01.03.2022

Russland. Ukraine. Europa. Rechtliche Auswirkungen für Ihr Unternehmen

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Neue (Wirtschafts-) Sanktionen der EU

Infolge des im Frühjahr 2014 aus den Euromaidan-Protesten hervorgegangenen und von der Russischen Föderation unterstützten bewaffneten Konflikts in den Regionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine sowie der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im März 2014, aber auch aufgrund der durch die frühere Regierung der Ukraine unter Präsident Wiktor Janukowytsch begangenen Menschrechtsverletzungen verhängte die Europäische Union noch im Jahre 2014 zahlreiche Embargomaßnahmen gegen Russland und die Ukraine, die laufend erweitert und verlängert wurden und noch heute in Kraft sind. In Reaktion auf die jüngsten Ereignisse seit dem 21. Februar 2022 wurden diese bereits bestehenden Maßnahmen nun nochmals erweitert, verschärft und ergänzt.

Hintergrund

Bei den bisherigen Embargomaßnahmen handelt es sich um die folgenden:

  • Verordnung (EU) Nr. 208/2014 vom 5. März 2014: Finanzsanktionen gegen Personen, Organisationen und Einrichtungen, die für Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine verantwortlich sind oder die staatliche Vermögenswerte veruntreut haben
  • Verordnung (EU) Nr. 269/2014 vom 17. März 2014: Finanzsanktionen gegen Personen, die für Handlungen verantwortlich sind, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen
  • Verordnung (EU) Nr. 692/2014 vom 23. Juni 2014: Ein- und Ausfuhrbeschränkungen für Waren mit Ursprung auf der Krim und der Stadt Sewastopol; Handels- und Dienstleistungsbeschränkungen; Investitionsverbote
  • Verordnung (EU) Nr. 833/2014 vom 31. Juli 2014: Handelsbeschränkungen für Dual-Use-Güter sowie Ausrüstung für den Energiebereich; Beschränkungen des Zugangs zum Kapitalmarkt der EU; das zugleich beschlossene Waffenembargo ist von den Mitgliedstaaten national zu regeln (in Deutschland umgesetzt in §§ 74 ff AWV)

Die neuen EU-Sanktionen (Stand 28. Februar 2022)

Als Reaktion auf die von Präsident Wladimir Putin am 21. Februar 2022 erklärte Anerkennung der Unabhängigkeit und Souveränität der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk hat die EU am 23. Februar 2022 den bestehenden Sanktionskatalog erweitert und zugleich eine neue Embargo-Verordnung erlassen. Auf die am Morgen des 24. Februar 2022 begonnene Invasion nicht nur der Regionen Donezk und Luhansk, sondern der gesamten Ukraine durch das russische Militär hat die EU am 25. Februar 2022 mit zusätzlichen Sanktionen und Beschränkungen reagiert und am 26. Februar 2022 sowie den folgenden Tagen laufend weitere Maßnahmen angekündigt. Derzeit sind die folgenden Sanktionen (in chronologischer Reihenfolge) bereits in Kraft:

