russland und russische Mandanten weitreichende Fragen, dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Europäische Union und die USA im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt weitreichende Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Im Fokus steht hier aus Sicht der notariellen Praxis die Frage, welche Maßnahmen zur Einhaltung der gesetzlichen und berufsrechtlichen Verpflichtungen zu beachten sind.
In Reaktion auf die fortgesetzten Angriffe der russischen Streitkräfte in der Ukraine hat die EU – abgestimmt mit den USA, Großbritannien, Kanada und weiteren Partnerländern – seit dem 23.02.2022 in mehreren Tranchen harte Wirtschafts- und Finanz-Sanktionen gegen Russland beschlossen. Die Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen (Financial Intelligence Unit) („FIU“) weist auf ihrer Homepage darauf die bereits 2014 in Kraft getretenen Sanktionen der Europäischen Union, u. a. Verordnung (EU) Nr. 208/2014, Verordnung (EU) Nr. 269/2014, Verordnung (EU) Nr. 692/2014 sowie Verordnung (EU) Nr. 833/2014.
Die nunmehr am 23. Februar 2022 erlassenen Sanktionen beruhen u. a. auf folgenden EU-Verordnungen:
Die EU-Sanktionsrechtsakten folgen einer klaren Struktur: Es gibt seit 2014 zwei Grundverordnungen, eine für sektorale Maßnahmen (VO 833/2014) und eine für Personenlistungen (VO 269/2014). Diese beiden Verordnungen werden seitdem durch Änderungs- und Durchführungsverordnungen aktualisiert und ergänzt.
Die neuen EU-Listungen, einschließlich der erfolgten Listungen russischer Banken, sind den Anhängen der Durchführungsverordnungen (EU) 2022/332, 2022/261 und 2022/260 zu entnehmen. Mit den Verordnungen (EU) 2022/259 und 2022/330 wurden zudem inhaltliche Änderungen im Rechtsrahmen für Listungen vorgenommen. Die Maßnahmen mit Bezug auf den Finanzsektor finden sich in den Verordnungen 2022/262 und 2022/328. In der Verordnung 2022/328 finden sich auch die neuen Exportrestriktionen sowie ein umfassendes Handelsembargo in der Verordnung (EU) 2022/263. Mit den Durchführungsverordnungen (EU) 2022/236, (EU) 2022/260 und (EU) 2022/261 wurden außerdem mehrere hundert natürliche und einige juristische Personen neu in die Sanktionsliste aufgenommen.
In Anbetracht dieser besonderen Sanktionslage bittet die FIU, die sich entwickelnde Rechtslage sorgfältig zu verfolgen und die daraus folgenden Vorgaben, insbesondere auch bei der Abgabe von Verdachtsmeldungen im Sinne des GwG, zu beachten.
Personenbezogenes Beurkundungsverbot
Im Zusammenhang mit den EU-Sanktionen hat die Grenze des „Urkundsgewährungsanspruch“ und der Pflicht zur Erfüllung allgemeiner Sorgfaltspflichten durch den Notar an Bedeutung gewonnen. Der grundsätzlich bestehende Urkundsgewährungsanspruch des Notars hat hinter der Pflicht zu Erfüllung allgemeiner Sorgfaltspflichten zurückzutreten und es besteht ein Beurkundungsverbot, sofern z. B.1
(Bundesnotarkammer, Rundschreiben Nr. 16/21 vom 17.11.21, S. 43)
Bei der Verordnung (EU) Nr. 269/2014, welche durch die oben aufgeführten Verordnungen fortgeführt und erweitert wurde, handelt es sich um sog. „Finanzsanktionslisten“. Nach Art. 2 der zugrundeliegenden Verordnung (EU) Nr. 269/2014 werden sämtliche Gelder und wirtschaftliche Ressourcen, die in Verbindung mit den in der Liste aufgenommenen Personen stehen, eingefroren. Ferner dürfen diesen Personen weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen.
Die Regelung stellt ein gesetzliches Verbot im Sinne des
§ 134 BGB dar, sodass die Beteiligung einer auf der Sanktionsliste aufgeführten Person zur Nichtigkeit des Vertrags führt. Sofern der Notar dies erkennt, hat er seine Amtstätigkeit nach § 14 Abs. 2 BNotO bzw. § 4 BeurkG zu versagen.
