04.06.2024

Datenschutz vs. medizinischer Fortschritt: Die Rolle des Gesundheitsforschungsstär-kungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern in der aktuellen Debatte um die Nutzung von Gesundheitsdaten für medizinische Forschung und KI-Entwicklung

Hintergrund

Der Entwurf des Gesundheitsforschungsstärkungsgesetzes Mecklenburg-Vorpommern (Drs. 8/3461) reiht sich in die Vielzahl der aktuellen Gesetzesinitiativen zur Datennutzung im Gesundheitswesen ein. Auf Antrag der Fraktionen SPD und DIE LINKE im September 2023 (Drs. 8/2602) hat die Landesregierung den Gesetzentwurf kürzlich ins Parlament gebracht. Am 17. April 2024 fand dazu eine Anhörung von Sachverständigen im Sozialausschuss des Landtages Mecklenburg-Vorpommern statt.

Hintergrund sind die derzeit wenig praxistauglichen Regelungen der DSGVO und des Landeskrankenhausgesetzes Mecklenburg-Vorpommern (LKHG M-V), die für die Verarbeitung von Patientendaten zu Forschungszwecken eine Einwilligung des Betroffenen oder das Vorliegen eines gesetzlichen Erlaubnistatbestands mit umfangreichen Begründungserfordernissen voraussetzen. Dies erschwert in der Praxis die Nutzung von Patientendaten innerhalb und den Austausch zwischen Krankenhäusern zu medizinischen Forschungszwecken erheblich und führt dazu, dass die Potenziale der Daten auch für die KI-Entwicklung ungenutzt bleiben.

Überblick

Mit dem Gesundheitsforschungsstärkungsgesetz sollen nun die Forschungsklauseln der §§ 37 ff. LKHG M-V neu gefasst werden. Der Entwurf enthält Regelungen zu:

  • Eigenforschung innerhalb des Krankenhauses,
  • Übermittlung von Daten an Stellen außerhalb des Krankenhauses,
  • Veröffentlichung von Forschungsergebnissen,
  • Nutzung von Patientendaten zum Training von Künstlicher Intelligenz (KI),
  • Anforderungen an ein Forschungsdatensystem und
  • Einsatz einer Treuhandstelle.

Die Forschungsklauseln sehen allgemeine Voraussetzungen vor, die bei jedem Forschungsvorhaben erfüllt sein müssen. Wenn nicht bereits eine Einwilligung des Patienten besteht, muss bei jedem Forschungsvorhaben das öffentliche Interesse durch die zuständige Ethikkommission unter Beteiligung des Datenschutzbeauftragten festgestellt werden und zusätzlich mindestens eine der folgenden Bedingungen gegeben sein:

  • vorherige Pseudonymisierung der Daten durch eine Treuhandstelle,
  • vorherige Anonymisierung der Daten durch das Krankenhaus,
  • ausschließliche Forschung im eigenen Haus in einem getrennten System.

Ein Überblick über die Neuregelungen im Einzelnen:

1. Eigenforschung durch Krankenhäuser

Krankenhäuser sollen bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen rechtmäßig im Krankenhaus erhobene Daten zu im öffentlichen Interesse liegenden Forschungszwecken verarbeiten können (§ 37 Abs. 1 LKHG M-V-neu).

2. Übermittlung von Daten an Stellen außerhalb des Krankenhauses

Im Hinblick auf ein konkretes Forschungsvorhaben sollen Krankenhäuser Patientendaten an Stellen außerhalb des Krankenhauses („andere Verantwortliche“) übermitteln oder diese gemeinsam – etwa in einem Forschungsverbund – nutzen können (§ 37a Abs. 1 und Abs. 4 LKHG M-V-neu). Es gelten auch hier die allgemeinen Voraussetzungen. Vor der Übermittlung soll zudem durch das Krankenhaus die Wahrung angemessener technischer und organisatorischer Maßnahmen überprüft werden (§ 37a Abs. 3 LKHG M-V-neu).

3. Forschungsdatensystem

Patientendaten sollen in einem speziellen Forschungsdatensystem innerhalb des Krankenhauses auch ohne Bezug zu einem bereits konkretisierten Forschungsvorhaben vorgehalten werden können, um diese später für konkrete Forschungsvorhaben bereitzustellen (§ 37 Abs. 2 LKHG M-V-neu). Diese eigene Forschungsdatenbank des Krankenhauses soll neben der Speicherung der Patientendaten auch dazu dienen, die Patientendaten in standardisierte Formate zu übertragen oder die Daten zu duplizieren und anschließend zu anonymisieren. Das System muss von den für die Behandlung und Verwaltung genutzten Systemen im Krankenhaus getrennt sein. Mit dem Betrieb des Forschungsdatensystems soll auch eine andere Stelle als Auftragsverarbeiter beauftragt werden können.