  • Durchführungs-Verordnung (EU) Nr. 2022/260 vom 23. Februar 2022:
    22 natürliche Personen (aus höchsten politischen und militärischen Kreisen) sowie vier Organisationen bzw. Einrichtungen wurden in die Sanktionsliste gemäß der VO (EU) 269/2014 aufgenommen. Bei den gelisteten Einrichtungen handelt es sich um Internet Research Agency, Bank Rossiya, PROMSVYAZBANK, VEB.RF (alias Vnesheconombank; VEB).
  • Durchführungs-Verordnung (EU) Nr. 2022/261 vom 23. Februar 2022:
    336 natürliche Personen (Mitglieder der russischen Staatsduma) wurden in die Sanktionsliste gemäß der VO (EU) 269/2014 aufgenommen.
  • Verordnung (EU) Nr. 2022/262 vom 23. Februar 2022:
    Änderung der Russland-Embargo-VO (EU) 833/2014: Die finanziellen Beschränkungen wurden weiter ausgeweitet. U. a. ist es nach dem neuen Art. 5a der VO (EU) 833/2014 verboten, übertragbare Wertpapiere und Geldmarktinstrumente, die nach dem 9. März 2022 begeben wurden, unmittelbar oder mittelbar zu kaufen, zu verkaufen, Wertpapierdienstleitungen oder Hilfsdienste bei der Begebung zu erbringen oder anderweitig damit zu handeln, wenn sie begeben wurden von: Russland und seiner Regierung, der Zentralbank Russlands oder einer juristischen Person, Organisation oder Einrichtung, die im Namen oder Anweisung der Zentralbank Russlands handelt. Des Weiteren ist es verboten, unmittelbar oder mittelbar Vereinbarungen zu treffen oder an Vereinbarungen beteiligt zu sein, die die Neuvergabe von Darlehen oder Krediten an diese Organisationen und Einrichtungen betreffen.
  • Neue Embargo-Verordnung (EU) Nr. 2022/263 vom 23. Februar 2022 „über restriktive Maßnahmen als Reaktion auf die Anerkennung der nicht von der Regierung kontrollierten Gebiete der ukrainischen Regionen Donezk und Luhansk und die Entsendung russischer Streitkräfte in diese Gebiete“:
    Mit dieser neuen Embargo-Verordnung wurden zusätzlich zu bereits bestehenden Maßnahmen gemäß der VO (EU) 833/2014 neue und weitere güterbezogene Beschränkungen verhängt, jedoch begrenzt auf die Regionen Donezk und Luhansk (sog. „spezifizierte Gebiete“) insbesondere: Gemäß Art. 2 sind die Einfuhr von Waren mit Ursprung in den spezifizierten Gebieten sowie die direkte oder indirekte Bereitstellung von Finanzmitteln oder Finanzhilfen sowie Versicherungen und Rückversicherungen im Zusammenhang mit der Einfuhr solcher Waren verboten. Nach Art. 3 ist u. a. der (auch teilweise) Erwerb von Immobilien oder Geschäftsanteilen an Einrichtungen in den spezifizierten Gebieten oder die Gründung von dortigen Unternehmen verboten (Investitionsverbote). Art. 4 verbietet den Verkauf, die Lieferung, Weitergabe oder Ausfuhr der in Anhang II aufgeführten Güter und Technologien an natürliche oder juristische Personen, Einrichtungen oder Organisationen in den spezifizierten Gebieten oder zur Verwendung in den spezifizierten Gebieten, ebenso die Erbringung von technischer Hilfe oder von Vermittlungsdiensten sowie die Bereitstellung von Finanzmitteln oder -hilfen. Dabei geht es um Güter und Technologien aus den Bereichen Verkehr, Telekommunikation, Energie, Prospektion, Exploration und Förderung von Öl-, Gas- und Mineralressourcen. Art. 5 normiert ein Verbot der Erbringung von technischer Hilfe oder von Vermittlungs-, Bau- oder Ingenieurdienstleistungen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Infrastruktur in den spezifizierten Gebieten in den vorgenannten Sektoren. Art. 6 verbietet die Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit tourismusbezogenen Aktivitäten in den spezifizierten Gebieten.
  • Verordnung (EU) Nr. 2022/328 vom 25. Februar 2022:
    Weitere Änderung der Russland-Embargo-VO (EU) 833/2014: Das Verbot der Ausfuhr von Dual-Use-Gütern nach Russland oder zur Verwendung in Russland gemäß Art. 2 Abs. 1 gilt (vorbehaltlich enger Ausnahmen) nunmehr unbeschränkt und nicht mehr nur für den Fall, dass diese Güter für militärische Zwecke oder für einen militärischen Endnutzer oder für bestimmte namentlich benannte Empfänger bestimmt sind oder bestimmt sein könnten. Ebenso gilt nach Art. 2 Abs. 2 nunmehr ein grundsätzliches Verbot der Erbringung von technischer Hilfe, Vermittlungs- oder anderen Diensten sowie der Bereitstellung von Finanzmitteln oder -hilfen im Zusammenhang mit Dual-Use-Gütern. Der neu gefasste Art. 2a ordnet (ebenfalls vorbehaltlicher enger Ausnahmen) ein Verbot der Ausfuhr für bestimmte Güter und Technologien an, die dazu beitragen könnten, dass Russland technologische Verbesserungen im Verteidigungs- und Sicherheitssektor erzielt (neuer Anhang VII); desgleichen Verbot der Erbringung von technischer Hilfe, Vermittlungs- oder anderen Diensten sowie der Bereitstellung von Finanzmitteln oder -hilfen im Zusammenhang mit diesen Gütern. Nach Art. 2e kann ein Verbot der Bereitstellung öffentlicher Finanzmittel oder Finanzhilfen für den Handel mit Russland oder für Investitionen in Russland bestehen. Nach Art. 3b und 3c besteht (ebenfalls vorbehaltlicher enger Ausnahmen) ein Verbot der Ausfuhr für bestimmte Güter und Technologien an, die zur Ölraffination verwendet werden können (Anhang X) oder die für die Verwendung in der Luft- oder Raumfahrtindustrie geeignet sind (Anhang XI); desgleichen Verbot der Erbringung von technischer Hilfe, Vermittlungs- oder anderen Diensten sowie der Bereitstellung von Finanzmitteln oder -hilfen im Zusammenhang mit diesen Gütern. Gemäß Art. 5 ff wurden die bereits bestehenden finanziellen Beschränkungen weiter ausgeweitet, insbesondere die Beschränkungen betreffend den Zugang diverser russischer Organisationen zu den Kapitalmärkten. Ebenfalls verboten werden die Börsennotierung und die Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien staatseigener russischer Unternehmen an Handelsplätzen der Union. Zudem werden neue Maßnahmen eingeführt, die die Finanzzuflüsse aus Russland in die Union erheblich einschränken, indem die Entgegennahme von Einlagen von russischen Staatsangehörigen oder von in Russland ansässigen Personen, die bestimmte Werte übersteigen, die Führung von Konten russischer Kunden durch die Zentralverwahrer der Union sowie der Verkauf auf Euro lautender Wertpapiere an russische Kunden verboten wird.
  • Verordnung (EU) Nr. 2022/330 vom 25. Februar 2022:
    Anpassung der Definition der zu sanktionierenden Personen, Organisationen und Einrichtungen gemäß Art. 3 Abs. 1 der VO (EU) 269/2014: In lit. d) wurde die Beschränkung auf die Ost-Ukraine gestrichen und der Kreis somit auf die für die Destabilisierung der Ukraine insgesamt verantwortlichen Personen, Organisationen und Einrichtungen ausgeweitet. Neu hinzugekommen ist, dass auch solche natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen sanktioniert werden können, die die für die Annexion der Krim und die Destabilisierung der Ukraine verantwortliche Regierung der Russischen Föderation materiell oder finanziell unterstützen oder von dieser profitieren (lit. f), ferner führende Geschäftsleute oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die in Wirtschaftssektoren tätig sind, die für die Regierung der Russischen Föderation eine wesentliche Einnahmequelle darstellen (lit. g). Zudem können auch die mit den in lit. a) bis g) aufgeführten Kreisen verbundenen natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen gleichsam sanktioniert werden.
  • Durchführungs-Verordnung (EU) Nr. 2022/332 vom 25. Februar 2022:
    Weitere 99 natürliche Personen wurden in die Sanktionsliste gemäß der VO (EU) 269/2014 aufgenommen, darunter erneut zahlreiche Mitglieder der russischen Staatsduma, aber auch diverse belarussische Militärs und Politiker, hochrangige russische Vertreter und nicht zuletzt Innenminister Wladimir Kolokolzew, Außenminister Sergei Lawrow und Präsident Wladimir Putin.
  • Verordnung (EU) Nr. 2022/334 vom 28. Februar 2022:
    Weitere Änderung der Russland-Embargo-VO (EU) 833/2014: Gemäß dem neuen Art. 3d ist russischen Luftfahrzeugen das Überfliegen des Hoheitsgebiets der Union sowie das Starten und Landen im Hoheitsgebiet untersagt. Art. 5a wurde dahingehend ergänzt, dass Transaktionen im Zusammenhang mit der Verwaltung von Reserven sowie von Vermögenswerten der russischen Zentralbank einschließlich Transaktionen mit juristischen Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Namen oder auf Anweisung der russischen Zentralbank handeln, verboten sind.

