12.12.2023

Die EU-Lieferkettenrichtlinie

Hintergrund

Nachdem der Deutsche Bundestag am 11. Juni 2021 das Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten (Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, nachfolgend „LkSG“) beschloss, welches am 1. Januar 2023 im Kraft trat, veröffentlichte die Europäische Kommission am 23. Februar 2022 den Entwurf einer Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence-Directive - CSDDD-E-KOM). Der Rat der EU befasste sich bereits mit diesem Entwurf und beschloss am 1. Dezember 2022 seine Verhandlungsposition („allgemeine Ausrichtung“) zum Entwurf der EU-Kommission, die für Unternehmen einen praktikablen Rechtsrahmen schaffen soll. Nach der ersten Lesung am 1. Juni 2023 hat das Europäische Parlament nunmehr Änderungen vorgeschlagen (CSDDD-E-EP), die den Anwendungsbereich und die Sorgfaltspflichten der Richtlinie verschärfen und erweitern sollen.

In Anbetracht des laufenden Normgebungsverfahrens zum Entwurf der EU-Richtlinie drängt sich die Frage auf, ob und inwieweit in Zukunft das deutsche LkSG durch diese kommende EU-Richtlinie angepasst werden muss und welche praktischen Rechtsfolgen den Unternehmen drohen.

Zielrichtung des EU-Richtlinienentwurfs

Wie schon das LkSG, zielt auch der CSDDD-E auf die Pflicht für Unternehmen, bei sich selbst und innerhalb ihrer Lieferketten menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten zu erfüllen. Unternehmen, die in den Anwendungsbereich des CSDDD-E fallen, sollen Risikoanalysen sowie Präventions- und Abhilfemaßnahmen zur Aufdeckung, Vermeidung und Beendigung negativer Auswirkungen für die Umwelt- und Menschenrechte leisten. Zudem ist von den Unternehmen ein Beschwerdemechanismus einzurichten und kontinuierlich ein Rechenschaftsbericht über die Erfüllung der ihr obliegenden Pflichten zu erstellen und abzugeben.

Anwendungsbereich

Der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie wird in Art. 2 CSDDD-E-KOM bestimmt.  Dieser wurde durch den Vorschlag des Europäischen Parlaments im Verglich zum Kommissionsentwurf erweitert. Nunmehr sollen nach Art. 2 Abs. 1 lit. a CSDDD-E-EP die Unternehmen erfasst werden, die im letzten Geschäftsjahr mehr als 500 Beschäftigte hatten und einen weltenweiten Nettoumsatz von mehr als EUR 40 Mio. erzielten (im Entwurf der Kommission sollten es EUR 150 Mio. sein).

Ebenso werden nach Art. 2 Abs. 1 lit. b CSDDD-E-EP auch die Unternehmen erfasst, die jene Schwellenwerte nicht erreichten, aber die oberste Muttergesellschaft einer Unternehmensgruppe sind, die im letzten Geschäftsjahr mehr als 500 Beschäftigte hatte und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Mio. EUR erzielte. Während der Kommissionsentwurf diese Ausnahme nur für bestimmte Sektoren vorsah, verzichtet der Parlamentsentwurf gänzlich auf eine solche Einschränkung, sodass dieser Anwendungsbereich erheblich erweitert wurde und nicht mehr als eine Ausnahme anzusehen ist.

Zusätzlich bestimmt Art. 2 Abs. 3 CSDDD-E-EP, dass auch Unternehmen aus Drittländern, die also außerhalb der EU geründet wurden, von dieser Richtlinie erfasst werden, wenn sie im letzten Geschäftsjahr einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als EUR 150 Mio. erwirtschafteten, wobei mindestens EUR 40 Mio. in der EU erzielt wurden. Der Kommissionsentwurf erfasste diese Unternehmen nur, wenn sie in der EU einen Nettoumsatz von EUR 150 Mio. erzielten, sodass auch hierin eine Verschärfung durch das Parlament zu sehen ist.