Es besteht ein Beurkundungsverbot für Vorgänge, an denen eine gelistete Person als formell Beteiligter, materiell Beteiligter oder wirtschaftlich Berechtigter beteiligt ist. Stellt der Notar erst nach Beurkundung fest, dass ein Urkundsbeteiligter „gelistet“ war oder nachträglich „gelistet“ wurde, hat er den Vollzug einzustellen.
Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei einem Beteiligten um eine in einer EU-Sanktionsliste aufgeführte Person handelt, hat der Notar diesen Anhaltspunkten nachzugehen. Die Prüfung kann durch eine Suche in der im Justizportal des Bundes und der Länder unter www.finanz-sanktionsliste.de bereitgestellten Suchmaschine erfolgen. Ein Treffer ist dabei nicht gleichbedeutend mit einer Personenidentität der gesuchten Person mit der in der Sanktionsliste gefundenen Person, sondern bedeutet lediglich, dass eine Namensgleichheit oder eine Namensähnlichkeit besteht. Als weiterer Anhaltspunkt kann z. B. das Geburtsdatum herangezogen werden. Da der Abgleich technisch bedingt nur zusammen mit anderen Sanktionslisten erfolgen kann, ist zudem zu prüfen, welche EU-Verordnung betroffen ist und welche Sanktion sich daraus ergibt. Bei Zweifeln über das Ergebnis oder dessen Folgen sollte Kontakt mit der zuständigen Notarkammer oder der Bundesnotarkammer aufgenommen werden.
Transaktionsbezogenes Beurkundungsverbot
Neben dem Beurkundungsverbot welches primär an die an dem Rechtsgeschäft beteiligte Person knüpft, sieht Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EU) 2022/263 ein weiteres Verbot vor, welches an die Art des Rechtsgeschäfts anknüpft. Nach der Verordnung gilt ein Verbot für den Erwerb von neuen oder der Ausweitung einer bestehenden Beteiligung am Eigentum an Immobilien in den nicht ukrainisch kontrollierten Gebieten der Regionen Donezk und Luhansk.
Meldepflichten
Neben dem Beurkundungsverbot besteht im Anwendungsbereich der GwGMeldV-Immobilien eine Meldepflicht wegen des Bezugs zu Risikostaaten oder Sanktionslisten nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 GwGMeldV-Immobilien. § 3 GwGMeldV-Immobilien bestimmt Sachverhalte als meldepflichtig, wenn ein Beteiligter oder ein wirtschaftlich Berechtigter des Rechtsgeschäfts auf einer EU-Sanktionsliste oder in einer nationalen Umsetzungsmaßnahme geführt wird. Hinsichtlich der EU-Sanktionsliste ist eine Suche dieser Personen über die Internetseite www.finanz-sanktionsliste.de möglich. Darüber hinaus besteht eine Meldepflicht für Personen, die bereits von den Vereinten Nationen gelistet wurden und vor einer Umsetzung auf EU-Ebene durch eine nationale Umsetzungsmaßnahme im Wege einer im Bundesanzeiger veröffentlichten Allgemeinverfügung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie erfasst sind. Die FIU stellt Informationen über die zu berücksichtigenden Personen auf ihrer Internetseite zur Verfügung. Die BNotK stellt unter der Rubrik „Geldwäschebekämpfung“ im internen Bereich auf www.bnotk.de eine
aktuelle Liste mit den relevanten Staaten bereit.
(Bundesnotarkammer, Rundschreiben Nr. 16/21 vom 17.11.21, S 51)
Die landesrechtlichen Notarkammern haben bereits auf erste zu berücksichtigende Veränderungen hingewiesen. Angesichts täglich neuer Informationen über mögliche weitere Sanktionen sind die Notare dazu angehalten, sich regelmäßig zu informieren, die Sanktionslisten im Rahmen von Transaktionen täglich abzufragen und dafür Sorge zu tragen, dass die Sanktionsvorgaben konform umgesetzt werden. Bei Zweifeln über das Bestehen eines Beurkundungsverbots oder einer Meldepflicht sowie der Folgen hieraus, sind Notare und ihre Mitarbeiter dazu aufgerufen, die Notarkammer zu kontaktieren. Die ukrainische Notarkammer hat sich an die Bundesnotarkammer gewandt mit der Aufforderung, ebenfalls Sanktionsmaßnahmen gegen das russische und belarussische Notariat (z. B. Suspendierung der Mitgliedschaft in der UINL) zu erlassen. Eine Entscheidung der Präsidentinnen und Präsidenten der CNUE-Mitgliedsnotariate hierüber steht noch aus.