Rechtliche Konsequenzen der Aufnahme in die „Sanktionsliste“

Gemäß Art. 2 Abs. 1 der VO (EU) 269/2014 werden zunächst sämtliche Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen „eingefroren“. Für (deutsche und europäische) Wirtschaftsbeteiligte wesentlich bedeutsamer ist jedoch das in Art. 2 Abs. 2 normierte und in allen Mitgliedstaaten allgemeinverbindliche „Bereitstellungsverbot“: Danach dürfen den in Anhang I aufgeführten natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen oder den dort aufgeführten mit diesen in Verbindung stehenden natürlichen oder juristischen Personen, Einrichtungen oder Organisationen „weder unmittelbar noch mittelbar Gelder oder wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden oder zugute kommen“. Da einerseits „Gelder“ erfasst sind und es sich andererseits bei den „wirtschaftlichen Ressourcen“ gemäß der Definition in Art. 1 lit. d) um Vermögenswerte jeder Art handelt, unabhängig davon, ob sie materiell oder immateriell, beweglich oder unbeweglich sind, bei denen es sich nicht um Gelder handelt, die aber für den Erwerb von Geldern, Waren oder Dienstleistungen verwendet werden können, im Ergebnis also sämtliche (Handels-) Güter, und auch die bloß „mittelbare“ Bereitstellung untersagt ist (was etwa der Fall wäre, wenn der Empfänger der Gelder oder Güter mehrheitlich von der gelisteten Person kontrolliert wird), wirkt dieses Bereitstellungsverbot – von wenigen Ausnahmetatbeständen abgesehen – faktisch wie ein Totalembargo gegenüber den gelisteten Personen, Einrichtungen und Organisationen.

Autor

Ole-Jochen Melchior
Rechtsanwalt, Partner
Essen

Eingreifen der Sanktionen in bestehende Vertragsverhältnisse

Die verhängten Sanktionen greifen unmittelbar in bestehende Vertragsverhältnisse ein. Vielfach verbieten sie den Wirtschaftsakteuren nun einen ungestörten Leistungsaustausch, und zwar sowohl hinsichtlich von Waren, als auch im Hinblick auf entsprechende Geldflüsse. Infolgedessen werden die Sanktionen vielfach vertragliche Leistungsstörungen auslösen. Eine ungehinderte Vertragsdurchführung ist somit – wenngleich von den jeweiligen Vertragsparteien unter Umständen sogar noch gewollt – nicht mehr ohne Weiteres möglich. Mitunter können sich auch kraft Gesetzes Rechtsfolge einstellen, auf die die Parteien keinerlei Einfluss nehmen können.