Des Weiteren ist auch an weiteren Stellen zu erkennen, dass das Europäische Parlament möglichst viele Unternehmen durch diese Richtline erfassen will. So bestimmt Art. 2 Abs. 3 CSDDD-E-KOM, dass für die Berechnung der Beschäftigtenanzahl auch Leiharbeiter heranzuziehen sind, wohingegen der CSDDD-E-EP auch „andere Arbeitnehmer in atypischen Beschäftigungsverhältnissen erfasst. Schließlich werden nach Art. 3 lit. a CSDDD-E-EP nicht nur Kapitalgesellschaften erfasst, sondern auch sonstige Personengesellschaften wie die oHG und die KG.

Im Vergleich erfasst der aktuell in Deutschland einschlägige § 1 Abs. 1 LkSG nur diejenigen Unternehmen, die ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung, ihre Zweigniederlassung oder ihren satzungsmäßigen Sitz im Inland haben und in der Regel mehr als 3.000 (ab dem 01.01.2024 dann 1.000) Arbeitnehmer im Inland beschäftigen, wobei die Rechtsform unberücksichtigt bleibt.

Der CSDDD-E-EP setzt zwar die Mindestbeschäftigtenanzahl herab, fordert aber gleichzeitig das Vorliegen eines Mindestumsatzes, sodass diese Senkung relativiert wird. Gleichwohl schätzt die Kommission, dass etwa 13.000 Unternehmen aus der EU und etwa 4.000 Unternehmen aus Drittändern von der Richtlinie betroffen sein werden, wobei diese Zahlen nach dem Vorschlag des Parlaments noch höher ausfallen könnten. Insgesamt würde sich der Anwendungsbereich für deutsche Unternehmen vergrößern.

Sorgfaltspflichten

Der Kern dieser Richtlinie sind die in den Art. 5-11 CSDDD-E-KOM normierten Sorgfaltspflichten, die Art. 4 CSDDD-E-KOM enumerativ aufzählt. Diese Systematik ähnelt der des LkSG. Dazu zählen die Einbeziehung der Sorgfaltspflichten in die Unternehmenspolitik (Art. 5), die Ermittlung tatsächlicher oder potenzieller negativer Auswirkungen (Art. 6), die Vermeidung und Abschwächung potenzieller negativer Auswirkungen, deren Behebung sowie die Minimierung ihres Ausmaßes (Art. 7 und 8), die Errichtung und Aufrechterhaltung eines Beschwerdeverfahrens (Art. 9), die Überwachung der Wirksamkeit ihrer Strategien und Maßnahmen zur Erfüllung ihrer Sorgfaltspflicht (Art. 10) sowie die öffentliche Kommunikation über die Sorgfaltspflichten (Art. 11). Dabei obliegt den betroffenen Unternehmen nach ErwG 15 CSDDD-E-KOM, wie auch nach dem LkSG, keine Erfolgs- sondern lediglich eine Bemühungspflicht, sodass zu den geeigneten Maßnahmen insbesondere Handlungen zur Identifikation oder Prävention von negativen Auswirkungen gehören.