Als Reaktion auf den Überfall Russlands auf die Ukraine haben die EU, die USA und das Vereinigte Königreich Sanktionen gegen über 2.000 Personen, 155 Gesellschaften und 141 Organisationen verhängt. Darüber hinaus wurden Sanktionen gegen bestimmte Bereiche der Wirtschaft verhängt, z. B. den Ölsektor, die Flugzeugindustrie oder Schiffszubehör. Täglich kommen weitere Sanktionen hinzu. Einigermaßen aktuelle Zahlen kann man hier abrufen.
Um die Auswirkungen der Sanktionen auf seine Wirtschaft abzumildern, hat Russland zunächst Beschränkungen des Kapitalverkehrs eingeführt. So dürfen Schulden nur noch in Rubel bezahlt werden, Dividenden nicht ins Ausland überwiesen und Unternehmen aus „unfreundlichen Staaten“ keine Aktien mehr verkaufen. Als „unfreundlich“ stuft die russische Regierung solche Staaten ein, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben. Angesichts des Absturzes des Wechselkurses stören die Kapitalverkehrsbeschränkungen die Kapitalflüsse zwischen russischer Tochter- und ausländischer Muttergesellschaft erheblich.
Russland droht mit Enteignungen
Mehr und mehr richten sich die Gegenmaßnahmen aber gegen die ausländischen Unternehmen und ihr Geschäft. So hat Russland verkündet, den Schutz von IP-Rechten aufzuheben und für Patente Zwangslizenzen mit einer auf Null reduzierten Vergütung zuzulassen. Und ein jetzt eingebrachter Gesetzentwurf der russischen Regierung würde es erlauben, die russischen Werke und Tochtergesellschaften ausländischer Unternehmen aus „unfreundlichen Staaten“, die in Folge der Sanktionen vorübergehend die Geschäfte einstellen, unter staatliche Zwangsverwaltung zu stellen, ggf. in eine neue Gesellschaft abzuspalten und dann zu verkaufen. Die Fallgruppen, in denen das möglich sein soll, können von der russischen Regierung jederzeit geändert und ergänzt werden.
Das wäre nichts anderes als eine Enteignung. Ob dies so stattfinden wird, bleibt abzuwarten. Enteignungen würden das Vertrauen ausländischer Investoren in den Standort Russland zerstören. Es mag sich daher nur um eine Drohung handeln, um Unternehmen im Land zu halten. Als 2014 Sanktionen wegen der Annexion der Krim verhängt wurden und Enteignungsgerüchte aufkamen, versicherte die russische Regierung, man würde ja nicht die Gans schlachten, die goldene Eier legt. Verstaatlichungen und anschließende Privatisierungen wären aber keine Überraschung. In den neunziger Jahren sind die heutigen Oligarchen durch ähnliche Verkäufe von Staatseigentum reich geworden. Wie man mit unliebsamen Unternehmen umgeht, hat der Yukos-Fall gezeigt, bei dem über Steuerforderungen die Yukos-Gruppe in die Insolvenz getrieben und dann zu einem Schnäppchenpreis aufgekauft wurde. Es wäre daher durchaus möglich, dass die russische Regierung die Gelegenheit nutzen wird, um weite Teile der Wirtschaft unter russische Kontrolle zu bekommen.
Schutz durch den deutsch-russischen Investitionsschutzvertrag
Deutsche Unternehmen stehen diesen Maßnahmen jedoch keineswegs schutzlos gegenüber. Der deutsch-russische Investitionsschutzvertrag von 1989 schützt deutsche Kapitalanlagen in Russland.