Ist ein deutsches Unternehmen beispielsweise in seinen grenzüberschreitenden Vertragsbeziehungen von den jüngsten Wirtschaftssanktionen betroffen, stellt sich die Frage, welches Schicksal den Vertrag mit einem russischen Unternehmen oder einer staatlichen Organisation ereilt und ob es rechtliche Optionen gibt, sich von seinen Vertragspflichten zu lösen. Weiter ist oftmals von Interesse, ob Schadensersatzpflichten drohen oder wie durch eine entsprechende Rechtsgestaltung hieraus entstehende unternehmerische Risiken abgemildert werden können.

In jedem Fall ist der deutsche Unternehmer nach den Grundsätzen von Treu und Glauben und nach § 241 Abs. 2 BGB dazu verpflichtet, den Vertragspartner darüber in Kenntnis zu setzen, dass und warum er künftig seine Leistungen nicht wird erbringen können.

Wirksamkeit des Vertrags?

Vertragsbeziehungen, die von den Wirtschaftssanktionen erfasst werden, könnten nach § 134 BGB nichtig sein oder werden. Danach ist ein Rechtsgeschäft nichtig, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Das erfasst auch das sog. sekundäre Unionsrecht. Demnach kann ein per EU-Verordnung verhängtes Embargo ein Verbotsgesetz darstellen. Eine Nichtigkeitsfolge ist dann anzunehmen, wenn sich die jeweilige EU-Verordnung gegen beide Geschäftspartner oder gerade gegen den Inhalt des Rechtsgeschäfts richtet. Dies ist mit Blick auf die Behandlung durch die Rechtsprechung in vergleichbaren Fällen in der Vergangenheit (Irak-, Syrien- und Iran-Embargo) und nach dem Sinn und Zweck der jüngst erlassenen Bestimmungen der Embargo-Verordnungen (insbesondere die EU-Verordnung Nr. 2022/263 und Nr. 2022/328 vom 23. und 25. Februar 2022) je nach den Umständen des Einzelfalls durchaus möglich. Ein hierunter fallender Vertrag könnte somit bereits kraft Gesetzes unwirksam sein. Dasselbe kann für Import- und Exportverbote nach dem AWG (Außenwirtschaftsgesetz) gelten. Während danach ergehende Exportverbote regelmäßig als Verbotsgesetze im Sinne von § 134 BGB anzusehen sind, sind gesetzliche Importbeschränkungen in aller Regel nur als Ordnungsvorschriften zu qualifizieren, welche die Wirksamkeit des Vertrags als solche nicht in Frage stellen. Das AWG kommt insoweit also nicht zum Tragen, als ein Rechtsgeschäft über ausländische Ware sich nicht auf deren verbotene Einfuhr bezieht.

Weitergehende Fragen stellen sich im Hinblick auf die zeitliche Wirkung der erlassenen Verordnungen. Eine Rückwirkung der Sanktionen auf wirksam geschlossene und abgewickelte Verträge steht nicht zu befürchten, jedoch dürfte ein künftiger Leistungsaustausch innerhalb eines bestehenden und andauernden Rahmenvertrages aufgrund seiner vertraglichen Eigenständigkeit in aller Regel zur Nichtigkeit des jeweiligen Vertrages führen.

Vertragliche Handhabe zur Anpassung oder Lösung

Ist der Vertrag nicht von der Nichtigkeitsfolge erfasst oder gem. § 139 BGB ausnahmsweise nur teilnichtig, gilt der Grundsatz  „pacta sunt servanda“ – Verträge sind einzuhalten. Es statuiert den Grundsatz der Vertragstreue und besagt, dass es kein beliebiges Lösungsrecht von Verträgen gibt. Naturgemäß gilt dieser Grundsatz nicht grenzenlos. Bisweilen besteht Bedarf an einer Vertragsanpassung bis hin zur vollständigen Lossagung vom Vertrag.

Oftmals sind bereits im Vertrag Lösungsrechte verankert, die herangezogen werden können. In Betracht kommen sog. Force Majeure-Klauseln („Höhere Gewalt“) oder Hardship-Klauseln („Härtefall“). Erstgenannte regeln Leistungsverweigerungsrechte im Falle höherer Gewalt. Darunter können auch Unruhen, kriegerische oder terroristische Auseinandersetzungen fallen, die unvorhersehbare Folgen für die Leistungsdurchführung nach sich ziehen. Solche force-majeure-Klauseln befreien die Vertragsparteien für die Dauer der Störung und in ihrem Umfang von ihren Leistungspflichten, jedoch ohne zwingend ein Lösungsrecht vom gesamtem Vertrag zu begründen.Derartige Regelungen können sich auch aus allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) ergeben. Die derzeit bekannten Umstände in der Ukraine sprechen für die Annahme eines Force Majeur-Events.