Auch für die Sorgfaltspflichten sieht das Europäische Parlament Verschärfungen vor. Die Unternehmen sollen ihre Strategien nicht mehr jährlich aktualisieren, sondern kontinuierlich, sofern Veränderungen eingetreten sind (Art. 5 Abs. 2 CSDDD-E-EP). Außerdem nimmt das Europäische Parlament in ihrem Vorschlag insbesondere Finanzunternehmen i.S.d. Art. 3 lit. a Ziff. iv) CSDDD-E-EP ins Visier, sofern diese die Schwellenwerte des Art. 3 CSDDD-E-EP überschreiten. Werden Finanzdienstleistungen angeboten, dann sollen die negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt nicht nur vor der Erbringung der Dienstleistung, sondern auch während dieser ermittelt werden (Art. 6 Abs. 3 CSDDD-E-EP). Ferner wird bei ihnen vermutet, dass diese direkt mit negativen Auswirkungen in ihrer Wertschöpfungskette verbunden sind, ohne dass sie diese verursacht oder dazu beigetragen haben (Art. 7 Abs. 1b, Art. 8 Abs. 2b CSDDD-E-EP). Schließlich sollen nach Art. 8a CSDDD-E-EP auch institutionelle Anleger und Vermögensverwalter geeignete Maßnahmen treffen, um ihre Beteiligungsnehmer dazu zu veranlassen, tatsächliche negative Auswirkungen zu beheben.

Die Sorgfaltspflichten nach dem LkSG beziehen sich nach § 2 Abs. 5 LkSG lediglich auf die vorgelagerte Lieferkette im eigenen Geschäftsbereich. Dagegen nennt der CSDDD-E-EP die Geschäftsbeziehungen eines Unternehmens als Anknüpfungspunkt für die Sorgfaltspflichten. Diese sind nach Art. 3 lit. e CSDDD-E-EP jede direkte oder indirekte Beziehung eines Unternehmers zu allen Rechtssubjekten in seiner Wertschöpfungskette. ErwG 18 CSDDD-E-EP stellt dabei ausdrücklich klar, dass die gesamte Wertschöpfungskette davon betroffen ist, also bis hin zum Vertrieb und der Entsorgung eines Produkts, wodurch sich die Sorgfaltspflichten auch auf Kunden und mittelbare Geschäftspartner beziehen. Somit wird die Reichweite der Sorgfaltspflichten erheblich erweitert.

Zivilrechtliche Haftung

Schließlich ist zu beachten, dass Art. 22 Abs. 1 CSDDD-E-KOM eine zivilrechtliche Haftung vorsieht. Eine solche ist in dem LkSG nicht vorgesehen und wird sogar explizit in § 3 Abs. 3 LkSG ausgeschlossen. Während nach Art. 22 Abs. 1 CSDDD-E-KOM eine Haftung nur dann möglich ist, wenn eine Pflicht aus Art. 7 oder 8 CSDDD-E-KOM verletzt wurde, bestimmt der Parlamentsentwurf nunmehr, dass eine Haftung immer dann in Betracht kommt, sofern irgendeine Pflicht aus der Richtlinie nicht erfüllt wurde. Zudem soll nach Art. 22 Abs. 2a CSDDD-E-EP die Verjährungsfrist dieser Ansprüche mindestens zehn Jahre betragen, wobei sichergestellt werden muss, dass die Verfahrenskosten nicht unverhältnismäßig hoch sind und die Kläger Unterlassungsklagen auch im Eilverfahren erheben können.

Ausblick

Aktuell befindet sich dieser Entwurf in dem sog. Trilogverfahren, wobei noch offen ist, wann mit einer endgültigen Fassung zu rechnen ist und diese schließlich in Kraft tritt. Es ist jedenfalls damit zu rechnen, dass dieses Normsetzungsverfahren vor der Wahl des EU-Parlaments im Juni 2024 abgeschlossen wird.

Der aktuelle Diskussionsstand innerhalb der EU-Institutionen zeigt, dass der deutsche Gesetzgeber das hiesige LkSG voraussichtlich wird anpassen müssen. Bisher nicht betroffene Unternehmen müssen sich darauf vorbereiten, künftig mit einer höheren Wahrscheinlichkeit in den Anwendungsbereich des LkSG zu fallen. Durch die größere Reichweite an Sorgfaltspflichten besteht zudem das hohe Risiko einer (bisher ausgeschlossenen) zivilrechtlichen Haftung.

Autor/in
Jens-Uwe Heuer-James

Jens-Uwe Heuer-James
Partner
Hannover
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Dr. Paul Derabin