Artikel 4 schützt Investoren vor Enteignungen und Maßnahmen mit gleichartigen Auswirkungen (sogenannten indirekten Enteignungen). Diese sind nur zulässig, wenn sie im öffentlichen Interesse, unter Einhaltung des geltenden Verfahrens und gegen Entschädigung erfolgen und nicht diskriminierend sind. Die Entschädigung muss dabei dem tatsächlichen Wert der enteigneten Kapitalanlage unmittelbar vor dem Zeitpunkt entsprechen, in dem die tatsächliche oder drohende Enteignung bekannt wurde.
Artikel 5 schützt vor Kapitalverkehrsbeschränkungen und schreibt insbesondere das Recht vor, Kapital, Dividenden und Gewinne in konvertierbarer Währung frei zu transferieren. Ungewöhnlich ist, dass der Vertrag vorschreibt, dass ein Transfer „zu dem am Tage des Transfers gültigen Wechselkurses“ erfolgen muss. Diese Klausel ist vor dem Hintergrund des Abschlusses 1989 noch mit der Sowjetunion zu sehen. Damals war der Rubel rechtlich nicht frei konvertierbar.
Die Kapitalverkehrsbeschränkungen könnten gegen Artikel 5 und die geplanten Zwangsinsolvenzen, wenn sie stattfinden, gegen Artikel 4 verstoßen. Man darf davon ausgehen, dass Russland das anders sehen wird und insbesondere auf die durch die Sanktionen verursachte Wirtschaftskrise verweisen wird. Inwieweit eine Währungskrise staatliche Maßnahmen rechtfertigen kann, ist jedoch Anfang des Jahrtausends im Kontext der argentinischen Währungskrise von Schiedsgerichten geklärt worden. Und in Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, dass auch gerichtlich angeordnete Insolvenzverfahren mit anschließendem Zwangsverkauf Enteignungen darstellen können.
Kommt es zu Meinungsverschiedenheit über die Höhe der Entschädigung nach Artikel 4 oder den freien Transfer nach Artikel 5, kann ein deutscher Investor ein internationales Schiedsgericht anrufen. Das tagt außerhalb Russlands und wendet den Investitionsschutzvertrag und internationales Recht an. Der 1998 ergangene Schiedsspruch in Sedelmayer gegen Russland zeigt auf, dass auch Streitigkeiten darüber, ob überhaupt eine entschädigungsfähige Enteignung vorliegt, von Art. 10 Abs. 2 des BIT umfasst sind. Investitionsschiedsverfahren sind grundsätzlich effizient und können auch stattfinden, wenn Russland sich am Verfahren nicht beteiligt. Das haben Schiedsverfahren gegen Russland in Folge von Enteignungen auf der annektierten Krim gezeigt. Die durchaus hohen Kosten eines Verfahrens könnten von Prozessfinanzierern übernommen werden.
Neben dem deutsch-russischen Investitionsschutzvertrag ist Russland noch bis 2029 an den Energiechartavertrag gebunden.
Bis 2009 war der Energiechartavertrag provisorisch anwendbar, dann hat Russland erklärt, niemals Vertragspartei werden zu wollen und damit diese provisorische Anwendbarkeit beendet. Für bis dahin erfolgte Investitionen im Energiesektor gilt der Vertrag aber noch 20 Jahre weiter.
Praktische Fragen
Selbstverständlich würde Russland, zumindest unter der aktuellen Regierung, einen solchen Schiedsspruch niemals freiwillig erfüllen. Das hat Russland in der Vergangenheit nicht getan und es gibt keinen Grund, wieso dies jetzt anders sein sollte.
Ein Schiedsspruch wäre aber in den 169 Vertragsstaaten der New Yorker Konvention über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen vollstreckbar. Das ist nicht nur etwas für Großunternehmen, da heutzutage Schiedssprüche auch an spezialisierte Fonds verkauft werden können, und es kann letztlich auch gegen Russland zum Erfolg führen. Und aktuell sind weltweit erhebliche russische Vermögenswerte eingefroren, in die möglicherweise vollstreckt werden kann.
Rechtsmittel sind daher keineswegs aussichtslos. Sie setzen nur Hartnäckigkeit voraus. Letztlich kann auch die „Feder“ des Juristen gegen das russische Schwert gewinnen.
Ole-Jochen Melchior
Partner
Essen
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Gunnar Müller-Henneberg
Partner
Stuttgart
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Prof. Dr. Jörg Rodewald
Partner
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Gerd Stuhlmacher
Partner
München
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Matthias Wagner
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