Gesetzliche Leistungsverweigerungsrechte

Eine vergleichbare Regelung sieht das Gesetz in Art. 79 Abs. 1 CISG (UN-Kaufrecht) vor. Danach hat eine Partei für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten dann nicht einzustehen, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und dass von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden. Voraussetzung ist jedoch, dass der Vertrag dem sog. UN-Kaufrecht unterliegt. Die Russische Föderation ist Vertragsstaat des CISG (United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods). Zwingende Voraussetzung ist jedoch das Vorliegen eines Kaufvertrages. Auch die weiteren Voraussetzungen des Art. 79 Abs. 1 CISG dürften erfüllt sein, sodass ein Recht zur Leistungsverweigerung bestehen dürfte.

Ist der Vertrag nicht bereits kraft Gesetzes unwirksam, steht jedoch mit der vertraglich geschuldeten Leistungserbringung ein Verstoß gegen geltendes Recht zu erwarten, kann sich der Schuldner je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls auf § 275 BGB (Unmöglichkeit) berufen, da ihm die Leistungserbringung rechtlich unmöglich oder jedenfalls nur unter unverhältnismäßigen Umständen möglich ist. Dies befreit den Schuldner von seiner Hauptleistungspflicht, lässt den Vertrag im Übrigen jedoch unberührt. Unabhängig von der Frage eines Gesetzesverstoßes muss für die Leistungsverweigerung nach § 275 BGB eine dauerhafte Nichterbringbarkeit vorliegen. Dies ist bei kriegerischen Auseinandersetzungen naturgemäß schwer prognostizierbar. Eine bloß vorübergehende Unmöglichkeit ist jedoch dann gleichzusetzen, wenn sie die Erreichung des Geschäftszwecks infrage stellt und dem anderen Vertragsteil das Festhalten am Vertrag bis zum Wegfall des Leistungshindernisses nicht zuzumuten ist. Nicht auszuschließen ist, dass sich ein Vertragspartner dann auf Rechte wie den Rücktritt vom Vertrag oder sogar Schadensersatz beruft, wobei es hier für die rechtliche Bewertung auf den Einzelfall ankommt.

Soweit der Vertrag wirksam ist oder bleibt, können sich gesetzliche Lösungsrechte (Kündigung oder Rücktritt) aus § 313 BGB oder § 314 BGB ergeben. Nach § 313 BGB kann eine Vertragsanpassung oder als ultima ratio ein Rücktritt vom Vertrag erklärt werden, wenn sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag in Kenntnis dieser Umstände nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten (sog. Störung der Geschäftsgrundlage). Bei Dauerschuldverhältnissen kommt schließlich eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund in Betracht, § 314 BGB.

Im Vorfeld der Vertragsdurchführung getätigte Dispositionen

Sind im Vertrauen auf die ungestörte Vertragsdurchführung bereits Dispositionen getroffen worden, etwa indem ein deutsches Unternehmen eine Anzahlung geleistet hat, stellt sich die Frage, ob und wie diese liquidierbar ist. Anzahlungen können nur über einen Vertragsrücktritt oder im Falle der gesamten Nichtigkeit des Vertrags rückgefordert werden, weil damit die vertragliche Grundlage zum Einbehalt entfällt. Der Rücktritt ebnet zugleich den Weg zur Einziehung von Gütern, die unter Vorbehaltseigentum geliefert wurden.

Letztlich sind stets die konkreten Umstände des Einzelfalls entscheidend.

Autor

Dr. Kuuya Josef Chibanguza, LL.B.
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht, Partner
Hannover

Auswirkungen auf Schiedsverfahren

Die Sanktionen gegen die russische Wirtschaft werden sich nicht nur auf Geschäftsbeziehungen auswirken, sondern auch auf die Beilegung der dadurch entstehenden Streitigkeiten durch Schiedsgerichte.

Der nachfolgende Überblick kann zwangsläufig nicht erschöpfend sein. Weder sind die Sanktionen final – vielmehr ist eine stetige Weiterentwicklung zu erwarten – noch sind alle Situationen miteinander vergleichbar. Eine Einzelfallbetrachtung ist unabdingbar.

1. Welches Schiedsgericht ist vereinbart?

Es wird zunächst darauf ankommen, was für ein Schiedsgericht Sie vereinbart haben, und wo es bzw. die Schiedsinstitution seinen Sitz hat. Haben Sie in Ihren Verträgen ein russisches Schiedsgericht wie z. B. das Internationale Handelsschiedsgericht bei der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation (MKAS) vereinbart, so dürfte schon zweifelhaft sein, ob das nach dessen Regeln konstituierte Schiedsgericht die Sanktionen nach russischem Recht überhaupt berücksichtigen darf und wird. Damit stellen sich dann weitere Fragen, wenn z. B. ein Schiedsspruch gegen Sie ergeht, der die Sanktionen nicht berücksichtigt.

Ein in der EU ansässiges Schiedsgericht wird die EU-Sanktionen berücksichtigen müssen. Diese schließen die Durchführung eines Schiedsverfahren grundsätzlich nicht aus. Im Allgemeinen müssen Schiedsinstitutionen bei Streitigkeiten, an denen sanktionierte Unternehmen beteiligt sind, mehr administrative Schritte vornehmen als normal. Diese beinhalten etwa eine ausführliche Compliance-Prüfung und den Dialog mit den zuständigen staatlichen Behören über die praktischen Aspekte der in einer – erwartbaren – EU-Verordnung geforderten Maßnahmen. Dieser gesteigerte Administrationsaufwand der Schiedsinstitutionen wird sich vielleicht negativ auf die Verfahrensdauer, sicherlich jedoch auf die Kosten des Schiedsverfahrens auswirken.