4. Treuhandstelle

Eine interessante Neuerung ist die gesetzliche Normierung der Anforderungen an eine Treuhandstelle. Treuhandstellen werden in der Praxis bereits von vielen Universitätskliniken zur Datenverwaltung eingesetzt, sind aber gesetzlich bisher kaum geregelt. Der Gesetzesentwurf sieht nun ausdrücklich vor, dass Patientendaten an eine Treuhandstelle übermittelt werden dürfen, wenn sichergestellt ist, dass die Treuhandstelle bei ihrer Aufgabenwahrnehmung unabhängig ist und keine Interessenkonflikte mit oder Einflussnahme durch den Krankenhausträger entstehen können (§ 37b LKHG M-V-neu). Daher soll die Treuhandstelle auch nicht als Auftragsverarbeiter, sondern als gemeinsamer Verantwortlicher mit dem Krankenhaus agieren. Ansonsten könnte das Krankenhaus die Treuhandstelle anweisen, personenidentifizierende Merkmale herauszugeben. Die Treuhandstelle soll über eine eigenständige Leitung mit Personalverantwortung, ein eigenes Budget, eigene Räume und eigene Informationstechnik verfügen. Die Daten dürfen nur von Personen verarbeitet werden, die einem Berufsgeheimnis oder einer vergleichbaren gesetzlichen Verschwiegenheit unterliegen (§ 37b Abs. 2 LKHG M-V-neu).

5. Training von KI

Im Rahmen eines konkreten Forschungsvorhabens im öffentlichen Interesse sollen Patientendaten unter der datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit des Krankenhauses, bei dem die Daten erhoben wurden, als Trainingsdaten für die Entwicklung oder Weiterentwicklung einer Künstlichen Intelligenz (KI) verwendet werden und zu diesem Zweck auch an einen anderen Verantwortlichen im Rahmen einer gemeinsamen Verantwortlichkeit übermittelt werden können (§ 37d LKHG M-V-neu). Auch hier sollen die allgemeinen Voraussetzungen gelten.

6. Veröffentlichung von Forschung

Strenge Anforderungen werden weiterhin an die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen mit personenbezogenen Patientendaten gestellt. Sie soll nur zulässig sein, wenn der Patient hierzu entweder eingewilligt hat oder die Daten vor der Veröffentlichung anonymisiert wurden (§ 37c LKHG M-V-neu).

7. Einschränkungen

Eine Einschränkung stellen die Regelungen zum voraussetzungslosen Widerspruchsrecht des Patienten dar, da diese neben dem entstehenden praktischen Aufwand auch eine gewisse Rechtsunsicherheit bei der Verwendung von Patientendaten mit sich bringen (§ 37 Abs. 5, 37d Abs. 4 LKHG M-V-neu). Ein Widerspruch hat zur Folge, dass das Krankenhaus die Merkmale, die eine Zuordnung zu der betreffenden natürlichen Person ermöglichen, anonymisieren oder – falls eine Anonymisierung nicht möglich ist – die Daten sogar vollständig löschen muss. Eine Ausnahme ist nur für Fälle vorgesehen, in denen der Widerspruch die Verwirklichung des Forschungszwecks unmöglich macht oder ernsthaft beeinträchtigt. Über das Widerspruchsrecht sind die Patienten vor der Datenerhebung zu informieren. Auf die Löschverpflichtung müssen auch Empfänger von Daten vertraglich verpflichtet werden

Fazit

Die Hürden für die Nutzung von Patientendaten zu medizinischen Forschungszwecken und zur KI-Entwicklung werden durch den Gesetzesentwurf – trotz der umfangreichen Voraussetzungen, wie der Beteiligung der Ethikkommission und des Datenschutzbeauftragten – gegenüber der bestehenden Regelung des § 37 LKHG M-V durchaus verringert. Im Vergleich zum kürzlich in Kraft getretenen Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) enthält der Gesetzentwurf allerdings keine wesentlichen Erleichterungen. Interessant sind vor allem die erstmals gesetzlich definierten Anforderungen an die Einrichtung eines Forschungsdatensystems innerhalb des Krankenhauses und den Einsatz einer Treuhandstelle. Der Entwurf bestätigt außerdem den allgemeinen Trend, dass eine Pseudonymisierung vor Übermittlung von Daten (faktisch also eine „relative Anonymisierung“) eine ausreichende Sicherungsmaßnahme darstellt, insbesondere um Risiken einer Diskriminierung für den Patienten zu verringern. Insgesamt leistet der Gesetzesentwurf einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte im Bereich der Patientendatennutzung und macht deutlich, dass Gesetzesänderungen für den medizinischen Fortschritt und die KI-Entwicklung unbedingt notwendig sind.

Autor/in
Clara von Wolffersdorff

Clara von Wolffersdorff
Associate
Leipzig
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