2. Welche Probleme können auftreten?

Die weitreichenden EU-Sanktionen wirken sich auch auf die konkrete Durchführung des Schiedsverfahrens aus, sodass sich die Schiedsparteien auf einige Besonderheiten und Anpassungen einstellen müssen.

Ein weiteres Problem in diesem Zusammenhang – das sich jedoch auf alle Phasen des Schiedsverfahrens auswirken kann – besteht darin, dass Banken oft zögern, Transaktionen mit Geldern zu ermöglichen, die sanktionierten Staaten gehören oder aus ihnen stammen. Für ein Schiedsverfahren müssen Kosten eingezahlt werden, nicht nur für die Schiedsinstitution, sondern auch als Kostensicherheit für das Honorar der Schiedsrichter. Im Zusammenhang mit Sanktionen gegen den Iran hat sich gezeigt, dass einige Banken extrem vorsichtig geworden sind und Gelder in Zusammenhang mit solchen Verfahren nicht annehmen wollen, egal, von wem diese eingezahlt werden. Das kann ein Schiedsverfahren zumindest extrem verzögern.

Das Einfrieren von Vermögenswerten und die Beschränkung des Geldverkehrs durch Ausschluss vieler Banken vom Swift-Verkehr können sich insgesamt erheblich auf die Fähigkeit einer Partei auswirken, Kostenvorschüsse oder Kautionen zu zahlen, was die Bezahlung von Rechtsdienstleistungen insgesamt erschwert. Und obwohl man hoffen würde, dass in diesen Fällen Ausnahmen für die Erbringung von Rechtsdienstleistungen geltend gemacht werden können (siehe Art. 4 VO (EU) 269/2014), kann es je nach dem Wortlaut einer Sanktionsvorschrift erforderlich werden, spezielle Genehmigungen zu beantragen.

3. Einstweilige Verfügungen in Russland gegen Schiedsverfahren?

Bereits im Juni 2020 wurde die russische Handelsverfahrensordnung („APC“) in Artikel 248 so ergänzt, dass von Sanktionen betroffene russische Bürger und Unternehmen das Recht haben, an ihrem Wohnsitz oder Sitz (juristische Personen) Klage zu erheben, auch wenn es eine wirksame Schiedsvereinbarung gibt. Die russische Partei kann auch vor russischen Gerichten sogar eine einstweilige Verfügung gegen die Durchführung eines Gerichts- oder Schiedsverfahren im Ausland erwirken. Gerichte haben dies Anfang des Jahres so weit ausgelegt, dass die Existenz von Sanktionen an sich schon als Beeinträchtigung ausreicht, unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung.

4. Fazit

Eine Schiedsvereinbarung mit einer von Sanktionen betroffenen russischen Partei ist nicht mehr der unproblematische Königsweg zur Streitbeilegung (wenngleich besser als Gerichtsverfahren). Schon die Einleitung des Verfahrens kann schwierig werden. Ggf. kann sich die russische Partei nicht an den Verfahrenskosten beteiligen. Und eine sanktionierte russische Partei kann sich trotz einer wirksamen Schiedsvereinbarung einseitig auf die Zuständigkeit russischer Gerichte berufen, ohne dass sie (praktische) Schwierigkeiten an der Teilnahme an dem Schiedsverfahren außerhalb Russlands nachweisen müsste. Sie kann auch versuchen, die Durchführung des ausländischen Schiedsverfahrens verbieten zu lassen.

Damit besteht grundsätzlich das Risiko kollidierender Entscheidungen. Es bedarf deshalb einer sorgfältigen Planung der Prozessstrategie.

Autor

Dr. Richard Happ
Rechtsanwalt, Partner
Hamburg

Auswirkungen auf den Investitionsschutz

Russlands Überfall auf die Ukraine bringt auch Fragen des völkerrechtlichen Schutzes von ausländischen Investitionen im ukrainischen Staatsgebiet mit sich. Insbesondere deutsche Unternehmen sind in der Ukraine in diversen Sektoren aktiv. Sollten solche deutschen Investitionen im Rahmen der derzeitigen militärischen Auseinandersetzung oder einer Besetzung von Teilen des ukrainischen Staatsgebiets beschädigt, vernichtet oder enteignet werden, stellt sich die Frage nach Rechtsschutzmöglichkeiten.

Gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeiten nach Entwicklung der Lage

Mit Blick auf einen effektiven Rechtsschutz wird vorrangig von Bedeutung sein, wie sich der von Russland unter Verletzung des Völkerrechts begonnene bewaffnete Konflikt in der Ukraine weiter fortsetzt. Zwar schützt das im bewaffneten Konflikt geltende humanitäre Völkerrecht insbesondere die Zivilbevölkerung und zivile Objekte vor Angriffen. Dieser Schutz ist zum einen jedoch nicht absolut und zum anderen folgt aus einer Verletzung des humanitären Völkerrechts nicht zwingend ein Entschädigungsanspruch des Einzelnen – und erst recht kein Recht, diesen in einem neutralen Forum durchzusetzen.

Fraglich ist zudem, ob Rechtsschutz vor staatlichen, ukrainischen Gerichten für die Kläger zu gegen Russland vollstreckbaren Urteilen führen würde. Verfahren vor russischen Gerichten dürften allerdings noch weniger aussichtsreich sein. Auch der Weg zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der – soweit zumutbar – eine Rechtswegerschöpfung voraussetzt, dürfte in der Sache nur wenig Erfolg versprechen. Zwar garantiert Art. 1 Abs. 1 des Ersten Zusatzprotokolls der EMRK den Eigentumsschutz. Die Effektivität dieses Schutzes privater hinsichtlich wirtschaftlicher Schäden lässt aber gerade in Bezug auf Russland zu wünschen übrig. So weigerte sich Russland beispielsweise bereits in diversen Fällen unter Verweis auf einer Entschädigung entgegenstehendes Verfassungsrecht, Urteilen des EGMR Folge zu leisten.

Möglichkeiten des schiedsgerichtlichen Vorgehens

Die Ukraine wird für eventuelle Schäden auf Basis von Investitionsschutzverträgen nicht haftbar gemacht werden können. Zwar enthalten die meisten Investitionsschutzverträge eine Klausel, die Staaten zum bestmöglichen Schutz ausländischer Investitionen verpflichten. Dabei handelt es sich aber stets nur um eine „best efforts“-Verpflichtung, die angesichts der Übermacht russischer Truppen kaum verletzt sein dürfte. Zum anderen enthält jedenfalls der deutsch-ukrainische Investitionsschutzvertrag eine Klausel, nach der Investoren bei kriegsbedingten Schäden nur auf eine Gleichbehandlung mit ukrainischen Staatsangehörigen pochen können.

Sollte Russland Teile der Ukraine dauerhaft besetzen oder gar annektieren, könnten aber Investitionsschutzverträge mit Russland relevant werden. Zwar binden diese Verträge Staaten grundsätzlich nur hinsichtlich Investitionen auf ihrem Staatsgebiet. Diverse Investitionsschiedsgerichte haben allerdings bereits hinsichtlich Enteignungen auf der seit 2014 völkerrechtswidrig annektierten Krim ihre Zuständigkeit auf Grundlage des russisch-ukrainischen Investitionsschutzvertrags bejaht – und in der Folge auch Russland zu Schadensersatzzahlungen verurteilt. Auch das Schweizerische Bundesgericht bestätigte mittlerweile im Rahmen eines von Russland angestrengten Aufhebungsverfahrens, dass die faktische russische Kontrolle über die Krim zur Erstreckung der Anwendbarkeit eines Investitionsschutzvertrags auf die Halbinsel genügt. Eine vergleichbare Praxis wäre in Bezug auf Enteignungen oder andere Schädigungshandlungen gegenüber Investitionen im Rahmen einer russischen Besetzung weiterer Gebiete der Ukraine zu erwarten.

Auch Geschädigte aus Deutschland könnten sich erfolgreich gegen russische Enteignungsmaßnahmen zur Wehr setzen. Die Bundesrepublik unterhält seit 1989 einen bilateralen Investitionsschutzvertrag (BIT) mit Russland, auf dessen Grundlage Investoren Verfahren zum Schutz eigener Investitionen anstreben können. Eine Besonderheit ist hier, dass die Unterwerfung unter die Schiedsklausel nach diesem Vertrag beschränkt ist auf Streitigkeiten mit Bezug zum freien (Bank-)Transfer von Kapital sowie Streitigkeiten über Entschädigungshöhe und –verfahren bei Enteignungen. Dass zumindest Schiedsklagen wegen Enteignungssachverhalten uneingeschränkt nach Art. 10 Abs. 2 des BIT möglich sind, macht jedoch ein prominentes Schiedsverfahren auf Basis des Vertrags deutlich. Der Schiedsspruch in Sedelmayer gegen Russland zeigt insoweit auf, dass auch Streitigkeiten darüber, ob überhaupt eine entschädigungsfähige Enteignung vorliegt, von Art. 10 Abs. 2 des BIT umfasst sind.

Die Situation in den Separatistengebieten

Erneut anders stellt sich die Situation wiederum in der Ostukraine dar. In den selbsternannten „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk – die völkerrechtlich weiterhin zur Ukraine gehören – führten bislang von Russland unterstützte Separatisten die Kontrolle. Sollte hier in der Zukunft nicht auch Russland formell völkerrechtswidrig die Hoheitsgewalt ausüben, stellt sich die Frage, ob eine Anwendung russischer Investitionsschutzverträge in diesen Gebieten dennoch angenommen werden kann. Entscheidend hierfür wird letztlich sein, ob Russland nach den Regeln zur Zurechnung von völkerrechtswidrigem Verhalten eine hinreichende starke Kontrolle über die Separatisten ausübt – und dies im Verfahren auch dargelegt werden kann.

Autor

Dr. Richard Happ
Rechtsanwalt, Partner
Hamburg

Auswirkungen auf die Energiepolitik

Die deutsche Energiepolitik steht vor einer Zäsur. Auslöser ist die Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik angesichts der Geschehnisse in der Ukraine.

Das Ziel der Bundesregierung ist „Energiesouveränität“. Das heißt, die kurz- bis mittelfristige Überwindung der Abhängigkeit von russischen Importen bei fossilen Energieträgern. Derzeit stammen 55 Prozent aller Gaslieferungen, 50 Prozent der Kohle und 35 Prozent des Rohöls aus Russland.

Um energieseitig autark zu werden, hatte Minister Habeck bereits am 24. Februar 2022 den „Vorsorgeplan – Stärkung der Krisenvorsorge zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit“ vorgelegt. Die Kernpunkte sind:

1. Beschleunigung Energiewende

Das bedeutet in erster Linie einen schnelleren Ausbau der Erneuerbaren Energien, die Gas und Öl substituieren sollen. Flankiert werden soll dies mit einer Elektrifizierung von Wärme und Verkehr und schnelleren Genehmigungsverfahren für Erneuerbare Energien-Anlagen.

2. Vorsorgemechanismen Öl

Soweit erforderlich, erfolgt die Freigabe der nationalen strategischen Ölreserve. Darin werden jederzeit Erdöl und Erdölerzeugnisse in Höhe der in einem Zeitraum von 90 Tagen netto nach Deutschland eingeführten Mengen (15 Millionen Tonnen Rohöl, 9,5 Millionen Tonnen fertige Mineralölerzeugnisse wie Ottokraftstoff, Dieselkraftstoff, Heizöl und Flugturbinenkraftstoff) vorgehalten.

3. Vorsorgemechanismen Gas

Anders als bei Öl gibt es in Deutschland keine strategische Reserve. Um die Gasspeicherstände von derzeit circa 30 Prozent signifikant zu erhöhen, wird die Bundesregierung kurzfristig sogenannte Long Term Options einsetzen. Nach eigenen Angaben handelt es sich dabei um „… Sonderausschreibungen, die in Absprache zwischen BMWK, Bundesnetzagentur und Marktgebietsverantwortlichen ergriffen werden, um zusätzliche Kapazitäten am Markt einzukaufen“.

Für die Gasversorgungssicherheit im nächsten Winter will die Bundesregierung die Betreiber der Gasspeicher gesetzlich verpflichten, definierte Füllstände zu verschiedenen Zeitpunkten einzuhalten.

Zur mittelfristigen Versorgung mit Gas sollen in Brunsbüttel und Wilhelmshaven die ersten deutschen LNG-Terminals entstehen. Die Anlagen sollen so konzipiert werden, dass sie zukünftig auch für Wasserstoff und Ammoniak geeignet sind.

4. Vorsorgemechanismen Kohle

Um auch hier die Abhängigkeit zu reduzieren, soll die Bundesnetzagentur durch einen Versorgungsplan gemeinsam mit den Betreibern nicht nur die Beschaffung und Reservebildung bei Kohle forcieren, sondern auch die Kohlelieferketten diversifizieren. Ausdrücklich heißt es in dem Versorgungsplan, dass die „…  beste mittelfristige Antwort auf die Importabhängigkeit … der Ausstieg aus der Kohle [sei], der schrittweise bis 2030 erfolgt“.

Der auf der Hand liegenden Frage nach einem „Ausstieg aus dem Atomausstieg“ erteilte Minister Habeck am 27. Februar 2022 keine generelle Absage. Alle Optionen lägen auf dem Tisch. Er gab aber zu bedenken, dass es nach seinem Kenntnisstand wohl unüberwindbare technische Hindernisse gäbe. Hier bleibt die weitere Entwicklung abzuwarten.

Zur Sicherstellung der aktuellen Energieversorgung hat das Ministerium nach eigenem Bekunden Arbeitsstäbe zur Überwachung eingerichtet.

Um diesen einschneidenden Entwicklungen wirksam begegnen zu können, müssen die Unternehmen ihre derzeitige fossile Energieversorgungssituation unverzüglich einem Belastungstest unterziehen sowie ihre Dekarbonisierungskonzepte an die neuen Realitäten und vor allem einen beschleunigten Ausstiegsplan anpassen. Die Zeit läuft.

In der historischen Bundestagssitzung am 27. Februar 2022 sagte Minister Habeck wörtlich:

„Wir werden aber auch den Ausstieg aus der Verbrennung von fossilen Energien deutlich beschleunigen müssen und an dieser Stelle nicht mehr über Jahrzehnte reden. Wir werden also einen Ausstiegsplan aus den fossilen Energien vorlegen und mit großer Kraft umsetzen“.

Autor

Dr. Gernot-Rüdiger Engel
Rechtsanwalt, Partner
Hamburg